Die FDP will die Legalisierung der Eizellspende sowie der Leihmutterschaft. Doch wer verdient an Kinderwunschbehandlungen?
Deutschland streitet über eine mögliche Legalisierung von sogenannter Eizellspende und Leihmutterschaft. Bei der Eizellspende werden einer Person nach hormonaler Stimulierung unter Narkose Eizellen entnommen, um diese dann zu befruchten und einer anderen Person mit unerfülltem Kinderwunsch einzusetzen. Bei einer Leihschwangerschaft trägt eine Person ein Kind – entweder mit eigener oder körperfremder Eizelle – für eine andere Person aus.
Bei den Argumenten für und gegen die Legalisierung werden häufig die sogenannten Wunscheltern und Spender*innen oder Leihschwangere gegenübergestellt. Diese beiden Akteur*innen in den Blick zu nehmen ist wichtig. Jedoch finden unerfüllter Kinderwunsch und der Verkauf von Eizellen und Schwangerschaft nicht in einem luftleeren Raum, sondern innerhalb kapitalistischer Strukturen statt. Dementsprechend gehören zum ganzen Bild weitere Akteur*innen, die in der öffentlichen Debatte häufig unsichtbar bleiben: die Fertilitätskliniken und ihre Investor*innen, diejenigen also, die damit Geld machen.
Eine zentrale Frage in der Debatte ist daher: Wem gehören eigentlich die reproduktiven Technologien, die Eizelltransfers und Leihschwangerschaft ermöglichen? Denn natürlich bestimmen die Besitzverhältnisse die Zielstellung dieser Technolgien. Reproduktive Technologien könnten zum Beispiel als Teil des öffentlichen Gesundheitssystems unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Sie können auch von rechten Populist*innen wie Victor Orbán kontrolliert werden, der kürzlich Fertilitätskliniken nationalisierte, da er sie als „strategisch wichtig“ für die Nation einschätzt. Alternativ können sie marktförmig organisiert sein: Hier gibt es Kliniken, die im kleineren Stil profit-orientiert arbeiten oder aber auch transnationale Konzerne, die nicht nur Profit durch Fertilitätsbehandlungen eintreiben, sondern auch durch Finanztransaktionen.
Wer besitzt und kontrolliert reproduktive Technologien?
Reproduktive Technologien gehören zunehmend privaten Akteur*innen und werden von Finanzakteur*innen (mit-)kontrolliert. In Spanien generierten zum Beispiel die fünf größten Fertilititätsketten bereits im Jahr 2015 56% des gesamten Umsatzes von Fertilitätsbehandlungen. In Deutschland finden wir ein dreigliedriges System vor: Von den rund 150 Fertilitätskliniken sind die wenigsten an öffentliche Institutionen wie Uni-Kliniken angesiedelt. Ein großer Teil wird privatwirtschaftlich von Ärzt*innen geführt. Diese wirtschaften zwar, ähnlich wie viele andere Ärzt*innen, nach Profit, aber sind durch ihre kleine bis mittlere Größe in ihrer Marktmacht beschränkt. Anders sieht das bei der dritten, größer werdenden Gruppe aus: Transnationale Konzerne wie Fresenius-Helios, NextClinics, TFP und Amedes kaufen zunehmend Fertilitätskliniken auf. Sie können nicht nur durch ihre Größe den deutschen Reproduktionsmarkt prägen, sondern bringen auch den Aspekt der Finanzialisierung mit ein. Das bedeutet, dass Profit nicht mehr nur durch Behandlungen gemacht wird, sondern auch durch Finanztransaktionen, wie zum Beispiel durch Börsengänge oder die Beteiligung von Investmentfonds und Assetmanager*innen an der Ausrichtung der Reproduktionskliniken.
Ein Beispiel dafür ist der gerade erwähnte deutsche Konzern NextClinics, der laut eigener Aussage einer der größten europäischen Gesundheitsversorger ist. Um seine Expansion in den Fertilitätsbereich zu finanzieren, kooperiert er seit 2017 mit Oaktree Capital Management, einer der weltweit größten Investmentgruppen mit Sitz in den USA. Pressemitteilungen besagen: „In weniger als zwei Jahren hat sich NEXTCLINICS […] zu einem der Top-3-Anbieter auf dem Gebiet der assistierten Reproduktionstechnik (ART) in Europa entwickelt, mit 15 IVF-Kliniken in acht Ländern auf dem ganzen Kontinent.“ Dafür wurden „in den letzten 24 Monaten über 225 Millionen Euro in Europa investiert“.
Genaueres wissen wir über die Finanzen nicht, denn bei den Deals wurde jeweils „Stillschweigen vereinbart“. Der Einstieg eines weiteren deutschen Krankenhauskonzerns – Fresenius-Helios – in den Reproduktionssektor ist hier aussagekräftiger: ProA Capital (eine spanische Private Equity-Gesellschaft) kaufte 2010 die spanische Fertilitätsklinik Luarmia für 75 Millionen Euro zweier Ärzt*innen auf. Nur vier Jahre später wird sie von NMC, einem börsennotierten Gesundheitskonzern mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten, für 143 Millionen Euro aufgekauft, um dann 2017 von Fresenius-Helios gemeinsam mit anderen Fertilitätskliniken geschluckt zu werden[1]. Der Gründer der Helios-Kliniken, Lutz Helmig, der neben dem Gesundheitssektor in Luftfahrt, Maschinenbau, Versicherungen und Banken involviert ist, gehörte laut Lobbypedia 2017 zu den 10 größten Wahlkampfspender*innen der FDP. Die FDP ist die Partei, die sich insbesondere für die Legalisierung von Eizellspende und altruistischer Leihmutterschaft einsetzt.
Was bedeutet es wenn Kinderwunschbehandlungen kommerzialisiert werden?
Ein Blick auf die Realitäten am globalen Reproduktionsmarkt zeigt: Eine Debatte über die Folgen einer Kommerzialisierung und Finanzialisierung von Fertilität und Schwangerschaft steht dringend an. Drei Eckpunkte für die Diskussion:
Erstens, eine zunehmende Kommerzialisierung und Finanzialisierung von Reproduktion bedeutet potenziell auch eine zunehmende Kontrolle von Reproduktion durch Kapital. Auch wenn es einer besseren Datenlage über die Konsequenzen einer solcher Einflussnahme bedarf, ist klar: Investor*innen sind nicht nur in den Bereich der Fertilität und Schwangerschaft eingestiegen, um zu bleiben, sondern auch, um ihn zu verändern. In den Worten US-Amerikanischer Fertilitätsunternehmen heißt das wenig missverständlich „Reinventing Fertility“ und „redefining fertility and family building“, nämlich hin zu medikalisierten, marktgesteuerternWegen zu einem gesunden Baby zum perfekten Zeitpunkt. In Deutschland spricht NextClinics davon, „in nur zwei Jahren das Feld der künstlichen Befruchtung in Europa nachhaltig verändert“ zu haben.
Bei Eizellentransfers und Leihschwangerschaft geht es nicht nur um die ‚Reproduktionsarbeiter*innen‘, sondern auch um eine potenzielle Einflussnahme auf Reproduktionsbiographien zukünftiger Eltern. Denn mit hohen Investitionen in Reproduktionskliniken geht auch die Möglichkeit einher, Einfluss darauf zu nehmen, wann und wie wir schwanger werden – zum Beispiel über Lobbyarbeit und Parteispenden oder über selektive Investitionen. Werbung, wie und wann Kinder geboren werden sollten, bekommen diejenigen von uns, die von Algorithmen als geburtsfähig eingestuft werden, bereits heute über social media.
Zweitens, wenn Fertilität profitorientiert strukturiert wird, stellen sich Fragen über die Qualität von Behandlungen, sowie über die Arbeitsbedingungen derer, die die Arbeit machen – was u.a. Eizellspender*innen und Leihschwangere, Klinikpersonal und Laborangestellte betrifft.
Drittens, schwanger werden zu können, war biologisch gesehen schon immer ungleich verteilt. Doch auch die politische Frage, wer zur Schwangerschaft ermutigt (oder gar gezwungen) wird und wem Schwangerschaft abgesprochen (oder gar verunmöglicht) wird, ist nicht erst seit dem Aufkommen von Reproduktionstechnologien eine Frage. Vielmehr weisen u.a. Aktivist*innen für Reproduktive Gerechtigkeit[2] darauf hin, dass die Fähigkeit schwanger werden zu können und zu dürfen, stets mit Biopolitik und ökonomischen Interessen verknüpft war[3] und dass Reproduktion stratifiziert stattfindet[4].
Wenn wir also die Kommerzialisierung von Reprodutionstechnologien problematisieren, sollte nicht der Eindruck entstehen, dass die Kommerzialisierung und Stratifizierung von biologischer Reproduktion ein neues Phänomen sei. Gleichzeitig ist es wichtig zu verstehen, dass durch Reproduktionstechnologien neue Möglichkeiten entstehen. Dazu gehört die Frage, wessen Gene verkäuflich und wieviel sie wert sind. Zum Beispiel bekommen in den USA weiße Ivy League Student*innen ein bis zu 10faches für ihre Eizellen als andere Menschen. Dazu gehört auch die Frage, wer die Arbeit verrichtet und wer es sich leisten kann, Kinder zu haben. Eizelltransfers und Leihschwangerschaften werden nämlich größtenteils von marginalisierten Frauen (häufig im Globalen Süden) geleistet.
Queere Reproduktionsutopie oder marktgesteuerte Familienplanung?
Häufig wird abstrakt über die Legalisierung von Eizelltransfers und Leihschwangerschaft gestritten ohne die konkreten Strukturen zu problematisieren, innerhalb derer sie stattfinden würden.
Wie also könnte Eizelltransfer und Leihschwangerschaft in Deutschland organisiert werden? In der Theorie gibt es viele Möglichkeiten, darunter demokratische oder sozialistische Modelle einer queeren Reproduktionsutopie. Unter den aktuellen Gegebenheiten eines profitorientieren Gesundheitssektors ist es allerdings wahrscheinlicher, dass Investor*innen, Konzerne und Klinikketten bei der assistierten Reproduktion eine immer größere Rolle spielen werden.
Für die Arbeit der Regierungskommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und die sich anschließende gesellschaftliche Debatte über die Legalisierung von Eizelltransfers und Leihschwangerschaft, sollte die Frage von Kommerzialisierung und Finanzialisierung im Reproduktions- und Gesundheitssektor zentral werden.
Dabei sollte klar sein: Es ist durchaus möglich Eizelltransfers und Leihschwangerschaft an sich zu befürworten und gleichzeitig zu dem Schluss zu kommen, dass sie in der kapitalistischen, neo-kolonialen Welt, in der wir leben, nicht legalisiert werden sollten.
[1] Dank für die Recherche zu Fresenius-Helios geht an Zelda Wenner. Hier kann nachgelesen werden: https://sfb294-eigentum.de/de/blog/who-owns-and-controls-the-means-of-r…
[2] Reroduktive Gerechtigkeit wird in Deutschland unter anderem in dem Netzwerk Reproduktive Gerechtigkeit (https:/repro-gerechtigkeit.de/en/der-begriff/) diskutiert. Für eine Einführung zu reproduktiver Gerechtigkeit von einer der Gründer*innen, Loretta Ross, siehe: https://www.jstor.org/stable/10.1525/j.ctv1wxsth oder bezogen auf den deutschen Kontext: https://www.gwi-boell.de/de/2023/08/04/broschuere-reproduktive-gerechtigkeit
[3] Ein besonders gewaltsames Beispiel dafür wie Reproduktion und die Verwehrung reproduktiver Autonomie mit ökonomischen Motiven verstrickt sind, war die europäische und US-Amerikanische transatlantische Sklaverei. Siehe dazu unter anderem: https://escholarship.org/content/qt6vt8x3jj/qt6vt8x3jj.pdf & https://academic.oup.com/florida-scholarship-online/book/29047?login=true
[4] Das Konzept der stratifizierten Reproduktion legt dar, wie es Rayna Rapp und Faye D. Ginsburg 1995 in Conceiving the new world order : the global politics of reproduction formulieren, dass Machtstrukturen bewirken, dass es manchen Menschen stärker als anderen ermöglicht wird Kinder zu kriegen und groß zu ziehen. Dazu gehören u.a. Normen, Diskurse (z.B. die diskursive Abwertung migrantisierter Familien), direkte und indirekte Gewalt (z.B. Zwangssterilisationen und Sterilisation als Voraussetzung für wohlfahrtstaatliche Leistungen), sowie finanzielle Strukturen (z.B. das dreigliedrigere System des Kindergelds in Deutschland).