„Wir wollen alles und zwar jetzt!“, „Mein Bauch gehört mir“, „Lust ohne Frust“, „Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine“, „Frauen erobern sich die Nacht zurück!“
Diese Parolen der zweiten Frauenbewegung zeugen vom Aufbegehren gegen überkommene Rollenbilder, Ungleichheit und Diskriminierungen. Sie richteten sich gegen die sexualfeindliche, repressive Wohlanständigkeit der Nachkriegszeit, die mit einem Mantel des Schweigens alles verdeckte, was das gerade mühsam wieder erlangte Bild des Biedermannes hätte stören können. Es war ein gesellschaftliches Klima, in dem all jene der Kuppelei angeklagt wurden, die ein unverheiratetes Paar in einem Zimmer übernachten ließen, in dem Frauen die Unterschrift des Mannes benötigten, um erwerbstätig sein zu dürfen und in dem die Weitergabe von Adressen von Ärztinnen und Ärzte für Abtreibungen in den Niederlanden strafbar war.
Aufgerüttelt durch den studentischen Protest in Deutschland und eingebettet in ein weltweites Klima emanzipatorischer Bewegungen begehrten die Frauen auf. Mit Radikalität und Veränderungswillen gingen sie auf die Straßen. Alles wurde infrage gestellt. Gewalt und Repression im Schlafzimmer enttabuisiert. Das Private wurde politisch und als patriarchal analysiert. Die Frauen wollten selbst bestimmen über ihren Körper und ihr Leben. Sie wollten ökonomisch unabhängig sein und ihre Interessen politisch aktiv einbringen. Die Frauen bezeichneten sich und ihre Bewegung als feministisch. Sie verstanden sich als autonome Frauenbewegung, unabhängig von Männern, männlichen Strukturen und männerdominierten Organisationen, auch der Studentenbewegung und der sektiererischen K-Gruppen der 70er-Jahre.
Nicht wenige der Frauen sahen Anfang der 80er-Jahre eine Chance, ihre autonom formulierten Ansprüche in der neuen Partei „Die Grünen“ auch institutionell umzusetzen. Die zentralen Ideen der zweiten Frauenbewegung – Autonomie, Selbstbestimmung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Aufhebung geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und politische Partizipation – waren dann auch der Kompass der grünen Feministinnen der ersten Stunde.
Auch wenn die Grünen 1983 noch nicht 50:50 quotiert in den Bundestag einzogen (das Frauenstatut, das die Mindestparität für alle grünen Gremien und Wahllisten festhielt, kam erst 1986), war der hohe Frauenanteil der grünen Bundestagsfraktion ein Kulturschock für die etablierten Bundestagsparteien. Was grüne Frauenpolitik wirklich bedeutet, erfuhren die entsetzen Abgeordneten der anderen Parteien spätestens mit der Rede der grünen Bundestagsabgeordneten Waltraud Schoppe im Mai 1983, als diese im Hohen Haus endlich das Private öffentlich machte, von Vergewaltigung in der Ehe sprach, die zu bestrafen sei, von der Verantwortung der Männer auch für ungewollte Schwangerschaften und letztlich aufforderte, den alltäglichen Sexismus einzustellen. Im Saal brodelte es, im Bundestag war ein Tabu gebrochen worden.
Für das Recht auf Selbstbestimmung
Zu den größten internen Konflikten der Anfangszeit der Grünen gehört auch die Auseinandersetzung um die Streichung des § 218 im Strafgesetzbuch, der den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte. Die Kontroverse verlief zwischen Frauen, Männern und den diversen politischen Lagern. Sie war eine Zerreißprobe: Für die Frauen aus der autonomen Frauenbewegung war die Streichung eine Selbstverständlichkeit, ja, zentrale Identifikationsforderung in ihrem Eintreten für ihr Selbstbestimmungsrecht. Für einige grüne Frauen mit kirchlichem und/oder ökologischem Hintergrund war das nicht zu akzeptieren: alles ist Leben und muss gleichermaßen geschützt werden. Für viele Männer war dies zudem ein Schritt zu weit auf dem Weg zur Selbstbestimmung.
Die Feministinnen gaben selbstbewusst etwas in die Waagschale, was in der Gesellschaft bei dieser Diskussion bis dahin außen vor geblieben war und nun Beachtung forderte: Sie selbst, ihr Leben, ihr Körper, ihre Gefühle, ihre Perspektive. Und endlich ging es um die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches. Es war Petra Kelly, einer der grünen Gründungsfrauen, die die unversöhnlichen Lager auf dem ersten Parteitag der Grünen zu einem vorläufigen Kompromiss bewegen konnte. Er entsprach zwar nicht der Maximalforderung, der Abschaffung des § 218, aber er enthielt Reformschritte, die weit über die damalige gesetzliche Regelung hinausgingen.
Doch der § 218 war nur ein Aspekt, der half, das Politische im Privaten zu enthüllen. Lange bewegte die Grünen und die Gesellschaft die Forderung nach schärferen gesetzlichen Regeln gegen Gewalt gegen Frauen und nach Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe. Die so lange unter den Teppich gekehrte sexuelle Gewalt gegen Kinder – auch in der Familie – wurde öffentlicher.
Dass sie vor dem Privaten nicht Halt machten und der bürgerlichen Familie ihren Schleier, ein Hort der Sicherheit für Frau und Kind zu sein, entzogen, brachte den Feministinnen immer wieder die wütende Häme von Männern ein, die sie als zu verkniffen und verklemmt bezeichneten.
Doch der Kampf war bitter nötig und es wurde viel erreicht. Zwar ist der § 218 bis heute nicht gestrichen, aber Frauen können sich für einen Schwangerschaftsabbruch im Rahmen einer Fristenlösung entscheiden. Seit 1997 ist Vergewaltigung auch in der Ehe eine Vergewaltigung und nicht mehr, wie zuvor, ein „minder schwerer Fall“. Das Gewaltschutzgesetz von 2002 erleichtert es, dass Frauen, die von familiärer Gewalt betroffen sind, die Wohnung alleine überlassenwird. Aber trotz all dieser Verbesserungen bleibt Gewalt gegen Frauen allgegenwärtig, denn die gesetzlichen Regelungen wirken nicht präventiv. Gleichzeitig reichen weder die Plätze in Frauenhäusern, noch die Beratungsangebote. Gute Anfänge wurden gemacht, auch wenn die Finanzierung von Schutz und Beratung immer wieder bedroht und leider immer noch nicht selbstverständlich sind.
Mit Quote zum Erfolg
Zu den größten Erfolgen der Grünen gehört die Frauenquote. Sie wurde von feministischen Frauen durchgesetzt, die ihre Forderungen zunächst unter sich diskutierten und entwickelten (autonome Strukturen) und mit der außerparlamentarischen Bewegung gut vernetzt waren. So wurden diese Frauen zum innerparteilichen Machtfaktor.
Das 1986 verabschiedete Frauenstatut hat die Mindestparität für alle grünen Gremien und für die Wahllisten auf allen Ebenen institutionalisiert. Sie war ein Novum, das mit wenigen Ausnahmen bis heute hält. Der Erfolg der Quote setzt bis heute andere Parteien unter Zugzwang und sie ist der Schlüssel, um endlich auch in den Entscheidungsgremien der Wirtschaft eine möglichst paritätische Präsenz zu verankern. Die Quote ist auch international eine Erfolgsmodell: Weltweit wurde sie von vielen Ländern eingeführt. Mittlerweile ist empirisch belegt, dass die Quote ein wirksamer Hebel zu mehr politischer und ökonomischer Teilhabe von Frauen ist.
Rechtliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen
Es war und bleibt ein Kernanliegen grüner Frauen- und Gesellschaftspolitik, die rechtliche Gleichstellung der Frauen durchzusetzen und dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes Geltung zu verschaffen. Es waren die Grünen, die 1986 den ersten Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz in den Bundestag eingebrachten, das Gleichstellung in allen Lebensbereichen forderte und ganz verschiedene Diskriminierungskategorien (u. a. Geschlecht, Klasse, ethnische Herkunft, Religion) im Blick hatte. Das war Avantgarde. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das der Bundestag 2006 beschloss, hat der lange Marsch der feministischen Bewegung durch die Institutionen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Mit dem Blick auf die privaten Verhältnisse, der Fokussierung auf die sexuelle Selbstbestimmung, hatten auch Lesben und Schwule ein Forum, in dem ihre Forderung nach Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften positiv aufgenommen wurde. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte grüne Programmatik. Mittlerweile ist sie gesellschaftlicher Mainstream und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die volle rechtliche und steuerliche Gleichbehandlung Realität ist. Da sich CDU und CSU noch immer am traditionellen Bild der Ehe und Kernfamilie festklammern, wird dieses wohl letztlich vom Bundesverfassungsgericht renoviert werden.
Ökonomische Unabhängigkeit als Basis für ein selbstbestimmtes Leben
Eine der wesentlichen ökonomischen Ursachen der Benachteiligung der Frauen liegt in der geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung. Deshalb ist die eigenständige Existenzsicherung von Frauen immer ein Kernanliegen der Feministinnen in der grünen Partei gewesen. Dazu gehört auch die Schaffung einer Infrastruktur, die beiden Geschlechtern eine echte Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensmodellen bietet, eine qualitativ gute Kinderbetreuung ermöglicht und eine gute Absicherung im Alter und bei Pflegebedürftigkeit gewährleistet, wie auch eine bezahlte Elternzeit nach der Geburt eines Kindes. Diese Eckpunkte sind heute grüner Konsens, um den anfangs innerhalb der Partei teils heftig gerungen wurde. Am Stellenwert der Erwerbsarbeit für die Emanzipation der Frau schieden sich die feministischen Geister bereits bevor die Grünen gegründet wurden. Was außerparlamentarisch als „Lohn für Hausarbeit“ diskutiert wurde, eskalierte bei den Grünen unter anderen Vorzeichen als so genannte „Mütterdebatte“. Diese wurde ausgelöst durch das 1987 von Gisela Erler verfasste Müttermanifest, das von vielen Grünen und den Grünen nahen Frauen unterzeichnet wurde. Zwei Sichtweisen trafen aufeinander. Grob vereinfacht: Sollte die „weibliche“ Seite der Frauen, zu der auch die Mutterrolle gehört, als Gegenmodell zur männlich strukturierten Welt aufgewertet werden? Oder sollte die patriarchale Rollenzuweisung, die die Geschlechtscharaktere wesentlich prägt, weiter infrage gestellt und die gleiche Teilhabe an Erwerbsarbeit gefordert werden, flankiert durch gleiche Beteiligung der Männer an Haus- und Erziehungsarbeit sowie qualitativ gute Kinderbetreuung? Der Streit wurde erbittert, mit viel Härte und wechselseitigen Verletzungen ausgetragenen. „Karrierefrau“ und „Mutter“ wurden zu abwertenden Etikettierungen. Die Strömungspolitik, die vor allem Realos und Linke, Ökosozialisten und Ökolibertäre kannte, hatte die Frauen erreicht. Auch hier tobte nun der Kampf um die inner- und außerparteiliche Geltungshoheit. Viele außerparlamentarische Feministinnen wandten sich in dieser Zeit von den Grünen ab. Mit den feministischen Grundgedanken, Geschlechterhierarchien und überkommene Rollenstereotypen zu überwinden, hatte diese „neue Mütterlichkeit“ nichts mehr zu tun.
Während die „neue Mütterlichkeit“ innerhalb der Grünen noch umstritten war, entfaltete die Debatte und die aus ihr hervorgehenden Forderungen bereits ihre Wirkung nach außen. Das merkte vor allem die CDU. Heiner Geißler griff das Thema auf, erklärte sich zum „Oberfeministen“ und mit dem 1986 erschienenen Buch den „Abschied von der Männergesellschaft“, den er allerdings mit 600 DM Erziehungsgeld nicht ernsthaft einleitete. Doch es war erst Ursula von der Leyen, die – Jahre später – das Elterngeld als Lohnersatzleistung ausgestaltete – wie grüne Frauen es 20 Jahre zuvor gefordert hatten.
Die feministische Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit ist hingegen nach wie vor nicht eingelöst. Im Gegenteil, mit 22 Prozent Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen zählt Deutschland beim so genannten gender pay gap im europäischen Vergleich zu den Schlusslichtern. Die am besten ausgebildete Frauengeneration aller Zeiten stößt an gläserne Decken, kommt beruflich weniger voran als Männer, ist in Entscheidungsgremien massiv unterrepräsentiert. Überrepräsentiert sind sie hingegen in schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen, mit den entsprechenden Folgen für ihre Rentenansprüche. Lohnlücke und Niedriglöhne gehen in Deutschland überwiegend zu Lasten von Frauen.
Deshalb sind die eigenständige Existenzsicherung mit einem neuen Entgeltgleichheitsgesetz, die Reform der Minijobs, eine Reform der Hartz-IV-Gesetze und des Ehegattensplittings Kernforderungen der grünen Frauen im Bundestagswahlkampf 2013. Sie setzen mit diesen Forderungen den Anspruch, Geschlechterpolitik als Querschnittspolitik zu begreifen, konsequent um. In vielen anderen zentralen Politikfeldern – in der Wirtschafts-, Gesundheits-, Migrations-, Außen- und Sicherheitspolitik, Klima- oder Agrarpolitik – könnten die Grünen ihren geschlechterdifferenzierten Blick noch schärfen und geschlechtersensiblere Politikangebote machen. Die politische Botschaft der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995, alle Politikbereiche in ihren Wirkungen auf Geschlechterverhältnisse zu analysieren, ist auch in der Grünen Programmatik noch nicht konsequent akzeptiert oder umgesetzt.
Wurden wir, was wir wollten?
Die Grünen haben frauenpolitisch viel erreicht. Sie haben die rechtliche Gleichstellung für Frauen vorangetrieben, Gewalt gegen Frauen und Kinder enttabuisiert, Diskriminierungen und Sexismus bewusst gemacht und damit den gesellschaftlichen Diskurs über Geschlechterrollen beeinflusst. Sie haben dazu beigetragen, dass das konservative Familienbild ins Wanken geraten ist und absehbar sein Alleinstellungmerkmal verliert; und sie haben mit der Quote ein Erfolgsmodell für weibliche Partizipation kreiert. Dennoch und das zeigt der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung: zur echten Gleichstellung der Geschlechter ist es in Deutschland noch ein weiter Weg, denn es herrscht heute weder echte Wahl- noch Gestaltungsfreiheit“.[1]
Die feministische Utopie einer Aufhebung der hierarchischen Geschlechterverhältnisse und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hat sich – trotz mancher Verhaltensänderung auch bei Männern – noch nicht realisiert. Frauen übernehmen immer noch den größten Teil der Sorge- und Pflegearbeit wie Erziehung, Arbeiten im Haushalt oder Pflege – mit allen Nachteilen für die berufliche Entwicklung und soziale eigenständige Absicherung.
Wir brauchen weiterhin eine engagierte Frauenpolitik, die machtvoll paritätische Teilhabe in Politik und Wirtschaft sowie Einkommensgerechtigkeit einfordert. Wir brauchen eine Geschlechterpolitik, die Männern und Frauen Spielraum und Wahlfreiheit für selbstbestimmte und existenzsichernde Lebensentwürfe lässt. Wir brauchen eine feministische Politik, die die verschiedenen Diskriminierungsformen und deren Abschaffung in den Blick nimmt und wir brauchen einen geschlechterdifferenzierten Zugang zu allen politischen Handlungsfeldern. Denn jede Politik wirkt auf die Verhältnisse der Geschlechter ein.
Ein Erfolg der Grünen war am Anfang die Verbindung zu außerparlamentarischen Gruppen und die Reflexion des eigenen Handelns auch vor dem Hintergrund feministischer Theorie. Letztere betont heute noch stärker als früher die Wechselwirkungen und Überschneidungen verschiedener Diskriminierungsformen (Intersektionalität). Die Reflexion und Anerkennung von Verschiedenheit ist eine Voraussetzung, um sich mit Diskriminierungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen auseinanderzusetzen, solidarisch zu sein und neue Politiken der Antidiskriminierung mit neuen Bündnispartnerinnen und -partnern zu entwickeln. Die grüne Programmatik sollte sich noch mehr auf diese feministischen Analysen stützen, wenn sie sich nicht den Vorwurf eines (weißen) Mittelklasse- oder Elitefeminismus einhandeln und anschlussfähig für junge (grüne) Feministinnen bleiben will.
Es könnte ein spannendes Unterfangen werden, wenn grüne Frauen nach 30 Jahren grüner Frauenpolitik einen Diskurs zur kritischen Standortbestimmung, zur Diskussion aktueller Theorien, Tendenzen, Widersprüche und organisieren würden, der eine Perspektive bietet, die für viele Frauen generationen- und schichtenübergreifend attraktiv ist – innerhalb und außerhalb der Grünen.
Endnoten:
(1) Siehe: Frauenhofer-Gesellschaft 2011, Geschäftsstelle Gleichstellungsbericht, Gleichstellungsbericht im Fokus, Factsheet I, <http://www.fraunhofer.de/content/dam/zv/de/ueber-fraunhofer/Gesch%C3%A4ftsstelle%20Gleichstellung/Gleichstellungsbericht_Factsheets_2011-11-02.pdf> (06.03.13).