Rückblick: Kröten zählen statt Prinzen küssen?! Freie Wahl für alle Lebensmodelle oder Subvention der Ehe?
Geld und Liebe
Frauen sind in Deutschland ärmer als Männer. Sie besitzen in der Regel weniger, erben weniger, verdienen weniger, haben niedrigere Renten. Auf der anderen Seite arbeiten sie mehr, was in der Arbeitsbilanz jedoch nicht auftaucht, weil Care-Arbeit nicht gezählt wird. Das alles ist normal, aber warum? Liegt es an den Lebensmodellen, denen Frauen nachgehen? Sei es, dass sie arbeiten und Kinder bekommen, sei es, dass sie Karriere machen, heiraten, nicht heiraten, keine Kinder bekommen, keine Karriere machen, in gleichgeschlechtlichen oder anders definierten Partnerschaften oder allein leben – alles ist denkbar. Sind Lebensentwürfe etwa ein Grund dafür, dass es Ungleichheiten bei der ökonomischen Absicherung von Männern und Frauen gibt? Heißt Wahlfreiheit in Bezug auf die Lebensmodelle demnach, dass Frauen die Wahlfreiheit haben, ärmer zu sein? Und wie beeinflusst die Gesetzgebung diese Lebensmodelle, etwa durch die Steuerpolitik, die Sozial- und Arbeitspolitik. Festigen die politischen Entscheidungen die Differenzen gar?
Solche Überlegungen lagen der Podiumsdiskussion zugrunde, die im Rahmen des „Streitwertes“, dem Diskussionsforum des Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung, am 2. September stattfand.
Der „Streitwert“ ist ein Forum, das ein Thema anhand von Kontroversen beleuchtet. „Kröten zählen statt Prinzen küssen“ lautete der Titel der Diskussionsveranstaltung, über die gestritten werden sollte. Mehr Forderung als Streitthese ist es. Der Titel verweist auf ein Thema, das Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die die Veranstaltung streitlustig moderierte, bei ihrer Einführung dann auch sogleich hinterfragte: Welche Leitbilder stehen hinter den Lebensmodellen, die staatlicherseits durch die verschiedenen Steuerungsmöglichkeiten mehr unterstützt werden als andere?
Zum Streiten eingeladen waren Kostas Petropulos, der Leiter des überparteilichen Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit (HBF), wo vom Selbstverständnis her einem traditionellen Familienmodell das Wort geredet wird. Petropulos habe sich, meinte Barbara Unmüßig, in die Höhle der Löwin getraut, denn die feministische Gegenseite war stark. Neben Claudia Roth, der Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen nahm auch Ramona Pisal, die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, an der Diskussion teil. Zudem war Dag Schölper, der Geschäftsführer des Bundesforums Männer, eines Interessenverbandes für Jungen, Väter und Männer, eingeladen. Deren Blick auf die Geschlechterdifferenz will den der Frauen nicht in Frage stellen, sondern ihn ergänzen.
Unterschiedliche Lebensentwürfe gleich behandeln
Um überhaupt ins Thema zu finden, bat die Moderatorin die Podiumsgäste, ihre Vorstellungen, was Wahlfreiheit ist, und auf welche Leitbilder unterschiedliche Lebensentwürfe treffen, vorzustellen. Kostas Petropulos geht in seiner Antwort vom Blickwinkel der Gesellschaft aus. Er fragt, welche Modelle für die Gesellschaft wichtig sind im Hinblick darauf, wie man „Solidarität organisiert“. Seine Analyse in diesem Punkt ist klar: In der Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von solidarischen Leistungen, die nicht bezahlbar sind, vor allem solidarische Leistungen, die in der Familie generiert werden. Seiner Vorstellung nach sollen Modelle gefördert werden, die solche solidarischen Leistungen erbringen. Dies unabhängig davon, dass „in unserer Demokratie“ jeder sein Leben leben könne, wie er möchte.
Es bedurfte nur dieser vorsichtig angedeuteten Sicht auf ein Lebensmodell, das die traditionelle Familie in den Vordergrund stellt, um Widerspruch hervorzurufen. Ramona Pisal konterte, dass wir in einer Gesellschaft leben, die vom Individuum geprägt ist und es daher nicht Aufgabe des Staates sei, Leitbilder vorzugeben. Sie sehe, dass Wahlfreiheit mitnichten gegeben ist, solange eine eigenständige Existenzsicherung durch auskömmliche Erwerbsarbeit vor allem für viele Frauen nicht gegeben ist.
Auch Dag Schölper hält die Rahmenbedingungen, in denen sich die Menschen bewegen, für so frei nicht. Seine Stichworte: Leute in prekären Arbeitsverhältnisse, Leute mit Migrationshintergrund, Leute mit sexuellen Orientierungen, die nicht der Heteronormativität entsprechen. Es gebe eine Vielzahl von Sehnsüchten und Wünschen, die nicht gelebt werden könnten. Männer und Frauen stoßen dabei an unterschiedliche Grenzen. Etwa fehlte für Eltern, die wegen Erziehungsaufgaben Teilzeit arbeiten, ein Anspruch auf Rückkehr in Vollzeit. Ohne solche Rückkehrrechte benachteiligt dies Frauen, da sie eher Erziehungsaufgaben machen, und hindere Männer gleichzeitig daran, die Erziehungsaufgaben im gleichen Maß wie die Frauen zu übernehmen.
Claudia Roth bringt andere Beispiele, die ebenfalls Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern fördern, etwa fehlende Betreuungsplätze, befristete Arbeitsplätze, (die neuerdings als „perfekte Antibabypille“ bezeichnet werden) und die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen. Frauen verdienen 22 Prozent weniger. Dass der Staat mit Instrumenten wie dem Betreuungsgeld und vor allem dem Ehegattensplittung Instrumente eingeführt hat, die Leitbilder, nämlich das männliche Ernährermodell, fördern, wird kritisiert.
Kostas Petropulos kontert, indem er noch einmal klarstellt, dass der Staat die Familie in Artikel 6 unter besonderen Schutz gestellt hat. Das Gemeinwesen habe eine Überlebensinteresse, meint er und verweist in diesem Zusammenhang auf die demographische Entwicklung. Aus seiner Sicht wollen Frauen sich um die Kinder kümmern und weil sie es wollen, gibt die Politik analoge Modelle vor. Frauen, die anderes leben wollen, werde dies jedoch nicht untersagt.
Der Hauptstreitpunkt in der Folgediskussion dreht sich um diese unterschiedlichen Blickwinkel. Petropulos` Position geht vom Ist-Zustand der Gesellschaft aus und macht ihn zur Grundlage seiner Forderungen. Die anderen Diskussionsteilnehmenden gehen davon aus, dass ein Status Quo auch änderbar ist.
Das Ehegattensplitting zementiert Geschlechterungleichheit
Zum Dreh- und Angelpunkt der Streitdiskussion wird das Ehegattensplitting. Zu viel Ungleichheit lässt sich daran fest machen. Es fördert das familiäre Einernährermodell und die heterosexuelle Familie, wo Frauen sich um Kinder kümmern, auf einseitige Weise. Zudem ist es extrem ungerecht, da es Wohlhabende bevorzugt. Vor 60 Jahren wurde es eingeführt, meint Pisal, um die Frauen nach dem Krieg aus dem Arbeitsprozess herauszuziehen und den besiegten Männern durch ihre Position in der Familie wieder Wichtigkeit zu geben, was psychologisch sogar noch nachvollziehbar sei, aber heute überholt ist. 20 Milliarden Euro kostet das Ehegattensplitting die Steuerzahler. 40 Prozent derjenigen Paare, die heute davon profitieren, sind kinderlos. Auch wenn Ehe und Familie, so Pisal, unter Schutz gestellt sind, folge daraus nicht, dass die Ehe privilegiert werden müsse. Petropulos kontert, indem er noch einmal darauf hinweist, wieviele Folgekosten das Familienmodell dem Staat erspare und das rechtfertige eine rechtliche Besserstellung.
Das Ehegattensplitting ist eine emotionale Sache, das zeige sich auch daran, dass die Grünen mit ihrem Vorstoß, es für die oberen Einkommensschichten „abschmelzen“ zu wollen, wie Claudia Roth sagt, auf so viel Widerspruch stoßen. Allerdings begrüßen die Grünen, dass neuerdings auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften vom Ehegattensplitting profitieren sollen, obwohl sie es abgeschafft sehen wollen. Gleichwohl ist allen klar: Etwas Schlechtes wird nicht besser, wenn es auf mehr Köpfe verteilt ist.
Auch die neuen Regelungen im Scheidungsrecht gehen nach Ansicht der meisten Diskussionsteilnehmerinnen zu Lasten der Wahlfreiheit von Frauen. Obwohl viele verheiratete Frauen während der Ehe berufliche Abstriche zugunsten gemeinsamer Kinder gemacht haben, werde von ihnen verlangt, dass sie ihre Existenz nach einer Scheidung selbst sichern. Wenn es ihnen gelingt, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen, müssen sie aufgrund des Karriereknicks oft finanzielle und inhaltliche Abstriche hinnehmen. Ist es nicht möglich, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen und die Frauen werden als Alleinerziehende von Lohnersatzleistungen abhängig, hindere dies – aufgrund der Regelungen für Bedarfsgemeinschaften – viele Frauen sogar daran, sich wieder mit neuen Partner zusammen zu tun, wie Ramona Pisal ausführt. Männer hingegen werde genau dies durch die Neuregelungen im Scheidungsrecht leicht gemacht.
Um Leitbilder zu überwinden, die eine konsistente Gleichheitspolitik der Geschlechter verhindern, fordern alle bis auf Petropulos, dass das Ehegattensplitting abgeschafft werde und es Entgeltgleichheit gibt. Gefordert wird aber auch, dass es Mindestlohn, Garantierente, Rückkehrrechte und eine Frauenquote gibt. „Erst wenn Frauen in Führungspositionen kommen, können Männer in Teilzeit“, sagte Pisal. Unbedingt abzuschaffen aber seien die Minijobs, die der Pauperisierung vieler Frauen Vorschub leisten. Zwei Drittel aller Minijobs werden von Frauen gemacht. Es könne doch nicht darum gehen, so Pisal, dass Frauen entweder Karriere machen oder sich mit einem (versorgenden, womöglich prestigeträchtigen) Mann verbinden, es gehe darum, dass Frauen die Möglichkeit haben, beides zu tun, also Kröten zu zählen und Prinzen zu küssen. Sofern sie das möchten.
Es diskutierten:
Kostas Petropulos, Leiter des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit
Ramona Pisal, Präsidentin Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb)
Claudia Roth, Bundesvorsitzende von B 90/Grüne
Dag Schölper, Geschäftsführer Bundesforum Männer
Moderation: Barbara Unmüßig, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung
Video: Kröten zählen statt Prinzen küssen?! Freie Wahl für alle Lebensmodelle oder Subvention der Ehe?
StreitWert: Kröten zählen statt Prinzen küssen!? - Heinrich-Böll-Stiftung
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