Politiker fordern die Rückkehr zur Wehrpflicht, Feuilletonisten machen sich lustig über angeblich zu weiche Männer: Der Ukraine-Krieg reaktiviert traditionelle Rollenstereotype
“Pesto schützt nicht vor Pistolen”, unter dieser provokativen Überschrift fordert der Münchner Autor Tobias Haberl im Spiegel mehr “Männlichkeit in Zeiten des Krieges”. Der Text steht symptomatisch für einen veränderten Tenor in den politischen Feuilletons. Essayisten monieren dort seit dem russischen Angriff auf die Ukraine die mangelnde “Wehrhaftigkeit” des deutschen Mannes. Dieser sei verweichlicht, beschäftige sich zu viel mit Kochrezepten und väterlichen Gefühlen, statt die althergebrachte Rolle des Beschützers einzunehmen.
Durch militärischen Drill geprägtes Mannsein hatte in Deutschland nach Faschismus und verlorenem Weltkrieg für lange Zeit ein extrem schlechtes Image - ein wichtiger Unterschied etwa zu den USA und erst recht zu Israel, wo archaische Elemente von Maskulinität ungebrochen hoch angesehen sind. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, wegen der Erfahrungen mit dem Nazi-Regime in der Bundesrepublik gesetzlich verankert, nahmen die Söhne und Enkel der Wehrmachtsangehörigen massenhaft in Anspruch. Als auch die bizarre Gewissensprüfung (“Was würden Sie machen, wenn Ihre Freundin im Park überfallen wird?”) abgeschafft wurde, entschieden sich männliche Jugendliche ganzer Gymnasialklassen für den Zivildienst. Sie verweigerten “per Postkarte”, waren danach häufig in pflegerischen oder erzieherischen Berufen tätig. Das förderte die Erweiterung ihres Rollenspektrums: Der Trend ging weg vom harten Kämpfer, hin zum soften, fürsorglichen Mann.
Jetzt kehren soldatische Leitbilder zurück. Vor allem konservative Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz fordern eine Wiedereinführung der Wehrpflicht - die vor gut zehn Jahren nicht abgeschafft, sondern, was kaum bekannt ist, nur ausgesetzt wurde. Im “Verteidigungsfall” kann der Staat also nach wie vor über die Körper junger Männer behördlich verfügen, sie in Kasernen “einziehen” und auf die Schlachtfelder schicken.
Der Militärdienst, in Deutschland mit der Integration in die NATO und der Gründung der Bundeswehr 1955 trotz Widerständen aus der Kriegsgeneration erneut etabliert, war stets eine kaum thematisierte Form männlicher Benachteiligung. Im gesellschaftlichen Konsens wurde der männliche Zwang zu “dienen” als eine Art Ausgleich im Geschlechterverhältnis betrachtet, mit der Last des weiblichen Gebärens moralisch verrechnet. Protest dagegen kam aus dem linken oder christlichen Pazifismus, später auch von eher rechtspopulistisch ausgerichteten Männerrechtlern. Der Verein MANNdat zum Beispiel, sonst für angeblich benachteiligte Jungs oder polemisierend gegen den “feministischen Gouvernantenstaat” unterwegs, veröffentlichte auf seiner Webseite das Tagebuch eines antimilitaristischen “Totalverweigerers”. Auch radikalisierte Trennungsväter, eine andere Strömung der maskulinistischen Szene, haben kein Problem damit, dass ihnen ausgerechnet die Rolle des Vaterlandsverteidigers vorenthalten wird. Ganz im Gegenteil verbittert sie vorrangig der beschränkte Kontakt zu ihren Kindern: Sie hadern, weil Familiengerichte sie von sorgenden und alles andere als soldatischen Tätigkeiten ausschließen.
AfD-Rechtsaußen Björn Höcke redet gerne über die fehlende “Maskulinität” deutscher Männer. Seine nun von bürgerlichen Leitartiklern aufgegriffenen Appelle, “mannhafter” zu agieren, stehen historisch in einer höchst problematischen Kontinuität. In der Weimarer Republik störten sich Reaktionäre und Rechtsextreme an der freizügig-queeren Atmosphäre etwa des Berliner Nachtlebens, Hedonismus untergrabe die traditionelle Männlichkeit und schwäche die Volksgemeinschaft. In dem von den Nationalsozialisten angezettelten Krieg kämpften deutsche Männer dann “hart wie Kruppstahl” für Frauen und Kinder.
In aufgeheizter Stimmung kehren solche Werte in die gesellschaftliche Mitte zurück. Spiegel-Autor Haberl, der ein ganzes Buch zum Thema geschrieben hat (“Der gekränkte Mann - Verteidigung eines Auslaufmodells”) wiederholt nicht zufällig das Narrativ rechter Kommentare zur Kölner Silvesternacht 2015, als Frauen von migrantischen Männern belästigt wurden: “Wo waren eigentlich die Freunde dieser Frauen? Am Ende fanden einige Schutz hinter dem Türsteher eines Hotels, einem im heutigen Kroatien geborenen Mann.” Bullige Alphatypen aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Boxweltmeister wie Wladimir Klitschko, inzwischen Bürgermeister von Kiew, als neue männliche Rollenmodelle?
Lange waren sie bestenfalls Objekte des Spotts: Posierende Machos, die sich im Bierzelt, am Ballermann oder im Stadion “daneben” benahmen. Mit nacktem Oberkörper grölten sie lautstark seltsame Lieder, tranken bis zum Koma. Solche Rituale waren nicht neu, sie fielen nur stärker auf, weil Männlichkeit vielfältiger geworden war, homogen geschlechtsspezifisch strukturierte Räume sich aufgelöst hatten. Auch Frauen gehen heute zum Fußball, und sie goutieren nicht unbedingt den Möchtegerngorilla auf dem Nachbarsitz.
Wird nun, in Zeiten des “Krieges in Europa”, alles anders? Einst zentrale Elemente früherer Männeridentitäten sind längst nicht mehr selbstverständlich. Der Familienernährer hat an Bedeutung verloren, seit seine Partnerin kaum weniger oder sogar mehr verdient. Hart schuftende Industriearbeiter verloren ihre Jobs, werden in der digitalisierten Ökonomie nicht mehr gebraucht . Im Callcenter, in Erziehung und Pflege und sogar bei der Polizei fordern Arbeitgebende inzwischen Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Kundenorientierung: Qualifikationen, die sie eher Frauen zutrauen. Für nachwachsende Jungen blieben Bildschirmhelden aus Film, Fernsehen und Computerspielen als männliches Vorbild.
Das starke Geschlecht, so die Forderung, muss wieder ganz real seinen Mann stehen. Ist die vieldiskutierte “Krise der Kerle” damit vorbei? Als die Zeit-Autorin Nina Pauer in den Nullerjahren über “Jammerlappen” und “Schmerzensmänner” herzog, war das im Kern eine Neuauflage der Softie-Schelte aus der Zeit der alternativen Bewegungen. “Die Brust des Mannes soll stark sein, aber wenn er mit stolz geschwellter Brust flaniert, wird er ruckzuck als Macho beschimpft”, schrieb damals Jonathan Widder in einer Replik auf die Klage von Pauer: “Sensibel soll er sein, aber sobald er seine Gefühle zeigt, wird er als weinerlich verspottet. Am besten soll er auch noch akzeptieren, dass die Frau das intelligentere, gefühlvollere und moralisch bessere Wesen ist - aber er darf darüber bitte nicht sein unverwundbares Selbstbewusstsein verlieren und seine wilde, männliche Stärke.”
Körperkraft, Risikobereitschaft oder Mut sind keine schlechten Eigenschaften. Sie können nicht nur in kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern auch im zivilen Leben sehr nützlich sein. Aber sie allein repräsentieren eben nicht die Vielfalt von Männlichkeiten, die von der Genderforschung bewusst im Plural diskutiert wird. Das modische Bashing des “Caretakers” ist vollkommen überflüssig. Wir brauchen kein neues, militärisch geprägtes Heldentum!