Feministische Politik als Kollateralschaden?

Ethnisierte Genderpolitik wird unter der türkis-grünen Regierung in Österreich fortgesetzt

Vor rund einem Jahr hatte die sogenannte Ibiza-Affäre zu einem frühzeitigen Ende der seit 2017 regierenden türkis-blauen Regierung in Österreich geführt. Grund war die Veröffentlichung eines auf Ibiza heimlich aufgenommenen Videos. In diesem signalisierten der damalige FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie der FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus Bereitschaft zur Korruption und Übernahme der Kontrolle parteiunabhängiger Medien. Sie waren auch bereit, Gesetze zur Parteienfinanzierung zu umgehen. Die aus den anschließenden Neuwahlen hervorgegangene türkis-grüne Regierung lässt aus feministischer Sicht jedoch kaum Erleichterung verspüren.

empty seats/chairs in parliament from above

Der lange Schatten der türkis-blauen Regierung

Obgleich die türkis-blaue Regierung in Österreich weniger als zwei Jahre im Amt war, brachte ihre antifeministische Agenda verheerende Folgen für feministische Organisationen, frauenpolitische Einrichtungen, sowie Frauen und LGBTIQ*-Personen mit sich. Dazu zählten auf der ideologischen Ebene etwa die Stärkung eines konservativen Familienbildes sowie die Aufwertung von Zweigeschlechtlichkeit und der damit verbundenen Vorstellungen von Geschlechterdifferenz. So war im Regierungsprogramm unter anderem zu lesen, dass die „Besonderheit beider Geschlechter [...] den Mehrwert für die Gesellschaft sichtbar“ mache und die „Verschiedenheit von Mann und Frau“(1) anerkannt werden müsse. „Familie“ wurde in traditionell heteronormativer Weise einzig „als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern“(2) definiert. Hinzu kam auf realpolitischer Ebene das Vorhaben, (Zwangs-)Beratungen vor Schwangerschaftsabbrüchen einführen zu wollen und die Streichung existenzsichernder Förderungen für zahlreiche Frauenprojekte. Auch sozialpolitische Maßnahmen (Einsparungen von Sozialleistungen, Kinderbetreuungsplätzen, Mindestpension etc.), die vor allem Frauen trafen, wurden umgesetzt. Insbesondere die FPÖ versuchte außerdem - trotz eines anderslautenden Urteils des Verfassungsgerichtshofs - die Ehe für alle zu verhindern, die 2019, noch während die türkis-blaue Regierung im Amt war, in Kraft trat. Der ehemalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) blockierte zudem das 2018 vom Verfassungsgerichtshof beschlossene Recht auf eine geschlechtsneutrale Eintragung (drittes Geschlecht) im Personenstandsregister (ZPR) und in Urkunden durch einen Erlass – rechtswidrig wie vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im März 2020 bestätigt wurde. Auch sexualpädagogisch arbeitende Vereine sollten vom Sexualkundeunterricht in Schulen verbannt werden, um eine „weltanschaulich neutrale Sexualerziehung“(3) sicherzustellen. Von der Regierung gesetzte Maßnahmen zur Gewaltprävention richteten ihren Fokus in erster Linie auf „zugewanderte geflüchtete Frauen“(4). Sie propagierten Gewalt stets als vorwiegend bei zugewanderten Personen anzutreffendes Problem, externalisierten Gewalt also rassistisch. Gleichstellungs- und Benachteiligungsfragen sowie Männergewalt in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft blieben hingegen weitgehend ausgespart. Auch auf die hohe Anzahl von Frauenmorden in den letzten Jahren reagierte die Koalition von ÖVP und FPÖ spät aber doch in gewohnter law and order Manier. So initiierten die beiden Parteien ein Gewaltschutzpaket, das trotz deutlicher Einwände von Opposition, Opferschutz- und Frauenorganisationen im September 2019 unter der Übergangsregierung beschlossen wurde. Kritisiert wurde vor allem die Anzeigepflicht bei Verdachtsfällen (ohne, dass die Betroffenen einwilligen müssen) und höhere Strafen, die jedoch Täter kaum von ihren Taten abhalten würden. Auch der die Debatten begleitende Populismus stand im Fokus der Kritik.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das türkis-blaue Regierungsprojekt darauf ausgelegt war, genderpolitische Errungenschaften der letzten Jahrzehnte mit verschiedenen Mitteln zurückzudrängen. Dazu zählte feministische Arbeit durch Streichung von Förderungen zu verunmöglichen, Ungleichheiten in der Mehrheitsgesellschaft durch eine Ethnisierung von Gleichstellungs- und Gewaltschutzthemen auszusparen und patriarchale Abhängigkeitsverhältnisse durch sozialpolitische Kürzungen, die vor allem Frauen treffen, zu verstärken. Gestützt wurde dies durch eine Frauen- bzw. Genderpolitik, die in erster Linie als Familienpolitik verhandelt wurde.  Diese verfolgte das Ziel, eine vermeintlich natürliche Geschlechterordnung und damit verbundene Geschlechterrollen wieder herzustellen, also die (Re-)Etablierung traditioneller geschlechterpolitischer Vorstellungen.

Politik mit Hausverstand(5)

Die Latte für mögliche Verbesserungen genderpolitischer Agenden scheint angesichts der skizzierten antifeministischen Ausrichtung des türkis-blauen Regierungsprojekts für seine Nachfolge nicht besonders hoch gesteckt. Tatsächlich kann ein historischer Höchststand des Frauenanteils in der aktuell amtierenden türkis-grünen Regierung ebenso wie ein geplanter nationaler Aktionsplan gegen Gewalt oder die Rücknahme der finanziellen Kürzungen für frauenpolitische Projekte positiv angemerkt werden. Zudem soll die sexualpädagogische Arbeit von Vereinen wieder ermöglicht werden und auch (Zwangs-)Beratungen vor Abtreibungen kommen im aktuellen Koalitionsabkommen nicht mehr vor. Selbst die Unterstützung der Bürger*inneninitiative #fairändern, die das Ziel verfolgt, Spätabtreibungen zu verbieten, scheint zumindest aktuell kein Thema mehr zu sein. Mehrere FPÖ und ÖVP Politiker*innen hatten sich für die Initiative stark gemacht, die langfristig auch die in Österreich geltende Fristenregelung verändern wollte.

Diese wenigen Beispiele können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bisherige Genderpolitik der aktuellen Regierung aus feministisch-antirassistischer Perspektive ausreichend Gründe zur Besorgnis liefert. Die Differenzen zwischen den beiden Regierungsparteien sind hier am sichtbarsten und ein Spiegelbild der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der Grünen. Dies ermöglicht es der ÖVP ihr unter der letzten Legislaturperiode begonnenes politisches Projekt um- bzw. fortzusetzen. Von den Grünen werden nun in der aktuellen Koalition u.a. folgende Politiken mitgetragen: die Ethnisierung von Gleichstellungs- und Gewaltschutzthemen, die vielseitig kritisierte Sicherungshaft (eine Art „präventive Haft“ für vermeintlich gefährliche Asylsuchende), die Nicht-Unterzeichnung des UN-Migrationspakts oder die Ausweitung des Kopftuchverbots. Kritik daran wird im Parlament inzwischen deutlich häufiger aus liberaler Perspektive geäußert als aus grüner, aber selbstverständlich auch von NGOs, antirassistischen und/oder feministischen Gruppen.

Die Grünen konnten ihre langjährige Forderung - zuletzt angekündigt im Wahlkampf - „auf ein eigenständiges Frauenministerium“ zu bestehen und selbiges „mit entsprechenden Mitteln“(6) auszustatten, nicht umsetzen. Die Aufstockung des Frauenbudgets von 10 auf 12 Millionen wirkt eher nach einer Inflationsanpassung als nach der im Regierungsübereinkommen (Koalitionsvereinbarung) angekündigten „substanziellen“ Erhöhung. Dass die Frauenagenden der ÖVP bzw. einer ausgewiesenen Antifeministin überlassen und zudem im Ressort „Integration und Frauen“ angesiedelt wurden, stellt selbst im Vergleich zur türkis-blauen Regierung eine deutliche Verschlechterung dar. Zwar wird im Regierungsübereinkommen im Abschnitt „Frauen“ in Hinblick auf das Ziel, „dass Frauen selbstbestimmt, ökonomisch unabhängig und frei von Gewalt oder Angst vor Diskriminierung leben“(7) können sollten, nicht zwischen unterschiedlicher Herkunft differenziert, die politische Praxis zeichnet jedoch ein anderes Bild. So erkennt die aktuelle Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab eine Gefahr für Österreichs Frauen vor allem darin, „wenn patriarchal geprägte Kulturen in hohem Ausmaß zu uns kommen.“(8) Zuletzt kündigte sie Anfang März 2020 anlässlich des Internationalen Frauentags an, einen besonderen Schwerpunkt ihrer politischen Agenda der Bekämpfung „kulturell bedingter Gewalt“ zu widmen, da sie „keine neuen Formen von Gewalt über den Zuzug entstehen lassen“(9) wolle. Ihre Sensibilität für Diskriminierungs- und Benachteiligungsverhältnisse machte die Frauenministerin bereits kurz nach ihrer Angelobung (Vereidigung) deutlich, als sie klarstellte, dass sie selbst „Sexismus noch nie persönlich am Arbeitsplatz erlebt“(10) habe. Im Gegensatz zur türkis-blauen Frauenministerin, die sich zumindest als „pragmatische Feministin“ bezeichnet hatte, wird Raab nicht müde zu betonen, dass sie keine Feministin sei, sondern „Politik mit Hausverstand“(11) machen wolle. Aussagen wie diese garantieren ihr nicht nur Sympathie antifeministischer Kreise, sondern veranschaulichen auch, dass Raab für die konservativen Akteure in den eigenen Reihen keine Bedrohung darstellt, weil sie sexistisch geprägte Strukturen nicht grundlegend in Frage stellt.

Feministische Politik? Kollateralschaden!

In einem ersten Resümee lässt sich sagen, dass das Regierungsübereinkommen (auf der ideologischen Ebene) zahlreiche rhetorische Zugeständnisse enthält, Frauenrechte und Frauenförderung sollen gestärkt werden. Konkrete Maßnahmen zur Umsetzung fehlen jedoch weitgehend, weshalb sie mit großer Wahrscheinlichkeit zahnlos bleiben werden. In der bisherigen politischen Agenda haben sie ohnehin keinen Stellenwert. So macht das Beispiel Österreich erneut deutlich, was passiert, wenn Frauenpolitik (rechts-)konservativen Kräften überlassen wird.

Dass Gleichstellungs- und Gewaltagenden weiterhin vorrangig als Problem zugewanderter Personen verhandelt werden und als solches zum zentralen Referenzpunkt türkis-grüner Frauenpolitik avanciert sind, hat mehrere politische Konsequenzen. Einerseits werden dadurch weiterhin rassistische Narrative und Feindbildkonstruktionen bestärkt, an denen sich auch der Grad der Übernahme rechtsextremer Politiken durch (rechts-)konservative Parteien und die immer schmäler werdenden Differenzen beider politischer Spektren ablesen lassen. Andererseits werden bestehende Benachteilungsverhältnisse aufrechterhalten, da strukturelle Benachteiligung, Sexismus und sexualisierte Gewalt in der Mehrheitsgesellschaft politisch ausgespart bleiben. Offensichtlich werden weitere politische Maßnahmen, die das zitierte Ziel von Frauen- und Gleichstellungspolitik erreichen sollen, vernachlässigt. Grundlegende Verbesserungen für Frauen und LGBTIQ*-Personen sind nicht zu erwarten, zumal viele entsprechende Forderungen ohnehin den auf traditionell-heteronormative Gendervorstellungen beruhenden politischen Interessen der ÖVP widersprechen. Auch die Ankündigung der Grünen von anderen politischen Ämtern aus für feministische Anliegen zu kämpfen, hat sich bislang in Grenzen gehalten. Feministische Politik scheint so zu einem der zahlreichen Kollateralschäden ihrer Regierungsbeteiligung geworden zu sein.

 

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(1) ÖVP/FPÖ (2017): Zusammen. Für unser Österreich. Regierungsprogramm 2017–2022. S. 105, Online abrufbar unter: https://www.oeh.ac.at/sites/default/files/files/pages/regierungsprogramm_2017-2022.pdf (Zugriff am 12.5.2020).



(2) ÖVP/FPÖ (2017): Zusammen. Für unser Österreich.Regierungsprogramm 2017–2022. S. 9.

(3) https://www.derstandard.at/story/2000105423450/entschliessungsantrag-ging-durch-sexualunterricht-kuenftig-ohne-vereine (Zugriff am 12.5.2020).

(4) ÖVP/FPÖ (2017): Zusammen. Für unser Österreich.Regierungsprogramm 2017–2022. S. 107.

(5) Dem Begriff „Hausverstand“ entspricht in Deutschland jenem des „gesunden Menschenverstands“.

(6) http://zwanzigtausendfrauen.at/wp-content/uploads/2019/09/Fragebogen-zur-Nationalratswahl-2019-ParteienAntworten.pdf.pdf (Zugriff am 12.5.2020).

(7) ÖVP/Grüne (2020): Regierungsübereinkommen 2020 – 2024, S. 272 Online abrufbar unter: https://gruene.at/themen/demokratie-verfassung/regierungsuebereinkommen-tuerkis-gruen (Zugriff am 12.5.2020).

(8) https://www.derstandard.at/story/2000113278489/die-verschonte-frauenministerin (Zugriff am 12.5.2020).

(9) https://www.diepresse.com/5779167/regierung-erhoht-frauenbudget-auf-zwolf-millionen-euro (Zugriff am 12.5.2020).

(10) https://www.derstandard.at/story/2000113278489/die-verschonte-frauenministerin (Zugriff am 12.5.2020).

(11) https://www.derstandard.at/story/2000113626707/ich-weiss-viele-muslimische-muetter-auf-meiner-seite (Zugriff am 12.5.2020).