Archived | Content is no longer being updated

Feministische Perspektiven auf Frieden und Sicherheit

Während in den hegemonialen Diskursen militärisches Eingreifen eine Option zur Konfliktbearbeitung bleibt, entwickelten sich in der feministischen Diskussion umfassende positive Friedensentwürfe. Sie machen die Sicherheitsbedürfnisse und Gewalterfahrungen der Menschen in ihrer nur scheinbar privaten Sphäre zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.

So formuliert die US-Theoretikerin Judith Ann Tickner in ihrem Buch „Gender in International Relations“: „Das Erreichen von Frieden, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit ist untrennbar verbunden mit der Überwindung von Beherrschung und Unterwerfung in sozialen Beziehungen. Tatsächliche Sicherheit erfordert nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch die Abschaffung ungerechter sozialer Verhältnisse, ungleiche Geschlechterverhältnisse eingeschlossen“. Judith Ann Tickners Verständnis von Sicherheit trägt der Tatsache Rechnung, dass die gewaltförmige Ungleichheit zwischen den Geschlechtern die größten Unsicherheitsfaktoren für Frauen produziert. Sie schlägt vor, auf das menschliche Bedürfnis nach Gemeinschaft, Verbundenheit und Interdependenz zu setzen. Ihr Sicherheitskonzept geht von einer „Wechselbeziehung von Gewalt auf allen Ebenen der Gesellschaft“ aus. Es ist dynamisch und zielt eher auf die Herstellung von Gerechtigkeit als auf die Herstellung von Ordnung. Mit eingeschlossen ist Geschlechtergerechtigkeit, denn: „Kriegerische Patrioten (warrior-patriots) durch bürgerschaftliche VerteidigerInnen (citizen-defenders) zu ersetzen, stellt uns Modelle zur Verfügung, die wirksamer sind in Bezug auf gleichberechtigte Teilnahme von Frauen in der internationalen Politik“.

Frieden an die Abwesenheit jeder Form von struktureller Gewalt zu binden, ist ein extrem langfristiges Ziel, das auf kurze Sicht nicht umsetzbar ist, schon gar nicht in Konfliktregionen und in Konfliktsituationen. Dennoch ist es nicht ausreichend, sich Frieden als eine Abfolge von zunächst negativem und dann positivem Frieden vorzustellen. Negativer Friede bezeichnet die Abwesenheit von Krieg, positiver Friede ist hingegen umfassender zu sehen, also im Sinne individueller Sicherheit. Wege zur gleichzeitigen Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und Frieden müssen in jedem Fall von Anfang an mitgedacht werden.

„Frieden und Sicherheit für alle“ ist für uns ein normativer Anspruch und eine Vision, da in der traditionellen Sicherheitspolitik die weibliche Hälfte der Bevölkerung fast nie mitbedacht wird. Frieden und Sicherheit für Frauen und Männer, Jungen und Mädchen in ihren jeweiligen unterschiedlichen Lebensbedingungen zu erreichen ist indes auch eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Praxisorientierte feministische Friedensvorstellungen stellen sich dieser Herausforderung: Die Utopie eines geschlechtergerechten Friedens vor Augen, wie ihn Judith Ann Tickner skizziert, fordern sie die Stärkung von frauen- und völkerrechtlichen Normen und setzen auf Prävention statt Eskalation. Damit ist eine konzeptionelle Umorientierung von der begrenzten Sicherheitspolitik zur Friedenspolitik verbunden. Feministinnen stellen militärische Institutionen und Konzepte in der Regel in Frage. Dies führte zu Kontroversen auch im feministischen Diskurs über die Beteiligung von Frauen im Militär.

Feministische Friedenskonzepte basieren auf der durchgängigen Integration der Geschlechterperspektive in alle Themenbereiche sowie der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern auf allen Ebenen und in allen Prozessen, insbesondere aber in sicherheits- und friedenspolitischen Zusammenhängen. Mit diesen Forderungen fanden frauenpolitische Aktivistinnen in den westlichen Staaten seit Beginn der 1990er Jahre ein breiteres öffentliches Echo als zuvor. Wesentlich dazu beigetragen hat, dass die transnationale Frauenbewegung ihre Strategie bezüglich der Weltfrauenkonferenzen veränderte. Das Selbstverständnis vieler feministischer NGOs hatte sich von einer oppositionellen Kritik- und Kontrollinstanz hin zu einer Strategie der Lobbyarbeit und konkreten Einflussnahme bei den internationalen UN-Konferenzen entwickelt. So stellt Christa Wichterich die inhaltliche Parallelschaltung von NGO- und UN-Debatten als politisches Novum für die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo fest. Heute versuchen die meisten feministischen NGOs die UN-Politik nicht mehr nur zu kritisieren, sondern wollen diese aktiv mitgestalten. Dies war jedoch innerhalb der feministischen NGOs nicht unumstritten.

Die Bemühungen vieler frauenpolitischer NGOs haben dazu geführt, dass auf der UN-Frauenkonferenz 1995 in Peking eine Aktionsplattform verabschiedet wurde, die institutionelle Mechanismen zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen verlangt. Staaten wurden darin aufgefordert, „sich für die Einbeziehung einer Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit in alle Politikbereiche und auf allen Regierungsebenen einzusetzen.“ Damit hat sich in der internationalen Politik Gender Mainstreaming durchgesetzt, dessen Ziel es ist, die Arbeit von Organisationen gleichstellungsorientiert zu gestalten. Siehe dazu „Gender Mainstreaming“.