Mehr als Celebrity-Gossip: Es geht um sexualisierte Gewalt, Rape Culture und misogynes Strafbedürfnis, die in sozialen Medien verstärkt werden. Es ist ein Blick auf die Abwertung von Frauen und queeren Menschen als Teil eines gesellschaftlichen Backlashs.
![Filmpremiere It Ends With Us Premiere Kopenhagen Dunkler Hintergrund, Blumen ranken sich darüber, Blau Blüten und in großen weißen Lettern wiederholt sich der Titel des Films "It Ends With Us"](/sites/default/files/styles/var_desktop/public/2025-02/imago-ritzau-scanpix-0752991806.jpg.jpg?itok=0D3qAzbT)
Dieser Text mag auf den ersten Blick erscheinen wie eine Kolumne über Celebrity-Gossip. Reiche, attraktive Menschen, die sich gegenseitig Verleumdung vorwerfen? Was sollte uns das als emanzipatorisch denkende Menschen groß interessieren? Wir haben schließlich wichtigere Dinge zu tun: weltweit erstarken faschistoide bis rechtsextreme Bewegungen, der Klimawandel lässt sich nicht mehr aufhalten, während das gemeinsame Vermögen der drei reichsten Männer der Welt inzwischen den unvorstellbaren Betrag einer Trillion Dollar beträgt, können sich Menschen der Mittelschlicht und Arbeiter*innenklasse kaum noch ihre zunehmend ansteigenden Lebenserhaltungskosten finanzieren. Wieso also dann ein Artikel darüber, dass Menschen im Internet gemeine Dinge über die Schauspielerinnen Blake Lively und Amber Heard sagen?
Weil es um mehr geht als um Celebrity Gossip. Es geht um sexuelle Gewalt, es geht um Rape Culture, es geht um misogynes Strafbedürfnis und darum, inwieweit soziale Medien frauenfeindliche Ressentiments bestätigen und amplifizieren. Letztendlich geht es um einen gesellschaftlichen Backlash: nämlich, dass so viele Menschen ihrem Frauenhass ganz offen freien Lauf lassen, solange dieser die Richtige trifft. Die Verachtung und Abwertung des Nicht-Männlichen, also von Frauen und queeren Menschen ist immer wieder Radikalisierungsfaktor nach Rechtsaußen und wird gezielt in rechten Kulturkämpfen eingesetzt.
Dies ist also kein Artikel über Celebrity Gossip. Es ist einer über Frauen, die Opfer patriarchaler Gewalt geworden sind und von ihren Tätern zum Schweigen gebracht werden sollten. Und darüber, wie begeistert ihnen eine ganze Gesellschaft zur Seite gesprungen ist.
Kampagne gegen Blake Lively
Im August 2024 wurden Nutzer*innen sozialer Medien wie Reddit, TikTok, oder die ehemals als Twitter bekannte Plattform X zunehmend mit Artikeln oder Videos konfrontiert, deren Inhalt die unangenehme und kapriziöse Persönlichkeit der Schauspielerin Blake Lively war. Ein Interview-Schnipsel aus dem Jahr 2016 ging viral, der Lively im Gespräch mit der Reporterin Kjersti Flaa zeigt. Flaa gratuliert der anderen Frau zu ihrer Schwangerschaft mit den Worten “Congrats on your little bump“, worauf diese Flaa mit den exakt gleichen Worten, aber in einem sarkastischen Tonfall, antwortete. Auch den Rest des Interviews verhielt sich Livelyetwas unterkühlt.
Acht Jahre später gab die Reporterin an, dass dieses Gespräch einer der schlimmsten Momente ihrer Karriere gewesen sei. Blakes Worte hätten sie zutiefst verletzt: sie ist unfruchtbar. In einem Artikel in der Britischen Tageszeitung The Daily Mail gibt Flaa an, sie hätte tatsächlich überlegt, ihre Tätigkeit als Reporterin an den Nagel zu hängen, so sehr hätte sie sich in diesem Gespräch erniedrigt und gedemütigt gefühlt.[1]
Im August 2024 erschien der Film „It ends with us“ basierend auf dem Roman der Bestseller-Autorin Colin Hoover. Er handelt von der Blumenhändlerin Lily (Blake Lively), die sich in den attraktiven Ryle (Justin Baldoni) verliebt und eine Beziehung mit ihm eingeht. Bald entpuppt Ryle sich jedoch als häuslicher Gewalttäter. Am Ende des Films trennt sich Lily von dem Mann – eigenständig und unkompliziert. Feministische Kritiker*innen warfen dem Film, wie auch der Romanvorlage vor, dass dies eine unrealistische Darstellung von häuslicher Gewalt sei: den wenigsten Betroffenen gelingt es, den missbräuchlichen Partner ohne größere Komplikationen zu verlassen und in dieser Entscheidung respektiert zu werden. Häusliche Gewalt geht in der Regel mit psychischer Manipulation, finanzieller Kontrolle und sozialer Isolation einher – dem Opfer soll es unmöglich gemacht werden, die Trennung überhaupt in Betracht zu ziehen. Erschwerend kam hinzu, dass Lively die Promotionskampagne nutzte, um „It ends with us“ als perfekte Beschäftigung für den Mädels-Abend anzupreisen oder Werbung für ihre Haarpflegeprodukte zu machen. Das wirkt bei einem Film über häusliche Gewalt ausgesprochen ignorant und unsensibel. Als perfektes Futter für Klatschmagazine und Social Media erwies sich, dass sie nicht gemeinsam mit ihrem Co-Star Justin Baldoni auftrat. Lively sollte sich zu sehr in den Film eingemischt haben. Sie sei am Set anstrengend und kapriziös gewesen. Diese Erzählungen trafen auf unvorteilhafte Interview-Aussagen und Informationen über ein generelles Fehlverhalten der Schauspielerin, wie dass sie und ihr Ehemann, der „Deadpool“-Star Ryan Reynolds, auf einer ehemaligen Südstaaten-Plantage geheiratet hatten. Kurz: es schien wirklich genug Gründe zu geben, Blake Lively zu verurteilen. Dies schlug sich auch in ihrer Rezeption auf Social Media nieder. Popkultur-Magazine waren sich relativ sicher, dass dies Ganze das Ende von Livelys Karriere einläutete. TikTok-Beiträge, die Livelys Niedertracht auseinandernahmen, konnten Millionen Klicks verzeichnen, Drama-YouTuber*innen hatten ein neues, spannendes Thema. Auf X und Reddit waren sich die User*innen einig: Blake Lively ist die schlimmste Person der Welt. Mindestens so schlimm wie der Rapper und Serienvergewaltiger P. Diddy, dessen Ausmaß an Gewalt im Spätsommer und Herbst 2024 erst richtig bekannt wurde. Er erhielt aber nur einen Bruchteil des Hasses und der Empörung, die gegen Lively gerichtet waren.
Kritische Männlichkeit und toxische Weiblichkeit
Ihr Co-Star, Justin Baldoni, ist hingegen einer von den guten Männern. Er macht sich mit dem Projekt Man enough für kritische Männlichkeit und gegen patriarchale stark. Er hat ein Buch zu dem Thema veröffentlicht, spricht in Podcasts und Talkshows, ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Karriere und seines Bildes in der Öffentlichkeit ist das eines Mannes, der sich für die richtige Sache einsetzt. Verständlich, dass so jemand nichts mit einer arroganten Ziege wie dieser Blake Lively zu tun haben möchte, oder?
Einigen wenigen kam die Sache etwas komisch vor: mit einem Mal war sich das komplette Internet darüber einig, dass es legitim war, diese eine Frau zu hassen. Menschen, die sich mit digitaler Misogynie und Hasskampagnen befassen, kamen nicht umhin, Parallelen zum gesellschaftlichen Umgang mit der Schauspielerin Amber Heard zu bemerken, die im Sommer 2022 im Rahmen des Prozesses zwischen ihr und ihrem Ex-Mann, dem Filmstar Johnny Depp, wohl zur meist gehassten Frau der Welt erkoren worden war.
Recherchen der New York Times[2] haben aufgedeckt, dass diese Parallelen kein Zufall sind. Justin Baldoni hatte Lively auf dem Set von „It ends with us“ sexuell belästigt, so die Schauspielerin. Darunter: Kuss-Szenen und das öffentliche Drehen einer Geburtsszene gegen ihren Willen, er hat Lively ungefragt Nacktbilder seiner Frau gezeigt, und ihr ohne Konsens ausschweifend von seinem Sexleben und seiner Porno-Sucht erzählt. Generell hätte er sie mit herablassenden Aussagen, unter anderem über ihr Aussehen, gedemütigt und für eine unerträgliche Atmosphäre am Set gesorgt. Diese Darstellungen stehen diametral im Gegensatz zu Baldonis Selbstvermarktung – und er hat alles darangesetzt, zu unterbinden, dass sie ihren Weg an die Öffentlichkeit finden.
Melissa Nathan ist die PR-Agentin, an die sich Hollywood-Stars wenden, wenn sie Karrieren ruinieren wollen. Zu ihren Klienten gehören unter anderem der Rapper Drake, der ebenfalls von seiner Ex-Partnerin Angelina Jolie der häuslichen Gewalt bezichtigte Schauspieler Brad Pitt, als auch Johnny Depp. Und Nathan und ihr Team sind anscheinend extrem gut darin, soziale Medien zu nutzen, um misogyne Ressentiments zu amplifizieren. „Du weißt, wir können jeden begraben“, wird sie in der Times zitiert.[3]
Nathan bedient sich dabei Strategien, die 2014 im Rahmen der misogynen Gamer Gate-Kampagne[4] von frauenfeindlichen, oft rechtsradikalen Trollen als großes Instrument im politischen Kampf eingesetzt worden und über die Kampagne gegen Amber Heard perfektioniert worden sind (es sollte sich übrigens heraus stellen, dass Kjersti Flaa Johnny Depp in seiner beispiellosen Schmierenkampagne gegen Amber Heard verteidigt hatte).
Astroturfing, Algorithmen und misogynes Strafbedürfnis
Das Wort Astroturfing leitet sich von dem englischsprachigen Begriff für Kunstrasen ab und beschreibt das Phänomen des Vortäuschens einer Graswurzelbewegung. Konkret bedeutet das: Einzelne Akteur*innen verbreiten, oftmals unter der Verwendung von Bots und Fake-Accounts, gezielt Material zu bestimmten Inhalten. So soll suggeriert werden, dass eine große Menge an Nutzer*innen sich für dieses Material interessiert - mit dem Ziel, dass sich die Diskussion über diesen Gegenstand verselbstständigt und die Akteur*innen diesen nicht mehr aktiv in den Diskurs einbringen müssen.
Niemand sprach mehr über Vorwürfe gegen Baldoni, weil Medien und Internet-Nutzer*innen sich auf ein Ziel eingeschossen hatten, das niemals an Popularität verliert: eine Frau. Die Struktur sozialer Medien tut hier ihr übriges: Algorithmen verbreiten gerade auf TikTok oder YouTube oft nur Videos mit ähnlichen Inhalten - die dann die Rezeption eines Sachverhalts durchaus beeinflussen. Zudem ist es einfach, der eigenen niederen Menschenfeindlichkeit in der Anonymität des Internets freien Lauf zu lassen. Drittens bedienen soziale Medien gerne niedere Affekte wie Hass, Wut oder Empörung; Material, das diese Affekte schürt, kann dann auch direkt und ohne weitere Überprüfung des Wahrheitsgehalts geteilt werden.
Frauen wie Blake Lively und Amber Heard sind attraktiv, verfügen über soziales, ökonomisches und kulturelles Kapital. Sie stehen scheinbar über den Normalsterblichen. Gerade Lively mit ihrem Erfolg und ihren perfekten Haaren verkörpert eine hegemoniale Vorstellung von Weiblichkeit. Sie ist das, was eine Frau sein muss, aber in der Regel aufgrund vor allem ökonomischer Einschränkungen nicht erreichen kann. Es kann sich befriedigend anfühlen, zu erfahren, dass diese wunderschönen Stars eben doch nicht perfekt sind, sondern genauso fehlerhaft sind wie unsereins - oder gar noch fehlerhafter. Der Diskurs um Frauen wie Lively ist ausgesprochen stark von einem misogynen Strafbedürfnis geprägt: dem Wunsch, eine falsche Königin von ihrem unverdienten Thron stoßen zu können.
Zwischenüberschrift: Leugnen, Angreifen, Täter-Opfer-Umkehr.
Ziel dieser Kampagnen ist es, die betroffene Person zur absoluten Persona Non Grata zu deklarieren und ihr jegliche Glaubwürdigkeit zu nehmen. Approbiertes Mittel hierzu ist DARVO, Kurzform für Deny, Attack, Reverse Victim and Offender und ist auch ein Standard-Verhalten in missbräuchlichen Beziehungen. Die Täter*innen von Hasskampagnen verleugnen ihren Status als Angreifer. Anschließend betonen sie die vermeintlichen Transgressionen des Opfers, zum Beispiel auch die Verteidigung des Opfers als Angriff auf den Täter darzustellen. Und final folgt die Täter-Opfer-Umkehr: die Betroffene der Kampagne, vor allem wenn sie sich wehrt, ist der eigentliche Aggressor. Im Zuge dieser Angriffe wird jegliche Aussage der betroffenen Person so missgünstig wie möglich interpretiert, um die eigene Verurteilung, die oftmals niederträchtiger Natur ist, legitimieren zu können.
Lively eignet sich als gutes Opfer dieser Angriffe, da sie sich in Interviews unsensibel verhalten und häusliche Gewalt heruntergespielt hat. Somit können sich Menschen, die sich aus latenter bis offener Misogynie an der Schauspielerin abarbeiten, ihre eigene moralische Überlegenheit versichern und von sich abspalten. An dieser Stelle: es ist absolut legitim, den Umgang des Stars mit Beziehungsgewalt zu kritisieren. Dass dieser Fokus jedoch gezielt von einem Mann gesetzt worden ist, um von seinen eigenen Übergriffen abzulenken, lässt diese Empörung in Retrospektive schal wirken. Die gegen Lively gerichteten Klatsch-Artikel und Postings hatten weniger eine Auseinandersetzung mit häuslicher Gewalt im Fokus. Sie haben viel eher frauenfeindliche Ressentiments bedient, wie das des Starlets, die sich zu viel in eine Filmproduktion einmischt, den Umgang mit normalen Menschen wie Journalist*innen verlernt hat oder einfach arrogant und unsympathisch ist. Selbst wenn Menschen sich des frauenverachtenden Moments bewusstwerden, wird Solidarität mit Betroffenen misogyner Hasskampagnen mit Hinweisen auf vermeintliche Vergehen abgewiegelt - das Abarbeiten an Lively sei ja angesichts dessen, was momentan passiert auf der Welt zu viel, aber durch ihr Auftreten hätte sie all die Anklagen durchaus irgendwie verdient. Dieses Phänomen signalisiert letztendlich, dass das kollektive Verurteilen von Frauen legitim ist, wenn diese - wie auch immer geartete - Überschreitungen (sozialer) Normen begehen. Letztendlich findet hier eine Rechtfertigung des eigenen Unwillens statt, sich mit Frauen zu solidarisieren: nur eine Frau, die eine blütenreine Weste vorweisen kann, hat Unterstützung verdient.
Aktueller Stand ist, dass Blake Lively eine rechtliche Beschwerde wegen sexueller Belästigung gegen Baldoni eingelegt hat. Sie gibt an, dass Baldoni und sein Team geplant hätten, ihren Ruf sowohl in der Presse, als auch online, nachhaltig und koordiniert zu zerstören.[5] Baldoni hingegen hat eine Klage gegen Verleumdung sowohl gegen die Times, als auch gegen seine Schauspielkollegin eingereicht - Streitwert sind je 250 und 400 Millionen Euro.[6]
Dass Gewalttäter ihre Opfer, die es wagen öffentlich über das Erfahrene zu sprechen, wegen angeblicher Falschaussagen und Diffamierungen verklagen, ist vor allem seit dem Depp/Heard-Prozess eine leider etablierte Maßnahme. Beispielsweise hatte der Rockmusiker Marylin Manson seine Ex-Partnerin, die Schauspielerin Evan Rachel Wood, versucht wegen Verleumdung zu verklagen. Sie hatte ihm mehrere Fälle von Vergewaltigung und Demütigung vorgeworfen. Er musste die Klage jedoch fallen lassen.[7] Till Lindemann hatte versucht, mittels der litauischen Staatsanwaltschaft die Irin Shelby Lynn, ebenfalls so zum Schweigen zu bringen. Sie hatte öffentlich über ihre Erfahrungen gesprochen, bei einem Rammstein-Konzert betäubt und verletzt worden zu sein.[8] Dies ist jedoch keine Sache alleine von Prominenten: nach dem Prozess gegen Amber Heard haben zahlreiche Überlebende von sexualisierter und häuslicher Gewalt ihre Anzeigen zurückgezogen, aus Angst, ebenfalls vor Gericht eine derartige Demütigung zu erfahren wie die Schauspielerin und Aktivistin.[9]
Es ist Rape Culture…
Gerade die Kampagne gegen Amber Heard, in der über Monate hinweg ein Opfer häuslicher Gewalt von ihrem Ex-Mann und seinem PR-Team zu einer psychisch kranken, bösartigen, perfiden und manipulativen Täterin stilisiert wurde, hätte uns als Gesellschaft zeigen müssen, dass wir unsere Bereitwilligkeit, Frauen niederzumachen und zu verurteilen, hinterfragen sollten. Aber ein Blick auf Social Media-Plattformen oder in Klatschmagazine offenbart leider etwas Anderes. Auf sozialen Medien finden sich bereits jetzt Kommentare von Nutzer*innen, die sich über den Prozess freuen – als wäre es eine Form von Abendunterhaltung und keine grundlegende Debatte um sexualisierte Gewalt.[10] Nur zwei Jahre nach einem Prozess, der als Backlash auf die MeToo-Bewegung verstanden werden muss, haben sich digitale Räume, Klatschblätter und alle ihre Nutzer*innen wieder bereitwillig an einer misogynen Schmierenkampagne beteiligt – ohne die eigenen Ressentiments und Motivationen zu hinterfragen.
Letztendlich ging es schlicht und ergreifend darum, dass ein Mann versucht hat, eine Frau, der er Gewalt angetan hat, zum Schweigen zu bringen. Es ist Rape Culture. Nichts Anderes. Und diese ist im Patriarchat nach wie vor omnipräsent – und ein lukratives Geschäftsmodell.