Dr. Ute Scheub im Interview mit Prof. Rolf Pohl - über hegemoniale und militarisierte Männlichkeit.
Herr Professor Pohl, warum schildern Soldaten den Krieg immer wieder mit einer sexualisierten Sprache?
Weil Soldaten ihre kriegerischen Aktionen zumindest auf der metaphorischen Ebene als eine Art Geschlechtskampf sehen, der verschiedenen Stadien folgt: Annäherung, Angriff, Eindringen, Penetration, großartige Explosion. Geschlechtskampf und Gefechtskampf sind sich auch sprachlich nahe. Und viele Männer beschreiben diesen Kampf so euphorisch, als würde es sich wirklich um einen Orgasmus handeln, ich erinnere hier nur an Ernst Jüngers Kriegs verherrlichende Schriften über den Kampf als „inneres Erlebnis“. Auch bei Wissenschaftlern und Ingenieuren, die neue Waffen konstruieren, herrscht diese sexualisierte Sprache vor. Die US-Wissenschaftlerin Carol Cohn hat 1984 beschrieben, mit welchem Jargon ihr in einem nuklearen Forschungsinstitut die neuesten Waffen vorgeführt wurden. Ihre Gesprächspartner priesen begeistert ihre Waffensysteme: „Überwältigend. Du kriegst mehr Bums fürs Geld.“ Die neuen MX-Raketen, vom damaligen US-Präsidenten Reagan „peacekeeper“ genannt, sollten nur in der besten Halle untergebracht werden, denn man stecke ja nicht die „hübscheste“ Rakete in ein „miserables Loch“. In anderen Vorträgen ging es um die besten Abschüsse aus vertikaler Position, „vertical erector launchers“.
Was spielt sich in diesen Männerköpfen ab?
Natürlich kann man nicht behaupten, dass diese soldatischen Männer dabei wirklich einen Orgasmus erleben. Aber für sie ist ihre Kampfeslust sexuell und ihre Sexualität gleichzeitig aggressiv bestimmt: sich aufrichten, eindringen, aufreißen, aufspießen, durchbohren, zerstören, wegwerfen. In den 1920er Jahren hielt der Sexualwissenschaftler Wilhelm Reich das für den Ausdruck eines phallischen Narzissmus, zu dessen Grundlagen eine allgemeine Geringschätzung der Weiblichkeit und eine Abwertung der Frauen gehört.
Aber es gibt ja auch Beschreibungen, die wie Geburtsvorgänge klingen?
Das gehört offenbar mit zur männlichen Kriegslogik. Erst penetriert man, zerstört, explodiert, und dann entsteht – wiederum metaphorisch – neues Leben. Im Kern dieser destruktiven Fantasie steht die Idee einer doppelten Geburt: einer Geburt durch Zerstörung, die etwa in der pathetischen Beschwörung einer „neuen Weltordnung“ aufscheint, und einer rein mann-männlichen Wiedergeburt ohne Beteiligung von Frauen.
Dass Gewehre und Waffenrohre als verlängerter Phallus wahrgenommen werden, ist ja schon fast ein Klischee. Aber gleichzeitig tragen sie weibliche Namen. Wie verträgt sich das?
Das hat eine mehrfache Bedeutung. Einerseits galt bei uns und auch in der US Army: Das Gewehr ist die Braut des Soldaten. Es gab im Vietnamkrieg den Spruch: „This is my rifle, this is my gun, one for the killing and one for the fun.“ An die Stelle der Frau rückt also das militärische Gerät. Wenn man damit schon kein Leben produzieren kann wie die Frauen, dann kann man wenigstens gigantische Zerstörungen erzeugen und erweist sich damit als Herr über Leben und Tod. Bomben allerdings tragen meist männliche Namen, während Militärflugzeuge oft nach der Mutter der Piloten benannt werden. Vielleicht, weil sie einen Bauch haben, einen Laderaum, aus dem Bomben fallen. Raketenköpfe, die die US Army Richtung Irak abschoss, trugen die Inschrift: „For Saddam with love“. Das ist beides gleichzeitig: eine phallische Aufladung von Waffensystemen und eine Armierung und Bewaffnung der eigenen Sexualität. So wie in den Träumen, die ein Patient seinem Psychoanalytiker erzählte: Regelmäßig träume er davon, dass ein Bajonett auf seinem Penis aufgepflanzt ist und er damit Geschlechtsverkehr praktiziert. In der Geschlechterforschung, der feministischen Debatte und der Psychoanalyse ist es ein wenig aus der Mode gekommen, über die sexuelle Dimension dieser Dinge zu reden. Damit wird die Phallokratisierung von Waffen und die Armierung des männlichen Ichs nicht mehr thematisiert – eines unsicheren Ichs, das sich symbolisch oder real bewaffnen muss, um Sexualität überhaupt noch erleben zu können.
Wieso ist Männlichkeit so fragil?
Männlichkeit ist fragil, weil patriarchalische Gesellschaften von Männern fordern, dass sie autonom, unabhängig und selbstständig zu sein haben. Aber Gesellschaft ist kein Zustand lauter autonomer unabhängiger Subjekte, und vor allem in der Sexualität wird diese Unabhängigkeit fundamental infrage gestellt. Heterosexuelle Männer begehren Frauen, aber sie hassen gleichzeitig ihr Begehren, weil sie sich als abhängig von Frauen, ihren Körpern und ihrer Sexualität empfinden. Hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Frauenhass. Wenn ihre vermeintliche Autarkie infrage gestellt wird, reagieren viele Männer gekränkt und aggressiv. Das ist eigentlich seltsam, denn an einem echten Macho müsste so etwas eigentlich abprallen. Die Vorbilder des Macho, das sind Figuren wie die mexikanischen Revolutionsführer Emiliano Zapata oder Pancho Villa, mit lauter Patronengurten um den Körper, daneben ein paar Frauen und eine Flasche Tequila. Aber im Grunde ist das Machogehabe nur eine Kompensation von Schwäche, die ein Mann sich selbst nicht zugesteht, weil er Schwäche als weiblich empfindet. Je stärker sich ein Mann von seiner inneren Schwäche bedroht fühlt, desto stärker muss er Gegenmaßnahmen ergreifen, wozu nicht nur der machismo, sondern auch Perversionen und sexuelle Gewalt gehören.
Haben Männer im Militär nicht genauso viel Angst vor anderen Männern wie vor Frauen?
Ein Kommandeur und ein Gefreiter haben mir einmal erzählt, wie sie mit ihrer Bundeswehr-Einheit in den Kosovo abkommandiert wurden und dort ein, zwei Wochen lang ein großes Lager aufbauten. Als sie sich mit den Soldaten in einem Gemeinschaftszelt trafen, fragten sie: „So, Jungs, fehlt noch was?“ Und daraufhin kam wie selbstverständlich von allen Seiten: „Wie ist das mit den Frauen, mit Pornografie, mit Prostitution? Kümmert ihr euch um die Beschaffung, oder sollen wir das selbst besorgen?“ Der Gefreite konnte es nicht fassen, wie Männer nach etwa zehn Tagen solch einen Sexkoller entwickelten. Offensichtlich ging es dabei aber gar nicht um die Befriedigung aufgestauter sexueller Bedürfnisse, sondern vor allem um den öffentlichen Beweis, dass sie allesamt nicht schwul waren. Die Vermutung der Sexualwissenschaft ist, dass in solchen homosozialen Situationen mit viel Enge, Nähe und Kameradschaft homosexuelle Anteile aktiviert und dann als bedrohlich wahrgenommen werden. Es geht also vor allem um die Abwehr von Homosexualität, wenn Männer ihre Heteronormativität so zwanghaft darstellen müssen. Man(n) will zeigen, dass man ein richtiger Kerl und Soldat ist. Auch bei Kriegsvergewaltigungen sieht man, dass da durchaus homosexuelle Anteile mitspielen, ohne dass das den Tätern selbst zu Bewusstsein kommt.
Wie das?
Der Prozentsatz von Gruppenvergewaltigungen ist sehr hoch, er beträgt in Zivilzeiten 30 bis 50 und in Kriegszeiten ungefähr 70 Prozent aller Vergewaltigungen. Hier vergewaltigen Männer direkt nacheinander oder gar gleichzeitig eine Frau. Wenn man es etwas verkürzt darstellt, dann begegnen sich Männer in einem zum bloßen Behälter degradierten weiblichen Körper, der allein auf seine Öffnungen reduziert wird. In einer deutschen Aidsberatungsstelle hat sich einmal ein Anrufer gemeldet, der zusammen mit seinen Saufkumpanen eine Frau vergewaltigt hatte. Einer seiner Kumpels, der vor ihm „dran war“, erwies sich als HIV-positiv, und nun hatte er Angst, dass er sich im Körper des Opfers an dessen Sperma angesteckt haben könnte. Solche Männer wollen sich gegenseitig demonstrieren, dass sie nicht homosexuell sind, und praktizieren dabei gleichzeitig eine pervertierte gewalttätige Form von Homosexualität, deren Abwehr mit dem Hass auf das zugleich begehrte und entwertete weibliche Geschlecht einhergeht. Elfriede Jelinek hat in einem ähnlichen Zusammenhang treffend von der „Annihilierung“, das heißt von einer völligen Zunichtemachung des weiblichen Körpers und damit der weiblichen Subjektposition gesprochen.
Wenn Sie Veranstaltungen mit Militärs machen, wie reagieren die auf Ihre Ausführungen zu sexueller Gewalt?
Bei einer Veranstaltung vor Generälen und Generalsanwärtern habe ich einmal große Fotos von den Massenvergewaltigungen im chinesischen Nanking durch das japanische Militär gezeigt – und bin auf eine Wand von Abwehr gestoßen. Niemand wollte darüber reden oder sich gar darauf einlassen, dass das etwas mit Männlichkeit und männlicher Sexualität zu tun haben könnte. Nur einer wollte in etwas schnarrendem Ton wissen, mit welchen eher technisch verstandenen Anweisungen sie als Kommandeure so etwas verhindern könnten.
Sexuelle Gewalt von Männern gegen Männer scheint in bewaffneten Konflikten viel häufiger vorzukommen als gemeinhin angenommen. Wie ist das erklärbar?
Hier gibt es verschiedene Formen, bei denen genauer zwischen sexualisierter und sexueller Gewalt unterschieden werden muss: Sexuelle Folter soll die Opfer in besonderer Weise demütigen und entmännlichen, zum Beispiel durch Einführen von Gegenständen sowie durch andere Formen sexueller Schmerzzufügungen und Erniedrigungen. Zu diesen sexualisierten Foltermethoden sind übrigens auch weibliche Soldaten fähig, wie das Beispiel Lynndie England gezeigt hat. Wenn es zu direkten Vergewaltigungen kommt, bei denen es auch oder vorwiegend um die sexuelle Lust der Täter geht, dann werden diese das wahrscheinlich damit legitimieren, dass sie selbst aktiv und beherrschend bleiben und damit in ihren eigenen Augen nicht homosexuell sind. Das kennt man auch aus anderen Kulturkreisen oder Zusammenhängen. Homosexuelle Aktivitäten in Gefängnissen werden geduldet, weil sie als Ersatz gelten und einer „vorübergehenden Notsituation“ geschuldet sind. Hauptsache, man ist selbst der Aktive und behält dabei die Kontrolle und die Oberhand. Die männlichen Opfer werden als ein begehrenswertes, aber rohes Stück Fleisch betrachtet, dessen Geschlecht im Prinzip als weiblich empfunden oder gekennzeichnet wird.
Geht es um Lust, die sich vor allem der eigenen Macht und der Ohnmacht der anderen versichern will?
Der Vorsitzende der Formel-1, Bernie Ecclestone, der vor kurzem durch sein Loblied auf Hitler auffiel, machte schon vor ein paar Jahren die Bemerkung, Frauen müssten grundsätzlich weiß gekleidet sein, „so wie alle anderen Haushaltsgeräte auch“. Und mit dieser Haltung hält er sich seit vielen Jahren als Vorsitzender einer der wichtigsten Männersportarten. Gleichzeitig konsumieren solche Männer junge Mädchen in Serie, mit denen sie ihr Ego als alte, aber reiche und mächtige Männer aufpolieren.
Das sind doch klare Beispiele für sexualisierte Machtpolitik?
Ja. Macht macht geil, besagt ein klassischer Machospruch. Es gibt Leute, die eine unglaubliche Lust an der Macht empfinden und Macht ausnutzen für ihre sexuelle Befriedigung. Aber ich glaube, dass die Sexualität sich nicht allein in einen Machtdiskurs auflösen lässt. Wenn man daran festhält, dass es nur sexualisierte und nicht auch sexuelle Gewalt gibt, dass es den Tätern also allein um Macht geht und nicht auch um sexuelle Lust, dann unterstützt man sogar den Männlichkeitswahn. Als habe der Mann seine Sexualität so unter Kontrolle, dass er sie jederzeit an- und ausknipsen und notfalls sogar auf Befehl einsetzen kann.
Rund 30 Prozent der Vergewaltiger sollen sexuelle Funktionsstörungen bei der Tat haben.
Ist ja auch kein Wunder. Aber wenn sie vorher eine Viagra einnehmen, ist das inzwischen kein großes Problem mehr. Durch Viagra lassen sich Körperlichkeit und Begehren endgültig medikamentös voneinander trennen. Vergewaltigungen werden durch Militärs in Ruhephasen verübt, nach Siegen, Eroberungen oder in Übergangszeiten. Da kommen mehrere Motivationen zusammen: Sie waren im Kampfeinsatz, sie haben Angriffe und Todesangst überlebt, sie wollen zeigen, dass sie leben, dass sie weiterhin Männer sind, und das demonstrieren sie in einer unglaublich brutalen Art und Weise auch auf dem Feld der Sexualität.
Ist das nun sexualisierte Gewalt oder sexuelle Gewalt?
Es gibt natürlich fließende Übergänge zwischen sexueller Gewalt und sexualisierter Gewalt oder sexualisierter Machtpolitik. Aber ich verwende den Begriff sexualisierte Gewalt nicht, weil ich davon ausgehe, dass die männliche Sexualität in männlich dominierten Gesellschaften prinzipiell von einer Mischung aus Aggressivität und Begehren gekennzeichnet ist. Unter den destruktiven Vorzeichen von Kriegen entmischt sich das, und es gibt eine Verschiebung von Feind zu Frau. Joan Smith hat in ihrem Buch Misogynies in den 1980er Jahren über ein Songbook von US-Atombomberpiloten berichtet. In einem dieser Lieder heißt es: „Ich fickte ’ne tote Hure im Graben, Ich wusste sofort, sie war tot. Keine Haut auf dem Bauch und null Haare. Damit hatte sie keine Not. Und als ich da so neben ihr lag, war ich aber reichlich erschreckt. Ich schleckte schnell die süße Muschi. Sog raus, was von mir ihn ihr steckt.“ Die Piloten singen diese Lieder, während sie mit Frauen und Kinder und Verwandtschaft grillen. Die kaum verhüllte Botschaft lautet: Frauenkörper rufen gleichzeitig Erregung und Abscheu hervor, und Tod und Verwesung sind folglich die Strafe für die lustvollen Gefühle, die sie beim Mann auslösen. Nach dieser Einstellung geht von Frauen selbst dann noch eine Todesdrohung aus, wenn sie schon halbtot oder ermordet worden sind. Frauen gelten also nicht nur als Sexualobjekte, sondern werden vielleicht gerade deshalb mit dem Tod assoziiert. Nach den Kampfhandlungen sind die Frauen des Feindes der Feind.
Wie kann man Soldaten dazu bringen, über ihre Männlichkeit nachzudenken?
Die in der Bundeswehr oder auch bei den UN-Friedenstruppen eingeführten Gender-Trainings sind hier nicht besonders brauchbar. Das darin vermittelte Weiblichkeitsbild basiert auf der Annahme, dass Frauen grundsätzlich verletzlich und potenzielle Opfer sind. Das aber bestärkt die traditionelle Männlichkeit mit ihrem Schutzanspruch gegenüber Frauen und ist tendenziell sogar kontraproduktiv. Die Trainings müssten sich dagegen viel stärker mit Männlichkeit, der männlichen Sexualität und den in ihr eingelagerten Weiblichkeitseinstellungen beschäftigen – wie funktioniert sie und warum ist sie so, wie sie ist? Auf die Bundeswehr bezogen müsste außerdem viel stärker als bisher die Sexualorganisation rund um die Lager der deutschen Soldaten in den Auslandseinsätzen beleuchtet werden: Wie viel Prostitution, insbesondere Zwangs- und Kinderprostitution gibt es, und kommt es innerhalb und außerhalb des Militärs zu sexuellen Übergriffen? Das wird bisher von der Bundeswehrführung und der Politik buchstäblich unter der Decke gehalten. Dagegen müsste versucht werden, eine öffentliche Kampagne zu starten, damit das endlich einmal diskutiert wird.
Wollen solche Männer mit der sexuellen Beherrschung von Frauen ihr beschädigtes Bild vom Mannsein reparieren?
Männlichkeit ist ein fragiles Konstrukt, und viele Männer fühlen sich durch Frauen und Weiblichkeit bedroht, speziell auf dem Gebiet der Sexualität. Bei den Sambia und anderen Ethnien in Papua-Neuguinea fürchten die Männer sogar, von Frauen tödlich angesteckt zu werden. Sexualität muss deshalb weit außerhalb des Dorfes vollzogen werden, im Stehen und ungeheuer schnell, denn die Männer müssen während dieser Zeit die Luft anhalten. Sie dürfen nicht atmen, weil nach ihrem Glauben während des Sexualaktes von den Frauen giftige Dämpfe ausgehen. Aus dieser Sicht ist die weibliche Sexualität bedrohlich, weil sie den Mann kontaminieren kann.
Aber es gibt doch auch völlig friedliche Völker mit nicht aggressiven Männern, beispielsweise die Semai in Malaysia. Bei ihnen scheint es keinerlei Verbindung zwischen Sexualität und Aggression zu geben. Entsteht diese also nur unter patriarchalischen Bedingungen?
Zweifellos. Diese Völker haben das Geschlechterverhältnis anders organisiert als wir, sie kennen keine Unterordnung der Frauen unter die Männer. Aber in patriarchalischen Gesellschaften muss die Vergeschlechtlichung von Macht tief in die Körper der Männer eingeschrieben werden. Und dazu dienen auch die Initiationsriten, die bei den Männern viel weiter und tiefer gehen als bei den Frauen. Die Blutrituale, das Ritzen und Schneiden, dienen in erster Linie dazu, das „vergiftende“ mütterliche Blut aus dem männlichen Körper herausfließen zu lassen. Die Baruya in Papua-Neuguinea ersetzen das übrigens in rituellen Fellatiopraktiken durch das Sperma älterer Initianten, die noch nie Sex mit einer Frau hatten, die also noch nicht erneut weiblich „vergiftet“ worden sind. Die Logik ist: Sperma ist die bessere Milch, es bringt Jungen zum Wachsen und macht aus ihnen Männer. Sperma muss auch den Frauen zu trinken gegeben werden, damit sie schwanger werden, Söhne gebären und selbst gute Milch geben können.
Aber es gibt doch auch hierzulande viele Männer, die völlig friedlich und unauffällig sind?
Sicherlich, und zum Glück ist das die überwiegende Mehrheit der Männer. Öffentlichkeit und Medien schauen immer nur auf die Vergewaltiger, die Straftäter, die Jugendlichen, die aus dem Ruder laufen. Aber eigentlich müssten wir gerade über diejenigen reden, die friedlich sind und weniger auffallen. Auch bei denen gibt es aggressive Anwandlungen, aber sie haben Formen gefunden, damit umzugehen. Wenn man gründlicher über sie forschen würde, könnte man herauskriegen, an welchen Weichenstellungen in ihrer Lebensgeschichte das lag. Eine der wichtigsten Weichen ist die Adoleszenz: Hier wird Männlichkeit und speziell die Sexualität in eine aggressive Richtung mit einer ambivalenten bis feindseligen Einstellung zu Frauen gebahnt – oder eben nicht.
Rolf Pohl ist Professor für Sozialpsychologie und sexualwissenschaftliche Männlichkeits- und Geschlechterforschung an der Universität Hannover. Er habilitierte mit dem 2004 erschienenen Buch "Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen."
Entnommen aus: Ute Scheub, „Heldendämmerung – die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist“, Pantheon-Verlag, München 2010, S. 144-153.