Ladies, nun wissen wir, was uns fehlt: 11 Billionen Dollar. Pro Jahr. 11 Billionen Dollar bekämen Frauen auf der Welt, wenn ihre unbezahlte Arbeit zu Hause mit dem Mindestlohn vergütet würde. Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat diese Zahlen gerade der Weltwirtschaftselite in Davos präsentiert. 12 Milliarden Stunden Care-Arbeit leisten Frauen pro Jahr. Ohne Lohn. Dadurch haben sie zu wenig Zeit, bezahlt zu arbeiten. Das ist der Grund, warum Armut weltweit weiblich ist.
Die patriarchalen Strukturen, die zu diesem Zustand führen, prägen auch die moderne Wirtschaftsforschung. So argumentiert etwa das Institut der deutschen Wirtschaft immer noch, dass Frauen rational und natürlich völlig frei handeln, wenn sie einen Teil ihrer Arbeit unentgeltlich daheim entrichten. Schließlich versorgt der als selbstverständlich angenommene Ehemann sie ja mit. Die Strukturen aber, die den Heiratsmarkt für Frauen immer noch lukrativer machen als den Arbeitsmarkt, wie WZB-Chefin Jutta Allmendinger gern süffisant zusammenfasst, interessieren das IW wenig. Und auch viele Frauen können genau erklären, warum sie leben, wie sie leben. Aber für Politik - haben sie keine Zeit.
Weltgeist auf feministisch
Was gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich doch etwas weiterentwickelt? Das philosophische Geburtstagskind des Jahres. Hegel. 250 Jahre wird er alt. Der mit dem Weltgeist. Der sich immer schön voran entwickelt. Deutscher Idealismus, nichts könnte unpassender wirken in unserer Post-Postmoderne. Und dennoch muss auch die größte Zynikerin zugeben, dass wir alle dazu verdammt sind, auf ein Ziel hin zu handeln, wenn wir überhaupt handeln wollen. Trotz allen Schrecklichkeiten und auch, wenn wir zwischenzeitlich vielleicht schon unsere Lebensgrundlage verspielt haben – was tun wir alle? Wir überlegen, ob noch was zu retten ist, wie es besser gehen könnte, wollen etwas entwickeln. Weltgeist würden wir es nicht mehr nennen, aber so lange wir die Menschenrechte noch für eine gute Idee halten, verhalten wir uns doch noch recht hegelianisch.
In einem Geburtstagsgedankenspiel gibt’s deshalb heute Hegel auf feministisch:
Die historische Abhängigkeit der Hausfrau vom Mann in vielen Teilen der Welt könnte man versuchsweise mit der berühmten Herr- und Knecht-Situation bei Hegel vergleichen. Ganz grob vereinfacht ist eine Herr-Knecht-Situation bei Hegel zwangsläufig dynamisch, die berühmte dialektische Entwicklung. Denn der Herr ist bei Hegel auch bedürftig, der Knecht auch reich.
Wie denkt er das? Der Mensch ist für Hegel eine Art Entwicklungsprojekt seiner selbst. Er findet zu sich über das, was er tut: Ein Haus bauen, den Garten umgraben, Essen kochen, das ist die eine Dimension. Mit anderen Menschen interagieren, die ihn als gleichwertiges Subjekt mit eigenem Willen anerkennen, das ist eine Zweite. Und dass er genau darüber nachdenken kann, ist die Dritte.
Der arme Herr bei Hegel aber bekommt von den beiden fundamentalen Bezügen zur Natur und zu anderen Menschen eigentlich nichts ab: Weder arbeitet er selbst, noch kann er sich der Anerkennung des Knechtes erfreuen. Denn wenn er den Knecht nicht als freies Subjekt anerkennt, sondern ihm seinen Willen aufzwingen kann, was hilft ihm dann dessen Anerkennung? So viel wie das Schwanzwedeln eines Hundes. Der Knecht dagegen wird zwar vom Herrn nicht als Gleicher anerkannt, hat aber immerhin die Befriedigung der unmittelbaren Arbeit. Er ist in seiner, neudeutsch gesagt, „Selbstverwirklichung“ weiter als der Herr, so die provokante These Hegels. Und das befähigt ihn, zu begreifen. Und begreift er, dass er alles produzieren kann, was der Herr zum Leben braucht, dann begreift er auch, dass es keinen Grund gibt, ein Knecht zu sein.
Und bei Oxfam fordert die Knechtin ihren Anteil
Hausfrauen sind, wenn man sie in diesem Experiment mal mit einer sehr comic-haften hegelianischen Brille betrachtet, in einer noch besseren Situation als Knechte: Sie arbeiten nicht nur, ihre Arbeit produziert auch noch etwas ganz und gar Außergewöhnliches: Menschen. Und wer Menschen produzieren kann, der kann sich quasi seine intersubjektive Anerkennung selbst produzieren. Würden Frauen Hegel lesen, müssten sie vor Selbstbewusstsein nur so strotzen! Sie haben alles Potenzial zu ihrer Befreiung selbst in der Hand!
Aber: Frauen lesen selten Hegel. Er hat auch noch nicht besonders benutzer*innenfreundlich gedacht, als er schrieb. Er liest sich schlecht. „Die Knechtschaft wird als in sich zurückgedrängtes Bewusstsein in sich gehen und zur wahren Selbstständigkeit sich umkehren“, ja, nun. Aber heute schreiben die Leute ja zum Glück ein bisschen anders. Oxfam-Berichte etwa lassen sich sehr viel leichter zusammenfassen als Hegel.
Zu Ehren unseres Jubilars soll deshalb der tröstlichste und schönste seiner Gedanken aufgenommen werden: Der feministische Weltgeist lebt. Heute heißt er Oxfam und fordert 11 Billionen Dollar ein!