von Rita Schäfer
„Transitional Justice– ein Weg gegen sexualisierter Kriegsgewalt?“ lautete die Leitfrage des Fachgesprächs, zu dem das Gunda Werner Institut am 3. November 2011 einlud. Neben südafrikanischen Referentinnen sowie Diskutantinnen aus Simbabwe und der Demokratischen Republik Kongo nahmen Vertreterinnen des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) und einiger deutscher Nichtregierungsorganisationen insbesondere aus der Friedens- und Konfliktarbeit teil. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem European Centre for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) und dem Frauensicherheitsrat statt. Dieses Fachgespräch knüpfte an die internationale Konferenz zur UN-Resolution 1325 an, die das Gunda-Werner Institut im Oktober 2010 anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Resolution ausgerichtet hatte. Thematisch nahm es auch Bezug auf das Fachgespräch zu militarisierter Männlichkeit, das aufbauend auf diese Konferenz im Mai 2011 vom Gunda Werner Institut durchgeführt worden war. Dort hatten ugandische und südafrikanische Gender-Aktivisten ihre Arbeit mit männlichen Überlebenden sexualisierter Kriegsgewalt und Ansätze zur Verhaltensänderung von Männern in Post-Konfliktgesellschaften vorgestellt.
Nun richtete sich der Fokus auf die Transitional Justice (Übergangsjustiz) und deren Bedeutung für die Bewältigung sexualisierter Kriegsgewalt. Im Mittelpunkt standen Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, konkret die Truth and Reconciliation Commission (TRC) in Südafrika, die Vorbild für zahlreiche Kommissionen insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent war. Darüber hinaus ging es um internationale Strafgerichte, wobei der Schwerpunkt auf dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) lag. Dreh- und Angelpunkt war die Frage, inwieweit internationale Tribunale geeignet sind, Opfern sexualisierter Kriegsgewalt Gerechtigkeit zu gewähren.
Zur Eröffnung zeigte Gitti Hentschel, Leiterin des Gunda Werner Instituts, diese Bezüge auf. Sie illustrierte die geschlechtsspezifischen Gewaltmuster und Gewaltdynamiken in und nach Kriegen. Eindrücklich hob sie hervor, dass insbesondere sexualisierte Kriegsgewalt, die von Soldaten oder von Kombattanten verübt wird, vielerorts von der Übergangsjustiz ausgespart bleibt und keine Bestrafung der Täter stattfindet. Die damit einhergehende Duldung von Gewalt hat die Fortsetzung von sexualisierter und häuslicher Gewalt in Nachkriegsgesellschaften zur Folge, so Hentschel. Sie erklärte weiter: Jungen, die Gewaltübergriffen ihrer Väter hilflos zuschauen müssen, und Mädchen, die Misshandlungen ihrer Mütter beobachten, werden nicht nur traumatisiert. Vielmehr übernehmen sie auch Rollenmuster und Gewaltlegitimationen als handlungsleitend. Diese Generationendimensionen und die großen Ausmaße der Gewalt fordern umfassende Gegenstrategien. Daraus leitete Gitti Hentschel folgende Leitfrage für das Fachgespräch ab: Welche Formen der Übergangsjustiz sind sinnvoll und entsprechen den Interessen der Opfer bzw. Gewaltüberlebenden?
Darauf hin spannte Dr. Helen Scanlon, seit einigen Monaten Mitarbeiterin des Africa Gender Institute in Kapstadt, einen weiten Bogen. Sie war zuvor für das Gender Programm des International Centre for Transitional Justice (ICTJ) zuständig gewesen und widmete sich deshalb den globalen Dimensionen der Übergangsjustiz. Scanlon, selbst Historikerin, referierte über unterschiedliche Gerechtigkeitskonzepte, etwa die wiederherstellende und bestrafende Gerechtigkeit. Zudem problematisierte sie den juristischen Diskurs als zentrale Grundlage der Übergangsjustiz und wies auf die daraus resultierende Schwierigkeit hin, interdisziplinäre Perspektiven zu entwickeln. Scanlon unterstrich, dass „Transitional Justice“ zwar wie ein Etikett benutzt wird, um unterschiedliche Formen wie Strafverfolgung oder Wahrheits- und Versöhnungskommissionen zu erfassen. Faktisch handele es sich hier aber um sehr divergierende Prozesse der Aufarbeitung von Gewaltverbrechen. Wichtig sei es, keine Form der Vergangenheitsbewältigung von außen aufzudrängen. Auch muss jegliche Verstärkung der Stigmatisierung von Opfern vermieden werden, dies sei vor allem für Überlebende sexualisierter Gewalt wichtig. Zudem betonte Scanlon, mit dem Gender-Begriff sollte vorsichtig umgegangen werden, zumal für viele Nachkriegsgesellschaften Gender ein fremdartiges Konzept ist. Sie stellte zur Diskussion, dass sinnvoll angewandte Prozesse der Übergangsjustiz im Idealfall Ansatzpunkte für Rechtsreformen und institutionelle Veränderungen bieten können. Diese sollten Frauenrechte und den Zugang von Frauen zur Justiz umfassen. Allerdings sind diese Reformprozesse keine Garantie für die Reduzierung häuslicher Gewalt, was die komplexe Problematik von Übergangsjustiz und deren Wirkungen belegt.
Sheila Meintjes, Professorin für Politikwissenschaften an der Witwatersrand Universität in Johannesburg, stellte die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Mitte der 1990er Jahre gehörte sie zu den Wissenschaftlerinnen, die konkrete Vorschläge für die systematische Integration von Gender-Aspekten in die TRC erarbeitet hatten. Schließlich war das gesamte Apartheidregime geschlechtsspezifisch strukturiert und geschlechtsspezifische Gewalt hatte Regime erhaltende Bedeutung. Die TRC-Komissionsmitglieder erkannten nicht die Wichtigkeit dieser Perspektive. Sie beschränkten sich darauf, landesweit drei Spezialanhörungen anzuberaumen, bei denen Frauen vor allem als Mütter und Ehefrauen auftraten. Ihre Rolle als eigenständige politische Aktivistinnen blieb weitgehend unbeachtet, obwohl sie wegen ihres politischen Engagements in die Fänge der Apartheidpolizei geraten, gefoltert und vergewaltigt waren. Prof. Meintjes führte aus, dass die Spezialanhörungen nicht geeignet waren, um über sexualisierte Gewalt zu sprechen, weil die Frauen damit ihre Ehemänner als Versager bloßgestellt hätten. Gemäß tradierter Geschlechternormen wäre es deren Aufgabe gewesen, ihre Partnerinnen vor solchen Übergriffen zu schützen. Der Abschlussbericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission enthielt nur ein Kapitel über Frauen; sie tauchen im wesentlichen als Mütter und Ehefrauen männlicher Aktivisten auf. Demgegenüber wirkten Frauen aber trotz der partiarchalen Gesellschaftsstrukturen am politischen Kampf mit. Diese Paradoxien kennzeichnen laut Meintjes die Aufarbeitung der Apartheid-Gräuel. Sie erklärte, dass die engagierten Wissenschaftlerinnen sich nicht darauf beschränkten, ein Gender-Konzept für die TRC zu entwerfen, sondern mit Frauenorganisationen eine großangelegte Befragung von Südafrikanerinnen in allen Landesteilen durchführten und deren Ergebnisse für Rechtsreformvorschläge nutzten. Konkret ging es darum, dass schwarze Frauen als vollwertige Rechtspersonen anerkannt wurden. Bislang galten sie als unmündig und waren ihren Ehemännern unterstellt. Gegen den massiven Widerstand sogenannter traditioneller Autoritäten und mit energischer Lobbyarbeit erreichten die Aktivistinnen die Anerkennung des vollwertigen Rechtsstatus von Frauen in der neuen Verfassung von 1996. Trotz der geschlechtergerechten Verfassungsgrundlagen hat Südafrika extrem hohe geschlechtsspezifische Gewaltraten. Um so wichtiger sind zivilgesellschaftliche Kräfte, die von der Regierung umfassende Maßnahmen gegen die Gewalt verlangen. Deshalb ist der Rückzug internationaler Geberorganisationen aus Südafrika fatal, denn kritische Nichtregierungsorganisationen sind auf Förderung von außen angewiesen. Abschließend forderte Meintjes, die Geber sollten sich statt dessen zusammensetzen und gemeinsame Strategien zur Förderung der Gender-Arbeit entwickeln.
Anna von Gall, Programmdirektorin für Gender und Menschenrechte des European Centre for Constitutional and Human Rights e.V. in Berlin erläuterte die Bedeutung internationaler Strafgerichtsprozesse zur Verarbeitung sexualisierter Kriegsgewalt. Sie ging der Frage nach, inwieweit juristische Verfahren als Motor gesellschaftlicher Transformationsprozesse gelten können, zumal die Kriegs- und Gewalterfahrungen von Frauen keineswegs homogen sind. Von Gall erklärte, dass die Berücksichtigung sexualisierter Gewalt als Kriegsverbrechen in der Geschichte der internationalen Strafjustiz erst ein Novum ist und es bislang nur wenige Fälle gibt, bei denen diese Gewaltform berücksichtigt wurde. Die international versierte Juristin spannte den Bogen von den Nürnberger Prozessen über die Tribunale zu Ex-Jugoslawien und Ruanda über die Verfahren des ICC gegen kongolesische Warlords bis hin zu den aktuellen Prozessen in Deutschland, wo sich ebenfalls Milizenführer aus der Demokratischen Republik Kongo u.a. für sexualisierte Gewaltverbrechen im Ostkongo verantworten müssen. Zudem wies sie auf neue Ansätze zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt während der Militärjunta in Argentinien und auf die Berücksichtigung von Zwangsverheiratungen im derzeitigen Tribunal zur Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha hin. Von Gall stellte auch Bezüge zur Resolution 1325 zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ sowie den Folgeresolutionen 1820, 1888, 1889 und 1960 des UN Sicherheitsrats her, zumal diese sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen kategorisieren und die Strafverfolgung der Täter verlangen. Gleichzeitig wies sie auf die Umsetzungsprobleme hin, zumal die verantwortlichen Juristen der in Deutschland stattfindenden Prozesse Gender-Trainings als Beeinflussung ablehnen. Auch mangelnde Kenntnisse über die komplexen Konflikte sind nicht nur hier ein Problem. Ein weiteres Grundproblem leitete zur Abschlussdiskussion über: Die Tatsache, dass die Anführer verurteilt werden und Tausende Milizionäre vor Ort weiter Gewalt und Schrecken verbreiten, indem sie eigene Milizen bilden oder sich anderen Kriegstreibern anschließen. Für die lokale Bevölkerung, insbesondere für Frauen, die von sexualisierter Gewalt bedroht sind, stellt sich fortwährend die Frage der Gerechtigkeit.
In der resümierenden Schlussdebatte wurden fortbestehende Grundprobleme und folgende Forderungen diskutiert: Geschlechtsspezifische Gewalt in der Öffentlichkeit und in der Privatsphäre, die endlich als Konfliktfolge verstanden werden muss; verbesserte Gender-Kenntnisse von Juristen sowie Justizreformen, die einen umfassenden Zeuginnenschutz beinhalten sollten; Vorsicht gegenüber Bevormundungen von außen, die Abwehr zur Folge haben können, und die Konzeption intersektionaler Ansätze, die unterschiedliche Gewaltmuster vor, während und nach Kriegen erfassen. Hier wäre die systematische Kooperation mit Frauenorganisationen sinnvoll, die auch konsultiert werden sollten, um Handlungsspielräume in der Übergangsjustiz zu nutzen. Dreh- und Angelpunkt sollte sein, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen und der Straflosigkeit ein Ende zu bereiten. Auf nationaler und internationaler Ebene sollten die Verantwortlichen mehr politischen Willen zur Umsetzung von Resolutionen und Abkommen zeigen und systematisch Monitoringprozesse verankern. Sie sollten sich bewusst werden, dass die Aufarbeitung und Überwindung von sexualisierter Kriegsgewalt langwierig ist.
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Dr. Rita Schäfer
Dr. Rita Schäfer ist Ethnologin und Autorin der Bücher: Frauen und Kriege in Afrika (2008); Im Schatten der Apartheid (2008). Forschungen über Gender, geschlechtsspezifische Gewalt , HIV/AIDS und Frauenrechte in Afrika. Analysen von Maskulinität in Kriegen und Nachkriegsgesellschaften (u.a. in Südafrika, Simbabwe, Namibia, Sierra Leone).
Fachgespräche zu Friedens- und Sicherheitspolitik
- 26.05.2009 - Responsibility to Protect - Schutzverantwortung aus Gender-Sicht
- 28.10.2009 - Hat Terrorismus ein Geschlecht?
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- 18.05.2011 - Militarisierte Männlichkeit in (post-)Konfliktregionen
- 03.11.2011 - Transitional Justice - ein Weg gegen sexualisierte Kriegsgewalt?