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Vertrieben sein und trotzdem arbeiten: Das Unmögliche ist möglich

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Lanna Idriss (Unternehmerin, Gyalpa, Frankfurt/M.), Ines Kappert (Leitung Gunda-Werner-Institut, Berlin)

Bericht zum Gespräch:Vertrieben sein und trotzdem arbeiten. Das Unmögliche ist möglich. Aber wie? (Dare the im_possible/Wage das Un_mögliche 15.10.-18.10.2015)

Wie können Geflüchtete in Deutschland und in Camps vor Ort unterstützt und in Erwerbsarbeit gebracht werden? Darüber diskutiert derzeit ganz Deutschland – viel zu spät, wie Lanna Idriss findet. Sie gründete einen gemeinnützigen Verein, um Spenden vor allem für Frauen und Kinder in Flüchtlingslagern zu sammeln. Die Bankerin merkte jedoch schnell: Kaum lässt die öffentliche Aufmerksamkeit für eine Krisenregion nach, bleiben auch die Spenden aus. Um sicherzustellen, dass weiterhin Geld bei denen ankommt, die es dringend brauchen, griff sie auf ihren Hintergrund aus der Wirtschaft zurück und gründete das soziale Handelsunternehmen Gyalpa. Statt Spenden bekommen die Frauen an verschiedenen Standorten in Syrien, Libanon und der Türkei jetzt Lohn: zum Beispiel 20 Dollar für eine bestickte Tasche, ein Bild entfernt.Handtuch oder einen Turnbeutel, die von Gyalpa per Online-Shop verkauft werden. Die Produkte kommen auf abenteuerlichen Wegen nach Deutschland; die Waren durch den Zoll zu bekommen ist oft Glückssache. Um nicht als kommerzielles Unternehmen aufzufallen, bringen Taxifahrer die Waren von Syrien über die Grenze nach Libanon. Die Frauen und ihre Helfer_innen in Syrien begeben sich auch in Gefahr, unter dem Vorwurf der terroristischen Aktivitäten verhaftet zu werden, wenn sie Geld aus dem Westen annehmen. Im Libanon ist die Lage kaum besser: Hier haben syrische Geflüchtete seit Anfang des Jahres keine Rechte mehr und dürfen auch praktisch nicht arbeiten. Ihre Produkte auf eigene Faust zu verkaufen, dazu hätten die Frauen ohne Hilfe kaum eine Chance, sagt Lanna Idriss:

„Wir schaffen einen Marktzugang, den die Frauen aus eigener Kraft nicht erreichen können. Zum einen ist der physische Markt zu gefährlich geworden, das Regime bombardiert ganz bewusst Schulen, Krankenhäuser, Märkte, um die Menschen im Alltäglichen zu „stören“ und große Menschenmassen zu treffen. Das heißt, auf dem Markt einen Stand aufzubauen ist nicht mehr möglich. Und den virtuellen, globalen Weltmarkt erreichen die Frauen aus eigener Kraft auf keinen Fall.“

Hier kommt Gyalpa mit seiner libanesischen Partnerorganisation Basmeh & Zeitooneh ins Spiel, stellt Produktionsmittel und -räume und übernimmt den Transport und Verkauf der Waren. Angelehnt an das Prinzip der Mikrokredite nennt Lanna Idriss dieses System „Mikrohandel“ und unterstützt damit primär Frauen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Frauen den bar ausgezahlten Lohn eher in Lebensmittel und Schulbildung für ihre Kinder investieren, nicht in Alkohol oder Waffen. Und: Frauen werden in der Debatte um Geflüchtete oft vergessen. Dabei spielen sie eine zentrale Rolle vor allem in den Camps, wie Idriss beobachtet hat:

„Die Stütze dieser ganzen Camps sind die Frauen. Es gibt ja viele Klischees und Vorurteile, was muslimische Frauen angeht, aber ohne diese Frauen würde dort gar nichts laufen: Sie machen die Kommunikationsarbeit, sie machen die Familienarbeit, und sie sind jetzt auch die Erwerbstätigen, jedenfalls in unserem kleinen Unternehmen.“

Idriss erklärt auch, warum Gyalpa als Unternehmen angelegt ist: Langfristiges Ziel sei es, Steuern zu zahlen und zum Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft beizutragen. Kritik an der kapitalistischen Ausrichtung des Projekts begegnet Idriss mit dem Hinweis, dass die Produzentinnen fast 85% des Erlöses der Produkte bekommen, die sie herstellen – und zwar sofort, egal ob sich ein Käufer findet oder nicht. Das Risiko trägt Gyalpa, das aber dennoch, wie Idriss betont, ein For-Profit-Unternehmen ist. Wie in jedem wirtschaftlichen Unternehmen ist das Ziel, so wenig Kosten wie möglich zu verursachen, um die Gewinne wieder investieren zu können, zum Beispiel in Bildungsprojekte vor Ort. Möglich ist das nur dank ehrenamtlicher Helfer_innen aus Deutschland und Syrien, die ihre Kenntnisse aus Bereichen wie IT und Wirtschaft einbringen.

Trotzdem wird Gewinn nicht über alles gestellt, Idriss möchte den Produzentinnen nicht einfach vorschreiben, was sie zu tun haben. Zwar müssen die farbenfrohen Muster für den westlichen Markt manchmal überarbeitet werden. Idriss legt aber Wert darauf, dass diese Veränderungen im Dialog mit den Frauen stattfinden. Kommunikation ist ihr auch über das rein Praktische hinaus wichtig. Sie hat selbst einige der Produktionsstätten besucht und sich mit den Frauen dort ausgetauscht, auch über deren persönliche Geschichten.

Lanna Idriss in einer Produktionsstätte im Gespräch mit den Frauen

Als nächstes möchte Lanna Idriss auch in Deutschland eine Werkstatt für vertriebene Frauen aufbauen. Dort können Frauen in einem Kurs Handwerkstechniken lernen und anschließend selbst Waren produzieren, zum Beispiel Tabletts in Mosaiktechnik. Dann, das fordert Idriss im Podiumsgespräch mit Ines Kappert, müsste es den Geflüchteten möglich gemacht werden, ein Gewerbe anzumelden, um selbst ihre Waren verkaufen zu können. Hier sieht Idriss die Politik in der Pflicht: Die Wirtschaft könne und wolle Geflüchteten sehr wohl helfen, zum Beispiel durch das Anbieten von Arbeitsplätzen speziell an Vertriebene, werde dabei aber oft von der staatlichen Bürokratie ausgebremst. Bürokratische Hürden wie die dreimonatige Wartezeit vor der Antragstellung auf eine Arbeitserlaubnis oder die Vorrangprüfung machten solche Prozesse langwierig und oft erfolglos, außerdem fehle es an einer bundesweiten Erfassung der Lebensläufe vertriebener Arbeitsuchender – Arbeitgeber und Arbeitnehmer fänden so nicht zusammen. Idriss hofft aber, dass sich mit zunehmendem Interesse der Wirtschaft am Schicksal der Geflüchteten eine Lobby bildet, die ihren Einfluss für den Bürokratieabbau geltend macht. Ihr Appell an die Politik:

„Wir machen das, wir schaffen das, aber ihr dürft uns nicht so bremsen, wie ihr das tut.“

Videomitschnitt der Veranstaltung

Dare the im_possible: Vertrieben sein und trotzdem arbeiten. Das Unmögliche ist möglich. Aber wie? - Heinrich-Böll-Stiftung

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