Frauen in prominenten Positionen gibt es in der Politik inzwischen – fast – europaweit. Zwar steht Angela Merkel als deutsche Staatschefin ganz vorne in Berichterstattung und Popularität; sie gilt gar als eine der mächtigsten Frauen der Welt. Aber eindrückliche Bilder, wie die von Spaniens schwangerer Verteidigungsministerin Carme Chacón demonstrieren, wie weit Europa mittlerweile entfernt ist von männlich dominierten Parlamenten und Kabinetten – oder ist dies ein trügerisches Bild?
Beteiligung von Frauen abhängig von den personellen Ressourcen der Parteien
Betrachten wir es genauer: Im Kabinett des sozialistischen spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodriguez Zapatero waren zeitweise tatsächlich mehr Frauen als Männer im Ministerrang vertreten. In der seit Dezember 2011 neu gebildeten Regierung Spaniens des konservativen Mariano Rajoy sind nur noch – oder immerhin? – vier von 13 Ministerien unter weiblicher Leitung. Dieser Vergleich zeigt, wie sehr die Beteiligung von Frauen an einer Regierung von der politischen Ausrichtung und den personellen Ressourcen der regierenden Parteien abhängig ist.
Frauen für Frauenthemen
Der Frauenanteil in der Regierung eines Landes ist sicherlich eine wichtige Information, um die politische Gleichstellung von Frauen beurteilen zu können. Dieser Anteil kann jedoch nicht als Kennziffer behandelt werden, da die Zahl der Ministerposten klein und ein Prozentsatz entsprechend wenig aussagekräftig ist. Wichtiger als der bloße Anteil ist zudem die Frage, ob Frauen Schlüsselressorts in einer Regierung übernehmen, wie dies momentan in Italien im Kabinett von Mario Monti der Fall ist: Von den 18 Ministerien sind zwar nur drei von Frauen besetzt, dies sind aber ganz entscheidende, nämlich Inneres, Justiz und Arbeit. Die Alternative, Ministerinnen als „Alibifrauen“ zu berufen, führte sein Vorgänger Berlusconi vor: In seinem letzten Kabinett gab es zwar immerhin vier Frauen, darunter aber solche wie die Ministerin für Gleichstellungsfragen Mara Carfagna, ein ehemaliges Showgirl. Die Ressorts dieser Ministerinnen – Bildung, Umweltschutz, Tourismus und eben Gleichstellung – beinhalteten die klassischen „Frauenthemen“.
Reißverschlußprinzip auf Wahllisten
Im derzeitigen Kabinett von Angela Merkel sind fünf von 16 Ministerien von Frauen besetzt. Dänemark hat mit Helle Thorning-Schmidt seit Oktober 2011 seine erste weibliche Ministerpräsidentin und mit 8 Ministerinnen von insgesamt 22 Ressorts auch einen recht hohen Frauenanteil im Kabinett. In Schweden werden von elf Ministerien sechs von Frauen geleitet. Damit ist Schweden das einzige europäische Land mit einer weiblichen Mehrheit in der Regierung. Sie besetzen so wichtige Posten wie das Justizministerium (Beatrice Ask), das Verteidigungsministerium (Karin Enström), das Wirtschaftsministerium (Annie Lööf) und das Arbeitsministerium (Hillevi Engström). Ein wichtiger Grund: In Schweden gibt es bereits seit 1994 das „Reißverschlussprinzip“ auf Wahllisten – also stehen jeweils gleich viele Frauen und Männer für politische Positionen zur Verfügung (vgl. Susanne Mayer, "Was ist weiblich? Im Land der weiblichen Männer", in: Die Zeit, 19.05.2005)
Auch Finnland erreicht mit 9 Frauen bei 18 Ministerien Gleichberechtigung im Kabinett. In Finnland gab es mit Anneli Jäätteenmäki (17.4.2003 bis 14.6.2003) und Mari Kiviniemi (22.6.2010 bis 22.6.2011) bereits zweimal, wenn auch kurz, weibliche Ministerpräsidentinnen. Soweit die Positivbeispiele in Europa – allesamt aus Skandinavien.
Von den 27 Mitgliedsstaaten der EU gibt es aber immer noch zehn mit nur einer oder zwei Ministerinnen – die aktuellen Regierungen der Tschechischen Republik und Ungarns hatten zeitweise sogar kein einziges weibliches Mitglied!
Frauenanteil in den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten
Land
Frauenanteil 2011
Schweden
44,7
Finnland
42,5
Niederlande
40,7
Dänemark
39,1
Belgien
38
Spanien
36
Deutschland
32,9
Slowenien
32,2
Portugal
28,7
Österreich
27,9
Luxemburg
25
Polen
23,7
Lettland
23
Großbritannien
22,3
Tschechische Republik
22
Italien
21,6
Bulgarien
20,8
Estland
19,8
Litauen
19,1
Frankreich
18,9
Griechenland
18,7
Slowakei
16
Irland
15,1
Rumänien
11,2
Zypern
10,7
Ungarn
8,8
Malta
8,7
Quelle: Interparlamentarische Union (IPU) (http://www.ipu.org/wmn-e/classif.htm am 4.5.2012)
Frauenanteil in den nationalen Parlamenten
Wenn wir den Frauenanteil unter den Abgeordneten betrachten, bildet sich zwar grob eine ähnliche Verteilung ab wie bei den Regierungen. Jedoch: Ein solider Anteil von etwa einem Drittel weiblicher Abgeordneter wie in Slowenien führt nicht zwangsläufig zu entsprechend vielen Positionen in den Schaltstellen der Macht – in Slowenien gibt es zur Zeit gerade einmal eine Ministerin.
Auffallend ist auch, dass so wichtige Staaten wie Frankreich und Großbritannien bei einem Frauenanteil im Parlament von nur ca. 20 % liegen. – Möglicherweise verstärkt das jeweilige Wahlsystem, die Direktwahl von Abgeordneten in Einer-Wahlkreisen, solche Benachteiligungen, in jedem Fall zeigen sich hier für Frauen ungünstige Strukturen.
Frauenanteil im europäischen Parlament
Der Anteil weiblicher Abgeordneter im EU-Parlament entspricht in vielen Ländern in der Tendenz dem in den nationalen Parlamenten. Wieder liegen Finnland und Schweden vorne, wieder nimmt Malta, das ausschließlich Männer in das Europaparlament entsandte, den letzten Platz ein. Die, von diesem „Ausreißer“ abgesehen, höheren Frauenanteile in der europäischen Volksvertretung im Vergleich zu den nationalen Parlamenten, täuschen insofern, als die Gesamtzahl der Abgeordneten von kleineren Ländern sehr klein sind, so dass bspw. lediglich zwei Parlamentarierinnen einen Prozentsatz von einem Drittel bedeuten können.
Land
Sitze
Frauen
Frauenanteil
Finnland
13
8
61.5%
Schweden
18
10
55.6%
Estland
6
3
50.0%
Niederlande
25
12
48.0%
Bulgarien
17
8
47.1%
Dänemark
13
6
46.2%
Frankreich
72
32
44.4%
Österreich
17
7
41.2%
Slowakei
13
5
38.5%
Lettland
8
3
37.5%
Deutschland
99
37
37.4%
Belgien
22
8
36.4%
Ungarn
22
8
36.4%
Portugal
22
8
36.4%
Rumänien
33
12
36.4%
Spanien
50
18
36.0%
Zypern
6
2
33.3%
Luxemburg
6
2
33.3%
Großbritannien
72
24
33.3%
Griechenland
22
7
31.8%
Slowenien
7
2
28.6%
Irland
12
3
25.0%
Litauen
12
3
25.0%
Italien
72
16
22.2%
Polen
50
11
22.0%
Tschechien
22
4
18.2%
Malta
5
0
0.0%
Gesamt
736
259
35.2%
Quelle: Interparlamentarische Union (IPU) (http://www.ipu.org/wmn-e/regions.htm am 4.5.2012)
Skandinavien: paritätische Beteiligung
Aufgrund dieser Daten lässt sich ein vorläufiges Fazit ziehen: In Skandinavien ist offensichtlich die Rolle von Frauen in der Politik so weit stabil, dass es keine Schwankungen in einer fast paritätischen Beteiligung mehr gibt. Lediglich als Regierungschefs sind auch im Norden Frauen noch selten anzutreffen.
Klassische Parteienpolitik ist männlich besetzt
Wo liegen die Gründe für die - von den nordischen Staaten abgesehen – zu geringe Repräsentanz von Frauen in den Regierungen und Parlamenten? Klassische Parteipolitik ist männlich besetzt. So ist es nicht erstaunlich, dass Frauen im Vergleich angeben, sich weniger für Politik zu interessieren als Männer. Frauen sind bereits an der Basis, in Parteien, in Kommunalparlamenten unterrepräsentiert – dies deutet auf Netzwerke, die Männer begünstigen.
Auch wenn, speziell in kulturellen und sozialen Feldern des freiwilligen Engagements, Chancen eines besseren Zugangs für Frauen zur Politik bestehen, ist es in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich, ob sich mehr Frauen oder mehr Männer bürgerschaftlich betätigen. Im Schlussbericht der EU zur Freiwilligenarbeit entsteht ein ausgesprochen divergentes Bild der Länder in diesem Bereich: In so unterschiedlichen Mitgliedsstaaten wie Bulgarien, Tschechien, Malta, der Slowakei und Großbritannien beteiligen sich sogar mehr Frauen als Männer in der Freiwilligenarbeit. In Schweden und Dänemark, den Bastionen politischer Gleichstellung von Frauen, sind dagegen mehr Männer im bürgerschaftlichen Engagement zu finden, in Finnland sind Frauen und Männer etwa gleich stark engagiert (vgl. EU/GHK, 2010, Study on Volunteering in the European Union – Final Report. London/Brüssel, S. 69).
Frauen engagieren sich, sie befinden sich in den meisten EU-Mitgliedsstaaten in den Volksvertretungen und den Regierungen – ob sie allerdings Alibi-Frauen sind, ob ihre politische Gleichstellung wirklich gefestigt ist – das ist in vielen Ländern noch sehr die Frage.
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Dieser Arikel ist Teil des Webdossiers: "Europas gemeinsame Zukunft. Wege aus der Krise?"
2012