Am 24. Februar 2019 finden in Senegal Präsidentschaftswahlen statt. Der Ausgang der Wahl ist in einer Hinsicht absehbar: Präsident wird ein Mann. Warum ist das so und wie kann die Situation von Frauen in der Politik Senegals gestärkt werden? Die Heinrich-Böll-Stiftung in Dakar und unser Partnerin die Journalistenschule EJICOM sprachen darüber mit Politikerinnen und Senegalesen und Senegalesinnen in Dakar.
Die Abwesenheit von Frauen in hohen politischen Ämtern in Senegal hat eine lange Geschichte. Bereits in der traditionellen senegalesischen Gesellschaft war Politik fast ausschließlich den Männern vorbehalten, auch wenn Frauen in diesem Raum immer präsent waren.
Vor der Kolonialzeit gab es Ausnahmen von Frauen, die direkt in der Politik aktiv waren. Die Geschichten von Herrscherinnen und Königinnen wie Biram Yacine Boubou (17. Jahrhundert) Ndatte Yalla und Djembeut Mbodj (beide frühes 19. Jahrhundert) sind sagenumwoben.
Später spielten Frauen vor allem eine wichtige Rolle in Wahlkampagnen von männlichen Verwandten. So hat es beispielsweise Lamine Guèye früh verstanden, Frauen als Wahlkampfunterstützerinnen zu gewinnen. Vor allem durch die Mobilisierung von Wählerstimmen durch Frauen wurde Guèye 1925 zum ersten schwarzen Bürgermeister von Saint-Louis gewählt. Bis heute mobilisieren Frauen massenweise hinter Männern, die dann allein die politischen Posten besetzen. Die Rolle der Frauen war lange Zeit darauf beschränkt, dem Parteibetrieb mit ihrem Applaus und ihrem Tanz Leben einzuhauchen.
Im Jahr 2000 trat zum ersten Mal eine Frau als Kandidatin an
Während der Präsidentschaftswahlen 2000 trat zum ersten Mal in der politischen Geschichte des Landes eine Frau als Kandidatin an. Marième Wane Ly, Generalsekretärin der Parti pour la Renaissance Africaine PARENA (Partei für die afrikanische Renaissance), zog allerdings später ihre Kandidatur zurück. Bei den Wahlen 2012 gab es zwei Kandidatinnen, die Designerin Diouma Diakhaté und die Professorin Amsatou Sow Sidibé. Zusammen bekamen sie lediglich 0,31 % der Stimmen.
Zu den aktuellen Wahlen strebten drei Frauen die Kandidatur an, sind aber aufgrund einer neuen Regelung in der Wahlgesetzgebung, der sog. „Parrainage“ (Unterstützerkreisregelung) gescheitert. Diese Regelung sieht vor, dass eine Person die Unterstützung von 0,8 % der Wählerschaft, also 52.000 Personen in mindestens sieben Regionen des Landes erhalten muss, um zur Wahl anzutreten. Eines der drei obersten Gerichte, der Verfassungsrat, muss die Liste der Unterstützer/innen bestätigen, bevor eine Person als Präsidentschaftskandidat/in zugelassen wird.
Die Senegalesinnen und Senegalesen haben also am kommenden Sonntag lediglich die Wahl zwischen unterschiedlichen Männern – und das obwohl Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen.
Institutionelle Hürden
Interessanterweise hat Senegal eine progressive Gleichstellungspolitik. 2010 wurde ein Paritätsgesetz verabschiedet, welches Männern und Frauen gleiche Chancen für einen Zugang zu gewählten politischen Ämtern einräumt. Im Parlament sitzen derzeit 43 % Frauen. Gleichzeitig sind die Hürden für die Präsidentschaftskandidatur für Frauen schier unüberwindbar. Die „Parrainage“ Regelung steht hier besonders in der Kritik. Insbesondere benachteilige die Regelung Personen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um das gesamte Land zu bereisen und Unterstützer/innen zu mobilisieren.
Die Präsidentin des Conseil Sénégalais des Femmes (COSEF) und Beobachterin im Verfassungsrat Rokhiatou Gassama, bemerkt, dass viele Unterschriftenlisten von weiblichen Kandidatinnen abgelehnt wurden, da diese nicht korrekt geführt wurden, sich Namen gedoppelt haben usw. Dies liege daran, dass die Frauen keine Mittel haben, um Stimmen vor Ort zu sammeln oder Personen ausreichend zu bezahlen, die Stimmensammlung durchzuführen. Die „Parrainage“ Regelung wurde Gassama zufolge nicht ausreichend von den Frauen der Zivilgesellschaft diskutiert und getragen, erst recht nicht von den politisch aktiven Frauen.
In Anbetracht der schwachen Position von Frauen im politischen Raum, dem Mangel an einflussreichen Posten und Zugang zu finanziellen Mitteln, ist es für Gassama umso wichtiger, dass die Frauen diskutieren, wie sie ihre Geschlechtsgenossinnen im Wahlkampf unterstützen können.
„Es muss Mittel geben, die es möglich machen, das Land zu bereisen, man muss glaubwürdig sein und die, die das Geld haben, haben bessere Chancen. Das sind die Männer. Das ist ein Problem“.
Auch Amsatou Sow Sidibé, Professorin und Präsidentschaftskandidatin bei den Wahlen 2012, bestätigt dies: „Politische Aktivität und finanzielle Mittel gehen miteinander einher. Es ist das Geld. Wir brauchen eine positive Diskriminierung in Bezug auf Frauen, wie es im Artikel 4 der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) festgelegt ist. In diesem Artikel steht, dass Maßnahmen nötig sind, um es den Frauen zu ermöglichen, Gleichheit zu erreichen.“
Politik als Bastion der Männlichkeit
Die institutionellen Hürden für Frauen in der Politik sind Ausdruck eines tieferliegenden Problems: Der männlichen Prägung des öffentlichen Raumes. Frauen werden in der senegalesischen Gesellschaft in den privaten Raum verwiesen. Frauen und Männer bewegen sich in den wichtigen Institutionen der senegalesischen Gesellschaft innerhalb einer etablierten Ordnung, und die bis heute nicht in Frage gestellt wird. Dies macht die Einbeziehung von Frauen in die Politik schwierig. Sidibé sagt dazu:
„Uns Frauen wird die private Sphäre zugewiesen: Kinder gebären, Kinder betreuen, das Haus in Ordnung halten, sich um andere kümmern etc. Wenn wir in den öffentlichen Raum treten, der den Männern zugesprochen wird, entsteht ein Gerangel, weil die Männer schon da sind, sie haben sich dort schon eingerichtet, und haben bereits Macht“.
Tatsächlich beruhen die kulturelle Praxis und die soziale Organisation auf einem patriarchalen System, das es den Frauen nicht einfach macht, verantwortungsvolle Bürgerinnen zu werden, die sich in gleichberechtigter Art und Weise am Aufbau und am sozioökonomischen Fortkommen ihrer Länder beteiligen. So sind manche Frauen dermaßen von diesem System geprägt, dass sie selbst sogar die Ungleichheit verfestigen, so Sidibé:
„Die Frauen selbst verweigern sich der Förderung von Frauen, einer weiblichen Führungsrolle.“
Die senegalesische Frau erträgt immer noch die Autorität und Dominanz des Mannes, unabhängig vom Alter und der sozialen Stellung des Mannes, im privaten wie im öffentlichen (politischen) Raum. Dies stellt auch Ndèye Gueye Cissé, Mitglied des Parteivorstands der Parti Démocratique Sénégalais und ehemalige Abgeordnete, aktuell Vizepräsidentin des Regionalrats von Kébémer (Nordsenegal) fest:
„Wir leben in einem Land, in dem die Autorität der Frau noch nicht akzeptiert wird, obwohl wir in der Vergangenheit Frauen mit großer Autorität hatten“.
Dies bestätigt auch Rokhiatou Gassama:
„Wir befinden uns im Jahr 2019, aber bis heute gibt es kaum Akzeptanz für eine Frau als Führungsperson.“
Die Vormachtstellung von Männern insbesondere in der Politik spiegelt sich auch in der Organisation von Parteien und Wahlkämpfen wieder. Laut Cissé gibt es wenige Parteien, in denen Frauen wichtige Posten bekleiden oder Verantwortung tragen. Dabei werden Frauen gerne eingesetzt, um auf Wahlplakaten oder Veranstaltungen Wählerstimmen zu mobilisieren und Basisarbeit der Parteien zu leisten. In den Entscheidungspositionen sitzen aber fast ausschließlich Männer. Salopp gesagt unterstützen Frauen die männlichen Führungspersonen ihrer Parteien und bremsen sich dabei selbst aus.
Der Blick nach vorne
Ein wichtiger Schritt, um mehr Frauen in die senegalesische Politik zu bekommen, ist also eine Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung. Schulen und Medien können eine große Rolle dabei spielen, mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen zu zeigen, um so ein Bild von weiblichen Führungsrollen zu normalisieren.
Aber auch die Frauen selbst müssen an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten und sich vor allem untereinander vernetzen, um sich von Männern unabhängig zu machen. So fragt sich Ndèye Guèye Cissé:
„Wir bewegen uns mehr und mehr hin zu einer Gleichheit bei Abschlüssen, bei der Ausbildung, selbst in der politischen Laufbahn. Aber warum muss man als Frau immer einen Mann als Coach haben?“
Amsatou Sidibé bestätigt dies: „Frauen werden oft von einem Mann protegiert und gefördert. Nur selten sind sich die Frauen ihrer persönlichen Fähigkeiten bewusst.“ Deshalb müssen die Frauen sich organisieren, um für mehr Möglichkeiten innerhalb der Parteien zu kämpfen, und letztlich, um mehr weibliche Präsidentschaftskandidatinnen zu fördern. Frauenrechtsorganisationen müssen dabei Seite an Seite mit Politikerinnen kämpfen.
Eine langsame Veränderung der gesellschaftlichen Einstellungen zeichnet sich ab. Frauen werden auf lokaler Ebene immer sichtbarer und im Parlament führen sie heute parlamentarische Gruppen an, die sich mit für die Bevölkerung wichtigen Fragen (Bildung, Gesundheit, Wasser etc.) beschäftigen. Es bleibt aber noch viel zu tun, wenn es um hohe politische Ämter geht. Trotzdem sind viele Frauen in Senegal optimistisch. Auf die Frage, ob in Zukunft eine Frau Senegal regieren wird, sagt eine junge Passantin: „Ja, warum nicht ich?!“