Zwei Fragen zum Trans Day of Visibility

Ist Deutschland reif für mordende Trans*-Figuren im Fernsehen? Wie hält es die Regierung mit der Reform des Transsexuellengesetzes (TSG)?  

 

 

To our Trans Siblings: You are not alone

Sichtbarkeit will er schaffen, der Trans Day of Visibility, der seit 2009 international am 31. März begangen wird. Doch wie ist es in Deutschland aktuell um die Sichtbarkeit von trans* Menschen bestellt?

Sonntagabend, „Tatort“ aus Wien, die mehrfache Mörderin und Kidnapperin entpuppt sich als „Mann in Frauenkleidern“. Die ARD gab also ernsthaft eine Produktion in Auftrag, die aus der Wühlkiste Hitchcocks stammen könnte: Mutter-Komplex, rein in die Frauenkleider, Messer raus, Prostituierte ermorden. Oder wie es die „Welt“ so schön sagte: „Kommt auf die Liste der Kandidaten für den Anthony-Perkins-Preis“. Indessen hatte die social-media-Redaktion während der Übertragung alle Hände voll zu tun, im Minutentakt hasserfüllte Postings wie: „Abknallen, die Transe!“ zu löschen. Und ich meditierte über der Frage, ob die Zeit reif ist für mordende somehow-ish trans* Figuren im TV oder nicht. Weiter prasselten dumme Postings: „So sind sie, die Regenbogenfamilien“. Nur wenige Stunden später erinnerte die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) in einem Offenen Brief die ARD daran, dass erst letzten Sommer eine trans* Mutter und ihr Kind in Freiburg auf einem Spielplatz plötzlich der Polizei gegenüberstanden, weil „besorgte“ Drumrumsteher_innen die eigene Transphobie mit „Kindeswohl“ verwechselt und die Staatsmacht gerufen hatten. Soweit der Status Quo in Sachen Öffentlichkeit.

 

Und auf politischer Bühne? Als die Bundesregierung 2017 der Bundesregierung auftrug, eine sogenannte „Dritte Option“ als Geschlechtseintrag zu ermöglichen, hatte sie große Hoffnungen geweckt. Doch die Koalition ließ die Chance verstreichen, auch medizinisch nicht eng definierten inter* Menschen sowie allen trans* Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, Zugang zum dritten Geschlechtseintrag zu geben.

ADAC, BDI, Bischofskonferenz?

Auch die Hoffnung, dass die „Dritte Option“ den Reformstau beim Transsexuellengesetz (TSG) auflösen würde, zerschlug sich Stück für Stück. Denn die Bundesregierung reformierte im Laufe dieser Legislaturperiode das TSG nicht, obwohl das seit Jahren gefordert wird. Und nein - kleiner Einschub an dieser Stelle – es gibt in Deutschland keine Trans*-Lobby, sondern maximal 15-20 Vollzeitäquivalentstellen für trans*politische und -beraterische Arbeit.

 

Von rechts und von Medien, die transphob argumentierende Agitator_innen hofieren, wie aktuell vor allem FAZ und NZZ, wird hingegen so getan, als sei die fantasierte „Trans*-Lobby“ quasi von einer Stärke wie dem ADAC, Bund der Deutschen Industrie und Bischofskonferenz zusammen. Dabei ließe  sich das TSG flott zu Gunsten eines Selbstbestimmungsgesetz kippen, ohne verpflichtende „Begutachtungen“, Kosten im vierstelligen Bereich, ohne gerichtliches Verfahren. Diverse Länder in der EU und weltweit haben das längst realisiert, ohne dass es den jeweiligen Dominanzgesellschaften dadurch plötzlich an Wasser, Arbeit oder Gesundheit gemangelt hätte. Hingegen Deutschland…

 

Gegen den TSG-Reformstau, den die Koalition verantwortet, und der schon lange als politisches Debakel bezeichnet werden muss,  sind die zwei menschenrechtlich begrüßenswerten Gesetzentwürfe der oppositionellen Grünen und FDP zuletzt chancenlos gewesen.

Als wäre das Aussitzen der Bundesregierung nicht ärgerlich genug, hat das leidige Thema TSG-Reform kürzlich dann auch noch den Stempel „Farce“ bekommen. Der rechtskonservativen Stiftung „CitizenGo“, die europaweit gegen die Ehe für alle und Schwangerschaftsabbrüche agitiert, wurde im Februar ein bis dato unveröffentlichter Entwurf zur TSG-Reform zugespielt (aus noch ungeklärter Quelle und ohne dass im Vorfeld Verbände zum Entwurf angehört worden wären). Die Kritik war absehbar: „handwerklich eine Katastrophe“, urteilte  Julia Monro, dgti, im „Tagesspiegel“. Obendrein startete „CitizenGo“ eine „Petition“ gegen den Gesetzentwurf inklusive der ausgelutschtesten Topoi, die Rechten bei Forderungen nach geschlechtlicher Selbstbestimmung einfallen: „die armen Kinder, die armen Frauen“. 24.000 Unterzeichner_innen stellten sich bislang hinter ihn. Auch Birgit Kelle durfte sich dazu im „Focus“ auskellen.

Einen Fart auf die Farts

Als wären diese Stimmen nicht medial überrepräsentiert genug, gibt es dann ja auch noch Gegenwind anderer Art. So unscharf der Begriff „TERF“ (trans-exclusionary radical feminist) ist, erstens weil er Anfeindungen gegen geschlechtliche Selbstbestimmung von inter* Menschen ausblendet, zweitens weil „radikal“ und „Feminist_in“ nicht an so hasserfüllte Kontexte verschwendet werden sollten, schwenkt die Perspektive inzwischen zu „FART“ (feminism-appropriating reactionary transphobes). Das Phänomen zu beklagen und seine Protagonist_innen als ebensolche FARTS zu enttarnen, wird perspektivisch jedoch nicht genügen, um Gegenöffentlichkeit sichtbar zu machen, die immer aufs Neue erklärt: Das TSG und seine halbherzigen, rückschrittlichen Reformversuche sind grundrechtswidrig.

 

Und zwar so sehr, dass sich inzwischen gar internationale Menschenrechtsorganisationen bei den Bundesministerien für Inneres, Justiz/Verbraucherschutz und Familie/Senioren/Frauen/Jugend melden. Sie mahnen an, „nicht hinter internationale und EU-Standards in Bezug auf die Menschenrechte von trans* Personen zurückzufallen, und sicherzustellen, dass kein Reformvorschlag gegen wesentliche Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention (...) verstößt, indem er den Zugang zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung auf der Grundlage eines willkürlichen numerischen Alters einschränkt“.

 

Nein, die Zeit ist für mediale Verwurstungen wie im eingangs geschilderten „Tatort“ angesichts dieser Lage für trans* Leben nicht reif. Solche Sichtbarmachung ist nicht im Sinn des Trans Day of Visibility.

 

Allen hingegen, die ihn in seiner Schönheit und politischen Kraft verstehen, einen starken, anhaltenden Trans Day of Visibility!