Verortungen von Gender Equality– ein Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit

Indische Mutter kocht Tee für ihre Familie.
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Frauen leisten einen Großteil der „unbemerkten“ Arbeit

Care Arbeit – bezahlte wie unbezahlte – trägt massgeblich zum Wohlbefinden, zur gesellschaftlichen Entwicklung und zum Wirtschaftswachstum bei. Trotzdem wird diese Art des Wirtschaftens systematisch aus den Debatten der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ausgeklammert. Gemäss den Schlussvoten an der Gipfelkonferenz zu den Millennium Development Goals vom 22. September 2010 gilt Wirtschaftswachstum als absolute Notwendigkeit zur Halbierung und langfristigen Eliminierung von Armut. Die letzten 10 Jahre hätten gezeigt, dass dank Wachstum nationaler Ökonomien viele Menschen der Armut entfliehen konnten. Die Voten zeigten auch Ernüchterung. Es wurde unterstrichen, dass Armut weiter besteht, Arme ärmer geworden und trotz all der Gelder für medizinische Versorgung die Müttersterblichkeit in den armen Ländern der Sub-Sahara nicht genügend zurückgeht oder sogar stagniert (1). Weltweit sind Frauen und Mädchen immer noch stärker von extremer Armut betroffen als Männer.

Dieser Artikel geht der Frage nach, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der sich weiterhin öffnenden Armutsschere und der Tatsache, dass der produktive Wert der unbezahlten Care-Arbeit in den nationalen Ökonomien nicht erscheint. Weder die Bruttoinlandsprodukte noch die öffentlichen Haushalte widerspiegeln den Wert und die Produktivität von Care – dies ungeachtet der Ungleichverteilung der Kosten der personenbezogenen Dienstleistungen und den „schönen politischen Zielen“ der Gleichstellung. Dies gilt überall, doch kombiniert mit grosser Armut wirkt sich dies in den Ländern des „Südens“ besonders extrem aus. Umso wichtiger ist es, dass die EZ von der Sorgearbeit und den darin verankerten Ungleichheiten ausgeht. An konkreten Beispielen soll gezeigt werden, wie mit den Herausforderungen umgegangen werden kann, um diesen Prinzipien einer gerechten EZ näher zu kommen.

Die EZ unterstützt Wirtschaftsprogramme, die den Armen in den Ländern des „Südens“ den Zugang zum Markt und zu Einkommen verbessern sollen. Sie fördert die Kompetenzen der lokalen Fachkräfte, damit diese ihr Wissen weitergeben können. Sie fördert institutionelle Prozesse, damit Diskriminierungen abgebaut und der Zugang zu qualitativ guten Dienstleistungen möglichst für alle besteht. Die Menschen sollen so ihren Lebensunterhalt verbessern und ihr Wohlbefinden stärken können, ihre Stimme soll an Gewicht gewinnen. Dank vieler Initiativen von Seiten lokaler NGOs, internationaler ExpertInnen und nicht zuletzt Bestrebungen der UNO, gemäss CEDAW (2) geschlechterspezifische Diskriminierung zu überwinden, sind Frauen gezielt ins Blickfeld der Wirtschaftsförderung gerückt. Heute zeigt sich deutlich, dass nicht so sehr die Frauenrechte, als vielmehr die Wachstumsvorstellungen neoliberaler Ökonomien leitend waren. Frauen wurden als „gute Unternehmerinnen“ entdeckt und als Motor für Wirtschaftswachstum identifiziert, ganz im Sinne des Smart Economics-Konzeptes der Weltbank (3). Wirtschaftsförderung ist ein wichtiger Ansatz der Armutsbekämpfung, der auch Geschlechterungleichheiten minimieren kann. Dies geling allerdings nur, wenn die gängigen Modelle hinterfragt, die Artikulationsformen von Geschlechterverhältnissen und wirtschaftlicher Armut entflochten werden. Entscheidend dabei ist, ob und wie Care, der Mehrwert von Sorgearbeit und die ungleiche Verteilung der Erbringung dieser Leistungen systematisch in die Konzepte der Entwicklung integriert werden.

Handlungsleitende Bilder des Südens

Mit ihren Interventionen greift die EZ in die Organisation des Haushaltens ein, sie beeinflusst die Bedingungen, unter welchen Frauen und Männer ihren Lebensalltag bewältigen, sie verändert die institutionelle Landschaft, in der Armut geformt wird. Sie wirkt ins Innerste der Familien in all ihren unterschiedlichen Formen, in jedem Fall aber als zentrale Institution für die Zufriedenstellung der Sorgebedürfnisse. Damit nimmt auch die EZ Einfluss auf die Art und Weise, wie sich die Mitglieder einer Familie untereinander und zwischen den Haushalten organisieren, wie sie sich unterstützen, Beziehungen pflegen, Rollen aushandeln. Die Frage ist, wie gezielt dies geschieht und wie relevant die Wirkung für die eigentlichen Interventionsziele ist. Auf jeden Fall kann aufgrund der Geschichte der Beziehungen des „Nordens“ zum „Süden“ davon ausgegangen werden, dass beim Kategorisieren und Einordnen auch exotisierende Bilder und kulturalisierende Unterstellungen zum Tragen kommen. Diskurse über Armut sind denn auch gespickt mit neokolonial anmutenden Bildern, wobei Frauen und Kinder offenbar einen besonders hohen „Gebrauchswert“ haben, sei es um Interventionen zu erklären oder Geldmittel zu gerieren. Verwunderlich ist eher, dass es trotz Gender Mainstreaming (oder gerade deswegen) zu keiner Verschiebung gekommen ist: Die von Biologismen geleiteten Stereotypisierung der Frauen und die Betonung ihrer besonderen Fähigkeiten ist oft entscheidend bei der Ausrichtung von Programmen mit Gleichberechtigung als Querschnittsthema.

Solche Bilder über Frauen im „Süden“ versperren aber den Blick auf die Realitäten der  Frauen und auf das, was sie für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung effektiv leisten, unbezahlt, unbemerkt, unverzichtbar. Immerhin ist es dank dem Engagement vieler Frauenorganisationen (4), dank Empowerment-Projekten und Gender Mainstreaming gelungen, auf bestimmte Probleme hinzuweisen und die Handlungsfelder der EZ dahingehend zu gestalten:

  • Frauen leisten einen Großteil der „unbemerkten“ Arbeit, die sichtbar gemacht und in die Projekte einbezogen werden muss. Mittels geeigneter statistischer, analytischer, partizipativer Methoden wird erfasst, wie viel Zeit brauen (und Männer) wozu brauchen, um mindestens zu verhindern, dass Projekte den Frauen zusätzliche Lasten aufbürden.
     
  • Frauen haben viel Wissen und Erfahrungen, die in von Männern dominierten technischen Projekten selten gehört werden. Es braucht darum nicht nur Organisationsspielräume und politische Strukturen, die ihre Mitwirkung garantieren,  sondern es braucht Gouvernanzprogramme, mit welchen dieses frauenspezifische Wissen gezielt abgeholt werden kann. 
     
  • Frauen halten oft unter schwierigsten Bedingungen den Haushalt aufrecht. Gender Mainstreaming hat dazu geführt, dass Entwicklungsagenturen in Infrastrukturprojekte investieren, die die Alltagsarbeit der Frauen erleichtern, wie zum Beispiel Wasseranschlüsse.
     
  • Geld wird immer wichtiger, auch in abgelegenen Gebieten. Die EZ-Agenturen antworten darauf mit Programmen zur wirtschaftlichen Entwicklung, die darauf abzielen, dass Kleinbauern mittels Wertschöpfungsketten Zugang zum Markt erhalten. Einkommensförderung und Mikrofinanzprojekte richten sich explizit auch an Frauen, um – im Sinne der Pekinger Aktionsplattform – ihre wirtschaftliche Handlungsmacht und Unabhängigkeit zu stärken.

Das sind Erfolge, ohne Zweifel, und viele Projekte können gute Resultate bezüglich der aktiven Teilnahme von Frauen in der Wirtschaft sowie bei der Einkommens- und Konsumsteigerung vorweisen. Dennoch lässt sich generell feststellen – und auch die kürzlich veröffentlichte Studie von UNRISD bestätigt dies (5)  – dass Care, die unbezahlten personenbezogenen Dienstleistungen in Haushalt und Gemeinwesen, nicht als produktive Arbeit verstanden wird (sondern höchstens als reproduktive), und damit nicht als Mehrwert schöpfend und relevant für die Makroökonomie eines Landes gilt. Diese konzeptuelle Lücke birgt Gefahren, die sich letztlich in der Entwicklung und Armutsbekämpfung niederschlagen.

Ist Wirtschaftsförderung der EZ care-voll?

Die Analyse der Wirtschaftsförderung zeigt besonders deutlich, welche Rolle Care-Arbeit spielt und inwiefern deren Vernachlässigung durch die EZ ein Grund sein könnte, warum die Hierarchie der Geschlechterverhältnisse trotz Gender Mainstreaming Bestand hat, warum Armut nur symptomatisch bekämpft wird und schliesslich warum sich Bilder und Diskurse über den „Süden“ so hartnäckig halten. Das Tätigkeitsfeld der EZ und insbesondere der Wirtschaftsförderung kann umschrieben werden als Förderung des „Armenmarktes“ (Market for the Poor), dessen Zweck es ist, die Zielgruppen der EZ mittels Wirtschaftsförderprojekten zum Beispiel in Wertschöpfungsketten, in Vertragsarbeiten oder in Finanzsysteme zu integrieren und sie so von den Fesseln der Armut zu befreien. Mittels Krediten, Technologien, Wissen soll also der ländlichen Bevölkerung der Zugang zum Markt erleichtert und nicht nur ihre Produktivität, sondern vor allem ihre wirtschaftliche Teilnahme verbessert werden. Die Monetarisierung des Alltags lässt den Druck steigen – auch auf die Menschen, die bisher kaum in die Zyklen der kapitalistischen Wirtschaft integriert waren. Wertschöpfungsketten gelten als viel versprechend, weil sie auch KleinstproduzentInnen einbinden können. Die ersten, die profitieren, sind jene Kleinbauern, die bereits eine aktive Rolle in den lokalen Märkten spielen. Frauen bleiben oft ausgeschlossen, denn ihre landwirtschaftliche Tätigkeit dient überwiegend der Subsistenz, ist meist nicht marktorientiert und nach den Prinzipien der Wachstumslogik dann auch nicht produktiv. Der Wandel hin zu mehr Gender-Sensitivität hat sich aus verschiedenen Gründen vollzogen, dabei hat die auf der Pekinger Plattform basierende Forderung von Frauenorganisationen nach ökonomischer Unabhängigkeit für Frauen sicher eine zentrale Rolle gespielt. Des Gender Mainstreaming hat sich aber auch die Weltbank bedient und mit dem „Smart Economics“-Konzept (6) die Produktivkraft „Frau“ wiederentdeckt (7).

Marktanalysen, die solchen Programmen jeweils vorangehen, sollen die geschlechterspezifischen Möglichkeiten in Erfahrung bringen und Bedingungen des Umfeldes analysieren. Erfolgsgeschichten von Kleinunternehmerinnen zeigen, dass Frauen „Karriere“ machen können und dass es sich lohnt, die Bedingungen dementsprechend zu gestalten, dass die produktiven Kräfte der Frauen sinnvoll, für den Markt profitabel eingesetzt werden können. Frauen wird ökonomisches Handeln möglich, sie werden zu aktiven Marktteilnehmerinnen. Konkret kann Gender Mainstreaming bedeuten, neben Fleisch auch Milch, neben Getreide auch Gemüse zu vermarkten und ergänzend zu Produkten, die traditionell Männer erzeugen, auch solche  zu fördern, die von Frauen angebaut und produziert werden, wie beispielsweise Karité- oder Sheabutter im subsaharischen Afrika.

In Georgien werden Frauen als Produzentinnen von Milch, Käse, Gemüse in den Markt integriert und können sich dadurch ein Einkommen sichern, das ihnen Unabhängigkeit nicht nur von den Männern, sondern auch von den schwankenden lokalen Bedürfnissen sichert. Denn die vom Projekt engagierten Unternehmen garantieren Preis und Abnahme. Die Milchproduzentinnen liefern die Rohmilch an die von Frauen geleitete Sammelstelle ab. Der Literpreis ist fest, dies gilt auch beim Weiterverkauf der gekühlten Milch an die Käsefabrik. Die Resultate werden durchaus positiv eingeschätzt, das heisst die Frauen verfügen nun über ein kleines Einkommen und haben mehr freie Zeit, die sie vorher benötigten, um Käse herzustellen und diesen auf lokalen Märkten zu verkaufen. Im Bericht eines Projektes, das auf seine genderspezifischen Auswirkungen hin evaluiert wurde, steht, dass der Direktverkauf der Rohmilch die Frauen von der aufwändigen und dabei wenig profitablen Käseherstellung zu Hause befreit habe. Damit hätten sie mehr Zeit mit den Kindern, was dem Wunsch vieler Frauen entspreche (8).

Was bedeuten solche Projektverläufe tatsächlich für die Frauen? Das vorangegangene Beispiel zeigt: Aus einer geschlechterpolitischen bzw. Care-Perspektive sind diese Ergebnisse sehr ambivalent. Einkommensförderung für Frauen ist wichtig, die Stärkung der lokalen Märkte ebenfalls, denn damit werden die Bauern unabhängiger von weltmarktbedingten Preisschwankungen. Ebenso wichtig ist die bessere Verfügbarkeit der knappen Ressource Zeit. Auf den ersten Blick ist die Einschätzung richtig, dass diese Frauen Gewinnerinnen sind –sie brauchen das Geld ebenso wie ihre Männer, wenn nicht mehr, da sie oft für die regelmässig anfallenden Haushaltsausgaben zuständig sind. Klar ist auch, dass Bargeld für Haushalte wichtiger geworden ist, besonders dort, wo Strukturanpassungen zum fortwährenden Abbau öffentlicher Dienstleistungen führen. Die wirtschaftliche Stärkung der Frauen kann zwar  zu ökonomischem Empowerment führen, dennoch bleibt die Frage der strukturellen Ungleichheiten bezüglich der Arbeitsaufteilung, der unterschiedlichen Wertschätzung von Arbeit, der geschlechterspezifischen Rollenverteilung und daraus resultierenden Verantwortlichkeiten, der systembedingten Gender-Diskriminierungen unbeantwortet. Dies gilt trotz der zahlreichen Geschichten von Frauen, die dank unternehmerischer Tätigkeiten einen Weg aus der Armut gefunden haben.

Mit einem feministischen Ansatz wird nach den benötigten Ressourcen gefragt, um sicherzustellen, dass die Kuh Milch gibt, die Kraft zum Melken vorhanden ist, das Essen bereit ist, die Kinder gesund sind und zur Schule gehen, kurz: um einen Lebensstandard zu erhalten, der Wohlbefinden generiert. Und es wird gefragt, wie viel dieser Arbeit von Frauen gemacht wird. Um diese Fragen zu beantworten, braucht es eine Analyse der Wertschöpfung und der Akkumulation. Welcher Arbeitsaufwand bringt wie viel Einkommen, wozu reicht dieses, welche Ausgaben müssen getätigt werden, was bleibt zum Sparen? Wie viel kann ein ländlicher Bauernbetrieb in Kühe, Land, Räumlichkeiten oder gemeinsam in Maschinen investieren, oder braucht er  Cash, um Konsumgüter zu kaufen, um die steigenden Kosten für die medizinische Grundversorgung zu decken, um neue Steuern oder Schulgelder zu bezahlen? Wie stark sind Frauen und Männer in den Entscheidungsprozess eingebunden und wie relevant ist die Ausgabenverteilung für die Alltagsbewältigung von Frauen und Männern gemäss deren Rollenverteilung und Zeitbeanspruchung? Es mag sein, dass allein das Einkommen die Frauen wirtschaftlich stärkt und ihnen auch im eigenen Umfeld eine Stimme gibt. Offen bleibt indes, inwieweit sie auch am Profit der Käserei teilhaben, den sie mit ihrer (unbezahlten) Arbeitskraft mit erwirtschaften.

  • Die Tatsache, dass sie sich als Arbeiterinnen im Betrieb oder als Produzentinnen im ersten Glied der Kette engagieren, bedeutet noch keine gerechte Aufteilung des Gewinns. Die Ökonomisierung traditioneller Hausarbeits- und Versorgungstätigkeiten wie die selbstversorgende Landwirtschaft bzw. deren marktwirtschaftliche Wertsetzung kann zu massiven Folgekosten zu Ungunsten der innerfamiliären Sorgetätigkeiten führen. 
     
  • Die Tatsache, dass die Frauen ein gesichertes Einkommen haben, bedeutet nicht, dass dieses dem Mehrwert der unbezahlten Arbeit entspricht, welche die Frauen leisten, damit überhaupt Kühe gemolken und Käse gemacht werden kann. Letztlich ist es der Lebensstandard, die sich öffnenden Optionen, die darüber Aufschluss geben, ob Frauen sich einigermassen gesund und gestärkt behaupten können und dies als Produzentinnen mit gerechter Gewinnbeteiligung.

Ob Frauen ihre „gewonnene Zeit“ für unbezahlte Care-Arbeit (z.B. freie Zeit mit Kindern verbringen), mit politischen Aktivitäten oder Bildung verbringen, hängt weitgehend davon ab, wie Care organisiert ist, unter welchen Bedingungen die personenbezogenen Dienstleistungen erbracht werden, ob bezahlt oder nicht, ob öffentlich zugänglich oder privat. Es sind massgeblich die vier institutionellen Systeme Haushalt/Familie, Markt, Staat und der Nonprofit-Sektor, welche in komplexer Weise interagieren, ohne dass die Funktionsteilung jeweils klar abgetrennt oder statisch wäre. In diesem “Care-Diamant“ (9) kommt dem Staat eine besondere Rolle zu, denn er ist nicht nur ein Erbringer entwicklungsrelevanter Leistungen, er ist auch entscheidungsmächtig betreffend der Rechtsansprüche und Verantwortlichkeiten der anderen Institutionen.

„Whether and how the state makes use of its role is fundamental for defining who has access to quality care and who bears the costs of its provision. The effective creation, regulation and funding of care services can increase the access, affordability and quality of care and reduce time burdens placed on unpaid care-givers. Parental leaves, family allowances and other transfers can be financed through taxes or social insurance programmes, thereby socializing some of the costs assumed by unpaid care-givers” (10).

Damit personenbezogene Dienstleistungen zum Wohlbefinden aller und damit zu einer gerechten Entwicklung beitragen, braucht es Zeit und materielle Ressourcen, Einkommensmöglichkeiten (bezahlte Arbeit), Infrastruktur und Technologie, um den Aufwand für unbezahlte Arbeit da zu verringern wo es technisch möglich ist. Und es braucht garantierte Leistungen in Gesundheit und Bildung, die die unbezahlte Sorgearbeit ergänzen. Gerade in Ländern, in denen die EZ mitsteuert, sind diese Grundvoraussetzungen selten gegeben. Somit fällt auch der EZ eine Verantwortung zu, die Politik in diesem Sinne zu beeinflussen, gerade auch was die Zusammenarbeit zwischen Privatsektor und Staat bzw. dessen Regulationsfunktion anbelangt. Die EZ kann und soll die Brennpunkte der Care-Ökonomie aufzeigen und ihre Strategien danach ausrichten.

Brennpunkte der EZ

Ob Frauen besser wirtschaften, Kredite disziplinierter zurückzahlen, besser investieren, als Konsumentinnen den Markt mehr beflügeln als Männer, ist fraglich – kann aber sein. Die EZ hat die Strategie übernommen, die in der Privatwirtschaft gilt, nämlich da zu investieren, wo der Profit grösser ist. Die EZ sollte sich aber nicht in erster Linie um das Wachstum der Märkte kümmern, sondern Armut bekämpfen, soziale Integration fördern und Geschlechterdiskriminierungen eliminieren. Dabei geht es ebenso um die Organisation des Alltags auf der Mikroebene (Dienstleistung, Infrastruktur, Einkommen) als auch um die Umverteilung des Mehrwertes, der durch Arbeit geschöpft wird. Für Wertschöpfungsketten bedeutet ein feministischer EZ-Ansatz dann  einerseits, dass Frauen gleichermassen Zugang zu Arbeit und Einkommen haben, ihre Arbeitsbedingungen grundrechtskonform und die Entlohnung gerecht ist und die Bedingungen für unbezahlte Care-Arbeit verbessert werden. Andererseits bedeutet eine Care-volle Vorgehensweise auch die gerechte Umverteilung des in der Wertschöpfungskette akkumulierten Kapitals. Fiskalpolitische Entscheidung sind ebenso wichtig wie die Bedingungen, unter welchen der Privatsektor Mehrwert schöpft und abschöpft. Weil dem Staat als finanzpolitischer Entscheidungsträger die zentrale Rolle zukommt, sollen vor allem staatliche EZ-Akteure darauf schauen, dass die öffentlichen Budgets die Entwicklung gerechterer Geschlechterverhältnisse unterstützen.

Die Erfahrung zeigt allerdings oftmals das Gegenteil: Eher wird dort investiert, wo eine direkte Produktionssteigerung zu erwarten ist, zum Beispiel in neue Maschinen, mit welchen die Milch schneller ein Marktprodukt wird. Investiert wird in den Ausbau des Unternehmens, um mehr Käsesorten zu produzieren, der Gewinn fliesst in eine Kraftfutterfabrik, mit dem Ziel, die Produktivität der Kühe zu erhöhen. Gewinnmaximierung ist ein verständliches Ziel, schliesslich operieren die Unternehmen nach marktwirtschaftlicher Logik. Es ist aber die Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass Rechtgleichheit gewährt und die Verantwortung wahrgenommen wird. Nur so kann auch verhindert werden, dass die Sorgearbeit, die weder rationalisiert noch beschleunigt werden kann, entsprechende Wertschätzung erfährt. Heute wird der Anteil von bis zu 70% dieser unbezahlten Sorgearbeit von Frauen geleistet und diese Tatsache muss Ausgangspunkt für eine EZ sein, die sich für Geschlechtergerechtigkeit stark macht.

Die Schlüsselprinzipien einer solchen Zusammenarbeit sind die Garantie der Rechte von Menschen als Sorgende und Besorgte, eine gerechte Verteilung der personenbezogenen Dienstleistungen in der gesamten Gesellschaft, die professionelle, anständig bezahlte und solidarische Unterstützung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure. Solche Programme integrieren Angaben zu den Bedingungen, unter welchen sich die Frauen mit dem „anderen Wirtschaften“ beschäftigen, zu den unbezahlten (zeitaufwändigen) Leistungen zuhause und in der Nachbarschaft, zum Ver- und Umsorgen von Menschen, die dies nicht eigenhändig tun können. Und es braucht ein klares Profil dessen, was von Seiten des Staates nötig ist, damit solche Bedingungen eingehalten werden. Versatzstücke aus ethnographischen Alltagsdarstellungen sind dabei eher hinderlich, da sie den Blick auf die ökonomischen Verhältnisse der Sorgearbeit trüben und von den entscheidenden Fragen der Umverteilung ablenken. Die Mikrowelt der Projekte gibt zwar Hinweise, diese müssen aber in einen grösseren Rahmen makroökonomischer Prozesse gestellt werden, um Hintergründe und Folgen verstehen zu können. Das ist denn auch die grösste Herausforderung für einen feministischen Genderansatz, der nicht nur die Unterschiede feststellt, sondern die Grenzen verschieben hilft.

Während Gender Mainstreaming in den einkommensorientierten Ansätzen auf das Zählen der begünstigten Frauen (und Männer) fokussiert und individualisierte Erfolgsgeschichten der Frauen als Marktteilnehmerinnen erzählt, nimmt der Care-Ansatz das Geflecht von Strukturen und Prozessen unter die Lupe, die darüber Aufschluss geben, wie die Leute sich untereinander, ihre Arbeit, ihre Zeit organisieren und wirtschaftliches und soziales Wohlbefinden generieren. Der Perspektivenwechsel ist entscheidend, wenn es darum geht, die Grenzen von Gender Mainstreaming und das Risiko der Instrumentalisierung der Geschlechterdifferenz zur Förderung der Wirtschaft zu erfassen und das Ziel der gerechten und nachhaltigen Entwicklung über die Wirtschaftsförderung zu stellen. Denn dieser Ansatz wird auch Geschichten von Ausgrenzung erzählen und nach den Gründen fragen, warum Markttüchtigkeit von Frauen in Wertschöpfungsketten das Care-Regime nicht grundlegend verändert, sondern bloss die Grenze der unbezahlten Care-Arbeit verschiebt.

Investitionen in Infrastruktur, allen zugängliche Bildungs- und Gesundheitssysteme, Gouvernanzansätze und lokale Initiativen, die demokratiepolitische Wert umsetzen und die Beteiligung der Frauen an politischen Prozessen verbessern, auf geschlechterspezifische Bedürfnisse abgestimmte Steuersysteme, transparente Rechenschaftslegung und geschlechterspezifische Budgetallokationen sind Möglichkeiten, die Voraussetzungen von Entwicklung geschlechtergerechter zu gestalten.

Schlussfolgerungen

Auch die EZ muss sich noch von Biologismen und Stereotypisierungen befreien, um Genderverhältnisse in ihren Zielländern wirklich zu verstehen. Der Care-Economy-Ansatz dekonstruiert diese Bilder, indem er auf die Bedingungen fokussiert, unter welchen ernährt, erzogen, angepflanzt, bezahlt gearbeitet wird, wo Geschlechterrollen geübt, zementiert, verändert werden. Solche Erkenntnisse müssen auch in die Wirtschaftsförderung einfliessen, sollen damit geschlechterspezifische Diskriminierungen abgebaut werden. Kritische EZ muss wenn immer möglich hinter die hegemonialen Bilder von Entwicklung schauen, um deren Bedeutung in der Erhaltung von ungleichen Machtverhältnissen auf die Spur zu kommen. Es braucht Raum, der eine Vielfalt ökonomischer Praktiken zulässt, für Frauen und Männer, um ihre Abhängigkeiten zu begrenzen. Die Fähigkeit und Bereitschaft, Mikroprozesse im Haushalt im makroökonomischen Kontext zu verorten und dessen Einfluss auf die Alltagsbedingungen zu verstehen, ist eine wichtige Komponente. In der konkreten Umsetzung sind es Investitionen in Infrastruktur und eine soziale Grundversorgung, die allen bedürfnisgerecht zugänglich ist. Solche Investitionen ermöglichen es den Menschen, mehr Zeit und Ressourcen für sich und andere zu generieren und Sorgearbeit leisten zu können. Weiter braucht es Möglichkeiten, jenes Einkommen zu generieren, mit dem ein anständiger Lebensstandard erreicht wird: wie durch bezahlte Arbeit oder ausreichende soziale Transferleistungen, letztere vor allem da, wo Sorgearbeit besonders zeitaufwändig ist. Sozialleistungen können jedoch ein gutes Angebot der Grundversorgung in Gesundheit und Bildung nicht ersetzen. Der Staat spielt dabei eine wichtige Rolle in der Abstimmung von Finanzierung, Regulierung und Dienstleistung. Je nach Kontext heisst das für die Alterspolitik, ein Rentensystem mit einer Langzeitbetreuung zu kombinieren oder aber gezielte Angebote zu finanzieren, welche die oft überforderten Grosseltern bei der Erziehung ihrer verwaisten Enkel unterstützen. Bestehende Sozialprogramme können verbessert werden, Schulangebote, Gesundheitszentren, subventionierte Transportmittel sind Ansatzpunkte. Dabei ist es wesentlich, diese Programme auf das Ziel auszurichten, die Voraussetzungen von Sorgearbeit zu verbessern und die Leistung der Sorgenden anzuerkennen und abzugelten. Arbeitsbedingungen und Arbeitsrechte müssen bedingungslos umgesetzt werden. Dabei spielen der Staat und die staatlichen Geber eine zentrale Rolle, denn sie bürgen letztlich für die Einhaltung der von ihnen unterzeichneten UNO-Konventionen – so auch der CEDAW. Unbezahlte Sorgearbeit kommt weder in der neoliberalen Logik von „Wachstum durch Gewinnmaximierung“ vor, noch im Ansatz des „Armenmarktes / Market for the Poor“. Sie wird als „weibliche Fürsorge“ allzu selbstverständlich vorausgesetzt. Es ist daher zentral, die Leistung durch unbezahlte Arbeit herauszustreichen:

„Care has important features of a public good whose contribution to economic growth, social development and social cohesion extends far beyond the individual care recipient. The costs of care must therefore be more evenly distributed among all members of society. In order to increase policy support for care-givers and care-receivers, care must emerge from the private realm and become a public issue. An important step in this direction is to make care work more visible through statistics as well as in public debates. Timely and regular indicators, such as those provided by time use surveys, are needed in order to monitor policy effectiveness in reducing and equalizing care burdens.“ (11)

(1) World Health Organization 2010: Trends in Maternal Mortality: 1990 to 2008

(2) UN-Konvention zur Überwindung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen, http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/cedaw.htm

(3) The World Bank is working to increase women’s economic opportunity by investing in better access to jobs, land rights, financial services, agricultural inputs and infrastructure. International experience has proved that support for a stronger role for women in society contributes to economic growth through improved child survival rates, better family health, and reduced fertility rates. Nevertheless, women still face many barriers in contributing to and benefiting from development. These include low investment in female education and health and restricted access to services and assets. www.worldbank.org

(4) Der Aktionsplan von Peking von 1995 gilt nach wie vor als wichtiger Referenzrahmen für Gender Mainstreaming und den Einbezug der Frauen und Frauenorganisationen in die Planung und Durchführung von Entwicklungsstrategien. Verbindlich ist die UNO Konvention CEDAW (UN Convention on the Elimination of all forms of Discrimination Against Women) von 1981 (http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/history.htm) die alle Unterzeichnerstaaten verpflichtet, regelmässig Rechenschaft abzulegen. Weitere Informationen unter www.unifem.org oder www.undp.org/women 

(5) D. Budlender, S. Razawi et al: “The social and political Economy of Care”, UNRISD, Genf 2010, und "Why Care Matters for Social Development". UNRISD Research Policy Brief no. 9, Genf 2010

(6) Siehe Fussnote 2, sowie die Kritik von Christa Wichterich (2006): Die neuen Smarties der Weltbank: Wettbewerbsfähige Frauen. In: Informationsbrief Weltwirtschaft&Entwicklung, W&E 12

(7) Mies, M. Hausfrauisierung, Globalisierung, Subsistenzperspektive. In: van der Linden, M. et al, Über Marx hinaus, Berlin 2009.

(8) Siehe dazu die Ausführungen in: Sabin Bieri und Annemarie Sancar, 2009, Power and Poverty, Reducing gender inequality by ways of rural employment? Dieser Artikel wurde für die ExpertInnenkonferenz von ILO, FAO und IFAD, April 2009 in Rom verfasst.

(9) Der Begriff des Care Diamond ist erläutert in einem Policy Brief von UNRISD (Why Care Matters for Social Development. UNRISD Research and Policy Brief 9, Geneva 2009) sowie in S. Razawi, The Political and Social Economy of Care in a Development Context: Conceptual Issues, Research Questions and Policy Options.Gender and Development Programme Paper No.3, UNRISD, Geneva 2007.

(10) UNRISD Rolicy Brief 9: S.2

(11) Siehe Fussnote 9