Obwohl durch zweifache symbolische Umbenennung vernebelt, die zwischen der Ikonographie des Muttertages und des Tages der Verliebten hin- und her schwingt, ist die hundertjährige und recht bunte Geschichte des 8. März eindeutig auch eine politische. Die verdrängte, unter Blumensträußen und kitschigen Geschenken vergrabene emanzipatorische Essenz dieses Feiertags wird als anachronistisch und idealistisch zugleich interpretiert. Durch die diesjährige Jubiläumsfeier des Internationalen Frauentags und des Tages der Frauensolidarität wird, im montenegrinischen Kontext betrachtet, die schmerzhafte Paradoxie verstärkt, welche jene Frauen durchleben, die zwischen der sozrealistischen Vergangenheit und der demokratischen Zukunft eingepfercht sind, in einem, so scheint es, unvergänglichen Moment der transitorischen Gegenwart. Die in unserem Gedächtnis verhafteten und erwarteten Bilder überschneiden sich zu einem nur schwer zu fassenden Porträt unseres chimärischen Augenblicks.
Eines davon erscheint in der beunruhigenden Gestalt jener Situation, in der sich die Arbeiterinnen einer Ladenkette befanden, nachdem diese an ein ausländisches Unternehmen verkauft wurde. Bis vor einigen Monaten haben diese Frauen unter Bedingungen gearbeitet, die man als geradezu typisch für unseren Arbeitsmarkt bezeichnen könnte - offiziell erhielten sie einen Minimallohn und der Rest ihres Verdienstes wurde ihnen „auf die Hand“ ausgezahlt, sie arbeiteten Überstunden ohne entsprechende Bezahlung und auch die gesetzlichen Arbeitszeiten wurden nicht eingehalten, sie hatten kein Recht auf Urlaub und einen freien Tag im Laufe der Woche usw. Als es zur Unternehmensübernahme kam, änderten sich die Regeln. Ihr Einkommen war offiziell gestiegen, die Schichtarbeit verlief im Rahmen der gesetzlichen Arbeitszeitbeschränkungen, ihnen wurde das Recht auf Urlaub und freie Tage gewährt. Während man früher diese Frauen erschöpft und übermüdet in den Geschäften antreffen konnte, sieht man sie heute wütend und frustriert. Was ist geschehen?
Es geht darum, dass sie buchstäblich gezwungen waren, den Preis der Verwirklichung grundlegender Arbeitsrechte zu bezahlen. Trotz des höheren Lohns und des größeren Schutzes ihrer Rechte ist ihre Lohntüte am Monatsende dünner geworden. Diese Situation verweist mehr als deutlich auf eine Frage, die für die hiesigen Frauen brennende Wichtigkeit hat - können wir uns diese Rechte überhaupt leisten? Wollen wir lieber erniedrigende und ausbeuterische Arbeitsbedingungen hinnehmen, als in noch größerer Armut zu leben, wobei uns ein klein wenig Arbeitsrecht zugestanden wird? Dieses brutale Dilemma macht es einem nicht leicht, sich für eine Seite zu entscheiden. Ein System, das während des superschnellen Transitions-Slaloms das Land verwüstet, Einzelnen zum Reichtum verholfen und die Institutionen jeglichen Sinnes entledigt hat, da sie zu lächerlichen Kulissen verkommen sind. Die Folge ist ein vollkommener Vertrauensverlust gegenüber der Rechtsordnung, deren Reform und Wiederlangen der Würde auf Kosten breiter Bevölkerungsschichten geht, die unlängst wieder einigermaßen wieder zahlungsfähig geworden sind. Andererseits würden Viele, wenn sie denn die Wahl hätten, sich für den bisherigen Status quo entscheiden, da sie eben durch dieses, in den letzten Jahrzehnten praktisch unveränderte System, ungeachtet dessen nicht gerade überzeugender, auf Legalität pochenden Rhetorik, darin bestärkt werden, dass sich Prinzipienhaftigkeit nicht auszahlt und sich nur die Schwachen auf das Recht berufen, also jene, die keine andere Möglichkeit haben bzw. die sich keine andere Möglichkeit leisten können. Obwohl es auf der Hand liegt, dass die Herrschaft des Rechts alternativlos sein sollte, ist es heuchlerisch, Moralpredigten über die erzwungene Wahl der meisten Arbeitnehmer zu halten, die auch weiterhin mit halblegalen, ergo illegalen Arbeitsbedingungen einverstanden sind, vor allem, wenn man in Betracht nimmt, dass große Monopole auch weiterhin unangetastet bleiben.
In einem derartigen Zusammenhang scheint es am sinnvollsten zu sein, die eingangs genannten Fragen umzuformulieren und sich Gedanken darüber zu machen, wie man den Großteil des Reformdrucks auf die stärksten Glieder in unserer sozialen Kette verlagern könnte, wie man die Wahl zwischen der menschlichen Würde und der Absicherung der nackten Existenz vermeiden könnte, und man könnte sich auch darüber Gedanken machen, dass ohne die Unterstützung der breitesten Bevölkerungsschichten keine nachhaltige Reform durchführbar ist. Mag sein. Und vielleicht lassen diese Umformulierungen die Unhaltbarkeit des eingangs dargelegten Dilemmas auf Neue unsichtbar werden - können wir uns diese Rechte überhaupt leisten? Wenn wir uns diese Frage nur stellen, heißt das dann, dass wir sie gar nicht wollen oder gar dass unser Wunsch nicht stark genug ist?
Eben diese Phrase stellt eine der häufigsten Reaktionen auf die seitens der Frauenorganisationen geäußerten Kritik der staatlichen Institutionen auf allen Ebenen dar - „die Frauen wollen keine Rechte für sich“ - und auch deshalb ist unser Parlament das männlichste in der Region (nur 11% der Parlamentarier sind Frauen). Die Dinge sind jedoch weitaus komplizierter - die gesellschaftliche Situation bietet uns erst gar nicht die Möglichkeit, diese Rechte wahrzunehmen, ohne uns dabei auf vielfältige Weise abzumühen und Verzicht zu leisten. Müssen es mehrheitlich die Frauen und andere benachteiligte Randgruppen sein, die den höchsten Preis der Transition zahlen werden?
Vor dreißig Jahren, oder auch mehr, trugen die Feierlichkeiten zum 8. März in Montenegro immer noch eine lebendige Erinnerung an die erkämpften Frauenrechte in sich. Die Notwendigkeit einer weiteren und tieferen Emanzipation wurde durch Kriege auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien verdrängt, aber auch durch die unzureichend transparente Transition, die allzu oft nur als Deckmantel für diverse Machenschaften diente. Aufgrund der allmählichen Kommerzialisierung dieses Datums und de unkritischen Verhältnisses zur Vergangenheit, über die man immer weniger weiß und mit der immer oberflächlicher umgegangen wird, ist es schwer, die Erinnerung an eine Zukunft aufrechtzuerhalten, wie sie vielleicht hätte sein können. Das hundertjährige Jubiläum des 8. März ist ein guter Zeitpunkt, um die wesentlichen Punkte der politischen Forderungen der Frauen noch einmal auf eine klare, sichtbare und relevante Weise zum Ausdruck zu bringen.
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