Dokumentation
Sie habe es nicht mehr ertragen, nur schlechte Nachrichten in den Medien zu verbreiten, sagt die Journalistin Ute Scheub. Sie frage sich, was das ständige Lesen schlechter Nachrichten mit ihr und anderen Medienkonsumenten psychisch mache. Sie wirkten deprimierend, entmutigend und entsolidarisierend, so die Mit-Herausgeberin des Buches „Gute Nachrichten!“, das am 15. Oktober 2012 in der Heinrich-Böll-Stiftung vorgestellt wurde.
Dabei wisse sie, dass es auch gute Nachrichten, Erfolgsprojekte und Geschichten des Gelingens gebe. Sie fielen nur aus dem Filter der Nachrichtenagenturen und Medien heraus, weil es sich zumeist um langanhaltende Prozesse oder um vorbildlich handelnde Menschen handele und nicht um punktuelle Ereignisse, welche die klassischen Nachrichtenfaktoren erfüllen. Deshalb sei ihr die Idee gekommen, gezielt gute Nachrichten zu verbreiten, um Menschen damit zu ermutigen.
Der letzte Anlass war vor zwei Jahren: der 10. Jahrestag der UN-Resolution 1325, die die Beteiligung von Frauen auf allen Ebene n von Friedensprozessen fordert. Unter dem Dach des Vereins OWEN-Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung schuf sie zusammen mit Joanna Barelkowska (damals OWEN e.V.) und Karina Böckmann (Inter Press Service Deutschland) eine inzwischen dreisprachige Website www.visionews.net.
„Visionews“ veröffentlicht Erfolgsgeschichten aus mittlerweile mehr als 50 Ländern. Sie zeigen Beispiele gelungenen Engagements, hauptsächlich von Frauen, und erzählen Geschichten aus den Bereichen Frieden, Versöhnung, Wiederaufbau, Umweltschutz, Ernährungssouveränität und Prävention von Ressourcenkriegen - sowie inspirierende Visionen, die Mut machen. Anfang des Jahres 2012 entstand dann die Idee, in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung, ein Buch auf der Grundlage der Website-Reportagen entstehen zu lassen. Nun liegt „Gute Nachrichten!“ in deutscher Sprache vor – mit 33 Reportagen aus fast ebenso vielen Ländern.
Persönlich berührt
Ute Scheub stellte drei Geschichten aus dem Buch vor, die sie persönlich am meisten berührt haben. Eine Reportage aus Liberia erzählt von muslimischen und christlichen Frauen, die mit ihrem interreligiösen Bündnis den blutigen Bürgerkrieg der Warlords stoppten. Bei Verhandlungen in Akkra 2003 verbarrikadierten sie durch ein Sit-In die Ausgänge und ließen die Verhandlungsführer erst hinaus, nachdem sie ein Friedensabkommen erzielt hatten. Die Christin Leymah Gbowee erhielt dafür 2011 den Friedensnobelpreis, ihre muslimische Mitstreiterin Asatu Bah Kennth ging allerdings leer aus. „Leider“, so Scheub.
Die zweite Geschichte handelte von der Männerorganisation „Padare, The Men´s Forum on Gender“ in Simbabwe, gegründet von dem Theologen Jonah Gokova. Er und seine Mitstreiter organisieren in ländlichen Regionen sogenannte Padares, Treffen nur für Männer, wo über nichts anderes als über Geschlechterrollen diskutiert wird. Ziel sei dabei, unterdrückte und verfolgte Frauen, aber auch Männer selbst von allen Formen patriarchalischer Erwartungen zu befreien und ihnen zu signalisieren: „Du brauchst kein Supermann zu sein!“
Die dritte Geschichte, „Das Wunder in der Wüste“, handelt von der chinesischen Analphabetin Yin Yuzhen, die ganz allein ein Stück Wüste begrünt hat, das so groß ist wie Andorra. Der Regen kam zurück, die Vögel und Schmetterlinge. Für Ute Scheub eine Parabel auf die Kraft einzelner Menschen.
Lokale Prozesse begreifen lernen
Wenn man solche Geschichten erzählen wolle, „muss man sich die Mühe machen, Prozesse zu verstehen, die dahinter stecken“, sagte Ruth-Gaby Vermot-Mangold, die Präsidentin der FriedensFrauen Weltweit aus der Schweiz. Dieses weltweite Netzwerk nominierte 2005 tausend Frauen für den Friedensnobelpreis – darunter Yin Yuzhen. Man brauche für solche guten Nachrichten Zeit, Ortskenntnis sowie Kenntnis der wichtigen lokalen Akteurinnen, so Vermot.
Institutionen wie den deutschen Botschaften falle es sehr schwer, Kontakte zu zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure zu pflegen, gab Tilman Enders vom Auswärtigen Amt zu. Den Diplomaten fehle oft die Zeit, auf der Graswurzelebene tätige Menschen kennenzulernen und zu begleiten. Die politischen Vorgaben für Botschafter seien so vielfältig und komplex, dass ihnen wenig Zeit und Raum übrigbleibe, um sich von der Kraft und den Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Akteure und Akteurinnen zu überzeugen. Die Türen der Botschaften stünden aber für kleine Projektanträge offen.
Chancenanalysen nötig
Positiv agierende Menschen in Krisengebieten seien wie Ankerpunkte, an denen man sich orientieren müsse, meinte aus dem Publikum der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei. Er plädierte vehement dafür, sich daran zu orientieren, welche Chancen das Engagement von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Akteurinnen biete, statt immer nur überall Bedrohungen wahrzunehmen und sich an militärischen Fragen festzubeißen.
Beispiele aus dem Buch bewiesen, dass die Einbeziehung der Zivilgesellschaft substantiell für den Frieden in allen Regionen sei, pflichtete Ute Scheub dem bei. So habe das im Buch beschriebene Netzwerk „Besorgte Bürger für den Frieden“, initiiert durch die inzwischen verstorbene Trägerin des Alternativen Nobelpreises Dekha Ibrahim Abdi, entscheidend dazu beigetragen, dass in Kenia der nach gefälschten Präsidentschaftswahlen Ende 2007 ausgebrochene gewaltsame Konflikt beendet werden konnte. Das Netzwerk arbeitete in alle Richtungen: „nach oben“ mit Vertretern der Regierung, des Sicherhei tsapparats und der Medien sowie „nach unten“ mit Graswurzel- und Basisorganisationen. So wurde der Boden für eine politische Lösung vorbereitet.
Oft glaubten kleine Initiativen nicht, dass sie etwas strukturell verändern können. Man könne sie aber zusammenbringen, damit sie gemeinsam etwas bewegen können, meinte Moderator Oliver Knabe im Hinblick auf das Beispiel Bosnien. Das Buch „Gute Nachrichten!“ zeige viele Beispiele für ursprünglich kleine lokale Initiativen, die strukturelle Veränderungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene hervorgebracht haben.
Frauen seien keine besseren Menschen, erklärte Ute Scheub, aber aufgrund ihrer sozialen Rollen seien sie kaum in militärische Handlungen involviert und daher weit eher in der Lage, auf den „Feind“ zuzugehen. In praktisch allen Kriegs- und Krisenregionen gebe es Frauengruppen, die über religiöse, ethnische und geografische Grenzen hinweg zusammenarbeiteten. Trotzdem würden Frauen weiterhin aus den offiziellen Friedensprozessen ausgegrenzt. Damit blieben ihre Potenziale vielerorts ungenutzt. Auch die internationale Gemeinschaft unterstütze Frauen als Agentinnen des Wandels zu wenig. Das sei auch die Kritik des Frauensicherheitsrates, der sich als zivilgesellschaftliche und ehrenamtliche Lobby für die Umsetzung von Resolution 1325 begreife.
Sinneswandel der deutschen Regierung
Weder die rot-grüne noch die schwarz-rote oder schwarz-gelbe Bundesregierung haben bisher einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 verabschiedet. Das soll sich nun ändern: Laut Tilman Enders arbeitet das Auswärtige Amt an einem solchen Aktionsplan und will ihn noch vor dem Ende der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat am Jahresende 2012 verabschieden.
„Woher dieser Sinneswandel?“ fragte aus dem Publikum Johanna Bussemer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion der Linken und Mitglied im Frauensicherheitsrat. Allein in dieser Legislaturperiode habe die Opposition fünf Anträge auf Verabschiedung eines Nationalen Aktionsplans gestellt, alle seien von den Regierungsfraktionen abgelehnt worden. „Warum plötzlich dieser Zeitdruck?“ fragte auch Gitti Hentschel, Leiterin des Gunda-Werner-Instituts bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Der Frauensicherheitsrat habe seit 2003 einen solchen Plan gefordert, das seit 2010 bestehende „Bündnis 1325“ aus mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen habe dafür ein inhaltliches Eckpunktepapier erarbeitet.
Dennoch begrüßten die anwesenden Frauensicherheitsrätinnen, dass die Regierung jetzt an einem Aktionsplan arbeite. Bisher fehle eine Strategie, die Vorgaben der UN-Resolution 1325 nachhaltig, kohärent und langfristig unter Einbeziehung aller relevanten Akteure und Akteurinnen umzusetzen.
Das Auswärtige Amt werde den Entwurf zuerst den zuständigen Ausschüssen des Bundestags vorlegen, so Tilman Enders, danach werde er einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen zugeschickt, die ihn dann binnen dreier Wochen kommentieren könnten. Hentschel zeigte sich skeptisch, dass unter solchem Zeitdruck ein gutes Projekt entstehen könne.
„Living document“ nötig
„Bei uns in der Schweiz hat der Prozess, einen Nationalen Aktionsplan zu erarbeiten, drei Jahre gedauert“, gab Ruth-Gaby Vermot-Mangold kritisch zu bedenken. „Wir, die Schweizer Regierung und die Zivilgesellschaft, haben uns Zeit genommen. Wir haben mit dem Aktionsplan ein Instrument geschaffen, das uns auch weiterhin ermöglicht, die Zivilgesellschaft einzubeziehen“. Inzwischen liege seit 2007 schon der zweite Schweizer Plan vor. „Wir haben diesen Prozess geprägt und nicht nur nachvollzogen, wie es in Deutschland zu sein scheint“, so Vermot. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen hätten immer wieder von der Regierung gefordert, in den Prozess einbezogen zu werden, und zahlreiche eigene Vorschläge eingebracht. Die Regierung habe sich dafür eingesetzt, dass die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Zivilgesellschaft institutionalisiert wurde. So würden alle an einem gemeinsamen Lernprozess beteiligt. Der Nationale Aktionsplan werde damit zu einem „living document“, das verändert werden könne, wenn Bedarf an Verbesserungen bestehe. Die beteiligten Organisationen könnten jederzeit Anträge auf Veränderungen stellen.
Tilman Enders räumte ein, dass die deutsche Regierung sich von solchen Ländern wie die Schweiz oder Schweden im Hinblick auf die strategische Umsetzung der UN-Resolution 1325 durchaus inspirieren lasse, auch wenn sie nicht alles gleich machen wolle. Er sehe, dass ein Nationaler Aktionsplan zu einem strategischeren Ansatz führe, als wenn man nur auf der Umsetzungsebene arbeite. „Wir sind offen für alles, auch (für) Diskussionen mit der Zivilgesellschaft auf regelmäßiger Basis. Das ist vorgesehen (…).“ Der erste Nationale Aktionsplan der Bundesregierung solle auch ein lebendiges Dokument werden, wobei es möglicherweise dafür einen Zeitrahmen geben würde.
Sensibilisierung der deutschen Akteure und Akteurinnen voranbringen
„Sobald der Nationale Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 fertig ist, werden wir die beschlossenen Ziele den Kolleginnen und Kollegen in den Botschaften überbringen“, sagte Tilman Enders. Mit entsprechenden Anweisungen könnten die Botschaften mehr chancenorientiert handeln. Der Aktionsplan sehe auch Qualifizierungskurse für Diplomaten vor, damit sie der Aufgabe gerecht werden könnten.
In der Diskussion wurde klar, dass strategische politische Vorgaben wichtig sind, wenn Botschafter nicht von sich aus handelten. Man brauche aber noch andere Maßnahmen wie die Quote, fügte Ruth-Gaby Vermot-Mangold hinzu. Die frühere Außenministerin der Schweiz, Micheline Calmy-Rey, habe sich in ihrer Regierungszeit für Frauen stark gemacht und das Thema Gender auf die Tagesordnung der jährlichen Botschafterversammlung gesetzt.
„Ich sehe meine Aufgabe darin, auf die guten Beispiele hinzuweisen, so wie im Buch „Gute Nachrichten!“ beschrieben“, schloss Tilman Enders sein Statement ab. Damit dürfte sich ein Wunsch der Veranstalter von der Heinrich-Böll-Stiftung erfüllt haben, mit den vorliegenden 33 Reportagen exemplarisch zu zeigen, dass Veränderungen auch zum Positiven möglich sind, und diese zur Nachahmung zu empfehlen.
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Endlich mal gute Nachrichten
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