Der Aufstieg von Vox

In Spanien hat es eine rechtsextreme Kleinpartei in Regierungsverantwortung geschafft. Das liegt auch an der toxischen Mischung von Nationalismus und Antifeminismus. 

Spanish flag

Extrem rechte Parteien waren bis vor kurzem in Spanien marginalisiert. Das hat sich allerdings spätestens mit dem Einzug der nationalistischen Vox (lat.: Stimme) ins spanische Parlament 2019 geändert. Das Phänomen beendete den spanischen Sonderweg in Europa. Es ist zu neu, um schon gründlich wissenschaftlich untersucht worden zu sein, interessant sind jedoch zwei Faktoren, die auch europaweit beim Bedeutungszuwachs rechtspopulistischer und extrem rechter Parteien entscheidend waren: Die Auflösung des jeweiligen bisherigen Parteienschemas und die Verknüpfung von nationalistischen und antifeministischen Ideologien und Forderungen. 

Ich werde den ersten Punkt kurz beleuchten, um eine Einschätzung der spanischen politischen Landschaft zu ermöglichen, um dann auf die für Vox spezifische Verbindung von Antifeminismus und Nationalismus einzugehen. 

Ende des Zweiparteiensystems 

Das Zweiparteiensystem dominierte die spanische Politik seit der Transición, als nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 ein Übergang zur Demokratie eingeleitet wurde. Die faschistischen Verbrechen wurden nie aufgearbeitet, aus Angst vor einem erneuten Putsch von Rechts ließen sich die Linken auf eine Koexistenz ein. Das spanische Parteiensystem bestand jahrzehntelang aus zwei großen Parteien: die rechtskonservative Volkspartei Partido Popular (PP) und der sozialdemokratischen PSOE (Partido Socialista Obrero Español). In den PP trat ein großer Teil der franquistischen Falange ein und gewann dort erheblichen Einfluss.  Die weiterhin in diversen, verfeindeten Kleinstparteien organisierten Rechtsextremen waren fragmentiert und praktisch bedeutungslos. 

Die massiven Wahlerfolge der erst Ende 2013 gegründeten, extrem rechten Kleinpartei Vox in den Regional- und Parlamentswahlen 2018 und 2019 wurden erst möglich, als andere Parteien dieses Zweiparteiensystem aufgebrochen hatten. Dies geschah von ganz links, als die 2014 gegründete und aus den massenhaften Platzbesetzungen hervorgegangene Partei Podemos (Wir können) 2015 zur drittstärksten Fraktion im spanischen Parlament wurde. Die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger, Cs) wurden zur viertstärksten Kraft im spanischen Parlament gewählt. Während Podemos sich politisch links vom PSOE verortete und viele Aktivist*innen aus den verschiedenen sozialen Bewegungen sich hier engagierten, sammelten sich in Ciudadanos Unzufriedene aus PSOE und PP. Die Partei bekämpfte energisch alle Versuche, die Unabhängigkeit der Regionen, vor allem Kataloniens, von der Zentralregierung in Madrid zu erweitern. 

„Spanien zuerst“ mobilisiert rechte Kräfte

Die Einheit Spaniens ist ein sehr mobilisierendes Thema für die politischen Kräfte rechts der Mitte. Unter Franco war sogar der Gebrauch der Regionalsprachen wie Baskisch oder Katalan verboten. Auch Vox hat sich in dieser Frage profiliert: die Partei fordert, die weitgehende Selbstverwaltung der Regionen wieder abzuschaffen und will Parteien verbieten, die sich für die Autonomie der Regionen einsetzen. Dass eine Rezentralisierung der aktuellen Verfassung widerspricht, stört dabei nicht. Den Slogan „España primero“ (Spanien zuerst) hatten zuvor nur die franquistischen Kleinstparteien verwendet. Nun ist er im Spektrum der anscheinend wählbaren Parteien angekommen. 

Der Wahlerfolg (1) in Andalusien 2018 gelang der Partei auch, weil sich weder der PP noch Ciudadanos von den extrem rechten Positionen distanzierten, sondern diese vor den Wahlen sogar als mögliche Koalitionsverbündete ins Spiel brachte. Die 12 Abgeordneten trugen tatsächlich zum Sturz der PSOE-Regierung nach 37 Jahren bei: Sie unterstützen jetzt eine Minderheitsregierung von PP und Cs.

VOX von Anfang an antifeministisch

Schon kurz nach der Gründung benannte die liberale Tageszeitung El Confidencial die vier Stützpfeiler der Partei (2): die Familie, die Einheit Spaniens, das Nein zu Abtreibung und zur ETA. Zwei Teile Nationalismus, zwei Teile Antifeminismus. 

Die Beschneidung von reproduktiven und sexuellen Rechten stand von Anfang an weit oben auf der Agenda von Vox. So setzte sich die Partei schon in der Kontroverse über das Abtreibungsgesetz 2014 für die weitgehendste Verschärfung ein. Der PP hatte die vorhergehende Wahl 2011 auch mit dem Versprechen gewonnen, die erst 2010 unter dem PSOE in Kraft getretene Fristenregelung (3) wieder aufzuheben. Die vorgeschlagene Verschärfung hätte das spanische Gesetz zu einem der härtesten in Europa gemacht. Vor allem die geplante Abschaffung der Möglichkeit, bei einer Beeinträchtigung des Fötus abzutreiben (embryopathische Indikation), war selbst innerhalb des PP einigen zu viel. Die regionalen Parteichefs opponierten, der verantwortliche Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón trat zurück und das Projekt wurde begraben. Damit zogen die Konservativen jedoch den Zorn der katholischen Kirche und der in Spanien starken „Lebensschutz“-Bewegung auf sich. Die einflussreiche spanische Bischofskonferenz hätte es am liebsten gesehen, wenn jeder Abbruch strafbar geworden wäre und verurteilte den Abbruch des Gesetzesprojektes scharf. 

Auf der Internetplattform VotaValores.org erscheint Vox als einzige Partei, die alle „Werte“ verteidigt und plant, die Gesetzeslage im Sinne einer ultrakonservativen Weltsicht zu ändern. Die Wahlempfehlungen der von der religiös-fundamentalistischen Lobbyorganisation HazteOir (Mach Dich hörbar) aufgesetzten Plattform zeigen, dass die ultrakatholischen Kreise ihre Unterstützung klar vom PP zu Vox umverteilt haben. „Recht auf Leben“, die „natürliche Familie“, die zweigeschlechtliche Ehe, erzieherische und religiöse Freiheit, die Einheit Spaniens und die politische „Regeneration“: In allen Bereichen erhält Vox unter dem Parteivorsitzenden Santiago Abascal grüne Punkte, während der PP nur für die religiöse Toleranz einen grünen Punkt bekommt und sich sonst mit gelben und sogar roten Bewertungen begnügen muss. Ciudadanos schneidet zwar leicht besser ab als der PP, rote Punkte beim Recht auf Leben und bei der zweigeschlechtlichen Ehe lassen aber auch diese Partei für das Zielpublikum unwählbar erscheinen. 

Umdeutung von Begriffen als Strategie

Die Partei hat trotz ihres langjährigen Bestehens kein Wahlprogramm. Zu den letzten beiden Parlamentswahlen im April und November 2019 ist sie mit dem Papier „100 Maßnahmen für ein lebendiges Spanien“(4) („100 medidas para la España viva“) angetreten. Darin fordert sie unter der Überschrift „Leben und Familie“, das „Gesetz über geschlechtsspezifische Gewalt“ von 2004 aufzuheben, und jede andere Vorschrift, die „ein Geschlecht diskriminiert“. Letzteres klingt zwar, als könnten sich Feminist*innen darin wiederfinden, allerdings gehört zum Kulturkampf der Antifeminst*innen (5) auch der Kampf um Begriffe und die Leugnung beziehungsweise Uminterpretation von Unterdrückungsverhältnissen. Der Feminismus, der im Verständnis der extremen Rechten längst majoritär geworden ist, unterdrückt nach dieser Realitätswahrnehmung „den Mann“ und hält „die Frau“ davon ab, sich ihrer ‚eigentlichen‘ Rolle als Ehefrau und Mutter zu widmen. 

Statt Frauen vor der Gewalt von Männern zu schützen, plädiert die Partei für ein „Gesetz gegen familiäre Gewalt“, das ältere Menschen, Männer, Frauen und Kinder gleich schützt und suggerieren soll, sich für alle Opfer von Gewalt gleichermaßen zu engagieren. Wenn aber mit diesem Argument Ressourcen von ohnehin unterfinanzierten Frauenhäusern abgezogen werden sollen, offenbart sich der misogyne Kern der Forderungen. Dazu passt auch, eine „effektive Strafverfolgung“ falscher Beschuldigungen nach sexualisierten Übergriffen zu fordern. Dass diese laut Staatsanwaltschaft (6) lediglich 0,01 Prozent der Anzeigen ausmachen und nur die wenigsten Fälle häuslicher und sexueller Gewalt überhaupt angezeigt werden, interessiert Vox genauso wenig wie hierzulande die AfD.

Da wo die Partei mitbestimmen kann, hat sie bereits Teile ihrer Agenda umgesetzt. In Andalusien können Eltern ihre Kinder „von Gender-Projekten befreien“, berichtet die neurechte Wochenzeitung (7Junge Freiheit triumphierend. In einer für die antifeministische Rechte typische Verwendung der individuellen Gewissensfreiheit dürfen Eltern ihre Kinder von schulischen Zusatzaktivitäten (8) befreien, wenn diese gegen ihre Überzeugung sind.  Das betrifft sexuelle Aufklärung, Ethikunterricht und Informationen über gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Vox stellt den Eltern dazu auf seiner Webseite sogar ein Formular zur Verfügung.

Aussicht ungewiss

Zwar ist es im Januar dieses Jahres nach mehreren Neuwahlen mit Mühe gelungen, eine Koalition aus PSOE und UP zu schmieden, allerdings ist diese äußerst fragil. Sie hat keine eigene Mehrheit im spanischen Parlament, sondern ist vielmehr auf Stimmen der kleineren linksnationalistischen Parteien angewiesen. Da von den letzten Neuwahlen vor allem die Ultranationalisten profitiert haben, ist die Sorge groß, was passieren wird, wenn auch diese Regierung scheitert. 


(1) https://www.elperiodico.com/es/opinion/20181204/vox-el-mazazo-elecciones-andalucia-resultados-articulo-opinion-xavier-casals-7183521

(2) https://www.elconfidencial.com/espana/2014-01-16/los-cuatro-pilares-de-vox-no-al-aborto-la-familia-la-unidad-de-espana-y-no-a-eta_76858/

(3) https://jungle.world/artikel/2014/03/zum-schweigenden-opfer-gemacht

 (4) https://www.voxespana.es/biblioteca/espana/2018m/gal_c2d72e181103013447.pdf

(5) Vgl. AK Fe.In: Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt. https://www.gwi-boell.de/de/2020/02/17/frauenrechte-und-frauenhass

(6) https://www.elmundo.es/sociedad/2017/09/05/59aec40022601d052f8b4574.html

(7) https://jungefreiheit.de/politik/2019/andalusien-staerkt-elternrechte-gegen-gender-an-schulen/

 (8) https://taz.de/Rechtsextreme-in-Spanien/!5656172&s=Spanien+Vox+andalusien/