Bahrain
Heinrich-Böll-Stiftung: Frau Al-Khawaja, warum haben Sie begonnen, sich für Menschenrechte in Bahrain zu engagieren?
Al-Khawaja: Ich bin wohl als Menschenrechtsaktivistin zur Welt gekommen. Meine Eltern, besonders mein Vater haben mein politisches Bewusstsein entscheidend geprägt. Ich bin in Dänemark aufgewachsen, wo meine Familie im politischen Asyl lebte. Ich spürte, dass die Lage in Bahrain nach Aktivisten verlangte, nach Menschen, die bereit waren, Zeit und Energie in die Verbesserung der Situation zu investieren, Probleme zu lösen und den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu bereiten.
Wie hat sich die Lage der Menschenrechte in Bahrain in den vergangenen Jahren entwickelt?
In den Neunzigerjahren war die Situation in Bahrain instabil, während der Bahrain-Intifada starben an die vierzig Menschen. 1999 übernahm der jetzige König die Regierung und versprach, aus Bahrain eine konstitutionelle Monarchie zu machen und Reformen durchzuführen. Dieses Versprechen hielt er nicht. Stattdessen ernannte er sich zum König und schrieb eine neue Verfassung, die seine Autorität sicherte. Zudem bürgert die Regierung gezielt Ausländer aus Syrien, Jordanien und Jemen ein, um die religiösen Mehrheitsverhältnisse zu beeinflussen. Die Eingebürgerten sind Sunniten, Schiiten stellen aber siebzig Prozent der Bevölkerung. Das ist nicht nur ein Problem für die Schiiten, sondern für die gesamte Gesellschaft. Die eingebürgerten Ausländer sind der Herrscherfamilie gegenüber loyal und werden als Sicherheitskräfte eingesetzt, auch um friedliche Proteste zu unterdrücken. Dies trägt auch zu höherer Arbeitslosigkeit bei, da das Innenministerium der größten Arbeitgeber ist. Die Bahrainer fühlen sich diskriminiert. Eine bahrainische Familie muss bis zu zwanzig Jahre auf eine Sozialwohnung warten, die Eingebürgerten erhalten diese unmittelbar nach ihrer Ankunft. Dazu gibt es willkürliche Verhaftungen. Bei einer Razzia im August 2010 wurden etwa 500 Personen festgenommen, darunter über hundert Minderjährige. Erst letzte Woche hat die Regierung unter dem Druck der anhaltenden Proteste einige dieser Gefangenen freigelassen und beschlossen, den politischen Gefangenen Amnestie zu gewähren. Die entlassenen Häftlinge zeigten Spuren körperlicher Folter. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass noch 96 Personen in Haft sind und die Anklagen gegen die Freigelassenen nicht aufgehoben wurden.
Wer sind die Aktivisten in Bahrain? Gibt es darunter viele Frauen und junge Menschen?
An den aktuellen Protesten sind Frauen beteiligt. Frauen haben auch bereits an früheren Protesten teilgenommen. Sie tragen Gedichte vor, reden über ihre eigene Betroffenheit, diskutieren öffentlich über Politik. Ich bin beeindruckt von Mut und Entschlossenheit der Aktivistinnen. Aktivistinnen speziell auf dem Gebiet der Menschenrechte gibt es aber nur sehr wenige. Was die jungen Menschen angeht, haben die Proteste gezeigt, dass die Jugend nicht nur sehr aktiv ist, sondern auch gut organisiert. Junge Leute haben per Facebook zu den Protesten aufgerufen. Sie riefen zu Demonstrationen am 14. Februar auf, dem zehnten Jahrestag der Änderung der Verfassung durch den König, der sich damit zur höchsten Autorität des Landes erhoben hatte. Die Leute auf dem Perlenplatz in der Hauptstadt Manama kannten sich zum Teil vorher nicht und haben sich erst dort zu verschiedenen Gruppen zusammengefunden.
Was sind Ihrer Meinung nach die vorrangigen Probleme bei der politischen Beteiligung von Frauen in Bahrain?
Das eigentliche Problem ist, dass wir kein rechtmäßiges Parlament haben. Es gibt nur eine einzige weibliche Abgeordnete. Sie hat das Amt jedoch nur erhalten, weil es in ihrem Wahlkreis keinen Gegenkandidaten gab. Ich denke, dass Frauen in Bahrain einander nicht genug vertrauen, um sich gegenseitig zu unterstützen, wenn sie für einen Sitz im Parlament kandidieren. Auch die politischen Parteien, die von Männern dominiert sind, spielen dabei eine große Rolle. Sie beeinflussen das Stimmverhalten.
Welche Rolle spielen die religiösen Spannungen bei den Protesten?
In den Fünfzigern, als noch religiöse Einigkeit herrschte, nahmen an den damaligen Protesten sowohl sunnitische als auch schiitische Geistliche teil. Die Proteste wurden von den Briten niedergeschlagen. In den vergangenen zehn Jahren verstärkte die Regierung die Kluft durch eine Gesetzgebung, die auf Spaltung und Unterwerfung ausgerichtet ist. Die Regierung deklariert jeden Protest zu einer schiitischen Angelegenheit. Sie versucht sogar, Sunniten davon zu überzeugen, ein Angriff auf die königliche Familie käme einem Angriff auf alle Sunniten gleich und dass die Sunniten dann eine bedrohte Minderheit sein würden.
Was wäre für Sie der erste Schritt in Richtung Veränderung?
Ich glaube, dass eine Regierung alle Menschen vertreten sollte, unabhängig von Überzeugung und Religionszugehörigkeit, einschließlich der Atheisten. Unsere Regierung ist der Ansicht, die Menschen würden nach ihrer Pfeife tanzen. Ich finde, dass diejenigen in der Regierung, die für die Morde, die willkürlichen Verhaftungen und Folter verantwortlich sind, vor Gericht gestellt und vom Premierminister, Kronprinz oder dem König verurteilt werden sollten.
Wie sollte in dieser Situation die Welt reagieren?
Die Demonstranten in Bahrain sind friedlich, trotz des unnötigen und übertriebenen Einsatzes von Gewalt durch die Sicherheitskräfte. Es ist wichtig, das öffentlich zu machen. Die internationale Gemeinschaft muss der bahrainischen Gemeinschaft Beistand leisten, damit die Situation nicht eskaliert. Wenn Länder wie Saudi-Arabien zur Unterstützung der Regierung herbeizitiert werden, könnte dies zu einem Blutbad führen. Für die tödlichen Angriffe auf friedliche Demonstranten sollte auch der König zur Rechenschaft gezogen werden.
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Maryam Al-Khawaja ist eine 23-jährige Menschenrechtsaktivistin aus Bahrain. Seit September 2010 leitet sie die Foreign Affairs-Abteilung am Bahrain-Zentrum für Menschenrechte.
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