Der Einstieg in den Gender-Ausstieg? Durchblicke

Queer, feministisch und stolz darauf – selbst innerhalb der Heinrich-Böll-Stiftung nicht unbedingt eine Position, die frau_mann ohne weiteres vertreten kann. Auf Veranstaltungen werden wiederholt Stimmen laut, die eine angebliche Allgegenwärtigkeit des Themas Feminismus innerhalb der Stiftung wie bei den Grünen kritisieren, und in Frage stellen, dass es in dem Bereich - zumindest in „progressiven Kreisen“ - noch etwas zu erreichen gäbe.

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Winken post-gender Zeiten?

Von der AG Gender+ Feminismus im Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung

Queer, feministisch und stolz darauf – selbst innerhalb der Heinrich-Böll-Stiftung nicht unbedingt eine Position, die frau_mann (1) ohne weiteres vertreten kann. Auf Veranstaltungen werden wiederholt Stimmen laut, die eine angebliche Allgegenwärtigkeit des Themas Feminismus innerhalb der Stiftung wie bei den Grünen kritisieren, und in Frage stellen, dass es in dem Bereich – zumindest in „progressiven Kreisen“ - noch etwas zu erreichen gäbe. Geschlechtergerechte Sprache wird nach wie vor abgelehnt (warum muss das denn sein?) und AGs zum Thema Gender sind erklärungsbedürftig.

Dabei stellt der engagierte Mensch im Alltag, sei es auf der Suche nach Kita-Plätzen oder nach Wickeltischen in Männertoiletten, sei es in seinem Wunsch im selbstgewählten Geschlecht angeredet zu werden, immer wieder fest: es ist noch längst nicht alles erreicht – die post-gender Zeiten lassen weiterhin auf sich warten. Ob im Austausch mit den Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung, in Universitätsseminaren oder im Gespräch mit Freund_innen und Bekannten - es wird immer wieder deutlich, dass queer-feministische Fragestellungen ein unbequemes Randthema sind, das von vielen entgegen der Faktenlage als antiquiert und überholt erachtet wird.

Behauptungen, zu feministischen Forderungen wäre nichts mehr zu erreichen, werden nicht selten durch medienwirksame, alltagsweltliche Beobachtungen untermalt: Frauen hätten jetzt die Wahl zwischen Beruf, Familie oder beidem; die neuen „Opfer“ der Gleichstellung im vollen Vollzug seien sogar Männer und Jungen. Der Spruch „Feminismus ist Geschichte“ symbolisiert jedoch einen zutiefst antifeministischen Diskurs, der queere und andere marginalisierte Perspektiven ebenso außer Acht lässt, wie die Strukturebene. Feminismus bedeutet schon lange keine Mann-Frau Konfrontation mehr, vielmehr steht die Überwindung der Geschlechterkategorien und ihrer Rollenerwartungen in Verbindung mit weiteren Ausgrenzungsmerkmalen.

Die Vielfalt unsere Beiträge zeigt, dass den unterschiedlichsten feministischen Themen ein starker Gegenwind entgegenbläst: Lesbengeschichte wird von der allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung nach wie vor ignoriert; „natürliche Unterschiede“ werden auf ein naturwissenschaftliches Podest gestellt und damit unantastbar gemacht; Männer gründen neue Bünde zu ihrer Befreiung – vom Feminismus; auch in anderen Kontexten, wie im hispano-karibischen Teil der Welt, bleiben die zweigeschlechtlichen und heterosexuellen Normen starr. Mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz eines Lebensentwurfs über die traditionellen Geschlechtergrenzen hinaus ist in Argentinien und überall die Regel. In Vietnam kämpft der sozialistische Staat nicht nur mit den Pluralitäten von Geschlechtern, sondern auch mit der kommerzialisierten Vereinnahmung des öffentlichen Raums. Auf unserer international aufgespannten Landkarte der Auseinandersetzung mit den verschiedensten queer-feministischen Anliegen tragen Fotografie und Lyrik ihre ganz speziellen Sichtweisen bei – welche Geschlechter und Feminismen gibt es, wo - und wenn ja wie viele? Hat „der Feminismus“ eventuell sieben Leben wie eine Katze – plus eins, plus eins, …? Wir denken: ja! Deswegen dieses Journal.

Gemeinsam ist allen Artikeln die Feststellung, dass die Gender-Perspektive nach wie vor wichtig, aber leider immer noch nicht richtig in den Köpfen angekommen ist – geschweige denn in den Herzen (daran hat noch nicht mal die „Frauen“-Fußball-WM im „eigenen“ Land etwas geändert). Wir können sie aber als intersektionale Lesebrille wämstens empfehlen, weil dadurch diverse Sehfehler korrigiert werden.

Wir freuen wir uns sehr, durch dieses Magazin kritischen Stimmen ein Forum zu geben, die sich manchmal auch in der Heinrich-Böll-Stiftung marginalisiert fühlen. Wir danken ausdrücklich allen engagierten Autor_innen, Peer-Lektorierenden und anderweitig Involvierten, die in ihrer „Frei-“Zeit dieses, vorwiegend von Stipendiat_innen der Heinrich-Böll-Stiftung erstellte, Magazin möglich gemacht haben. Wir danken ebenso dem Gunda-Werner-Institut für die Bereitstellung ihrer Webseite als Forum und last but not least dem Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung, das durch die Finanzierung der AG-Treffen die Basis und Infrastruktur geschaffen hat.

An Einblicken mangelt es nicht. Die Ausblicke bleiben individuell Euch/Ihnen überlassen. Also Gender-Brille auf und durchgeblickt. Wir wünschen Euch/Ihnen eine aufschlussreiche, (innen- und außen-)weltverändernde Lektüre!

Eure/Ihre AG Gender+ Feminismus


(1) Wir verwenden den Unterstrich oder Gender Gap nach Steffen Kitty Hermann (2003).