Vier Gründe, warum Sie Polens Krieg gegen Abtreibung erschrecken sollte

Das fast totale Abtreibungsverbot ist nicht nur "Polen ist eben Polen". Diese Aktionen sind illegal, unmenschlich und könnten sich in ganz Europa ausbreiten - das ist erst der Anfang.

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roter Blitz auf Hoodie, getragen während einer Demo

Mit der Veröffentlichung des offiziellen Regierungsblatts trat letzte Woche Polens fast vollständiges Abtreibungsverbot in Kraft. Polnischen Krankenhäusern und Ärzt*innen ist es nicht mehr erlaubt, eine Abtreibung im Falle einer fötalen Anomalie durchzuführen. Solche Fälle machten bislang die große Mehrheit der Schwangerschaftsabbrüche in dem Land aus, das schon vor dem neuen Verbot das härteste Abtreibungsgesetz in Europa hatte - jetzt sind Abtreibungen nur noch in Fällen von Vergewaltigung und Inzest erlaubt und wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter gefährdet sind.  

Was jetzt in Polen passiert, sollte nicht nur als typisches Verhalten des polnischen Staates gesehen werden. Das ist nicht nur 'Polen ist eben Polen'. Diese Politik ist illegal, unmenschlich und könnte sich auch im Rest von Europa ausbreiten - das ist nur der Anfang.

Es ist illegal

Das polnische Verfassungsgericht, das das Anti-Abtreibungsurteil erlassen hat, ist selbst von höchst umstrittener Legitimität. Abgesehen von der Substanz des Urteils ist das derzeitige Gericht das Ergebnis eines politischen Machtspiels der regierenden PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit), die die früheren Richter*innen abgesetzt und durch Richter*innen ersetzt hat, die der politischen Agenda der Regierungspartei näher stehen. Die ehemaligen Richter*innen haben weder ihre Absetzung noch ihre neu eingesetzten Nachfolger*innen anerkannt.

Somit ist das Verfassungsgericht selbst Gegenstand grundlegender demokratischer Anfechtung in Polen, und die Europäische Kommission hat in ihrem laufenden Verfahren Bedenken geäußert, dass in Polen die Rechtsstaatlichkeit verletzt wird.

Was die jüngste Anti-Abtreibungs-Entscheidung betrifft, so war eine der neu ernannten Richterinnen des Tribunals vor ihrer Ernennung selbst eine der Politikerinnen, die den parlamentarischen Antrag unterschrieben hatten, der das Verfassungsgericht aufforderte, über die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Abtreibung im Falle einer fötalen Anomalie zu urteilen.

Es ist unmenschlich

Die Bestimmungen des Urteils gehen über die philosophische Frage von 'Recht auf Wahl' versus 'Recht auf Leben' hinaus. Mit dem Verbot der Abtreibung bei fötaler Anomalie mischt sich das Verfassungsgericht in medizinische Entscheidungen ein, die einer Frau und ihren Angehörigen in Absprache mit ihrer*m medizinischen Betreuer*in überlassen werden sollten.

Das soeben erlassene pauschale Verbot wird polnische Frauen dazu zwingen, einen nicht lebensfähigen Fötus bis zum Ende auszutragen, was unermessliche physische und psychische Schäden verursacht. Andere Bestimmungen des drakonischen polnischen Abtreibungsgesetzes sehen Gefängnisstrafen für diejenigen vor, die Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch helfen, darunter Ärzt*innen, Partner*innen und Familienangehörige.

Es gibt bereits einen Fall, in dem der Freund einer Frau zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, weil er seine Freundin ins Krankenhaus gefahren hatte, nachdem sie nach der Einnahme einer Abtreibungspille zu Hause starke Blutungen bekommen hatte.

Das ist erst der Anfang

Das aktuelle Abtreibungsurteil ist nicht das Ergebnis des Volkswillens, sondern eines illegitimen Verfassungstribunals, das das geschafft hat, was die PiS-Regierung 2016 mit ihrem Gesetzentwurf zum Verbot der Abtreibung nicht erreicht hat. Die Regierung hat den Abtreibungs-Bann nach massiven Protesten auf Eis gelegt.

Hinter der neuen Initiative verbirgt sich eine mächtige Organisation namens Ordo Iuris - Institut für Rechtskultur. Ordo Iuris bezeichnet sich selbst als unabhängige konservative Denkfabrik; in Wirklichkeit ist es eine extremistische religiöse Organisation und ihre Führer*innen haben ein Netz reaktionärer Organisationen in Polen und anderswo geschaffen.

Die Jurist*innen von Ordo Iuris entwarfen den Text des Gesetzentwurfs von 2016 zum Verbot der Abtreibung sowie andere Gesetzestexte, darunter Argumente für den Austritt aus der Istanbuler Konvention zur Gewalt gegen Frauen und Gesetzentwürfe, die eine umfassende Sexualerziehung kriminalisieren und die In-vitro-Fertilisation einschränken, sowie eine Charta, die Polens inzwischen berüchtigte "LGBT-freie Zonen" schuf.

Ordo Iuris ist in der Lage, solche Fortschritte zu machen, weil es die inneren Abläufe des polnischen Staates infiltriert hat. Zum Beispiel sitzt der Gründer von Ordo Iuris jetzt im polnischen Obersten Gerichtshof und andere Ordo Iuris Alumni besetzen wichtige Positionen in Regierungsministerien, der Wissenschaft, der Justiz und anderen öffentlichen Institutionen, einschließlich der Beratung des polnischen Präsidenten.

Es könnte sich auf den Rest von Europa ausbreiten

Polen dient als Testfeld für reaktionäre Ideen, die in andere Länder exportiert werden sollen. Investigative Journalisten haben aufgedeckt, wie Organisationen unter der Kontrolle von Ordo Iuris Dependancen in vielen EU-Mitgliedsstaaten errichtet haben. Diese Organisationen haben begonnen, die Situation in ihren eigenen Ländern mit denselben ultrakonservativen Agenden zu testen. In Kroatien war es die Istanbul-Konvention, in Estland war es ein Referendum über LGBT-Rechte und in Litauen die Abtreibung.

Dieselben investigativen Journalisten fanden heraus, dass Ordo Iuris Millionen von Euro ausgab, um diese ausländischen Tochtergesellschaften zu gründen - und jede von ihnen wird versuchen, dem nachzueifern, was sie als Errungenschaft in Polen ansehen. Und Ordo Iuris hat weitere Ambitionen. Am 29. Januar hat die polnische Regierung Aleksander Stępkowski, den Gründer von Ordo Iuris, formell als einen der polnischen Kandidaten für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgeschlagen.

Aus dem Englischen übersetzt von Ines Kappert