Wachstum gilt innerhalb der Mainstream-Ökonomie und in der heutigen westlich geprägten Wirtschaftspolitik als erstrebenswertes Ziel. Gerechtfertigt wird die Orientierung an Wachstum innerhalb einer nationalstaatlich und kapitalistisch organisierten Gesellschaft mit allerlei Gründen: Wachstum führe zu einer höheren Bedürfnisbefriedigung und zu einem erhöhten Steueraufkommen, was wiederum dem Wohlfahrtsstaat diene und deshalb Frieden und Demokratie schütze. Arbeitsplätze würden durch Wachstum gesichert, Maßnahmen zum Schutze der Umwelt können ermöglicht und bezahlt werden, Umverteilung von Reichtum geschehe in einer Wachstumsgesellschaft von oben nach unten. Wachstum gelte als zutiefst „menschlich“, weil der Mensch an sich angeblich stets nach mehr und Höherem strebe.
Auf der Tagung „Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren“ wurde den gängigen Begründungen, warum Wachstum erstrebenswert sei, etwas entgegengesetzt. In einem Panel zu „Wachstumskritik in der Feministischen Ökonomie“ kritisierten Dr. Tanja von Egan-Krieger und Dr. Barbara Muraca Wachstum dahingehend, dass die wirtschaftspolitische Orientierung an Wachstum eigene Produktionsgrundlagen gefährde und nicht berücksichtigt werde, dass Ressourcen und Produktionsmittel weder aus dem Nichts entstehen noch einer Gesellschaft unbegrenzt zur Verfügung stehen. In der Mainstream-Ökonomik seit Adam Smith sei Warenwohlstand zentrales Thema, deshalb müssten ständig Waren produziert werden, um Wohlstand zu sichern. Deshalb gelte lediglich Erwerbsarbeit als produktiv. „Soziale und ökologische Produktivität werden somit aus der ökonomischen Mainstream-Theorie herausgetrennt oder bestenfalls in den sogenannten reproduktiven Bereich verbannt“, führt von Egan-Krieger aus.
Reproduktivität innerhalb der ökonomischen Mainstream-Theorie ist für sie ein Konstrukt, um die Hierarchisierung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit aufrechterhalten zu können. Das Machtgefälle im Geschlechterverhältnis ist also bereits in dieser Theorie eingeschrieben und wird durch die Wirtschaftspolitik permanent aktualisiert, ebenso die Ausbeutung natureller Ressourcen. Eine an Wachstum orientierte Wirtschaft ist also gar nicht in der Lage die Bedürfnisse der Mitglieder einer Gesellschaft zu befriedigen und die angeblich finanzierbaren Umweltschutzmaßnahmen sind lediglich Symptombekämpfung. Von Egan-Krieger stellt nach ihrer kurzen kritischen Einführung ein Modell alternativen Wirtschaftens vor – das Reproduktionsmodell nach Sabine Hofmeister und Hans Immler, das nicht auf Wachstum angelegt ist, die Produktion von Waren nicht im Vordergrund von Wirtschaften stehen. Ausgangslage für das Modell ist die Produktivität der Natur. Das, was aus der Natur für die menschliche Bedürfnisbefriedigung produziert wird, soll wieder zurückfließen können, also reproduziert werden. Dieser ressourcenschonende und nachhaltige Umgang mit der Natur soll ermöglichen, dass auch zukünftige Generationen leben und wirtschaften können. Gleichzeitig wird der Arbeitsbegriff aufgebrochen und erweitert: Nicht mehr allein Erwerbs- und Haus- bzw. Sorgearbeit sind zentral, sondern jede Form der Arbeit, die Mensch und Natur zugute kommt, wird als wertzuschätzende Arbeit erfasst. Die Trennung von Arbeit in produktiv-wertvolle und reproduktiv-wertlose Tätigkeiten wird aufgehoben, dementsprechend sind alle Arbeitsformen im Reproduktionsmodell potentiell entlohnbar, weil gleichwertig.
Im Anschluss stellte Dr. Barbara Muraca dem Wachstumszwang der kapitalistischen Marktlogik den von Martha Nussbaum und Amartya Sen inspirierten Fähigkeitenansatz gegenüber. Ziel von Wirtschaften solle viel mehr ein gutes Leben sein. „Allerdings ist das gute Leben scheinbar unbestimmt. Die Definition darüber, was das gute Leben ausmacht, wird dem gesellschaftlichen Diskurs überantwortet“, so Muraca. Implizit werden dennoch Festlegungen getroffen, beispielsweise die ständige Aufforderung zur privaten Rentenvorsorge. Warum diese überhaupt nötig ist und wer sie sich eigentlich leisten kann, wird hingegen selten thematisiert. Muraca wünscht sich eine explizite Erörterung darüber, was das gute Leben ausmacht. Im Fähigkeitenansatz, der das gute Leben als substantielle Freiheit definiert, sieht sie einen ersten Anstoß.
Fähigkeiten werden in diesem definiert als Dinge, die Menschen in der Lage sind zu tun oder zu sein. Diese werden benötigt, um das Leben verwirklichen zu können, was sie für wertvoll und lebenswürdig halten. Fähigkeiten stellen also die Ausgangsbedingungen des guten Lebens dar. Es geht also keineswegs nur um potentielle oder formale Fähigkeiten. Wie das gute Leben auszusehen hat, kann deshalb nicht von Expert_innen, Staat, Medien oder NGOs vorgegeben werden. Das gute Leben ist auch keine individuelle Frage des persönlichen Glücks oder Lebensstils, sondern die Verwirklichung eines menschenwürdigen, sinnstiftenden, nicht entfremdeten Lebens in der Gemeinschaft. In deliberativen Prozessen sollen daher die Gründe für die Wertschätzung bestimmter Formen der Lebensführung herausgearbeitet werden. Staat und Institutionen sollen in einem weiteren Schritt für eine gerechte Ressourcenverteilung sorgen und die substantiellen Bedingungen für alle Fähigkeiten und Tätigkeiten, die Menschen verwirklichen können, implementieren.
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Wachstumskritik und Alternativen in der Feministischen Ökonomie
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