Kimberlé Crenshaws Einfluss auf mein pädagogisches Handeln

Weiß, männlich, heterosexuell und bürgerlich - unser Bildungs- und Erziehungswissen gründet auf dieser in uns allen vewobenen „4-Faltigkeit". Wie kann Pädaggik zum befreienden Handlungssystem werden, das Raum für all die Lebensrealitäten schafft?

Als Pädagog*innen neigen wir dazu, tradierte Normen durch unser pädagogisches Handeln fortzusetzen. Unsere Ausbildungen bieten uns ein etabliertes Handwerkszeug für eine solche Umsetzungsarbeit an. Dieses ist detailliert, fein zergliedert, theoretisch fundiert, versprachlicht, aber in vielen Teilen doch subtil und insgesamt in seiner Auswirkung herrschaftsstabilisierend. Ich arbeite seit nunmehr über 20 Jahren in der Erwachsenenbildung, hier vor allem im Bereich Konfliktmediation und als Beraterin für eine diversitätsorientierte und diskriminierungskritische Öffnung in verschiedenen Organisationen, Teams und Unternehmen. In dieser Zeit habe ich vor allem eines gelernt: Bei unseren Lernprozessen bekommen wir unterschwellig beigebracht, wie sich der idealisierte Mensch und das Normsubjekt der Humanität versteht; nämlich weiß, männlich, heterosexuell und bürgerlich. Unser gesamtes Bildungs- und Erziehungswissen gründet auf dieser „4-Faltigkeit“. Mit diesem doxisch-kanonischen Wissen ist die Pädagogik als normative Handlungswissenschaft eher eine Zurichtungsgewalt als ein befreiendes Handlungssystem.

In meiner Arbeit zentriere ich jedoch Lernhandlungen als Erhöhung der Selbstverfügung. Für Schwarze und POC-Lernende heißt das, diese „4-Faltigkeit“ immer überwinden zu müssen beziehungsweise sich der Konflikthaftigkeit des damit durchtränkten Wissens stets gewahr zu sein. Der Ansatz der politischen Intersektionalität ist hier für Schwarze und POC- Lernende eine empowernde Strategie, die hilft, den Blick auf die Problematik der „4-Faltigkeit“ zu legen. Kimberlé Crenshaw selbst habe ich durch Maisha Auma kennengelernt und damit auch ihre Theorie der Intersektionalität. Crenshaws Intersektionalitätsarbeit verstehe ich als Begründung der Notwendigkeit, Systeme der Macht und der Ausbeutung in ihrer Verschränktheit erfassen und konkretisieren zu lernen. Dieses verschränkte Wahrnehmen verwobener Machtrelationen und Machtachsen verleiht systematisch dehumanisierten Gruppen Sichtbarkeit. Sie macht ihre barrierenreichen Wege konkreter, damit sie zum Gegenstand öffentlicher Debatten und Auseinandersetzungen werden können. Crenshaws Arbeit hat mir geholfen, mein Wissen über Differenzbotschaften zu systematisieren und für meine pädagogische Praxis zu veranschaulichen.

Gerade in meiner Arbeit mit Schwarzen und POC-Lernenden ist es wichtig, unsere eigenen Verstrickungen zu verstehen. Schon als Kinder werden wir durch Differenzbotschaften beeinflusst, die eigenen Verstrickungen prädestinieren uns zu einer aktiven Beteiligung an dieser Differenzierungsarbeit und damit zur Einseitigkeit. Vor allem für mich als Nicht-Juristin ist Crenshaws Arbeit eine bedeutende Übersetzung rechtlicher diskriminierungskritischer Zielperspektiven. Gerechtigkeit gilt als hergestellt, wenn Gesetze auch für diejenigen Menschen Schutz ermöglichen, deren Leben „on the margins“ gelebt werden müssen. Für mich bestechend einfach zugänglich und zugleich komplex. Als Schwarze queere, genderindependente Feminist*innen kommen wir in der pädagogischen „4-Faltigkeit“ nicht vor. Folglich haben wir faktisch keinen umsetzbaren Anspruch auf Anerkennung, Gerechtigkeit und Entwicklungschancen. Komplex, weil wir seit unserem ersten Atemzug die „4-Faltigkeit“ beständig in uns aufnehmen müssen. Sie ist unentrinnbar mit kanonisch durchgesetztem Wissen, samt ihrer Kolonialität mit uns verwoben. Sie ist zu unserer zweiten Haut geworden. Dadurch verinnerlichen wir früh ein destruktives Potential, gegen uns zu kämpfen und (selbst)zerstörend zu wirken. Durch beständige Reflexion, emotionsgeleitete sowie kognitive, die immer an Selbstbestimmung orientiert ist (da keine Außenposition möglich ist), sind wir dennoch imstande die „4-Faltigkeit“ in uns selbst zu zerstören und damit allmählich sterben zu lassen. Eine neu formulierte selbstbestimmt-transgressive Schwarze Pädagogik[1] eröffnet uns Möglichkeitsräume. In diesen neuen solidarischen Räumen befragen wir unser pädagogisches Handeln beständig danach, inwiefern es die nötige Destabilisierung von weiß, männlich, heteronormativ und bürgerlich, also einer Normsetzung, vorantreibt. In diesen Räumen der Selbstreflexion fragen wir auch danach, inwiefern uns unsere Handlungsorientierungen Luft zum Atmen geben und Raum für all die Lebensrealitäten schaffen, die sich außerhalb der „4-Faltigkeit“ positionieren.

Mit Kimberlé Crenshaws Arbeit ist meine eigene pädagogische Praxis davon geleitet, dass unsere Handlungsorientierungen die mehrfachmarginalisierten, dehumanisierten, identitätsstiftenden Anteile unseres Lebens sichtbar und fühlbar machen. Ein zutiefst empathisches, pädagogisches Handeln ist damit möglich. Schwarzes afrodiasporisches pädagogisches Handeln ist in seiner Selbstverständlichkeit radikal am Wohlbefinden eines Wir orientiert. Seine Wirkung ist radikal auf Anerkennung, Gerechtigkeit und Realisierung von Entwicklungschancen ausgerichtet.

 


[1] Der Begriff Schwarze Pädagogik wurde von Katharina Rutschky (popularisiert durch Alice Miller) geprägt und verbreitet. In ihrem Gedankengebäude bezieht sich Schwarz auf etwas Negatives. Als Schwarze Pädagog*innen holen wir uns diesen Begriff wieder zurück, weil er eine Notwendigkeit des pädagogischen Handelns beinhaltet, die unerlässlich für uns ist