Antifeminismus in Nahost: Der Hass nimmt zu

Analyse

Konservative und rechtsextreme Kräfte orientieren sich immer stärker an westlichen Rechtsextremen, um die stärker werdenden feministischen Bewegungen im arabischsprachigen Raum zu bekämpfen.

Lesedauer: 17 Minuten
Illustration: Author of "Antifeminism in the Middle East: Hate is increasing"

Im vergangenen Jahrzehnt erlebten wir das bittere Ende der Januar-Revolution in Ägypten, der Revolution in Syrien und der Proteste vom 17. Oktober 2019 im Libanon. Unlängst mussten wir mit ansehen, wie der Sudan in einem bewaffneten Konflikt zwischen militärischen und paramilitärischen Kräften versank. All diese Ereignisse haben den letzten Hoffnungsschimmer, den diese Revolutionen geweckt hatten, erstickt. Gleichzeitig werden die feindlichen Stimmen gegen Feminismus, Frauenrechte und Menschenrechte im Nahen Osten und im Sudan immer lauter. Feministische Bewegungen bekommen die verheerenden Folgen der strengen Sicherheitsmaßnahmen der Regime zu spüren, die im Zuge der Revolutionen oder sozialen Proteste aufgebaut worden sind. Soziale und wirtschaftliche Zwänge schwächen die sozialen Bewegungen zusätzlich und erschüttern den Feminismus in seinen Grundfesten. Wichtige feministische Fortschritte wurden jäh unterbunden oder rückgängig gemacht – wie jüngst im Sudan und im Libanon und zuvor im Irak und in Syrien.

Internationale Stiftungen haben mit Interesse verfolgt, wie unsere regionalen feministischen Bewegungen aufblühten. Dank ihrer finanziellen Unterstützung konnten feministische Bewegungen sich vergleichsweise schnell entwickeln und zu einer einflussreichen Kraft innerhalb der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition werden. Es gelang der historische Übergang von einer Bewegung mit einer traditionell neutralen Haltung gegenüber repressiven Regierungen hin zu einer Bewegung mit einer entschlosseneren oder gar kämpferischen Haltung.

Die Zuversicht, dass Feminist*innen kaum Einfluss auf Gesellschaft ausüben, ist erschüttert. Umso größer ist der Hass auf sie.

Nach 2011 entwickelten Feminist*innen innovative Methoden, um sich zu organisieren, politische Kampagnen zu führen und sich thematisch weiterzuentwickeln. Auf diese Weise konnten sie die politischen Landschaften maßgeblich beeinflussen. Es gelang, feministische Themen von der subjektiven auf die allgemeine Ebene zu heben, insbesondere bei Lohngerechtigkeit, sexueller und körperlicher Gewalt, politischer Repräsentation, rechtlicher Diskriminierung, Personenstand sowie dem Verhältnis zwischen Körper und Sexualität insgesamt. Darauf jedoch folgte ein Backlash, in dem antifeministische und antiemanzipatorische Kräfte in einen offenen Konflikt mit dem wachsenden feministischen Diskurs und mit einer sogenannten „feministischen Front“ gerieten, die vom Atlantik bis zum Golf reicht und sich von den Straßen in die digitale Welt ausgebreitet hat. Natürlich gibt es Feindseligkeit gegenüber Feminist*innen, Frauen und anderen marginalisierten Gruppen seit langem. Doch die Art der Angriffe gegen Feminist*innen und ihre Überzeugungen hat sich in den vergangenen Jahren merklich gewandelt und eine neue Qualität erreicht – angeheizt durch den weltweiten Aufstieg der Rechten und ihrer Narrative.

Anti-Menschenrechtsbewegungen sind auf dem Vormarsch

Laut Definition der feministischen Organisation Association for Women’s Rights in Development (AWID) handelt es sich bei diesen „Anti-Menschenrechtsbewegungen“ bzw. Anti-Rights-Akteur*innen um höchst einflussreiche Institutionen und Gruppen, die sich gegen die weltweite Ausbreitung feministischer und queerer Bewegungen einsetzen. Mit selbst gemachten Aufklärungskampagnen kämpfen sie gegen etwas, das sie selbst als „Übel des Feminismus und der Homosexualität“ bezeichnen. Sie sind überzeugt, dass dieses „Übel“ die traditionelle Familie zerstört, um die aus ihrer Sicht naturgegebenen Rollen biologischer Männer und Frauen auf den Kopf zu stellen. Sie wollen geschlechtsangleichende Operationen unter Strafe stellen und zielen dabei insbesondere auf trans Menschen, denen sie kein kulturelles Geschlecht und kein Selbstbestimmungsrecht zugestehen.

AWID macht auf die Entwicklung globaler rechtsfeindlicher Gruppierungen aufmerksam, die zwar aus religiösen Bewegungen und rechtsextremen Parteien hervorgegangen sind, jedoch unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlicher Organisationen mit der Absicht agieren, die „natürliche“ Familie gegen feministische und queere „Verschwörungen“ zu verteidigen. Diese Gruppen sind in hochrangigen Institutionen wie dem Menschenrechtsrat in Genf bzw. New York vertreten. Sie nutzen diese, um Einfluss auf UN-Resolutionen und den Wortlaut von UN-Abkommen zu nehmen, insbesondere mit Blick auf sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung, Geschlechtsangleichung, den Kampf gegen religiösen Extremismus, die Rechte von LGBTIQ+ und vieles mehr.

Die Globale Rechte prägt den lokalen Hass im arabischsprachigen Raum

Im Nahen Osten gibt es zahllose Narrative, Framings und nationalistische Perspektiven, die Gemeinsamkeiten aufweisen mit Strategien von Anti-Frauen- und Anti-Menschenrechtsinitiativen. Es ist schwer, direkte oder offene Kooperationen zwischen diesen Gruppen nachzuweisen. Klarer werden die Gemeinsamkeiten aber in Hinblick auf Formen der Selbstorganisation und die verwendeten Narrative sowie die Wortwahl. Diese machen greifbar, wie die verschiedenen Erscheinungsformen einer erstarkenden Rechten weltweit zusammenhängen und welche wesentlichen und neuartigen Faktoren das regionale und lokale Klima beeinflussen und den Kampf gegen Feminist*innen in der Region angeheizt haben.

Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hat sich die konservative und antiliberale Rhetorik deutlich verschärft, die Türkei hat sich aus der Istanbul-Konvention zurückgezogen, die Rechte hat bei den Wahlen in Italien, Schweden und Polen gewonnen, Uganda hat ein Anti-Homosexuellen-Gesetz erlassen, das die Todesstrafe einführt, und in Russland ist der Hass gegen LGBTIQ+ und Feminist*innen auf dem Vormarsch – um nur einige folgenschwere Entwicklungen zu nennen. Kurzum: Die Rechte konnte sich grundlegenden Einfluss auf die politischen und juristischen Systeme in Europa und Amerika sichern. Ihre rechtsextreme Rhetorik stieß auch in den politischen und religiösen Institutionen des Nahen Osten und selbst bei nationalen liberalen Kräften auf Widerhall und lieferte ihnen Inspiration für eigene Angriffe auf Feminist*innen. Demgegenüber stehen international wirkmächtige feministische Debatten, die etwa mit der #MeToo-Bewegung auf eindrucksvolle Weise in Erscheinung getreten sind. Mit den Berichten über alltägliche Gewalt gegen Frauen in aller Welt hat diese Bewegung kraftvolle feministische Aktionen ausgelöst – darunter Demonstrationen gegen Abtreibungsgesetze in Polen und Argentinien –, mit denen Feminist*innen weltweit auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht haben.

In der Geschichte wurde immer wieder versucht, den Feminismus als Produkt des Kolonialismus darzustellen, um so eine Verbindung zwischen dem Kampf um Frauenrechte und der „Bedrohung aus dem Westen“ herzustellen. Es ist der bewusste Versuch, Feminist*innen an einer umfassenden Teilhabe am Alltagsleben und vor allem an politischen Bewegungen zu hindern und patriarchale Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Auch einige traditionell linke Parteien haben den Feminismus als Produkt des Kolonialismus und als Einmischung in Fragen der nationalen Unabhängigkeit diffamiert. Sie haben einen Zusammenhang zwischen Geschlechteremanzipation und dem Verrat der Arbeiterklasse oder der nationalen Sache hergestellt. Grund dafür scheint ihre Angst vor möglichen Veränderungen der politischen Praktiken zu sein, von Strukturen und historischen Deutungen, wenn Frauen, Feminist*innen und andere nicht gender-konforme Menschen einflussreichere Positionen einnehmen und sich dabei auf das Erbe von Frauen in politischen Bewegungen der Vergangenheit stützen.

Glücklicherweise gelang es feministischen Bewegungen im Zuge der politischen Dynamik, welche die Region seit 2011 erfasst hat, diese Rhetorik als randständig zu etikettieren und auch traditionell linke Parteien dazu zu bewegen, ihre Hassreden zu überdenken, und sogar linke feministische Parteien und Gruppen ins Leben zu rufen. Der Versuch, Feminist*innen wegen ihrer angeblichen Verschwörung zur Zerstörung des Familienlebens, der Religion und der natürlichen Rolle von Frauen und Männern anzugreifen, schlug also zunächst fehl. Doch der Hass setzt sich als Teil einer protektionistischen Haltung gegenüber Kindern, Frauen und der Nation weiter fort. Die bisherige Zuversicht, dass Feminist*innen nur einen geringen Einfluss auf Gesellschaft und Politik ausüben, ist im Kern erschüttert. Dies zeigen die Erzählungen über das „feministische Übel“, das Konflikte zwischen Ehemännern und Ehefrauen schürt, Familien zerstört und die „naturgegebenen“ und „notwendigen“ Rollen von Frauen untergräbt. Diese Narrative sind der Geisteshaltung und Logik der globalen Rechten entliehen. Selbst eine schnelle Online-Suche macht deutlich, wie sehr globale antifeministische Inhalte in lokalen arabischen Kontexten präsent sind.

Der Staat, religiöse Institutionen und Männer in der Krise

Der weltweite Kampf von Feminist*innen hat vielen Frauen bewusst gemacht, wie machtvoll lokales Engagement sein kann. Vor allem die Bilder von der weltweiten #MeToo-Bewegung haben das Potenzial einer breiteren feministischen Allianz vor Augen geführt, das weit über kleine lokale Gruppen hinausreichen kann.

Nicht weniger wichtig ist die Bewegung Frauen, Leben, Freiheit im Iran, die Feminist*innen in der gesamten Region inspiriert hat. Der Zusammenhang zwischen dem Kampf von Frauen für Gerechtigkeit und Gleichheit und dem Grundsatz von Gerechtigkeit und Gleichheit für alle ist greifbar geworden. Denken wir auch an die spontanen Solidaritätsbekundungen, öffentlichen Debatten und überwältigenden Reaktionen auf die Ermordung der jungen Palästinenserin Israa Ghrayeb durch ihre männlichen Familienmitglieder. Zu den wichtigsten Organisator*innen dieser Aktionen gehörten Freundinnen und weibliche Angehörige von Israa, die nicht zwangsläufig Feministinnen sind. Ihr Ruf nach Gerechtigkeit hat Proteste in der ganzen Region ausgelöst und die Palästinenserbehörde – gegen ihren Willen – zur Einleitung von Ermittlungen gezwungen. Die Ereignisse brachten Dutzende Fälle von Feminiziden in Palästina, im Libanon, in Ägypten und im Irak ans Licht, bei denen die Täter straffrei davongekommen waren. Darüber hinaus bildete sich die palästinensische Frauenrechtsbewegung Tali’at („Aufbegehren“), die sich dagegen einsetzt, den Widerstand gegen Femizide mit einem Verrat an der nationalen Sache gleichzusetzen – eine weitverbreitete Strategie, um Frauen zum Schweigen zu zwingen.

Dieses Momentum der kollektiven feministischen Rebellion, den das Schicksal von Israa ausgelöst hat, macht deutlich, dass es – wenn auch vornehmlich auf digitaler Ebene – eine einflussreiche und mächtige feministische Allianz gibt. Diese ist in der Lage, mehr Bewusstsein für Mord, Missbrauch und andere Formen der Gewalt zu schaffen, die Frauen erleiden, nur weil sie Frauen sind. Sie kann öffentliche Debatten anschieben, selbst Regierungen zum Handeln bringen und überträgt auf wirkungsvolle Weise die Verantwortung für den Kampf gegen Gewalt von rein feministischen Organisationen auch auf Personen, die sich nicht unbedingt als Feminist*innen verstehen. So lässt sich eine stärkere Verbreitung sogenannter feministischer Grundsätze in den Bereichen Gewalt, Belästigung, verantwortungsvolles Handeln und Diskriminierung feststellen. Diese Entwicklung macht für mich deutlich, dass die jüngsten Angriffe und Gewalttaten gegen Feminist*innen und queere Menschen in unserer Region auch der Angst vor dieser feministischen Allianz geschuldet sind.

Das Profil all derjenigen, die gegen die feministische Bewegung und ihre Grundsätze kämpfen, lässt sich ebenfalls umreißen. In vielen Fällen sind diese Gruppen eigentlich keine direkten Verbündeten, sondern berufen sich eher auf ihren gemeinsamen Hass gegen Feminist*innen. Nationale Regierungen sind maßgeblich an der Verbreitung von Hass und Gewalt beteiligt, wie das Vorgehen der Regierungen von Saudi-Arabien, Jemen, Katar, Kuwait und anderen Staaten im Verlauf der UN-Generalversammlung deutlich machte, als sie die Annahme der Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern verhindern wollten. Diese Regierungen sprechen sich gegen eine Erklärung aus, die sexuelle Gewalt entschlossen verurteilt – unter dem Vorwand, dass dieses Dokument die lokalen Sitten ihrer Länder missachte. Dies zeigt, zu welchen Schritten diese Regime bereit sind, um internationale Bemühungen zur Stärkung von Feminist*innen auf globaler und lokaler Ebene zu vereiteln.

Kriminalisierung von Feminist*innen

Saudi-Arabiens politischer Kurs der vergangenen sechs Jahre ist nur eines von vielen Beispielen, wie Staaten ein von antifeministischer Hetze geprägtes Klima schüren, indem sie zivilgesellschaftliche Aktionen kriminalisieren und feministische Ansätze als Gefahr für die staatliche Sicherheit verunglimpfen. Zu nennen sind hier Maßnahmen, wie die jüngste Reform des Systems der männlichen Vormundschaft, das Verbot, zivilgesellschaftliche Gruppen zu bilden, die fortdauernde Inhaftierung von Twitter-Aktivist*innen sowie die strenge Zensur digitaler Inhalte. Darüber hinaus erhalten antifeministische Inhalte mehr Raum in offiziellen digitalen Medien. Ein grundsätzlich rechtsfeindlicher Sprachgebrauch ist hier die Regel.

Ägypten ist ein herausragendes Beispiel für die staatliche Kriminalisierung feministischer Aktionen. Im Jahr 2021 wurden Zeug*innen der Gruppenvergewaltigung im Luxushotel Fairmont wegen Aussagen inhaftiert, zu denen sie der Nationale Frauenrat in Ägypten ermutigt hatte. In einem anderen Fall klagte der Filmemacher Islam el-Azzazi erfolgreich gegen zwei Feministinnen, die ihm sexuelle Belästigung und Vergewaltigung vorgeworfen hatten. Er beschuldigte sie der Verleumdung, des Rufmords und der unlauteren Einflussnahme, weil sie die Zeugenaussagen von Opfern geteilt hatten. Der Staat nahm in keinem der Fälle Ermittlungen gegen den Beschuldigten auf. Im Libanon bestellten Sonderermittler die feministische Aktivistin Hayat Mirshad zum Verhör in das Büro für Internetkriminalität ein, nachdem sie Berichte über einen notorischen Belästiger veröffentlicht hatte. Trotz mehrerer Zeug*innenaussagen gab es keine Ermittlungen.

Religiöse Gruppen bekämpfen CEDAW als “Sünde”

Darüber hinaus beobachten wir ein systematisches antifeministisches Engagement religiöser Institutionen, bisweilen auch unter dem Deckmantel gruppeninterner oder politischer Maßnahmen. In den Palästinensischen Gebieten kam es jüngst zu Protesten in Hebron gegen das Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW). Reagiert wurde auf Forderungen palästinensischer Feminist*innen nach einem Mindestalter von 18 Jahren bei Eheschließungen und einem Anti-Gewalt-Training in Schulen. Zudem leitete die fundamentalistische Gruppierung Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung“) eine Kampagne gegen die feministische Aktivistin Sama Aweidah ein und bezichtigte sie aufgrund ihres Engagements für CEDAW der „Sünde und Unmoral“. Die palästinensischen Sicherheitsbehörden nahmen die Drohungen gegen die Aktivistin nicht ernst und nahmen auch in diesem Fall keine Ermittlungen auf.

Im Sommer 2022 unterrichtete die Dar Al-Fatwa (die oberste sunnitische Behörde des Libanon) das Innenministerium über ihre Absicht, Pride-Paraden zu verbieten. Im Anschluss veröffentlichte das Ministerium eine Kampagne gegen Homosexualität, um die Position der Dar Al-Fatwa zu unterstützen, die auch der drusische Sheikh Al-Aql befürwortete. Das alles trug zum Aufschwung der Sekte „Kinder Gottes bei – einer homophoben (und natürlich auch antifeministischen) christlichen Gruppe. Die Mitglieder dieser sektiererischen und religiösen Anti-Homosexuellen-Vereinigung bedrohen inzwischen Geschäfte und Cafés mit Regenbogenflaggen.

Im vergangenen Juni erklärten mehrere islamische Prediger in Jordanien die Aktivistin Hala Ahed zur „Ungläubigen“ (sie belegten sie mit dem Takfir) und forderten ihre Festnahme, nachdem sie in Amman einen Informationskurs zum Feminismus organisiert hatte. Die jordanische Regierung, die Hala feindlich gesinnt ist, hüllte sich in Schweigen. Hala berichtete zudem, dass jemand ihr Telefon gehackt hätte – möglicherweise sogar die Behörden selbst. In Jordanien läuft eine gegen LGBTIQ+ gerichtete Sicherheitskampagne.

Die rechtsextreme Rhetorik von Trump oder Putin inspiriert inzwischen auch die Angriffe auf Feminist*innen im arabischsprachigen Raum

In der Region sind auch neue Arten von Kampagnen zu beobachten, die den Schutz der „Heiligkeit“ der Familie und der „natürlichen Rollen“ von Männern und Frauen fordern. Derartige Kampagnen berufen sich auf die Religion und stützen sich vor allem auf mediales Marketing – darunter Fetrah („in der Natur des Menschen angelegt“) in Ägypten und “mesh Tabi3i" („unnatürlich“) im Libanon. Weitere Beispiele sind die homophobe Rhetorik von Hassan Nasrallah im Libanon,1 die Forderungen des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadr im Irak nach einem „gewaltlosen“ Widerstand gegen Homosexualität und der irakische Gesetzentwurf zur Kriminalisierung von Homosexualität.

Diese Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen warnen in Kampagnen vor den „Gefahren“ des Feminismus und der Homosexualität und zielen darauf, Antifeminismus- und Anti-Homosexuellen-Gesetze einzuführen. So will beispielsweise der neu gegründete Libanesische Verein für den Erhalt der Familie das Bewusstsein für die angeblichen Gefahren der Homosexualität schärfen, während die Union muslimischer Gelehrter im Libanon eine Kampagne „zum Schutz von Familie und Gesellschaft“ eingeleitet hat. Dieselbe Geisteshaltung verbreiten außerdem Hunderte von Social-Media-Seiten wie Red Pill Arabic.

In der Region gibt es einen weiteren wichtigen Player, der die Lokalisierung und Übersetzung antifeministischer und frauenfeindlicher Inhalte für ein arabischsprachiges Publikum vorantreibt: der „Mann in der Krise“. Inspiriert von namhaften Rechtsextremisten aus dem Westen, etwa dem ehemaligen Kickboxer Andrew Tate, der vor einiger Zeit zum Islam konvertierte, oder dem kanadischen Psychologen Jordan Peterson, der einen Zusammenhang zwischen Feminismus und psychischen Erkrankungen herstellt. Ihre für Frauen in aller Welt erniedrigende antifeministische Logik und Rhetorik findet immer mehr Verbreitung. So hat beispielsweise die ägyptische Polizei eine TikTok-Influencerin verhaftet, weil sie „die Werte der ägyptischen Familie beleidigt hat“ – auf Grundlage der Aussagen von Männern, darunter auch ägyptische Influencer, die der jungen Frau Prostitution, Menschenhandel und einen Verstoß gegen die guten Sitten vorwerfen.

Feministische Strategien: Über Femizide sprechen

Feministische Organisationen im arabischsprachigen Raum sind gut vernetzt, obwohl sie häufig ganz unterschiedliche Themen haben: Vom Schicksal der migrantischen Hausangestellten im Libanon bis zum Überlebenskampf der Teeverkäuferinnen im Sudan. Ex negativo zeichnen sie ein Bild von den Regimen, Organisationen und Gruppen, die sich als Feinde der Menschenrechte positionieren, indem sie den Schutz familiärer Werte behaupten (etwa in Ägypten) oder Feminismus als extremistische Ideologie darstellen, wie in Saudi-Arabien. Feministische Gemeinsamkeiten finden sich auch bei der Aufhebung von Gesetzen zum Erhalt der öffentlichen Ordnung im Sudan, den Angriffen auf feministische Einrichtungen in den Palästinensischen Gebieten und der Vorlage eines Gesetzes zur Kriminalisierung von Homosexualität im irakischen Parlament.

Der feministische Online-Widerstand zeigt sich in unterschiedlichen Formen. Hauptsächlich kommt er in lokalen Solidaritätskampagnen zum Ausdruck, wie beispielsweise in den Reaktionen auf den bereits erwähnten Fairmont-Fall in Ägypten, auf die Angriffe auf die Journalistin und Schriftstellerin Rasha Azab und die Filmemacherin und Schriftstellerin Selma Tarziar, die sich solidarisch mit den Überlebenden sexueller Gewalt in Ägypten gezeigt haben, und auf die Verhängung eines Takfir gegen die Generaldirektorin des Zentrums für Frauenstudien in den Palästinensischen Gebieten, Sama Aweidah. Die zunehmenden Berichte über Femizide – sowohl inner- als auch außerhalb der Familie – deuten ebenfalls auf ein gesellschaftliches Engagement hin, diese Geschichten an die Öffentlichkeit zu bringen und nicht als Einzelfälle, sondern als systematische Frauenfeindlichkeit und Gewalt zu verstehen.

Feminist*innen verlegen ihre Aktionen immer häufiger in den virtuellen Raum, weil er nicht nur eine wichtige Plattform für die Auseinandersetzung mit Hass und Anstiftung zur Gewalt bietet, sondern auch eine Möglichkeit, dem Zugriff der Sicherheitsbehörden und Zensoren zu entkommen. Feminist*innen haben sich die Macht des Internets zunutze gemacht, um schnell und wirksam auf Vorfälle aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit wachzurütteln. Denken wir nur an den Fall von Wissam und Fatima, die bis heute von ihrer Familie in Gaza festgehalten werden, und an das Schicksal einer Frau mit dem Spitznamen „Mudhila“ („die Wunderbare) in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie nutzen die vielen Möglichkeiten des Internets, um Regierungen zum Handeln zu bewegen, anonyme, aber einflussreiche Gruppen zu aktivieren und schließlich transregionale Bewegungen zu gründen, die sich auf eine bereits bestehende mächtige feministische Allianz in der Region stützen können.

Und doch dürfen wir darüber nicht vergessen, dass sich auch die Strategien der Zensur auf Social-Media-Plattformen verändert haben. So werden feministische Inhalte viel zu oft als „Hassrede“ eingestuft. Gleichzeitig finden sich auf Facebook unter dem Deckmantel der „Meinungsfreiheit“ unzählige hasserfüllte Inhalte unterschiedlichster Ausprägung gegen Frauen, Feminist*innen und LGBTIQ+. Doch wir dürfen vor allem nicht vergessen, dass unsere Aktivitäten auf Facebook von Algorithmen gesteuert werden, welche die am meisten gesehenen Inhalte weiter verbreiten und Nutzer*innen auf diese Weise in einer Filterblase mit personalisierten Inhalten einschließen.

Auch bei Twitter gab es in jüngster Zeit dramatische Veränderungen, die zeigen, wie verletzlich und zerbrechlich unsere feministische Allianz ist. Angesichts der jüngsten Aussagen und politischen Ansichten von Elon Musk müssen wir seinen Einfluss auf die Inhalte und Nutzer*innen-Erfahrungen mit Skepsis betrachten und uns fragen, ob diese Plattform noch für uns geeignet ist. Es gibt Hinweise darauf, dass Twitter rechtsfeindliche Bewegungen bevorzugt und darum bemüht ist, Inhalte zu beschränken und Unfrieden zwischen Nutzer*innen zu schüren.

Die Fragilität der feministischen Allianz, ihre Anfälligkeit für Zensur und ihre Schutzlosigkeit gegenüber gewaltverherrlichenden Inhalten sind natürlich nicht auf den virtuellen Raum beschränkt. All diese Dinge geschehen auch auf der Straße, in Form von kriminellen Handlungen und körperlichen An- und Übergriffen. Die Zahl der feministischen und Frauenrechtsorganisationen in unserer Region schrumpft, während die Sicherheitskräfte härter durchgreifen, die Polizei ihre Überwachung verschärft (Ägypten, Golfstaaten), Kriege ausbrechen (Syrien, Irak) oder Wirtschaft und Regierung zusammenbrechen (Libanon). Auch in der realen Welt verbreiten sich antifeministische Inhalte deutlich schneller als feministische. Offenbar ist es das Ziel rechtsfeindlicher Gruppen in unserer Region, einen Keil zwischen die Aktivist*innen mit ihren unterschiedlichen menschenrechtlichen Anliegen zu treiben. Angesichts flammender Attacken gegen LGBTIQ+ sehen sich Feminist*innen gezwungen zu schweigen oder von der traditionellen Geschlechteridentität abweichende Orientierungen zu ihrer eigenen Sicherheit zu verurteilen, denn wenn sie das Wort für LGBTIQ+ ergreifen, riskieren sie, selbst zur Zielscheibe zu werden.

Wir müssen uns daher fragen: Inwiefern sind sich feministische Bewegungen und LGBTIQ+ der Tatsache bewusst, dass der aktuelle Hass mit seinen wiederkehrenden Geschichten und Phrasen ein weltweites Phänomen darstellt? Setzen sie sich damit auseinander, wie Anti-rights-Gruppen so erfolgreich Unterstützer*innen gewinnen konnten? Entsprechende Recherchen würden ihnen ermöglichen, präzise zu reagieren. Es ist von immenser Bedeutung, dass Feminist*innen lokale und regionale Anti-rights-Gruppen, die sich auf eine globalisierte rechte Ideologie berufen, identifizieren und verstehen. Nur auf diese Weise können sie sich verteidigen und den Schaden zumindest begrenzen.

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1 Nach Fertigstellung dieses Artikels legte der Abgeordnete des libanesischen Parlaments, Ashraf Rifi, einen Vorschlag für ein Gesetz zur Kriminalisierung von Homosexualität vor, und den Generalsekretär der Hisbollah erreichte ein Schreiben, das die Tötung homosexueller Menschen forderte.

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Aus dem Englischen von Kathrin Hadeler

Dieser Artikel ist Bestandteil des Dossiers Feminist Voices Connected.