Die grüne Europa-Abgeordnete Terry Reintke spricht mit Ulrike Baureithel über sexualisierte Gewalt, Schwangerschaftsabbruch und den Kampf für Reproduktive Rechte gegen Rechtspopulisten im Europaparlament.
Frau Reintke, Sie selbst sind kürzlich Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden, und auch im Europaparlament wurden Fälle von schwerer sexueller Belästigung bekannt. Werden Frauen wieder vermehrt Freiwild oder trauen sie sich einfach nur, solche Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen?
Ich denke, die #MeToo-Bewegung bringt das, was es seit Jahrzehnten gibt, an die Oberfläche. Viele Frauen fühlen sich ermutigt, darüber zu sprechen, was sie erlebt haben und fordern Veränderungen ein. Wenn man sich vor Augen führt, dass jede dritte Frau in der EU in ihrem Leben einmal von sexuellen Übergriffen betroffen war, werden die ganze Dimension und der Handlungsdruck deutlich.
Der Europa-Abgeordnete Janusz Ryszard Korwin-Mikke darf im Europäischen Parlament verlauten lassen, dass Frauen weniger verdienen, weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind. Wie reagiert das Parlament darauf?
Korwin-Mikke wurde vom Parlament sehr deutlich sanktioniert. Es gab eine klare Zurückweisung seitens des Parlamentspräsidenten, ihm wurden die Tagegelder für einen ganzen Monat gestrichen und er darf für ein ganzes Jahr an keinen offiziellen Delegationen des Parlaments teilnehmen. In dieser Härte war das bisher noch nie der Fall. Nichtsdestotrotz muss man sehen, dass es Menschen gibt, die Korwin-Mikke für derartige Aussagen feiern und ihn wählen.
Ist Korwin-Mikke eher ein Einzelfall?
Er ist sicher ein Extremfall, es geht ihm um bewusste Provokation, und mit dieser Strategie ist er nicht alleine. Beatrix von Storch beispielsweise, die im Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter sitzt, äußert sich in Bezug auf die Istanbul-Konvention, dass nun überhaupt nicht mehr von einem biologischen Geschlecht die Rede sei und Männer sich also nicht mehr als Männer und Frauen nicht mehr als Frauen fühlen dürften. Abwertend wird über trans- oder intersexuelle Menschen gesprochen. Mit einer solchen Rede verfolgt sie ganz gezielt die Strategie, den Anti-Genderdiskurs zu befördern.
Wir sprechen jetzt vor allem über die verbalen Interventionen der Rechtspopulisten. Wie steht es um deren politischen Einfluss, wie beteiligen sie sich an der alltäglichen parlamentarischen Arbeit auf diesem Gebiet?
Ihre Mitarbeit in den Ausschüssen ist bescheiden. Wenn es aber darum geht, sich in einer Aussprache im Plenum gegen Gleichstellungsmaßnahmen zu positionieren, sind sie immer ganz vorne dabei. Es geht ihnen also nicht um eine konkrete Politikveränderung, sondern sie machen ihren Einfluss über provokante Thesen geltend und die sich daraus ergebende öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei gerieren sie sich so, als ob lediglich sie sich öffentlich zu sagen trauten, was alle denken.
Eine exponierte Angriffsfläche der Rechtspopulisten ist immer noch die Abtreibung ...
Ja, reproduktive Rechte bilden immer wieder eine zentrale Angriffsfläche. Deutlich wird das daran wie gut vernetzt rechtspopulistische Parteien mit den Vertretern des „Marsches für das Leben“ in Deutschland sind. Diese wiederum pflegen enge Verbindungen zu den Anti-Choice-Gruppen in den USA und werden von diesen zum Beispiel auch finanziell unterstützt. Das Europäische Parlament nutzen rechtspopulistische Parteien dabei als politische Plattform.
Die Anti-Gender-Bewegung rekurriert zwar auf alte Rollenbilder und -konzepte, setzt, um Gendermainstreaming ect. zu desavouieren, aber ideologiekritisch an, indem sie den Feminismus als Angelegenheit von Eliten erklärt, von Gender-Ideologie spricht oder die eigene kulturelle Identität in Anschlag bringt usw. Damit schlagen sie den Feminismus sozusagen mit den eigenen Waffen. Wie können wir dem begegnen?
Fest steht, dass es nicht eine Gegenstrategie gegen den gesellschaftspolitischen Angriff von Rechts gibt. Wir müssen uns genau anschauen, wer sind die Akteure und wie gehen wir mit ihnen um? Beim Thema Abtreibung beispielsweise müssen wir unbedingt auf Konfrontation setzen. Die Kompromisse, die es in dieser Hinsicht in Deutschland nach dem Urteil des BVG zum §218 gab, haben dazu geführt, dass das Thema überhaupt nicht mehr auf der feministischen Agenda stand. Erst in den letzten Jahren scheint es wieder ein Bewusstsein dafür zu geben, dass der weibliche Körper und die mit ihm verbundenen Rechte Zielscheibe von repressiven politischen Kräften sind. In Polen haben wir gesehen, dass dies ein bedeutendes Mobilisierungsthema werden kann. Wir müssen – wie jetzt bei der Auseinandersetzung um den §219 und das Werbeverbot von Abtreibung – wieder über das sprechen, was im Strafgesetzbuch geregelt ist. Wir müssen klar Position beziehen und deutliche politische Forderungen stellen.
Beim Thema Identität von Geschlechtlichkeit dagegen sind die Herausforderungen anders gelagert. In diesem Zusammenhang müssen wir mehr erklären, worum es eigentlich geht. Etwa, indem wir klarmachen, dass bei einem Prozent der Bevölkerung das körperliche Geschlecht bei der Geburt nicht der medizinischen Norm von 'eindeutig' männlichen oder weiblichen Körpern zugeordnet werden kann. Wir müssen diskutieren, ob die Betroffenen wirklich dazu gezwungen werden sollten, Maßnahmen durchzuführen, die ihr Geschlecht eindeutig machen. Hier kann man mit erklärenden Strategien in der Mehrheitsbevölkerung mehr erreichen als mit einer Offensivstrategie.
Sie haben kürzlich eine Veranstaltung durchgeführt, in der es ganz allgemein um Strategien der Rechtspopulisten ging. Mit welchen Ergebnissen?
Wir haben mitgenommen, dass es nicht ausreicht, den Feldzug gegen die Rechten nur mit Daten und Fakten zu führen. Wir müssen stärker emotionalisieren und wir benötigen einfache Botschaften. Überall erleben wir den Aufwind rechtspopulistischer, neokonservativer und nationalistischer Bewegungen. Dieser gesellschaftliche Backlash wird zu sehr großen Teilen von alten, aber auch durchaus jungen weißen Männern getragen. Das lässt sich nicht zuletzt an Wahlergebnissen ablesen - Trump in den USA, Typen wie Sebastian Kurz in Österreich, und in Deutschland bedient die AfD genau dieses Klientel. Wir haben es mit einer Krise weißer Männlichkeit zu tun. Es reicht also nicht über die Veränderung von Weiblichkeit zu sprechen, wir müssen vielmehr die maskulinen Stereotype, von denen sich Männer angesprochen fühlen, in den Mittelpunkt rücken und entsprechende Gegenentwürfe entwickeln. Wir reden zwar viel über Männer, aber wir reden zu wenig über alternative Männlichkeiten. Nur wenn wir diese Diskurse anführen, können wir verhindern, dass Menschen das Feld besetzen.
Sie haben gesagt, wir müssten wieder auf einfache Botschaften rekurrieren. Begeben wir uns dann nicht auf die gleiche Ebene wie die Rechtspopulisten?
Das ist eben die Crux, denn wir sind aufgefordert, die Komplexität von Realität abzubilden. Es ist aber kein Zufall, dass ein Slogan wie „Mein Bauch gehört mir!“ so erfolgreich war und auch heute noch ist. Das ist eine sehr einfache Botschaft, auch wenn die dahinterstehenden Probleme und Diskussionen kompliziert sind. Ich kenne Leute aus dem kirchlichen Bereich, die eigentlich gegen Abtreibung sind und denen es auch nicht um die Autonomie von Frauen geht, und die dennoch für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch plädieren, weil sie wissen, dass es keine Alternative gibt. Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen würde Frauen in die Illegalität treiben, mit unabsehbaren gesundheitlichen Folgen. Ich kann also mit ganz anderen und nicht-feministischen Begründungszusammenhängen zum gleichen Schluss kommen. Deshalb glaube ich, dass wir im Rahmen der Realitäten, in denen wir derzeit Politik machen, solche heruntergebrochenen Botschaften brauchen, sonst können wir diese Auseinandersetzung nicht gewinnen.
Das Gespräch führte Ulrike Baureithel