Über das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Europa

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Die Europäische Union garantiert schwangeren Menschen europaweit kein Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Zudem gestaltet sich die Situation in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich und weicht mitunter stark von der liberalen Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation ab. Dabei sollten vulnerable Gruppen, deren Menschenrechte von restriktiven Regelungen auf besondere Weise verletzt werden, besser geschützt werden, in dem reproduktive Gerechtigkeit und Intersektionalität Anwendung finden. Dies auch vor dem Hintergrund von reaktionären Gegenkräften, die transnational miteinander vernetzt sind: Abbruchsgegner*innen wollen nicht nur Schwangerschaftsabbrüche verbieten, sie stellen europaweit die Gleichstellung der Geschlechter in Frage. So gefährden sie auch Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Personen halten ein Transparent mit der englischsprachigen Aufschrift "Legal abortion nationwide now!"

Wie ist die rechtliche und gesellschaftliche Situation des Schwangerschaftsabbruchs in Europa?

Bis in die 1970er-Jahre hinein war in vielen Staaten Europas ein Schwangerschaftsabbruch verboten. Im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lockerte – bis auf wenige Ausnahmen – ein europäischer Staat nach dem anderen seine Gesetzgebung. Gründe dafür waren vor allem auch erfolgreiche feministische Proteste und starke zivilgesellschaftliche Bewegungen sowie die parallele Anerkennung sexueller und reproduktiver Rechte auf internationaler Ebene als Menschenrechte.

Kein Staat innerhalb Europas hat den Schwangerschaftsabbruch bisher jedoch vollständig entkriminalisiert. Ein Abbruch auf Wunsch der schwangeren Person ist rechtlich bis zu einer bestimmten Frist mittlerweile aber im überwiegenden Großteil der Europäischen Union möglich. In einigen Staaten sind Schwangerschaftsabbrüche mit besonders wenigen Einschränkungen für die schwangere Person erlaubt, wie beispielsweise in Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden. In der Mehrzahl der EU-Staaten ist es komplizierter: Selbst, wenn Schwangerschaftsabbrüche nicht grundlegend verboten sind, gibt es Einschränkungen durch Beratungspflichten, Wartezeiten und vergleichsweise kurze Fristen für den Abbruch wie beispielsweise in Deutschland, Italien, Österreich und Portugal.

In den letzten Jahren haben einige Staaten ihre Gesetze weiter liberalisiert und damit den Zugang zu Abbrüchen erleichtert, so beispielsweise Frankreich, die Republik Irland, Luxemburg, Spanien und Zypern. Frankreich hat mit wesentlichen Reformen 2016 und 2022 seine Regelungen liberalisiert und ist seit 2024 in Europa der erste Staat, der dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch Verfassungsrang gibt.

Dass es sich bei dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch weiterhin um ein gesellschaftlich stark umkämpftes Thema handelt, zeigen Entwicklungen in Litauen, Kroatien oder der Slowakei. Dort konnten politische Vorhaben, Schwangerschaftsabbrüche zu kriminalisieren oder auch ganz zu verbieten, bisher durch starke zivilgesellschaftliche Bewegungen und feministischen Widerstand verhindert werden. In anderen Staaten wurde gegen den Protest feministischer Bewegungen die Freiheit von schwangeren Personen, einen sicheren und legalen Abbruch vornehmen zu lassen, stark eingeschränkt, wie beispielsweise in Polen und Ungarn. Malta ist mit einem Gesetz aus dem Jahr 1850 das EU-Land mit der restriktivsten Gesetzgebung – auch nach der minimalen Lockerung im Jahr 2023.

Der Blick auf Europa zeigt sehr unterschiedliche Situationen in den einzelnen Staaten, was den legalen Zugang zu Abbrüchen betrifft. Allerdings ist eine Legalisierung selten gleichbedeutend mit einer qualitativ hochwertigen Versorgungslage und einer guten Zugänglichkeit von sicheren Schwangerschaftsabbrüchen für alle, auch weil die gesellschaftliche Stigmatisierung weiterhin sehr stark ist. Dies führt zu unsicheren Abbrüchen und höheren Kosten, wenn Menschen außerhalb des Gesundheitssystems Unterstützung suchen. Betroffene stehen unter enormen Druck und müssen ihr Einkommen, ihre Sicherheit, ihre Gesundheit oder sogar ihr Leben gefährden, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Regionale Unterschiede im Angebot von Gesundheitsdienstleistungen sowie unterschiedliche Systeme der Kostenübernahme erschweren den Zugang selbst für legale Abbrüche. Insbesondere benachteiligte Gruppen wie People of Colour, LGBTIQ* Menschen, junge Menschen oder Menschen, die mit häuslicher Gewalt leben, treffen auf besondere Herausforderungen, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch wünschen.

Was tut die Europäische Union?

Ein gemischtes Bild findet sich auch auf europäischer Ebene: Die Europäische Union garantiert schwangeren Menschen in Europa nicht grundsätzlich das Recht auf einen sicheren und legalen Schwangerschaftsabbruch; es ist nicht explizit in den EU-Verträgen festgehalten. Die Europäische Kommission ist auch deshalb bei diesem Thema zurückhaltend, da die Zuständigkeit bei den EU-Mitgliedstaaten liegt. Nichtsdestotrotz gibt es Berührungspunkte in Politikfeldern, in denen die EU – wenn auch eingeschränkt – tätig werden kann, beispielsweise bei der Gesundheit, Geschlechtergleichstellung oder geschlechtsbezogener Gewalt. 

Von den EU-Institutionen nimmt das Europäische Parlament eine aktive Rolle bei der Einforderung eines europaweiten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch ein: In den vergangenen zwanzig Jahren gab es immer wieder Berichte, Entschließungen, öffentliche Anhörungen und Presseerklärungen, die sich auf die Gleichstellung der Geschlechter, auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte sowie auf einen legalen und sicheren Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch beziehen, insbesondere in den Jahren 2002, 2013 und noch intensiver seit 2021. Seit 2022 fordert es, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union aufzunehmen. Zudem orientiert sich das Parlament an der menschenrechtlichen Einordnung des Schwangerschaftsabbruchs der Vereinten Nationen, an der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und implizit auch am Konzept der reproduktiven Gerechtigkeit. Demnach ist die Kriminalisierung, Verzögerung und Verweigerung des Zugangs zu einem sicheren und legalen Abbruch auch aus Sicht des Parlaments eine Form geschlechtsbezogener Gewalt und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar. Insbesondere sind vulnerable soziale Gruppen – wie Frauen, die in Armut leben, Frauen, die aufgrund von Rassismus benachteiligt werden, Frauen aus ländlichen Gebieten, Frauen mit Behinderungen, illegalisierte Migrantinnen und alleinerziehende Frauen, LGBTIQ-Personen und Jugendliche – unverhältnismäßig stark von Verboten und anderen Einschränkungen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch betroffen. Daraus schlussfolgert das Parlament, dass es Ziel der EU sein müsse, weitere Fortschritte beim Recht auf Schwangerschaftsabbruch gemäß der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation zu erzielen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten insbesondere Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren und Barrieren für einen legalen und sicheren Abbruch beseitigen.

Auch wenn das Parlament (bisher) als aktiver Akteur für Geschlechtergleichstellung im Allgemeinen und für ein europaweites Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Besonderen auftritt, stehen dem längst nicht alle Abgeordneten positiv gegenüber. Mit den Europawahlen 2024 hat sich nach 2014 und 2019 der Anteil derjenigen Abgeordneten, die Geschlechtergleichstellung im Allgemeinen und ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Besonderen ablehnen, weiter erhöht. 

Wie groß ist die Gefahr, dass das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Europa eingeschränkt wird?

Erste Gegenbewegungen zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch entstanden bereits in den 1970er-Jahren im Zuge der Debatten über die Legalisierung von Abbrüchen. Heutzutage vertreten diese zwar nur eine Minderheit der gesellschaftlichen Meinung, zeichnen sich aber durch einen hohen Organisationsgrad, Vernetzung und dadurch auch effektive Finanzierung und politische Beeinflussung aus. In Deutschland sind diese Bewegungen bekannt als selbsternannte „Lebensschutz“- oder „Lebensrechts“-Bewegungen; in Europa und auch weltweit als „Pro Life“-Bewegungen. Zentrales Anliegen von Abbruchsgegner*innen ist die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und vormals schwangeren Menschen sowie Personen, die mit der Betreuung und Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen befasst sind. Dabei richtet sich ein solcher Aktivismus nicht nur an die betroffenen Personen selbst, auch soll die öffentliche Meinung über Schwangerschaftsabbrüche möglichst negativ, mitunter hetzerisch beeinflusst und die gesellschaftliche und/oder politische Debatte darüber emotional aufgeladen werden. 

Mit dem Ziel, Schwangerschaftsabbrüche total zu verbieten und so die bisher erreichte Selbstbestimmung über den eigenen Körper und das eigene Leben als gleichstellungs- und gesellschaftspolitische Errungenschaften wieder abzuschaffen, gibt es zudem auch eine große Schnittmenge zu der Anti-Gender-Bewegung. Hierfür betreiben Abbruchsgegner*innen transnational organisiert eine intensive Lobby-, Kampagnen- und Netzwerkarbeit auf gesellschaftlicher und vor allem politischer Ebene. Zudem wird gezielt, auch über konservative und/oder rechtspopulistische Regierungen, Einfluss auf Gesetze genommen – mit den bisher größten Erfolgen in Polen 2020 und in den Vereinigten Staaten 2022:

  • In Polen ist es seit 2020 nahezu unmöglich, Schwangerschaftsabbrüche legal vornehmen zu lassen. Die Entscheidung wurde vom polnischen Verfassungsgericht getroffen, dessen Legitimität innerhalb der Europäischen Union höchst umstritten ist. 
  • In den Vereinigten Staaten hob der Oberste Gerichtshof 2022 das verfassungsmäßige und landesweit garantierte Recht auf einen legalen Schwangerschaftsabbruch auf und gab die Zuständigkeit hierfür damit zurück an die Bundesstaaten, die mitunter mit uralten, stark restriktiven Regelungen des Abbruchs in die Schlagzeilen gerieten. Zurückzuführen ist diese Entwicklung auch auf christlich-nationale Interessengruppen in den USA, die sich seit Jahrzehnten sehr aktiv gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch einsetzen und inzwischen sowohl politisch als auch juristisch starken Einfluss gewonnen haben.

In diesem Zusammenhang sind nicht nur vermeintlich einzelne gleichstellungspolitische Errungenschaften – wie der Zugang zu einem legalen und sicheren Abbruch, sondern die Demokratie, Menschenrechte und eine offene Gesellschaft als Ganzes in Gefahr und im Visier der Anti-Gender-Bewegung. 

  • Wie so ein Rückbau auf nationaler Ebene funktioniert, kann seit einigen Jahren beispielsweise in Ungarn mitverfolgt werden, das laut Einschätzung des Europäischen Parlaments keine funktionierende Demokratie mehr ist: Seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Jahr 2010 haben Viktor Orbán und seine rechtskonservative Fidesz-Regierung Demokratie, Justiz, Medien und Menschenrechte in Ungarn systematisch eingeschränkt. Seit 2022 müssen sich Schwangere die Herztöne des Embryos / Fötus anhören, bevor sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können.
  • Auch in Polen hat die von 2015 bis 2023 regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit massiv versucht eine illiberale Ordnung aufzubauen. Seit Oktober 2023 regiert ein liberaleres Bündnis und es zeigt sich, wie schwer es mitunter ist die vorgenommenen strukturellen Änderungen am politischen System wieder rückgängig zu machen. Nichtsdestotrotz sind die Hoffnungen groß, dass auch die bestehenden, stark restriktiven Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch wieder liberalisiert werden. 
  • Die Entwicklungen in Italien nach der Wahl von Giorgia Meloni zur italienischen Ministerpräsidentin und dem Sieg ihres rechten Bündnisses rund um die rechtsradikale, postfaschistische Partei „Fratelli d’Italia“ 2022 gilt es ebenfalls im Blick zu behalten. Nicht nur in Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch werden massive Einschränkungen befürchtet. Bereits jetzt führt die Möglichkeit von Ärzt*innen, einen Abbruch aus Gewissensgründen zu verweigern, sowie restriktive Regelungen in einzelnen Regionen zu massiven Versorgungslücken.

Nichtsdestotrotz treffen Gegenbewegungen zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf institutioneller, zivilgesellschaftlicher und fachlicher Ebene auf ein Netzwerk aus nationalen und internationalen Akteur*innen, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch europaweit einsetzen. Auch befürwortet in den meisten europäischen Staaten die Mehrheit der Bevölkerung das grundsätzliche Recht auf den Zugang zum Schwangerschaftsabbruch 


Literatur zum Thema: 

Lange, Katrin (2024): Gegenbewegungen zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Themenblatt 5 der Beobachtungsstelle für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.

Lux, Julia / Lange, Katrin / Sprang, Friederike (2024): Menschenrechte und reproduktive Gerechtigkeit. Themenblatt 1.

Lange, Katrin (2023): Selbstbestimmung unter Druck? Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Europa. Dossier 1/2023 der Beobachtungsstelle für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.

Molter, Sarah / Lux, Julia / Lange, Katrin / Sprang, Friederike (2023): Regelungen und Versorgungslagen des Schwangerschaftsabbruchs im Ländervergleich. Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Schweden und Spanien. Arbeitspapier Nr. 25 der Beobachtungsstelle für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.

Wittenius, Marie / Lange, Katrin (2021): No to gender – Yes to what exactly? Einblicke in die europäische Anti-Gender-Bewegung. Newsletter Nr. 2/2021 der Beobachtungsstelle für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Europa.