Eine Bilanz nach 17 Jahren “Krieg gegen den Terrorismus”
Die Friedensgespräche in Afghanistan haben bislang keine positiven Ergebnisse gebracht. Das ist auch nicht verwunderlich, denn einseitige Verhandlungen können nicht ergiebig sein. Die afghanische Regierung versucht, Zugeständnisse zu machen, adressiert die Taliban als afghanische Mitbürger und damit Brüder, streicht die Namen der Taliban-Führer von den internationalen schwarzen Listen und lässt ihre Gefangenen aus den afghanischen Gefängnissen frei. Die Taliban indessen bestehen unverändert auf ihrer Mission, die afghanische Regierung zu stürzen und die ausländischen Truppen endgültig aus dem Land zu vertreiben. Seit Beginn der sogenannten Friedensgespräche haben sie sich keinen Schritt von ihren Forderungen entfernt.
Jede politische Verhandlung ist nur möglich, wenn sich die Konfliktparteien zumindest teilweise auf einige allgemeine Grundsätze der Verhandlungslogik einigen. Die afghanische Regierung und die Taliban sind sich nicht nur über ihre Mechanismen zur Erreichung ihrer Ziele uneins, sondern unterscheiden sich auch grundsätzlich in ihren Idealen. Die afghanische Regierung versucht zumindest in der Theorie, das relative demokratische System zu festigen, das seit der großen NATO-Intervention 2001 nach dem Sturz der damaligen Taliban-Regierung entstanden ist, während die Taliban immer wieder auf einer vollständigen Auferlegung des Scharia-Gesetzes bestehen und versuchen ihre extremistische Auslegung des Islam durchzusetzen. Daher ist es unvorstellbar, wie man diese beiden sehr unterschiedlichen Zielrichtungen miteinander in Einklang bringen und dann darüber verhandeln kann.
Weil sich die Verhältnisse mit der Zeit anders als vorgestellt entwickelt haben, gibt es jetzt großen Zweifel daran, ob der Zweck der großen US/NATO-Intervention, wie es damals hieß, "den Terrorismus zu bekämpfen," die Errichtung eines demokratischen Regierungssystems in Afghanistan beinhaltete. Dennoch bot sich die Gelegenheit, eine afghanische Übergangsregierung zu bilden und dann bisher drei Präsidentschafts- und zwei Parlamentswahlen durchzuführen. Wie diese Wahlen durchgeführt wurden und welche Qualität sie hatten, ist eine andere Frage.
Die schnelle Entfernung der Taliban-Regierung und ihr plötzliches Verschwinden durch die amerikanischen Streitkräfte unmittelbar nach dem 11. September schufen die Illusion, dass die Taliban ein für allemal geschlagen wurden und Frieden nur noch einen Schritt entfernt sei.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die Taliban neu formierten und ihren Guerillakampf gegen die US/NATO-Truppen und die von ihnen unterstützte Regierung in Kabul begannen. Diesmal kamen sie mit ihren neuen Werkzeugen und Kampfmechanismen - sie brachten Autobomben, Straßenbomben und einzelne Selbstmordattentäter auf die Straßen der Hauptstadt und anderer Städte in Afghanistan. Die Hoffnung auf einen ewigen Friedens verblasste so schnell wie sie aufgekommen war.
Die internationalen Truppen (USA und andere große NATO-Streitkräfte) wurden des erschöpfenden Krieges mit immer weniger erfolgsversprechenden Perspektiven gegen die Taliban müde und begannen ihren schrittweisen Rückzug 2012/2013. Einmal 140.000, reduzierte sich die Zahl der NATO-Truppen auf nur noch 10.000, mit einer sehr begrenzten Rolle, nämlich nur die afghanischen Sicherheitskräfte (Armee und Polizei) auszubilden und sich vollständig vom Schlachtfeld zurückzuziehen. Die afghanische Armee, die sich gleichzeitig im Aufbau befand und im direkten Kampf mit den Taliban präsent war, musste sich dem Feind allein stellen – der diesmal noch stärker, gut organisiert und besser ausgerüstet war.
In der Zwischenzeit begriff die Regierung in Kabul, selbst weitgehend korrupt und mit vielen Regierungsfehlern belastet, ihre schwache Position. Während die Taliban-Aufstände jeden Tag stärker wurden, leitete die Regierung die so genannten Friedensgespräche ein in der Hoffnung auf ihr eigenes politisches Überleben angesichts der Folge des vollständigen Rückzugs der NATO/US und einer möglichen Übernahme durch die Taliban. Seitdem wird der Krieg immer härter, afghanische Armee- und Polizeikräfte werden jeden Tag getötet, Zivilisten werden massakriert, und die Regierung selbst wird an jeder Front schwächer, während ironischerweise die US/NATO-Truppen immer noch mit ihrer kleinen Mission der "entschlossenen Unterstützung" der afghanischen Streitkräfte präsent sind. Frieden ist nicht in Sicht.
Denn die zerstreuten Friedensgespräche an sehr unterschiedlichen Orten haben bisher zu keinem vielversprechenden Ergebnis geführt. Im September 2011 ermordeten die Taliban den damaligen Vorsitzenden des Hohen Friedensrates, der 2010 vom damaligen Präsidenten Hamid Karzai gegründet wurde. Dies war damals eine ihrer ersten Reaktionen auf die Einleitung des so genannten Friedensprozesses seitens der Regierung.
Gleichzeitig gilt der Krieg in Afghanistan als der längste US-Krieg seiner Geschichte und hat bisher viel Geld gekostet. Insgesamt wurden bisher 841 Milliarden Dollar für den Afghanistan-Krieg ausgegeben. Afghanische Zivilisten und Truppen haben während dieses Krieges Tausende Kombattanten verloren – neben vielen U.S. und NATO-Truppen. Wenn das Ergebnis des siebzehnjährigen Krieges gegen den Terror wieder eine Anerkennung und Legitimation der Taliban und Anpassung an ihre Bedingungen ist, wofür dann all die Opfer und das Blutvergießen? Nur um wieder zu einer barbarischen Lebensweise zurückzukehren?
Die afghanische Regierung ruft zum Frieden auf, während die Taliban weiterhin Zivilisten brutal massakrieren und jeden Tag mehr Macht erhalten. Im Juli starteten sie eine große Offensive gegen die Provinz Ghazni und setzten die ganze Stadt in Brand. Hunderte von Menschen wurden getötet, verwundet und vertrieben. Zivile Einrichtungen und Häuser wurden niedergebrannt, während die Regierungskräfte verzweifelt kämpften. Im laufenden Jahr ist es den Taliban erstmals seit Beginn des Krieges gegen den Terror gelungen, relativ sichere Gebiete in der Nähe des Zentrums der strategischen Provinz Ghazni einzunehmen. Zuvor haben sie in den letzten drei Jahren Ghazni-artige Offensiven in den Provinzen Kundus, Faryab und Baghlan durchgeführt, um und damit ihre Macht gegenüber der Regierung und ihren Verbündeten bewiesen.
Offizielle Berichte deuten darauf hin, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan seit 2001 chronisch zugenommen hat. Seit 2001 wurden während des Afghanistan-Krieges demnach 31.000 Zivilisten getötet.
Indem die afghanische Regierung monoton die Frage der "Friedensgespräche mit den Taliban" aufwirft, versucht sie die Bevölkerung von ihrer Unfähigkeit abzulenken, die brutalen Taliban wirklich zu bekämpfen. Deshalb kann die Regierung keine genauen Informationen über den Friedensprozess und seine Mechanismen geben oder haben. So hat die Bevölkerung heute keinerlei Vertrauen mehr in den so genannten Friedensprozess, sollte es ihn je gegeben haben.
Präsident für die Paschtunen
In Wirklichkeit fördert Präsident Ghani jedoch seine eigene, auf die Paschtunen ausgerichtete Agenda, indem er versucht, die Taliban als seine paschtunischen Genossen an seiner Seite zu gewinnen, auf die er am Ende nur hoffen kann. Er stellt sich wirklich die Einrichtung einer Hardcore Paschtun-Regierung in Kabul vor, um seine Nicht-Patschun-Rivalen aus den Ämtern zu vertreiben, um anschließend mit der systematischen Unterdrückung aller Nicht-Paschtunen zu beginnen. Mehrmals hat er sein tiefes Mitgefühl darüber geäußert, dass der Stamm der Paschtunen das Hauptopfer des Krieges gegen den Terror sei. Tatsächlich hat er es bereits geschafft, Gulbuddin Hekmatyar in einem berüchtigten Friedensabkommen an seine Seite zu bringen. Hekmatyar ist ein ehemaliger Paschtun Mojahideen Anführer, der behauptet, in den letzten anderthalb Jahrzehnten die ausländische Besetzung Afghanistans bekämpft zu haben, obwohl die Taliban ihn nie zu einem ihrer Verbündeten erklärt haben. Ob er tatsächlich einen Kampf gegen NATO-Truppen geführt hat, ist zweifelhaft.
Deshalb bittet Ashraf Ghani die Taliban auf seine eigene schmeichelnde Art und Weise um Frieden und ruft "Taliban sind willkommen”, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Sein Ziel ist es, die Taliban zu legitimieren, indem er ihren Status in einen zivilen "politischen Gegner" und nicht in eine "terroristische Gruppe" ändert, die sie tatsächlich sind. In einem kürzlich mit der HBO geführten Interview ging Ghani sogar so weit Empathie und Trauer für die Opfer unter den Taliban zu bekunden, denn sie seien "Afghanen". Offensichtlich spielt es für ihn keine Rolle, dass die Taliban in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten Tausende afghanischer Zivilisten ermordet, gefoltert und unterdrückt haben. Diese schreckliche Tatsache, wird von ihm bewusst vernachlässigt.
Frauenstatus in Friedensgesprächen
In den von den Taliban kontrollierten Gebieten nimmt der islamische Extremismus zu, und Frauen leben weiterhin unter schrecklichen Umständen. Berichten zufolge hat die Regierung die Kontrolle über 70 % der afghanischen Bodens verloren, und das ist die niedrigste Rate seit 17 Jahren. Diese Gebiete stehen entweder unter voller Kontrolle der Taliban oder leiden unter einem aktiven Konflikt zwischen den Taliban und der afghanischen Streitkräfte.
Während der Taliban-Ära hatten Frauen keinerlei Menschenrechte. Tragischerweise werden nun die relativen Errungenschaften von Frauen im letzten Jahrzehnt bei diesen verwirrenden und intransparenten Friedensverhandlungen mit den Taliban in Gefahr gebracht. Der Angriff auf zivile Versammlungen und Ereignisse bedeutet, dass die Taliban keine Achtung vor menschlichen Werten haben und keine menschlichen Werte, denen sie gerecht werden können. Die einzige Regel, an die sie glauben, ist, der Öffentlichkeit ihre eigenen extremen Prinzipien um jeden Preis aufzuzwingen.
Da der Öffentlichkeit keine Bedingungen für Friedensgespräche bekannt sind, wird in Frauenkreisen stark davon ausgegangen, dass die Regierung keine unverhandelbaren Bedingungen bezüglich der Lage von Frauen für die Friedensgespräche festgelegt hat, z.B. ob Frauen arbeiten oder Mädchen zur Schule gehen dürfen. Bisher haben Frauen so gut wie kein Mitspracherecht bei der Festlegung der Friedensgespräche mit den Taliban. Tatsächlich ist nicht bekannt, ob Frauen in diesem Prozess überhaupt vertreten sind.
Medien unter Beschuss
Die Taliban haben Journalisten und Medienorganisationen wiederholt als Zeichen ihrer Verachtung und ihres Unglaubens an die freie Meinungsäußerung angegriffen. Vor zwei Jahren griffen sie einen Bus mit den Mitarbeitern von Tolo-News - der beliebtesten Nachrichtenagentur Afghanistans - an und töteten 7 ihrer Mitarbeiter. Sie haben die afghanischen Medien als eine Frontlinie ihres Kampfes gegen Ungläubige angekündigt. In einem kürzlich erfolgten Fall wurden erneut ein Reporter und ein Kameramann desselben Medienunternehmens bei einem Selbstmordanschlag auf einen Sportverein in der Stadt Kabul getötet.
Organisationen, die sich für die Rechte der Journalisten einsetzen, haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass der Stand der Meinungsfreiheit und die Arbeit der Journalisten in Afghanistan alarmierend sei. Der Angriff auf die Mitarbeiter von Tolo-News ist ein Beispiel dafür, wie massiv die Taliban und ähnliche extremistische Gruppen Medienorganisationen und Reporter bedrohen.
In solchen Situationen ist die afghanische Regierung bereit, bedingungslosen Frieden mit den Taliban zu schließen. Sie ist bereit, die Namen ihrer Anführer von den schwarzen Listen zu streichen, ihre Gefangenen freizulassen und ihnen Pässe und die Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Wie es weitergehen wird
Trumps neue Taliban-Strategie ist, wie jede andere bisherige Afghanistan-Strategie, nicht anders als eine Fortsetzung des aktuellen Krieges. Zuvor hatte Präsident Obama angekündigt, dass die US-Truppen bis zum Ende seiner Amtszeit nicht mehr in Afghanistan bleiben werden (Dobbins, kein Datum). Jeder vernünftige Afghanistan-Experte wusste, dass das unmöglich war, da die Taliban am nächsten Tag die Macht übernehmen würden.
Nun, da die Entscheidung auf die Trump-Administration übertragen worden ist, scheinen die Dinge genauso unsicher wie zuvor. Vor mehr als einem Jahr sagte der US-Verteidigungsminister Jim Mattis, dass die USA für eine lange Zeit in Afghanistan bleiben werden. Wie viele US-Präsidenten es noch brauchen wird, um den Krieg in Afghanistan zu beenden, bleibt also offen.
Nach den Worten des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani soll der neue Vierjahresplan der USA für Afghanistan die afghanischen Streitkräfte dabei unterstützen, 80 % des afghanischen Bodens wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Vorausgesetzt, dass es sich um einen echten Plan handelt, wäre die restlichen 20 % immer noch eine große Herausforderung und anfällig für Veränderungen. Die Rückeroberung von 80 % (und nicht von 100 %) ist bereits ein Zeichen von Unsicherheit und Unentschlossenheit seitens der afghanischen und der US-Regierung. "Die Unehrlichkeit der Aussagen aus Kabul und dem US-Militär", wenn auch nur in Bezug auf die letzte Ghazni-Offensive, "erwies sich als Ausdruck einer langjährigen Praxis, wenn es um die Realitäten in Afghanistan geht", schrieb der Außenpolitik-Experte Kyle Orton.
Daher dürfte echter Frieden zumindest für das kommende Jahrzehnt eine Illusion bleiben. Darüber hinaus scheint der Frieden in den gegenwärtigen afghanischen Konstellationen keinem regionalen oder internationalen Akteur zu dienen. Nicht umsonst verlängert sich der afghanische Krieg immer wieder bis zu einer ungewissen Zeit.
Literatur
Dobbins, J. (n.d.). The RAND blog. Retrieved from RAND: https://www.rand.org/blog/2017/08/trumps-new-afghanistan-strategy-gover…
Feroz, N. (2016, February 3). Blogs. Retrieved from BBC: http://www.bbc.co.uk/blogs/collegeofjournalism/entries/cc23ed0d-2bea-40…
KELLY, M. L. (2017, September 21). NPR Afghanistan. Retrieved from NPR: https://www.npr.org/2017/09/21/552530548/afghan-president-is-in-favor-o…
News, V. (2018, September 13). Vice News Tonight . Retrieved from Vice News: https://news.vice.com/en_us/article/zm5vn4/in-exclusive-interview-afgha…
Orton, K. (2018, August 15). CAPX. Retrieved from CAPX: https://capx.co/theres-little-to-cheer-in-americas-decision-to-talk-to-…
Qaane, E. (2018, July 5). War and Peace. Retrieved from Afghanistan Analysts Network: https://www.afghanistan-analysts.org/the-insecure-spring-of-ghazni-resu…
Sahadi, J. (2017, August 22). CNN Money . Retrieved from CNN: https://money.cnn.com/2017/08/21/news/economy/war-costs-afghanistan/ind…