Das grüne Grundsatzprogramm ist mit seiner Betonung von Pluralität und Inklusion nicht weichgespült, sondern im Gegenteil radikal futuristisch. Nur ernst müsste man es nehmen…
Grundsatzprogramme sind Anpassungen der Parteien an den Zeitgeist. Sie antworten auf neue Herausforderungen, die sich seit dem letzten Grundsatzprogramm ergeben haben – und auf gesellschaftliche Veränderungen. Die Grünen haben sich mit ihrem neuen Programm von 2020 „regierungsfähig“ geschrieben, heißt es allenthalben. Vorbereitet auf Schwarz-Grün. Das lässt aus feministischer Perspektive Schlimmes befürchten. Allein, so schlimm ist es nicht.
Das Programm ist kein feministisches Manifest. Und man kann sagen: Zum Glück. Denn es entwirft ein Gesellschaftsbild, in dem das, was man sich so landläufig unter feministischen Manifesten vorstellt, ganz schön alt aussehen lässt. Es stellt nämlich zwei Begriffe ins Zentrum, in denen der Exklusivanspruch des Feminismus auf eine gute Art aufgehoben wird: Pluralität und Inklusion.
Zeitgemäß und mehr als Feminismus
Beide tauchen schon in der Präambel auf. Und dort bleiben sie nicht folgenlos stehen, sie ziehen sich durch das Programm. Das ist tatsächlich ein zeitgemäßes „mehr“ als Feminismus. Pluralität bedeutet das ernsthafte Einbeziehen unterschiedlicher Sichtweisen in alle Entscheidungsprozesse. Inklusion fordert, dass Politik und Gesellschaft sich so verändern, dass alle teilnehmen und teilhaben.
Das klingt erstmal wolkig, aber hinter dem Begriff Inklusion steckt eine langjährige sozialwissenschaftliche Debatte. In die Politik hat diese in Form der UN-Behindertenrechtskonvention Eingang gefunden. Hierzulande ist Inklusion deshalb unter anderem angekommen als der Anspruch, behinderte Menschen aus ihren Séparées in die Regelschulen zu holen. Keine Extrabehandlung, sondern stattdessen eine Transformation der Schule, in der gemeinsames Lernen möglich wird, ist das Ziel. Wie voraussetzungsreich und anspruchsvoll das ist, erleben die Schulen gerade.
Das ist nun die grüne Vision der Gesellschaft insgesamt. Das Gute daran ist der sehr hohe Anspruch. Inklusion heißt natürlich, dass Frauen die gleichen sozialen, ökonomischen und politischen Chancen haben wie Männer. Das gilt aber eben auch für andere Gruppen, die bisher mangelhaft inkludiert sind. Migrant*innen, LGBTIQ+, Schwarze Menschen, behinderte Menschen… Inklusion bedeutet eben nicht: Wir machen jetzt Mal was für die Frauen. Frauenförderung. Oder: wir haben ein Kapitel zu LGBTIQ+ in unser Programm geschrieben mit 35 Stichpunkten. Inklusion heißt, dass die Partei, die Politik, die Gesellschaft sich in Zukunft so entwickeln, dass Exklusion gar nicht erst stattfindet. Wenn dieses Ziel klar ist, dann folgen die 35 Punkte ganz selbstverständlich daraus.
Das ist das, was Gender Mainstreaming einmal auf der Geschlechterebene wollte. Geschlecht gleich mitdenken und nicht hinterher hilflose Reparaturversuche machen. Die Grünen formulieren, dass das nun für alle gesellschaftlichen Gruppen gilt. Der Feminismus verlöre seine Exklusivität – und das wäre gut so!
Wer einen hohen Anspruch hat, kann tief fallen. Schulen, die sich um Inklusion bemühen, entdecken, dass Inklusion wieder eine Binnen-Exklusion erzeugen kann, eine inkludierte Exklusion. Das muss nicht besser sein als die Séparées, die es vorher gab. Im Gegenteil. Mit anderen Worten: Da ist ordentlich Musik drin.
Würde die Partei diesen Anspruch wirklich ernst nehmen, wäre sie damit nicht nur auf der Höhe des Zeitgeistes, sie wäre geradezu futuristisch.
Nur eins wäre sie dann garantiert nicht mehr: Anschlussfähig für die CDU.