Archivierter Inhalt

Feministische Netzpolitik - Perspektiven und Handlungsfelder

Die hier in ihren wesentlichen Aspekten veröffentlichte Studie, ist 2012 im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie erstellt worden. Sie skizziert Perspektiven queer-feministischer Netzpolitik, sammelt vorliegende geschlechterpolitische Ansätze zu Netzpolitik, und beschreibt deren Felder aus feministischer Perspektive.

Wortwolke "Feministische Netzpolitik"
Teaser Bild Untertitel
word cloud: feminist net politics

Digitale Technologien und das Internet durchdringen das Leben in zunehmendem Maße. Durch ihre wachsende Bedeutung für den Alltag, in Arbeitswelt und Wirtschaft, für politische Prozesse, Kultur- und Wissensproduktion bilden sich neue soziale Praxen, Diskurse und Strukturen heraus. Das Ausmaß an gesellschaftlichen Veränderungen, die durch digitale Medien angestoßen werden, verdeutlichen sich in den Widersprüchen, die zurzeit erkennbar werden.

Im Internet ist Wissen keine knappe Ressource mehr. Google und Wikipedia sind einschlägige Beispiele dafür, wie radikal sich der Zugang zu Informationen wandelt. Gleichzeitig wird Wissen zunehmend privatisiert. „Geistiges Eigentum“ ist ein Kapital, dessen Schutz im Interesse von kapitalistischen Akteur_innen durch internationale Verträge wie ACTA vorangetrieben werden soll.

Im Internet entstehen neue, digitale Öffentlichkeiten (Münker 2009), durch die sich Menschen vernetzen und politisieren. Die Rolle, die Soziale Netzwerke im „Arabischen Frühling“ gespielt haben, werden auch von westlichen Medien und Politiker_innen oft betont. Gleichzeitig werden digitale Technologien auf der ganzen Welt eingesetzt, um Menschen zu überwachen und zu kontrollieren. Die Europäische Union will die Vorratsdatenspeicherung durchsetzen und finanziert Projekte wie INDECT. Sicherheit wird heute „grundrechtsschonend“, d.h. durch Inkaufnahme der Einschränkung elementarer Bürgerrechte, durchgesetzt.

Im Internet sorgen offene Standards und seine grundsätzlich dezentrale Struktur dafür, dass sich Rechner weltweit vernetzen und Informationen frei fließen können. Gleichzeitig wächst die Macht großer Konzerne, die im globalen Kapitalismus selbstverständlich nach Wegen suchen müssen, ihre Profite weiter zu steigern. Die „freien“ Informationsströme und die Daten der Nutzer_innen werden zu verwertbaren Ressourcen.

Wir befinden uns an einem Punkt, der möglicherweise den Übergang zu einer digitalen Kultur markiert. Vor dem Hintergrund der hier skizzierten Widersprüche entzünden sich zahlreiche Konflikte auf allen politischen Ebenen. Netzpolitik entwickelt sich zu einem bedeutsamen und umkämpften Politikfeld. Dass netzpolitische Kämpfe nicht losgelöst von gesellschaftlichen Verhältnissen sind, zeigen die oben genannten Beispiele. Auch die Annahme, dass die „virtuelle Welt“ des Internets ein tabula rasa frei von Machtverhältnissen ist, hat sich früh als falsch erwiesen. Diejenigen, die die digitalen Technologien gestalten und nutzen entstammen einer Welt, die entlang verschiedener Achsen von Ungleichheit geprägt ist. Entsprechend sind Diskriminierungen, Hierarchien, Ausschlüsse, Unterdrückung und Gewalt auch im digitalen Teil der Realität wirkmächtig.

Entsprechend ist es notwendig, sich auch aus einer queer-feministischen und intersektionalen Perspektive mit Netzpolitik zu beschäftigen, Positionen zu entwickeln und in die Konflikte zu intervenieren. Die hier in ihren wesentlichen Aspekten veröffentlichte Studie, ist 2012 im Auftrag des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie erstellt worden. Sie skizziert Perspektiven queer-feministischer Netzpolitik, sammelt vorliegende geschlechterpolitische Ansätze zu Netzpolitik, und beschreibt deren Felder aus feministischer Perspektive. Netzfeminismus bezeichnet „Feminismus, der das Internet als Medium nutzt“ (Schrupp 2012), was etwas anderes ist als Netzpolitik aus feministischer Perspektive. In diesem Bereich besteht, so Antje Schrupp, „doch noch ein gewisser Mangel an feministischen Perspektiven“ (ebd.). Diese Studie versucht, dem etwas entgegen zu setzen. Ihr Aufbau vollzieht sich entlang folgender forschungsleitender Fragen:

Welche Anknüpfungspunkte gibt es im Bereich Netzpolitik aus einer queer-feministischen Perspektive? Welche Themenbereiche (z.B. Netzneutralität, Datenschutz) sind dabei besonders zielführend, um politische Interventionen hin zu einer gerechteren Teilhabe auf Grundlage queer-feministischer Ansätze vorantreiben zu können? (Kapitel 2)

Welche Themen eignen sich für eine (intersektionale) queer-feministische Intervention?

Die politische Perspektive, die in dieser Studie zur Bewertung aktueller netzpolitischer Konflikte angelegt wird, wird als „queer-feministisch“ bezeichnet. Diese versteht Geschlecht als wirkmächtige, sozial konstruierte Kategorie im Rahmen einer hegemonialen Geschlechterordnung, die auf einer hetero-normativen, naturalisierten Vorstellung von binärer Zweigeschlechtlichkeit basiert. Ihr zufolge gibt es nur zwei Geschlechter, die sich in ihrer körperlichen Erscheinung und sozialen Existenzweise unterscheiden und in ihrem sexuellen Begehren aufeinander bezogen sind. Körper, Existenzweisen und Formen des Begehrens, die dieser normativen Ordnung nicht entsprechen, gelten als unnatürlich, anormal und krank. Weiterhin wird das Geschlechtersystem als hierarchisch strukturiertes, sexistisches Verhältnis analysiert. Als interdependente Kategorie (Walgenbach 2007) ist Geschlecht schließlich nicht unabhängig von anderen Machtverhältnissen zu denken. Insofern ist die queer-feministische auch eine intersektionale Perspektive, die darauf abzielt, gesellschaftliche Verhältnisse in ihrer Verwobenheit zu analysieren und geschlechterpolitische Perspektiven mit solchen auf Klasse, Körper, „Rasse“ und andere Ungleichheits- und Diskriminierungskategorien verknüpft. Eine queer-feministische Perspektive ist ein emanzipatorisches Projekt, das insbesondere normative und naturalisierende Identitätszuschreibungen als Instrumente von Herrschaft zu unterlaufen sucht und gegen Diskriminierung, Ausschlüsse, Unterdrückung und Gewalt kämpft. DieseStudie befasst sich damit, was dies im Feld der Netzpolitik bedeutet und fragt danach, welche konkreten Anknüpfungspunkte es dort für queer-feministische Politiken gibt. Sie bezieht jedoch nicht nur queer-feministische Ansätze mit ein, sondern auch solche, die selbst von einer binären Ordnung von Geschlecht ausgehen oder schlicht nach Frauen im Feld suchen.

 

Die Studie als PDF.