Commons und Gender haben zwei Dinge gemein. Sie sind überall, aber nicht einfach zu sehen. So als bedürfe es einer besonderen Brille um sie überhaupt wahrzunehmen! Diese Brille aufzusetzen erfordert sehr viel: Denkarbeit, eine ständige (selbst)reflexive Praxis und das fortwährende Austragen von Konflikten. Doch wer einmal hindurch und damit schärfer gesehen hat weiß, dass es geradezu unmöglich ist, die Gender- oder Commons-Brille wieder abzusetzen.
Über die Gemeinsamkeiten von Commons- und Gender-/queerfeministischer Perspektive wurde bislang verhältnismäßig wenig zu Papier gebracht. Vereinzelt werden die Konflikt- und Kritikpunkte formuliert, doch ein vertiefter Dialog zwischen „Commoners“, Genderexpert_innen und Queer-Feministin_nen, ein neugieriges und direktes Aufeinanderzugehen fand bislang nicht statt. Es überwiegt das Sich-Kritisch-Distanziert-Beäugen. „Wälder, Fischteiche und Gemeinschaft“ eröffnet Cornelia Möser ihren Beitrag zur Debatte, „da muss man bei aller Sympathie für Umweltschutz erst mal skeptisch sein.“ (Und flugs sind die Commons als Umweltschutz verschubladet!) Oder: „Gratisarbeit für soziale Anerkennung und Reputation […] Da fühlt sich die Feministin an das Auslaufmodell Hausfrau erinnert“ (ebd.).
Dieser distanzierte Skeptizismus will verstanden und herausgefordert werden: Wie steht es um die Geschlechterdimension in der Commonsdebatte? Welche feministischen Konstanten sind in den Commons aufgehoben, welche eingetrübt oder gar unsichtbar gemacht? Wo sind die Schnittstellen, wo die Bruchlinien? Wie ordnet sich historisch das Thema unbezahlter und überwiegend weiblicher Reproduktions- und Sorgearbeit zum (damit zeitlich verbundenen?) Zerfall der Commons? Liefern die Commons als alternatives Betriebssystem zum krisengeschüttelten Finanz- und Verwertungskapitalismus (auch) einen Ansatz für eine radikale Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse? Und wenn ja, wie ist damit umzugehen?
Commons?!
Gerade in Zeiten multipler Krisen werden vermehrt Ideen und Konzepte diskutiert, die eine andere Sicht der Welt sowie eine Praxis versprechen, in der Fairness für alle leichter möglich wird. Eines dieser Konzepte (Commons) erlebt nicht erst seit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an Elinor Ostrom im Jahre 2009 (die erste Frau, die jemals diesen Preis erhielt) eine Renaissance.
Commons wird im deutschsprachigen Raum meist unzulänglich mit „Gemein(schafts)güter“ oder „Allmende“ übersetzt. Unzulänglich deshalb, weil der Gemeinschaftsbegriff –insbesondere im Deutschen – an verordnete Kollektivität erinnert, die „Güter“ wie etwas von uns Getrenntes wirken und die „Allmende“ uns zurück vor die Moderne zu katapultieren scheint.
In der aktuellen Commons-Diskussion gibt es verschiedene Begriffsauffassungen, die sich in zwei Kategorien einteilen lassen. Die erste bezeichnet mit Commons geradewegs soziale, natürliche und kulturelle Ressourcen, die geteilt werden. Die zweite meint mit Commons nicht diese Ressourcen selbst – Wasser, Wald und Fischgründe, Wissen, Kultur und Code –, sondern sie werden stets in Beziehung zu ihren Nutzerinnen und Nutzern, samt der Institutionalisierungsformen dieser Beziehung verstanden. Dieser Commons-Begriff legt den Fokus auf das Mensch-Natur-Verhältnis. Er ist nur gebunden an die Handelnden denkbar, denn de facto erfordert die Entfaltung einer Sache als Commons eine spezifische soziale Praxis. Menschen müssen Commons gemeinsam herstellen, pflegen und weiterentwickeln. Sie müssen das Recht auf Selbstorganisation haben – jenseits von Markt und Staat. Das Recht darauf, gemeinsam zu vereinbaren, wie Zugangs- und Nutzungsrechte, Monitoring und Sanktionen zu regeln sind. Ohne diese soziale Interaktion, die als Commoning bezeichnet wird, keine Commons. „There is no commons without commoning“ hat der Historiker Peter Linebaugh einmal gesagt und damit einen der wichtigsten Sätze der Commonsdebatte geprägt.
In dieser Begriffsauffassung (der wir folgen) offenbart sich, dass im Kern des Commonskonzepts die soziale Interaktion und somit die Herrschaftsverhältnisse stehen. „Es geht schlicht darum, Organisations- und Kooperationsformen zu erkämpfen, in denen Dominanz über andere keinen Raum findet“ (Helfrich/ Stein 2011).
Sobald Commons als relationaler Begriff verstanden wird, wird auch der Bezug zur Gender-Problematik deutlich: Ebenso wie das doing commons ist auch Gender immer ein doing gender. Geschlecht wird hergestellt – auch in und durch Tätigkeiten. Es wird verkörpert. So wie Commoners bezüglich der Dingen oder Güter, die wir teilen müssen, stellen Feminist_innen bezüglich Sorgearbeit die Frage: wer pflegt und reproduziert aufgrund welcher geschriebenen oder ungeschriebenen normativen oder ökonomischen Zuweisungen gemeinsame Ressourcen? Und wer hat überhaupt Zugang zu ihnen? Wer ist beteiligt an welcher Form der Reproduktionsarbeit? Die wichtige Frage ist also nicht: Was sind Commons? Sondern: Wer ist „wir“? Und: Was ist und welchen Prinzipien folgt Commoning?
Reibungspunkte
Queerfeministische Kritik entzündet sich unter anderem an diesem „wir“, an der Verkopplung mit der Gemeinschaft, die in Commons förmlich eingeschrieben ist. Tatsächlich enthält Commons den Begriff community ebenso wie das mittelhochdeutsche Allmende das Wort Gemeinde enthält. In dieser kritischen Perspektive werden Gemeinschaften quasi automatisch als ‚archaisch‘, ‚patriarchal‘ und ‚nicht selbstbestimmt‘ assoziiert. Cornelia Möser schreibt: „Wenn es auch queer communities gibt (...), so weinen diese wie auch Feminist_innen, den durch den Kapitalismus zerschlagenen Gemeinschaften keine Träne nach. Denn sie waren es, die ihre Körper und ihre Arbeit kollektiv zu besitzen meinten. Es war die kapitalistische Modernisierung, die einen Ausweg aus dieser Gemeinschaft und ihren gewalttätigen Zwängen ermöglichte (...). Dahinter zurückzufallen, kann ihnen niemand als Fortschritt verkaufen.“
Diese Kritik – die das Befreiungspotential von Markt und Geld für das Individuum betont –übersieht zumindest, dass Gemeinschaftsbildung im Zeitalter der Vernetzung und Entterritorialisierung unter völlig anderen Rahmenbedingungen stattfindet. Sie übersieht aber auch, dass Gemeinschaften historisch betrachtet nicht „naturgemäß“ patriarchal funktionierten, sondern Geschlechter- und Machtverhältnisse an ökonomische Rahmenbedingungen geknüpft sind und sich die heutige Vorherrschaft des Mannes und die ihr zugrundeliegende geschlechtertrennende Arbeitsteilung in bezahlte, Wert schöpfende und unbezahlte Reproduktionsarbeit erst im Prozess des Überganges vom Feudalismus zum Kapitalismus herausbildete. Dieser Prozess fiel vom 13. bis zum 16. Jahrhundert mit der großen Einhegungswelle der Commons und der Hexenverfolgung in Mittel- und Westeuropa zusammen. Silvia Federici hat diesen Entwicklungen ein ganzes Buch gewidmet (Caliban and the Witch – Women, the Body and Primitive Accumulation).
Commons sind so alt wie die Menschheit und so modern wie das Internet. Mitnichten reduziert sich der Gemeinschaftsbegriff in der Commmonsdebatte auf den eines schwäbischen Dorfes oder auf die cosmovisión der Indigenas im Amazonasbecken. Dennoch bleibt einerseits die Tatsache, dass sich Gemeinschaften in der Regel in Abgrenzung zu/zum Anderen konstituieren, was die Frage nach der Grundlage dieser Abgrenzung aufwirft und – wesentlicher noch – die Frage danach, wer diese Grenzen mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck zieht und durchsetzt. Andererseits ist offensichtlich, dass Geschlechtergerechtigkeit in der Kernforderung der Commons (Selbstbestimmung und Selbstorganisation) keinesfalls automatisch verwirklicht wird. Ein vielzitiertes Beispiel aus der modernen Wissensallmende ist das des „Männervereins“ Wikipedia: 91,5 Prozent der Autor_innen sind männlich, entsprechendes Dominanzverhalten inklusive.
Emanzipationspotential haben sich manche feministische Kämpfe in den letzten Jahrzehnten auch vom (Rechts)Staat versprochen, in dessen institutionellem Rahmen zahlreiche Forderungen nach (ökonomischer) Anerkennung der je spezifischen Lebenszusammenhänge und nach der Dekonstruktion der bestehenden Geschlechterordnung formuliert und durchgefochten wurden. Demgegenüber ist das Verhältnis zum (National-)Staat in der Commons-Debatte und bei weniger etatistischen Feminist_innen ein kritisches. Das hat damit zu tun, dass der Staat neben dem Markt historisch zu den enclosers gehört (> engl. enclosure/ Einzäunung, Einhegung). Doch die Idee einer einzigen ordnend-autoritären Macht widerspricht der Logik der Commons. Und zwar umso mehr als sich der ordnende Staat in der „gesellschaftlichen Situiertheit“ kapitalistischer Systemerhaltung befindet. Die Skepsis rührt aber auch aus der permanenten Reproduktion einmal entstandener patriarchaler und verwertungsorientierter Verhältnisse durch den Staat. Das wird insbesondere in Krisenzeiten deutlich. In diesen bürdet der am Tropf des Wirtschaftswachstums hängende Sozialstaat den commoners und insbesondere den Frauen auf, was er (so es ihn überhaupt gibt) nicht (mehr) zu leisten vermag. Das Cameron‘sche Konzept der Big Society steht dafür stellvertretend.
In Zeiten der Krise tritt noch deutlicher zu Tage, dass die Sorge für Gemeingüter (verstanden als gemeinsame Ressourcen) ebenso wie die Sorgearbeit vergeschlechtlicht ist. Beides sind Externalisierungsbereiche, denen nicht einfach durch das Einpreisen von Ressourcenverbrauch und Zeitnutzung zu begegnen ist. Dort, wo diese Forderung dennoch aufgemacht wird, müssen sich angesichts der vorherrschenden Wirtschafts- oder Systemlogik Umweltpolitiker und Klimaschützer mit der Kritik auseinandersetzen, noch den letzten Odem dem Kapitalisierungs- und Finanzialisierungszwang zu unterwerfen. Ganz ähnlich wie Feministinnen unterstellt wird/wurde, mit der Forderung nach Lohn für Hausarbeit oder nach ökonomischer Bewertung von Sorge und Pflege kaltherzig selbst die „intimen und menschlichen Beziehungen in der Familie an die anonyme Warenform“ (Möser) zu knüpfen. Und in der Tat zeigt sich hier das gemeinsame Dilemma der „Einpreisungsfalle“. Sobald das Preisschild dran ist, kann jedes Gut, jede Dienstleistung zur Handelsware oder zum Finanzprodukt werden. Des Zauberlehrlings Not kommt in den Sinn:„Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los!“
Die Debatte um Commons hat einen neuen Suchprozess initiiert; und zwar in einer Situation, in der soziale Sicherung (in einem kleinen Teil der Welt) nicht anders denkbar erscheint als über staatlich organisierte Versicherungssysteme, zugleich aber diese Systeme implodieren – in struktureller Abhängigkeit vom öko- und sozialressourcenerschöpfenden Wirtschaftsmodell. Sie stellt verstärkt die Frage nach Governanceansätzen, die uns aus der Markt-Staat-Abhängigkeit lösen können, ohne zurück zu gehen zur individualisierten Selbstversorgung oder zur „nostalgischen Gemeinschaftsverehrung“. Wie das konkret denk- und praktizierbar ist, dafür gibt es viele praktische Ansätze – das Artabana Netzwerk sei hier nur stellvertretend genannt. Doch der Diskussionsbedarf ist groß. Eine queerfeministische Perspektive in dieser Diskussion mitzudenken schützt vor einem simplen Zurück in die Vormoderne.
Wenn es stimmt, wie einige Protagonisten der Commonsdebatte postulieren, dass wir das Ende des Markt-Staat Duopols erleben, welches verheerende Breschen in unsere gemeinsame Ressourcenbasis geschlagen hat, und wenn das Potential der Emanzipation durch Staat und/oder Markt (verstanden als Befreiung von der Zwangsgemeinschaft) ausgeschöpft ist, dann stellt sich die Frage, welche geschlechtergerechten, herrschaftsfreien und lebensdienenden Konzeptionen wir nun entwickeln? Dass dies Konzeptionen den Menschen nicht als beziehungsloses, isoliertes und geschlechtsneutrales Subjekt (homo oeconomicus) definieren können, versteht sich von selbst.
Die teilweise Genderblindheit der Commonsdebatte ist nicht zu übersehen, doch daran kann gemeinsam gearbeitet werden. Wenn sich aber die Kritik an den Commons immer wieder an Missverständnissen entzündet (etwa daran, die Gemeingüterperspektive fokussiere reduktionistisch auf Verteilungsgerechtigkeit oder bei Commons ginge es um „Gratisarbeit“ und Kostenloskultur) so weist dies darauf hin, dass ein Kerngedanke der Commons –„frei“ wie in Freiheit und nicht wie in Freibier zu bestimmen–, nicht zur Kenntnis genommen wurde. Dabei ist völlig klar: Commons sind nicht kostenlos, aber ihre Bereitstellung, Pflege und Weiterentwicklung ist nicht an die Beschränkung der Nutzungsrechte anderer zu binden. Das ist ein entscheidender Unterschied zum vorherrschenden markt- und gelddominierten Betriebssystem.
Patriarchale Strukturen stärker und systematischer als bisher in den Blick zu nehmen, kann der Commonsdebatte nur gut tun. Feministische Protagonistinnen wie Silvia Federici machen in ihren Arbeiten deutlich, dass eine Rekonstruktion der Commons den Raum für Emanzipation erweitert und die Blindheit gegenüber den Folgen patriarchal- und marktstrukturierter gesellschaftlicher Verhältnisse für Natur und Mensch aufhebt. Auch Ökofeministinnen wie Maria Mies oder Vandana Shiva haben in der Vergangenheit wichtige Beiträge zu dieser Diskussion geleistet.
Diese Diskussion wollen wir vorantreiben und gemeinsam die geschlechterpolitische Gretchenfrage an die Commons stellen: die Frage nach den Machtasymmetrien zwischen Männern und Frauen
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Mehr zum Thema:
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