Entkriminalisierung von Homosexualität in Kenia

Am 22. Februar 2019 sollte der kenianische Hohe Gerichtshof entscheiden, ob die gegen Homosexualität gerichteten Abschnitte des Strafgesetzbuchs verfassungswidrig sind. Nun wurde die Entscheidung des Urteils aufgrund von "einigen Herausforderungen" auf den 24. Mai verschoben. Eine Enttäuschung für die kenianische National Gay and Lesbian Human Rights Commission (NGLHRC), die seit Jahren darum kämpft, diese Gesetzgebungen zu kippen.

Schild vor dem Büro von NGLHRC für Rechte von LGBTI Personen

Das kenianische Strafgesetzbuch, das noch auf die Kolonialzeit zurückgeht, besagt, dass Geschlechtsverkehr zwischen Männern eine Straftat ist, die mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden kann; und der Versuch, gleichgeschlechtlichen Sex zu haben, eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich ziehen kann.

Die zwei Artikel bestehen, obwohl sie im Kern der kenianischen Verfassung von 2010 widersprechen. Gemäß der Präambel der neuen Verfassung haben alle Kenianer/innen einen Anspruch darauf, dass die Regierung auf den grundlegenden Werten von Menschenrechten, Gleichheit, Freiheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit basiert. Viele Initiativen, darunter auch die Bewegung #Repeal162, fordern, die Rechte der LSBTI-Gemeinschaft in Kenia anzuerkennen und zu schützen. Derzeit kämpft sie in zwei Gerichtsverfahren darum, die gegen Homosexualität gerichteten Abschnitte und Paragraphen des Strafgesetzbuches für verfassungswidrig und daher für in Kenia nicht anwendbar zu erklären. Am 22. Februar 2019 wird der kenianische Hohe Gerichtshof darüber entscheiden.

Zu den in Kapitel 4 der Verfassung angeführten Grundrechten und Grundfreiheiten gehört auch das Verbot von Diskriminierungen jeglicher Art, unter anderem aufgrund von Rasse, Geschlecht, Schwangerschaft, Familienstand, Gesundheitszustand, ethnischer oder sozialer Herkunft, Hautfarbe, Alter, Behinderung, Religion, Gewissen, Überzeugungen, Kultur, der Art, sich zu kleiden, oder Geburt. In demselben Kapitel heißt es auch klar und deutlich, dass jeder Mensch eine ihm angeborene Würde besitzt und Anspruch darauf hat, dass diese Würde respektiert und geschützt wird.

Diskriminierung von LSBTI-Menschen

Das Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2010 markierte das Ende eines zwei Jahrzehnte währenden Kampfes für Reformen. Das Strafgesetzbuch allerdings, wurde nicht reformiert, sodass die Situation für LSBTI-Personen in Kenia nach wie vor nicht nur juristisch prekär ist und willkürliche Festnahmen und Polizeigewahrsam begünstigt. Das im Strafrecht enthaltene, vage auch für die Privatsphäre geltende Verbot von einvernehmlichem gleichgeschlechtlichem Sex von zwei Erwachsenen war und ist auch immer wieder Ausgangspunkt für Angriffe, und Diskriminierungen gegen LSBTI in Kenia. So haben Menschen mit einer sexuellen Orientierung, einem Sexualverhalten oder einer Geschlechtsidentität, die von der Norm abweichen, kaum Zugang zu guter medizinischer Versorgung und sind tätlichen Angriffen, teils mit Todesfolge, ausgesetzt.

Zwischen 2010 und 2014 wurden fast 600 Männer beschuldigt, „widernatürlichen“ Geschlechtsverkehr bzw. unsittliche Handlungen zwischen Erwachsenen ausgeübt zu haben.  Die Geschäftsführerin der NGLHRC, Kari Mugo, erklärte:

Das Zentrum für Rechtsbeistand der NGLHRC muss sich jahrein, jahraus Berichte über sexuelle Übergriffe, tätliche Angriffe, Beschimpfungen, Ausgrenzungen aus dem sozialen Raum sowie Diskriminierungen am Arbeitsplatz anhören. Besonders beunruhigend ist der Trend von „korrektiven“ Vergewaltigungen von Lesben. LSBTI werden allein aufgrund ihrer vermuteten oder tatsächlichen sexuellen Orientierung angegriffen. Das betrifft vor allem Kenianer und Flüchtlinge mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, weil sie nicht den gleichen Zugang zu [rechtlichem oder sozialem] Schutz haben.

Die Gewalt gegen LSBTI sind eindeutig Verstöße gegen das Nicht-Diskriminierungsgebot der kenianischen Verfassung, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Afrikanische Charta der Menschenrechte, die alle als wesentliche Bestandteile des kenianischen Rechts anerkannt sind. Sie werden aber aufgrund der oben angeführten Bestimmungen des Strafgesetzes stillschweigend hingenommen.
Vor diesem Hintergrund hat das Büro Ostafrika/Horn von Afrika der Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit NGLHRC in mehreren Gemeinden Kenias Beratungsgespräche mit über 1.000 LSBTI und ihren Unterstützer/innen abgehalten. Dabei wurde klar, dass insbesondere Rechtsbeistand für LSBTI-Personen fehlte.

Unterstützen und aufklären

Deswegen hat die Heinrich-Böll-Stiftung in Kenia 400 juristische Hilfskräfte ausgebildet, die als erste Anlaufstelle für LSBTI fungieren, die von Gewalt und Diskriminierung betroffen sind. Die juristischen Hilfskräfte wurden darin geschult, Aussagen aufzunehmen, Beweise zu sichern, die Betroffenen an ihnen wohlgesonnene Notfalldienste zu überweisen und als Vermittler/innen zwischen den Betroffenen und den Behörden zu fungieren. Dadurch werden Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität einer Minderheit angehören, dabei unterstützt in einem repressiven Kontext Zugang zu Gerechtigkeit zu erlangen.

Um das Bewusstsein für die Rechte von LSBTI zu wecken und damit auch die demokratische Teilhabe von Bürger/innen zu erhöhen, ist politische Bildung im ganzen Land von zentraler Bedeutung. Die Stiftung führt in Zusammenarbeit mit NGLHRC landesweit Foren für politische Bildung durch, die es den Teilnehmenden ermöglichen, ihre Rechte zu kennen und zu verstehen. Das erhöht nicht nur ihr Selbstbewusstsein, sondern auch ihre Handlungsfähigkeit: Die Teilnehmenden sind besser in der Lage, sich selbst gegenüber der Polizei und anderen Staatsbeamten zu vertreten. Sie begreifen ihre Sexualität nicht länger als maßgeblichen Grund für ihre Unterdrückung, sondern eher als unveränderliches Merkmal, mit dem der Staat nicht umgehen kann. Sie machen sich damit unabhängiger von offiziellen offiziellen Rechtsvertretungen, die für viele unerschwinglich sind.

Darüber hinaus hat es im Laufe der Zeit immer mehr LSBTI dazu gebracht, sich öffentlich zu ihrer Homosexualität oder Geschlechtsidentität zu bekennen, was zum Aufbau einer kritischen Masse beitrug, die für Unterstützungsinitiativen und andere Formen der Sichtbarkeit sowie als Stimmen bei öffentlichen Veranstaltungen strategisch genutzt werden kann. Letztlich kann so auch mehr Bewusstsein in der Gesamtbevölkerung geschaffen werden, um Gewalttaten gegen LSBTI-Personen zu verhindern.  

Ein weiteres Problem neben der Überschwänglichkeit von Rechtsbeistand sind fehlende Informationen der formalen Justiz zu LSBTI-Angelegenheiten. Bis 2013 gab es so gut wie gar keine juristischen Präzedenzfälle von Verurteilungen von LSBTI-Personen gegen Diskriminierung. Obwohl es Aufgabe der Rechtsprechung ist, für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten, gibt es kaum Informationen zur Verletzung der Rechte von LSBTI. Angesichts dessen initiierte die Stiftung 2017 erstmals an kenianischen Universitäten Übungsgerichte und Debattierwettbewerbe zu sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität und Ausdruck der Geschlechtlichkeit. Das Projekt schafft ein Umfeld, in dem die nächste Generation an Rechtsanwält/innen, Richter/innen und Politiker/innen die rechtliche Situation von LSBTI erforschen kann.

Damit wurde nicht nur ein Lernprozess in Gang gesetzt, sondern auch bestätigt, dass die Nachwuchsjurist/innen sich umfassend mit den Lebenswirklichkeiten von sexuellen und Gender-Minderheiten in Kenia auseinandersetzen müssen. Das Projekt ermöglicht Bündnisse zwischen LSBTI an den Universitäten, sowie Kontakte zwischen LSBTI und der praktizierenden Anwält/innen und Angehörigen des Justizwesens, die sie unterstützen. Gleichzeitig wird dabei das Netzwerk derjenigen ausgebaut, die im Land für die Gleichberechtigung aller Menschen eintreten.

Verletzung der kenianischen Verfassung

Desweiteren hat die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit NGLHRC in über 2.000 Fällen von Gewalttaten und Diskriminierungen, die gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verübt wurden, mit der Bereitstellung von Prozesskostenhilfe reagiert. Diese Hilfe hat es der LSBTI-Gemeinschaft ermöglicht, durch eine offizielle Rechtsvertretung Zugang zu Gerichten zu bekommen. Zudem konnten dadurch die betreffenden Gewalttaten systematisch dokumentiert und geeignete Fälle herausgesucht werden, die sich für eine gerichtliche Durchsetzung öffentlicher Interessen eignen.

Aufgrund dieser Arbeit konnte die NGLHRC vor Gericht erstreiten, dass die verfassungswidrige medizinische Untersuchung von Personen, die sich als LSBTI identifizierten oder als solche wahrgenommen wurden, verboten wurde. Die Betroffenen waren ohne ihre Zustimmung zu HIV-Tests, Blut- und Analuntersuchungen gezwungen worden, was erniedrigend, unwürdig und daher verfassungswidrig war und eine Verletzung ihrer Rechte darstellte. Das sah auch das Gericht so und untersagte folglich diese Untersuchungen.

Der nächste Schritt für die LSBTI Gemeinschaft in Kenia ist die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität, wie sie das Strafgesetzbuches vorsieht, abzuschaffen. Die Verfassung sieht ausdrücklich vor, dass bereits bestehende Gesetze, durch Auslegung, Veränderung und Anpassung in Einklang mit der Verfassung gebracht werden können.

Vor diesem Hintergrund wurden die beiden Klagen gegen die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität angestrengt und die Bewegung #Repeal162, unter Federführung von NGLHRC und zwei weiteren Organisationen, gegründet.

#Repeal162 geht es weder um die gleichgeschlechtliche Ehe noch um nichteinvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen oder um Sex mit Minderjährigen. Es geht der Bewegung schlicht und ergreifend um einvernehmliches Handeln von Erwachsenen, wie es ihnen in ihrer häuslichen Privatsphäre von der Verfassung erlaubt wird,

erklärt Njeri Gateru, Leiterin der Rechtsabteilung der National Gay and Lesbian Human Rights Commission (NGLHRC).

Mit diesen Verfahren soll das kenianische Gericht dazu gebracht werden, den Bestimmungen der Verfassung Geltung zu verschaffen, indem die Abschnitte 162 (a) und (c) sowie Abschnitt 165 des Strafgesetzes, die gegen die Verfassung verstoßen, für null und nichtig erklärt werden.

Die Heinrich-Böll-Stiftung, die LSBTI-Gemeinschaft, die Unterstützer/innen und Aktivist/innen hoffen darauf, dass den Klagen stattgegeben und Homosexualität entkriminalisiert wird, weil damit die Rechtsprechung geprägt und ein Präzedenzfall für die weitere Umsetzung von Rechten geschaffen wird und darüber hinaus auch der Ton sowie die Art und Weise vorgegeben werden, in denen die Rechte der LSBTI im Land umgesetzt werden können.