Drag wird gleichzeitig als politische Praxis verhandelt und verdeutlicht den Performativen Charakter von Geschlecht. So sollen eigene Visionen und Utopien der binären Dichotomie der Geschlechterordnung entgegengestellt werden. Die Autorin fragt sich, ob Drag diesen Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann und trifft dabei auf Grenzen von Drag als politischer Praxis.
Drag wird oftmals als eine Form politischer Praxis verhandelt - als explorative Strategie, die es den Partizipierenden ermöglicht, der binären Dichotomie der Geschlechterordnung eigene Visionen und Utopien entgegenzustellen, Neues auszuprobieren und Altes umzudeuten. Gleichzeitig soll Drag als Parodie in der Über_Inszenierung den performativen Charakter von Geschlecht verdeutlichen – also die Vergeschlechtlichtung durch sich stets wiederholende Sprache und Handlung_en. Aus einer reflexiven Perspektive erscheint es jedoch fraglich, ob Drag diesen Ansprüchen in der konkreten Praxis überhaupt gerecht werden kann. Ich möchte der Überlegung nachgehen, inwieweit Drag als Politik und Widerstandspraxis tatsächlich gelingen kann und darlegen, welche Grenzen dieser (Körper-)Praxis inhärent sind.
Meine These ist: Drag verbleibt in der stigmatisierten Position des »Abnormalen«, des »Absonderlichen«, sofern es lediglich in geschützten, eigens dafür geschaffenen Räumen stattfindet und sich die Möglichkeiten der Darstellungspraxis ausschließlich entlang normativer Wissensachsen bewegen. Anders - und provokativer - ausgedrückt: Wenn ein als weiß und männlich sozialisierter, nicht heteronormativ begehrender Mensch sich in »Fummel« und »Perücke« schmeißt, in glänzenden Absatzschuhen singend über eine Bühne läuft und dabei Formen von »Weiblichkeit_en« fast schon ins Unerträgliche und Karikative überzieht (vor allem aus der Perspektive all jener, die Elemente der dargestellten »Weiblichkeit_en« für die eigene Identitätskonstruktion nutzen), mag das für den Augenblick für die Performenden wie auch für die Zuschauenden sowohl erheiternd wie auch mitunter bestärkend sein, sofern bislang erlebte Repräsentationsmöglichkeiten von »Geschlechtlich_keit« und »Sexualität_en« als repressiv und unterdrückend erfahren wurden.
Das ironische Spiel mit stereotypen Elementen kann so zwar als lustvolle und künstlerische Selbstermächtigung gelesen werden, allerdings verbleibt eine solche Performance in einer binären, dichotomen und vor allem normativen Logik verhaftet. Sie bedient bestimmte Bilder und Vorstellungen, die nur deswegen erkannt werden (können), da sie bereits Teil einer anerkannten »Wahrheit« sind. Hinsichtlich der Dimensionen »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en« findet daher lediglich eine Zitation schon etablierter Repräsentationsmöglichkeiten statt und keine Unterwanderung oder gar Auflösung von Grenzen des Denk- und Wahrnehmbaren. So werden keine Ordnungen durchkreuzt, sondern eher aufrechterhalten. Doch was bedeuten diese Überlegungen nun konkret für Drag als Praxis im Allgemeinen und für spezifische, im Diskurs dominante Figurationen?
Drag im Diskurs
Fällt der Begriff Drag, denken viele Menschen wohl zunächst an sogenannte Drag-Queens und/oder Drag-Kings. Die Drag-Queen als Figur dominiert allerdings die öffentliche Wahrnehmung, wobei deutlich wird: Drag ist nicht gleich Drag. Und wie alle sozialen Phänomene ist Drag als performative Praxis gleichermaßen Produkt der Geschichte wie auch Geschichte produzierend. Bezogen auf die letzten 30 Jahre und mit Blick auf den Diskurs in Deutschland, sind es vor allem zwei Figurationen, die mit dem Terminus Drag assoziiert werden: einerseits die glamouröse Drag-Queen, die aus der medialen Öffentlichkeit kaum mehr wegzudenken ist, und neben bekannten und weniger bekannten Prominenten regelmäßig die roten Teppiche diverser Medienspektakel bespielt (z.B. Oliva Jones oder Conchita Wurst). Daneben hat sich die sog. (Polit-)Tunte herausgebildet, die viel Kitsch und Trash jeweils mit einer Strategie und einem (politischen) Anspruch verbindet, und die durch ihre Darstellung gesellschaftspolitische Brüche zu provozieren vermag.
Die Diskursfigur »Tunte« erscheint mir dabei als anschauliche Verkörperung nicht nur der Möglichkeiten, aber vor allem der Grenzen von Performativität – wobei Letzteres in den (öffentlichen) Debatten bislang mit eher weniger Enthusiasmus in den Blick genommen wurde.
»Tunte« zwischen Theorie und Performativität
Die Figur der »Tunte« wird stark diskutiert. Dabei wird allerdings oft wenig differenziert, was unter diesem Terminus erfasst wird oder erfasst werden kann. Meine Überlegungen beziehen sich auf diesen Begriff als eine Art der performativen Praxis, die neben dem künstlerischen Aspekt vor allem die politische Bedeutung jener Figur betont. Es geht dabei weniger um pompösen Glamour, Fetische oder den Wunsch, dauerhaft als »weibliches« Subjekt gelesen zu werden. Vielmehr, so mein Eindruck, soll bewusst provoziert, irritiert und das unterwandert werden, was hinsichtlich »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en« als »Norm« gilt. Dabei verknüpft sich im Auftreten der »Tunte« eine überinszenierte, fast schon grotesk wirkende »Weiblichkeit« mit einer ebenso explizit dargestellten und nicht weniger affektiv inszenierten »Homosexualität«.
Ein Gelingen jener Darstellung funktioniert jedoch nur vor dem Hintergrund, dass hier eine Art dialektischer Effekt seine Wirkung entfaltet. Sowohl die Performenden als auch die Zuschauenden betrachten die Darstellung mit einem bereits vorhandenen Wissen über »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en«, erkennen dabei all jene Elemente, die in ihrer Übertreibung sich von dem absetzen, was als »Norm« verinnerlicht und gelebt wird - und genau hier stößt die Diskursfigur der »Tunte« bereits an ihre Grenzen.
Da hakt's am Stöckelschuh!
Die »Tunte« kann den politischen Ansprüchen in doppelter Hinsicht nicht gerecht werden: Einerseits misslingt ein tatsächlicher Bruch mit gängigen Normen hinsichtlich »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en«, da sich die performativen Elemente (z.B. Kleidung, Gesten, Sprechweise) stets entlang bereits normativ verankerter Codierungen bewegen. Parodie als performativer Akt gelingt nur dann, wenn die Darstellung von »Geschlecht_lichkeit« als eine nicht reale Darstellung, sondern als Performance angesehen wird, eben wenn die praktizierte Überzeichnung mit einem Wissen über eine »authentische« Darstellung kontrastiert wird. Die performative Darstellung einer »homosexuellen Identität« bleibt verhaftet in der Darstellung einer als feminin codierten Ausdrucksweise, die zwar in ihrer Übertreibung als Konstruktion sichtbar wird, aber keinesfalls zu einem Bruch führt, sondern viel mehr zu dessen Wiederholung und Bestärkung beiträgt. Es wird etwas verdinglicht, und dadurch konturiert, was gedanklich sonst schwer zu erfassen ist. »Homosexuelles Begehren« wird durch die Darstellung verknüpft mit spezifischen sprachlichen und körperlichen Ausdrucksweisen, die augenscheinlich »homosexuelles Sein« ausmachen. Mehr noch, durch die affektive, parodistische Zuspitzung spezifischer als weiblich codierten Elemente und Praktiken kann sich schnell ein diffamierender Effekt jener »Weiblichkeit_en« respektive »Sexualität« einstellen, vor allem dann, wenn diese bewusst als humoristisches Mittel genutzt werden. Um sich von der Abwertung der Homosexualität durch einen Vorwurf der Verweiblichung zu emanzipieren, bestärkt die Tunte so mindestens die stereotypen Eigenschaften und punktuell auch die hierarchische Unterordnung des »Weiblichen«.
Andererseits stellt die performative Darstellung der Modalitäten »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität« keine subversive Strategie dar, um eine vermeintlich »homosexuelle Identität« im öffentlichen Raum tatsächlich aus der Position des »Anderen« zu heben. Neben Magnus Hirschfeld, der schon gegen Ende des 19.Jahrhunderts durch wissenschaftliche Methoden eine Umkehrung der Bewertung von »Homosexualität« anstoßen wollte, entstand aus den Dynamiken der »Schwulenbewegung« der 70er Jahre die provokative Strategie und populäre Praxis gleichermaßen, durch schrilles, lautes und auffälliges Auftreten das »closet« zu verlassen. Dabei ging es – jedenfalls historisch gelesen – vor allem darum, sich selbst mit seiner nicht heteronormativen »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität« demonstrativ sichtbar zu machen, um eben jene nicht länger in gesellschaftlichen Räumen aus Angst oder Scham zu verbergen zu müssen. Allerdings wird der abweichende Status, die angebliche Absonderlichkeit durch die spezifische Darstellung konserviert, da sowohl Drag wie auch die Diskursfigur »Tunte« meist in einem dafür geschaffenen Raum verbleiben und nicht, wie Magnus Hirschfeld einst forcierte, in öffentlichen Kontexten auftreten. Solche eher isolierten Räume zeichnen sich oft vor allem dadurch aus, dass dort bereits so etwas wie ein kollektiv anerkannter, affektiver »homosexueller Habitus« existiert, welchen die »Tunte« durch ihr Auftreten leicht bedienen und durch diese Zitation als solche überhaupt erst erkannt werden kann. Das Auftreten in diesen subkulturellen Räumen wird somit nicht zu einer Widerstands- sondern eher zur Praxis der Selbstverliebtheit.
Durch die Verknüpfung von »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en« in Form der »Tunte« hakt es bei der Loslösung von bereits normierten und teils tradierten Vorstellungen von sozialen Kategorien und ihren Codierungen. Das Tragen von Kleidern, Stöckelschuhen oder Schmuck (selbst wenn die Zusammenstellung nicht den etablierten Normen entspricht) in Verbindung mit einer humoristisch dargestellten »Weiblichkeit« unterwandert nicht die Dimension »Geschlecht_lichkeit«. Vielmehr wird ein sehr wirkmächtiger Wahrheitsapparat gefüttert, der normative Erwartungen eher bestärkt, anstatt sie aufzuweichen. Drag als Strategie ist schon lange Teil jener Wahrheitsproduktion und nur eines von vielen Zahnrädchen, die dazu beitragen, dass »Geschlecht_lichkeit« und »Sexualität_en« als in sich geschlossene, vordiskursive Zustände gedacht und die mit ebenso spezifischen Eigenschaften und Wesenskernen in Verbindung gebracht werden: Solange nicht über und gegen, sondern mit und durch »Geschlecht_lichkeit« Humor erzeugt wird – was zugegebenermaßen wesentlich leichter scheint – bleibt dessen hegemonialer Status unangetastet.
Gratwanderung zwischen Parodie, Diffamierung und Subversion
Als Außenstehende frage ich mich, welche (politischen) Ansprüche sich nun tatsächlich finden lassen unter Fummel, Perücke und reichlich Trash und Glamour - vor allem dann, wenn vorrangig als weiß, männlich und schwul markierte und sozialisierte Akteure über Bühnen oder neben und auf dem CSD-Wagen laufen. Selbst wenn diese keine in sich geschlossene, homogene Gruppe darstellen, dominieren sie einerseits häufig die (politischen) Räume, in denen Drag als performative Praxis stattfindet. Andererseits ist es gerade die Figur des weißen, als schwul gekennzeichneten »Mannes«, die mit Drag assoziiert wird. Sicherlich bedarf es einer elaborierten Analyse, um die oben gestellten Fragen angemessen beantworten zu können. Es lässt sich jedoch festhalten: Drag als performative Praxis stellt keinen absoluten subversiven Angriff auf Geschlechter- und_oder Begehrensnormen dar, wohl aber konfrontiert diese Art der (Körper-)Praxis mit der Fragestellung, „welche Arten von Körpern und […] Sexualitäten für real angesehen werden und welche nicht.“. [1] Die Parodie in Drag kann schließlich nur dann gelingen, wenn ein Wissen darüber vorhanden ist, was überhaupt dargestellt wird. Dabei geht es, wie die Philosophin Judith Butler ausführt, auch um das machtvolle Privileg, eine gewisse »Wahrheit« zu produzieren. Drag als performative Praxis und Strategie im Allgemeinen, wie auch die »Tunte« im Speziellen sind ebenso Elemente dieser so re_produzierten Wissensordnung, wie all die spezifischen Regeln und Zwänge, die in der Praxis (eigentlich) subversiv unterwandert werden sollen. Innerhalb dieser Grenzen eröffnet Drag als performativer Akt zwar auch Momente der Bestärkung und Anerkennung, scheitert jedoch zumeist trotz des Potentials der Verunsicherung und Provokation an der eigenen Isolation.
Dabei verbleiben Drag (und die »Tunte«) außerdem zwangsläufig in einem Modus der ewigen Zitation. Ein Infrage stellen von gängigen Geschlechter- und Sexualitätsnormen und damit verbundenen Darstellungen und Praxen genügt nicht, um tiefgehende und vor allem nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, vor allem dann nicht, wenn die Darstellung_en nur mit Verletzung und Verkennung anderer Subjektpositionen gelingen. Anstatt in einer endlosen Zitationsschleife verhaftet zu bleiben, muss es Ziel und Praxis sein, neue Formen einzuführen und bislang nicht Vorstell- und Wahrnehmbares in die performative Praxis von Drag miteinzubeziehen, sofern es um mehr geht als die bloße Parodie gängiger Normen, die in Form der »Tunte« zwischen Kitsch und Trash, zwischen politischen Anspruch und schriller Selbstdarstellung changieren.
[1] Butler, Judith (2009): Die Macht der Geschlechternormen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. S.340