Feministische Friedensforschung - Impulse für Frieden

Artikel

Ein Dossier über feministische Friedensforschung in Zeiten zunehmender Wissenschaftsskepsis, gesellschaftlicher Militarisierung und antifeministischen Backlashes mit gendersensiblen, diskriminierungskritischen und machtsensiblen Impulsen für gesellschaftliches Zusammenleben sowie die Gestaltung von Forschungs- und Lernräumen der Friedens- und Konfliktforschung.

Zwei Vögel sitzen in Stacheldraht vor einem dunkelblauen Himmel.

Aus dem Editorial von Christine Buchwald, Patricia Rinck und Michaela Zöhrer:

"Feministische Friedensforschung verfolgt einen normativen Auftrag. Sie erforscht Bedingungen, Strukturen und Dynamiken von Konflikten
und Gewalt, in dem Bemühen, mit ihren Erkenntnissen Frieden zu befördern. Dabei zeichnen sich feministische Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung dadurch aus, dass sie die androzentrische (männerzentrierte) Ausrichtung des Forschungsfeldes und seiner Untersuchungsgegenstände aufdecken und darauf hinwirken, dass die Perspektiven und Belange von Frauen und weiteren diskriminierten
und marginalisierten Personengruppen berücksichtigt werden. Zentrale Ziele und Aufgabenfelder feministischer Friedensforschung sind entsprechend sowohl Kritik als auch Emanzipation (Väyrynen et al. 2021, S. 3).


Feministische Kritik und Emanzipation

Die Kritik richtet sich zuerst auf das, was als „epistemisch geronnene Männlichkeit“ (Lang 1992, S. 131) bezeichnet werden kann, die in der Friedens- und Konfliktforschung – und weit über sie hinaus – tiefgreifende Spuren hinterlassen hat: im Wahrnehmen, Denken und Handeln. Anfang der 1990er Jahre hat sich Tordis Batscheider (1993, S. 126-130), eine der frühen Protagonist*innen feministischer
Friedensforschung im deutschsprachigen Raum, für eine an zwei Punkten ansetzende Wissenschafts- und Gesellschaftskritik ausgesprochen: für Kritik am androzentrischen Universalismus einerseits und an einem androzentrischen Objektivismus andererseits. Kritisiert wird damit, dass eine partikulare männliche Sichtweise durch die Ausblendung oder Abwertung nicht-männlicher Perspektiven zur uni-
versellen Sichtweise v/erklärt wird, sowie die Vorstellung, dass Subjektivität (nicht zuletzt in Forschung) »störe« und ausgeblendet werden müsse und könne.1 Feministische Kritik in der Friedens und Konfliktforschung richtet sich gegen entsprechende Ausdrucksformen des
Androzentrismus in Wissenschaft und Gesellschaft, werden damit doch nicht nur bestimmte Themen und Belange ausgeblendet oder marginalisiert, sondern zudem solche Perspektiven weitgehend ignoriert oder abgewertet, die gängigen Standards »wertvollen« (zum Beispiel objektiven statt subjektiven, rationalen statt auch emotionalen) Wissens vorgeblich nicht entsprechen – und mitunter auch gar nicht entsprechen können oder wollen. Daraus leitet sich ein für feministische Friedensforschung zentraler emanzipatorischer Gedanke ab: „Epistemologisch basiert Feminismus auf einem relationalen und verkörperten Commitment, marginalisiertes Wissen miteinzubeziehen, unabhängig davon, ob Frauen oder andere (vergeschlechtliche) Menschen, Ideen oder sonstige empfindungsfähige Wesen diese Ränder (margins) des Wissens darstellen“ (Väyrynen et al.2021, S. 3). Das normative Selbstverständnis feministischer Friedensforschung, gekoppelt
mit einem emanzipatorischen, transformativen und oft progressiven Anspruch, schlägt sich vor allem in herrschaftskritischen, bewegungsnahen und/oder partizipativen Zugängen nieder. Dabei schöpft feministische Friedensforschung aus dem großen und bereichernden Fundus an Wissen feministischer sozialer Bewegungen und multidisziplinärer feministischer Forschung. Und sie orientiert sich zugleich – und häufig kritisch – an Perspektiven und Kenntnissen deutschsprachiger wie internationaler Friedens- und Konfliktforschung.


Gender, Gewalt und Frieden


In konventioneller Friedens- und Konfliktforschung wird die Bedeutung von »Geschlechterfragen« – und damit von wirkmächtigen sozialen Gender-Konstruktionen und Geschlechterhierarchien – bis heute häufig vernachlässigt. Demgegenüber zeigt feministische Friedensfor-
schung auf, dass Geschlechterkonstruktionen und -stereotype – »weibliche« wie »männliche« – verbreitet sind, die als (ab-)wertende, hierarchisierende Zuschreibungen soziale Wirkmächtigkeit entfalten, indem sie soziale Ungleichheiten mithervorbringen und legitimieren sowie geschlechtsbezogener Gewalt zugrunde liegen. Feministische Friedensforschung nimmt die Bedeutung der Kategorie Geschlecht in ihren Analysen ernst. Sie betrachtet, wie Geschlecht als sozial wirkmächtige Konstruktion und Machtstruktur mit Konflikten, Gewalt und Frieden zusammenhängt. Feministische Friedensforschung untersucht insbesondere „die vergeschlechtlichten Gesellschaftsordnungen,
die Gewalt (re-)produzieren, indem sie versuchen, die Welt in eine binäre Hierarchie aus männlich/weiblich, maskulin/feminin zu unterteilen“ (Wibben et al. 2019, S. 87). Viele feministische Friedensforscher*innen gehen davon aus, dass Gewalt strukturell mit dem Patriarchat und anderen Unterdrückungsformen sowie strukturellen Ungleichheiten verbunden ist, und berücksichtigen daher, wie sich Geschlecht,
aber zum Beispiel auch Sexualität, Ethnie oder Klasse, als Machtstrukturen in verschiedenen sozialen Kontexten, auf zwischenmenschlicher bis hin zur globalen Ebene, auswirken (Wibben und Donahoe 2020, S. 1). Dieses breitere Verständnis von Gewalt hat zu der wichtigen Einsicht feministischer Friedensforschung geführt, dass die Beziehung zwischen Krieg und Frieden nicht als Dichotomie, sondern als
Kontinuum zu verstehen sei. Damit wird der Blick dafür geschärft, dass es nicht nur Praktiken des alltäglichen Friedens auch in Kontexten gewaltsamer Konflikte geben kann (Väyrynen et al. 2021, S. 4f.), sondern dass Formen alltäglicher Gewalt, wie zum Beispiel das Schikanieren von trans Personen, häusliche Gewalt oder Femizide, in vermeintlich friedlichen Gesellschaften vorherrschen (Cockburn 2004).
Nicht zuletzt Frauen, People of Color, queere Menschen und Menschen mit Behinderungen haben historisch gesehen in öffentlichen und privaten gesellschaftlichen Bereichen Gewalt erfahren und erfahren sie weiterhin – und das unabhängig davon, ob sie sich in einem Konflikt- oder vermeintlich friedlichen Umfeld bewegen (Forde, Kappler und Björkdahl 2021, S. 332). Die feministisch ausbuchstabierte Idee des Kontinuums der Gewalt ermöglicht es Friedensforscher*innen zu erfassen, dass Krieg als eine Art »spektakulärer Gewalt« etwa nach Geschlecht unterschiedene Personen unterschiedlich (be-)trifft, ohne Formen alltäglicher Gewalt in sogenannten Friedenszeiten auszublenden oder hintanzustellen.


Plurale Feminismen


Verallgemeinernd gesprochen adressiert Feminismus in der Gesellschaft wirkende patriarchale Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse und die aus ihnen hervorgehenden, sie reproduzierenden sowie legitimierenden androzentrischen Institutionen, Strukturen, Diskurse und Praktiken. In der Friedens- und Konfliktforschung – wie allgemein in der Gesellschaft – existieren jedoch verschiedene (Selbst-)Verständnisse von Feminismus, verschiedene Feminismen, parallel. Diese weisen zugleich bestimmte Konjunkturen auf. So werden heute zum Beispiel essentialistische Konzeptionen von Geschlecht nur mehr selten als die eigene kritische Friedensforschung anleitend ausgewiesen und damit weder biologisch noch sozialisatorisch begründete stereotype Vorstellungen von Geschlechterspezifika und
-unterschieden zugrunde gelegt. Das heißt auch, dass kaum mehr Ansätze zum Tragen kommen, die von einem homogenen und generalisierten – zum Beispiel stets friedfertigen – Kollektivsubjekt »Frau« ausgehen oder davon, dass Frauen stets und überall die gleichen Erfahrungen der Unterdrückung machen. Stattdessen werden vor allem konstruktivistische Verständnisse von Geschlecht herangezogen. Zudem wird von Forschenden zunehmend eine intersektionale Perspektive eingenommen und erforscht, wie in bestimmten Kontexten Geschlecht, Sexualität, Ethnie, Klasse, Alter und weitere soziale Kategorisierungen als Machtstrukturen miteinander verschränkt Wirkung
entfalten. Feministische Friedensforschung hat sich über die Jahrzehnte als selbstkritisch und lernfähig erwiesen und besitzt infolgedessen ein zunehmend feinfühliges Sensorium dafür, dass nicht nur Frauen – und nicht alle Frauen gleichermaßen – von vielfältigen genderspezifischen und intersektionalen Formen von Unterdrückung und Gewalt betroffen sind. Innerhalb der feministischen Friedensforschung im deutschsprachigen Raum werden allmählich queer-feministische Ansätze stärker rezipiert, womit beispielsweise Formen von Gewalt, denen Personen unterschiedlicher (auch nicht-binärer) Geschlechtsidentitäten, (auch nicht heteronormativer) sexueller Orientierungen, »Gender Expressions« und Geschlechtsmerkmale ausgesetzt sind, systematischer in der Analyse und Kritik von Friedenspolitiken Be-
rücksichtigung finden (Akı 2023). Das gilt ebenso für Kämpfe von LGBTIQ+ Personen um Menschenrechte (Reiss 2024), wie auch für Formen der politischen (nationalistischen, militaristischen) Instrumentalisierung ihrer Forderungen und Belange (Stichwort: Homonationalismus). Eine zunehmend wichtige Rolle spielen ferner postkolonial-feministische Ansätze, welche die kritische Aufmerksamkeit zusätzlich auf die Dominanz eurozentrischer Denk- und Handlungsweisen sowie auf globale, kolonial-tradierte soziale Ungleichheiten und Unterdrückungsmechanismen lenken (zum Beispiel: Rinck 2023, sowie einzelne Artikel im ZeFKo-Forum »Dekolonialisiert euch!«, siehe Buck-
ley-Zistel und Koloma Beck 2022)."

Zitiert aus dem Editorial des Dossiers, S. 2 - 4.


1 Ausführlicher hierzu und zu einem Blick zurück in frühe deutschsprachige feministische Friedensforschung: Zöhrer 2022. Dazu, inwiefern
sich Feminismus zwischen Ideal und Realität in genderbezogener Friedensforschung bewegt: Buchwald 2022. Das W&F-Dossier 94, in dem die beiden zitierten Texte abgedruckt sind, gibt zudem einen Überblick über den Entstehungsund Entwicklungsprozess des Netzwerks Friedensforscherinnen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung unter Bezugnahme auf deutschsprachige Literatur feministischer Friedensforschung.


Inhaltsverzeichnis des Dossiers

Christine Buchwald, Patricia Rinck und Michaela Zöhrer
Feministische Impulse für Frieden - S. 2


Rawina Trautmann
Feministische Friedensforschung: Menschenzentriert, intersektional, selbstreflexiv - S. 5
 

Maéva Clément
Versöhnung, Gender und Emotionen - S. 8

Jannis Kappelmann
Gender und Atomwaffenpolitik. Die Rolle von Geschlecht in der Repräsentation, Rezeption und dem Diskurs über Nuklearwaffen - S. 11

Rita Schäfer
Feministische Friedensforschung in Afrika - S. 14

Hannah Neumann
Feministische Arbeitsweisen. Für eine größere Sichtbarkeit der Care‑Arbeit in Wissenschaft und Forschung - S. 16

Juliana Krohn und Viktorija Ratković
(Ver-)Schweigen von/als Gewalt. Für eine feministische Friedensforschung als Praxis der Fürsorge - S. 19

Claudia Brunner
Nein zum Krieg! Plädoyer für eine antimilitaristische feministische Friedensforschung - S. 22

Victoria Scheyer
Antifeministische Angriffe auf die Friedenspolitik - S. 25