Erschienen in Böll.Thema 1/2011
Von Barbara Unmüßig
Spätestens seit dem Beginn des Irakkrieges 2003 kennen wir den Begriff des «embedded journalism», zu Deutsch «eingebetteter Journalismus ». Bei der Wahl des Wortes des Jahres 2003 landete er in Deutschland sogar auf dem 5. Platz. Medien – vor allem in Demokratien – haben schon immer eine äußerst wichtige Rolle gespielt, wenn es darum geht, für Kriegseinsätze öffentliche Akzeptanz zu schaffen, sie zu legitimieren aber auch abzulehnen. Der Begriff des «eingebetteten Journalismus» steht für eine neue Stufe der Beziehung zwischen Krieg und Medien: Journalisten werden direkt einer militärischen Einheit in Kriegs- oder Konfliktgebieten zugeordnet, um von dort zu berichten. Zu Recht spricht man in diesem Zusammenhang nicht mehr allein von der Instrumentalisierung, sondern gar von der Militarisierung der Medien.
Spätestens seit dem Krieg in Afghanistan ist nun auch vom «embedded feminism» die Rede. Der Begriff kommt aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Frage, inwiefern Frauen- und Geschlechterfragen bei der Legitimation beziehungsweise Delegitimation von staatlicher Gewalt eine Rolle spielen, und wenn ja, welche. Die wenigen Untersuchungen aus der Geschlechterforschung kommen zu dem Schluss, dass sich immer häufiger feministische Diskurse und Forderungen in die politischen Begründungen militärischer Interventionen und deren medialer Begleitung einbetten. Krista Hunt benutzte diesen Begriff 2006 in ihrer Veröffentlichung «Embedded Feminism and the War on Terror». Der moralische Wert einer Intervention soll so hervorgehoben und die Bevölkerung gewonnen werden. Im Falle Bosniens und Afghanistans sei dies auch gelungen.
Frauenrechte und die UN-Charta
Die öffentliche Legitimation von Kriegen ist vor allem in westlichen Demokratien mehr denn je «an das Konzept des humanitären Krieges» gebunden. Die Missachtung von Menschenrechten spielt für die öffentliche und teilweise politische Begründung eine zentrale Rolle und wird oft am Beispiel von Frauen dargestellt.i Doch gibt es eine völkerrechtliche Grundlage, den Schutz von Frauen gegen geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen mit militärischen Mitteln zu erzwingen – vorausgesetzt, die zivilen Instrumente sind erschöpft?
Im Kapitel VII der UN-Charta der Vereinten Nationen von 1945, das die Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens und bei Angriffshandlungen beschreibt, spielen die Kategorien Geschlecht und sexuelle Gewalt gegen Frauen keine Rolle. Noch nie wurden sie als Begründung für Sanktionen (Artikel 41, Kapitel VII der UN-Charta), für Blauhelmmissionen oder eine militärische Intervention aufgeführt und durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrats legitimiert.
Erst mit den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates – der 1325 aus dem Jahr 2000 und den folgenden 1820 (2008) sowie 1888 und 1889 (2009) – haben die Kategorien Geschlecht und Gewalt gegen Frauen auf völkerrechtlicher Ebene und im Krisenkontext Bedeutung erhalten.
Die Resolution 1820 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2008 hält zum ersten Mal fest, dass sexuelle Gewalt insbesondere gegen Mädchen und Frauen «Konflikte erheblich verschärfen und die Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit behindern» kann. Sie bezieht sich damit zwar auf Grundsätze des Kapitels VII der UN-Charta, nimmt aber ausschließlich bereits bestehende bewaffnete Konflikte, die den Weltfrieden bedrohen, ins Visier. Die UN-Resolution 1820 ist insofern ein Meilenstein in der Fortschreibung des Völkerrechts, als sexuelle Gewalt und Massenvergewaltigungen als Kriegstaktik und Kriegsverbrechen verurteilt und als die «Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung» anerkannt werden. Sie bleibt aber eine UN-Resolution unter mehreren; sie kann die militärische Intervention zum Schutz gegen geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen nicht «erzwingen». Die UN-Charta bleibt von ihr unangetastet.
Frauenrechte in der Kriegslogik
Der Einsatz in Afghanistan ist ein Paradebeispiel dafür, wie Frauenrechte von der Politik und den Medien instrumentalisiert werden, um eine Intervention zu begründen. Neben dem Ziel der Terrorismusbekämpfung rückte das Weiße Haus gleich zu Kriegsbeginn die Rechte der Frauen ins Zentrum der Legitimation. Den Startschuss für eine regelrechte Kampagne gab Laura Bush, damalige First Lady, die ausnahmsweise statt des Präsidenten George W. Bush am 17. November 2001 die Radioansprache hielt und explizit den Krieg gegen den Terror mit dem Kampf um Frauenrechte verknüpfte: «Dank unserer jüngsten militärischen Erfolge in einem großen Teil Afghanistans sind die Frauen nicht länger in ihren Häusern eingesperrt. […] Der Kampf gegen den Terrorismus ist auch ein Kampf um die Rechte und Würde der Frauen». US-Außenminister Colin Powell spitzte in einer darauf folgenden Rede noch zu, dass die Rechte der Frauen in Afghanistan nicht verhandelbar seien. Bei der feierlichen Unterzeichnung des Afghan Women and Children Relief Act im Dezember 2001 hob US-Präsident Bush hervor, dass sich Afghanistan «im Krieg gegen die Frauen» befände. Das Weiße Haus nutzte eine laufende politische Kampagne, die bereits 1997 von der US-amerikanischen Feminist Majority Foundation gestartet worden war: «Stop Gender Apartheid in Afghanistan». 1998 protestierte sie gegen Unocal, eine amerikanische Ölfirma, die am geplanten Bau einer Pipeline in Afghanistan maßgeblich beteiligt war und die dafür einen entsprechenden Vertrag mit den Taliban geschlossen hatte. Die «Gender Apartheid»-Kampagne gewann an Fahrt, als Mavis Leno, die Ehefrau des Talkmasters Jay Leno, im März 1999 eine Gala mit Hollywood-Stars organisierte, um gegen die «Gender Apartheid» des Taliban-Regimes zu protestieren.
Vor dem 11. September 2001 fanden die Forderungen der US-Kampagne, die Frauenrechte in Afghanistan zu respektieren, zwar öffentliche, aber noch keine politische Resonanz. Mit Beginn des Krieges in Afghanistan änderte sich das: Sowohl die USA als auch Europa konnten mit der «Entdeckung der Frauenrechte» manche Friedens- und Frauenaktivistinnen als wichtige Bündnispartner für die militärische Intervention gewinnen.
Frauenrechte in den Medien
Die Kriegsberichterstattung zeigt, wie die Medien der Instrumentalisierung von Frauenrechten zuarbeiten. Die Rolle des Opfers ist zumeist weiblich besetzt. Damit wird implizit oder explizit nach einem Retter und Beschützer – diese Rolle ist traditionell den Männern vorbehalten – verlangt. Auch im Vorfeld des Afghanistankrieges dominierte diese Perspektive, die Frauen wurden vor allem als Opfer der Taliban gehandelt. Die Bildzeitung schreibt am 27. September 2001: «Talibankrieger vergewaltigen Afghanistans schöne Töchter.» ii
Die Burka, das Symbol der Frauenunterdrückung schlechthin, war in den Medien allgegenwärtig, mit der militärischen Intervention verschwanden diese Bilder mehr und mehr; die « Entschleierung» der Frauen wurde in Bild und Schrift schließlich mit ihrer Befreiung gleichgesetzt. Der Inszenierungscharakter der Bilder war oftmals offensichtlich. Komplexere Ursachen der Diskriminierung und der Gewalt gegen afghanische Frauen sowie Täter (jenseits der Taliban) werden bis heute wenig thematisiert.
Ob in der Berichterstattung über den Irak oder Afghanistan – Frauen sind zwar Adressatinnen von Hilfe und Unterstützung, ihre politischen Forderungen für eine Beteiligung an politischen und wirtschaftlichen Prozessen aber werden weniger aufgegriffen. Aufschlussreich ist auch, wer die Frauenrechte einfordert. Nicht selten sind es konservative Politiker, die «zu Hause» nicht gerade den Ruf genießen, sich für Emanzipation und «Geschlechterfragen» einzusetzen. Die «Befreiung der Frau anderswo» wird dann gerne eingebettet in den «westlichen Wertekanon» und in ein «Wir», das so tut, als hätten «Wir» nie für Geschlechtergerechtigkeit kämpfen müssen – oder als sei sie gar vollendet. Das schadet der Achtung der Menschenrechte mehr, als dass es ihnen zum Durchbruch verhilft.
Frauenrechte in der Zukunft
Völkerrechtlich wurde noch nie ein Einsatz mit der «Erzwingung» von Frauenrechten begründet, und das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Frauenrechte lassen sich mit militärischen Mitteln nicht durchsetzen. Frauen sind zwar von geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen besonders betroffen – ein « Spezialfall » der Menschenrechte sind sie deswegen aber nicht. Sie brauchen zuallererst politischen Willen – zum Beispiel durch die konsequente Umsetzung des UN-Übereinkommens über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), das eine große Mehrheit von Ländern ratifiziert hat. Zur politischen Legitimation militärischer Interventionen taugen Frauenrechte nicht. Die UN-Resolution 1820 leistet einen wichtigen Beitrag gegen geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen im Kriegsgeschehen. Und auch die Ächtung und Sanktionierung sexueller Gewalt setzt politischen Willen voraus. Brigadegeneral a. D. Helmut W. Ganser ist zuzustimmen, wenn er eine «ehrliche» Begründung für militärische Interventionen einfordert, wie er es jüngst auf einer Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung tat. Die Kriegs- und Sicherheitslogik hat mit Frauenrechten wenig am Hut. Das zeigt sich sehr schnell dann, wenn mit dem Argument «Sicherheit zuerst!» gerade die Rechte der Frauen und ihre politische Partizipation auf der Strecke bleiben.
i Klaus, E./S. Kassel (2008): «Frauenrechte als Kriegslegitimation in den Medien», in: Dorer, J.; Geiger, B. und R . Köpl (Hrsg.): Medien – Politik – Geschlecht: Feministische Befunde zur politischen Kommunikationsforschung, S. 276.
ii Dank an A. Nachtigall: Frauen(rechte) als Legitimation für militärische Intervention in den Medien, eine Recherche (2010) für das Gunda-Werner-Institut, unveröff.
Barbara Unmüßig
ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.
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