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„Sexarbeit in Zeiten der Bewegung“ - Ein Rückblick zum Sexarbeitskongress 2014

Sexarbeit ist Arbeit.
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Sexarbeit ist Arbeit.

Ein umstrittenes Gewerbe

Vom  24. bis 26.09.2014 fand in Berlin ein großer  Kongress statt. Es ging dort um ein Gewerbe, welches oft als das älteste bezeichnet, ganz sicher aber  zu den umstrittensten gehört: die Sexarbeit. Veranstaltet wurde der Kongress von den Hydra Berlin, BesD (Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen) und dem bufas (Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter).

Den Anstoß gab die von der schwarz-roten Regierung angestrebte  Reform des Prostitutionsgesetzes (ProstG) von 2002. Und so wurden Fakten beleuchtet, Inhalte diskutiert, laut und diskret gestritten sowie sich über Zu- und Missstände in der Branche informiert. Das Publikum setzte sich dabei ganz bunt zusammen und bestand aus Sexarbeiter_innen, Wissenschaftler_innen, Politiker_innen und Interessierten aus diversen Fachbereichen. Und  auch die Referent_innen kamen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und gaben mit ihrem Wissen Einblicke in verschiedenste Perspektiven auf und Erkenntnisse über Sexarbeit. Eine große Bedeutung  bekam dabei immer wieder die Beleuchtung der Kluft zwischen Realität und öffentlicher Wahrnehmung von Sexarbeit.      

Realität vs. Realität

Die engagierten Sexworker, die den Kongress organisierten und ihn humorvoll, kritisch und selbstbewusst gestalteten, entsprechen nicht dem Bild der zum Opfer reduzierten, von Zwang und Fremdbestimmung geplagten Prostituierten, welches durch die Öffentlichkeit und Politik so vehement reproduziert wird. Auch auf dem abendlichen, ausschließlich weiblich besetzten Podium, auf dem das Eckpunktepapier zur Reform des ProstG diskutiert wurde, wurde dieses Bild immer wieder aufgerufen. Dass es  schwere Schicksale besonders in der Prostitution (aber eben nicht nur da) gibt, wurde auf der Konferenz und im Publikum keineswegs ausgeblendet. Vielmehr wurde betont, dass sich die anwesenden Sexarbeiter_innen mit den von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffenen Kolleg_innen solidarisieren. Die von ihnen geforderten Maßnahmen sollen keinesfalls den Weg für Menschenhändler_innen ebnen.

Dennoch müsse darauf geachtet werden, dass die neue Reform es der eh schon stigmatisierten Gruppe der Sexarbeiter_innen nicht noch mehr erschwere oder gar unmöglich mache, ihrer Arbeit nachzugehen. Stattdessen müsse  genau geschaut werden, ob die von der Regierung vorgeschlagenen Eckpunkte wirklich eindämmende und abschreckende Auswirkungen auf den Menschenhandel haben. Hier prallten gegensätzliche Meinungen immer wieder aufeinander, da zuverlässige Zahlen und Fakten fehlen. Politiker_innen und Sexarbeiter_innen gehen von unterschiedlichen Realitäten aus. Während die Politik von der Berichterstattung öffentlicher Medien und wackeligen Statistiken ausgeht, schildern Sexarbeiter_innen ihre persönlichen Erfahrungen aus ihrem Arbeitsalltag. Wer dabei nun den besseren Überblick über die Zahl der selbstbestimmten und nicht-selbstbestimmten Arbeiter_innen hat, scheint mir eine ungeklärte Frage. Zumindest sollte das Sprechen aus eigener Erfahrung anerkannt werden, und die Tatsache, selbst in der Sexarbeit zu arbeiten, spricht m.E. dafür, dass Sexworker ein Wissen darüber haben, unter welchen Bedingungen sie und ihre Kolleg_innen arbeiten.

Moralische Gesetzte

Nach anhaltender Kritik aus dem Publikum am Eckpunktepapier betonten die Sprecher_innen der Regierungsparteien, dass es sich bei dem Papier zur Reform des ProstG angeblich erst um Eckpunkte handele und sie gemeinsam nach Lösungen schauen wollen. Dies gelingt jedoch nur, wenn einander wirklich zugehört und sich von moralischen Vorstellungen gelöst wird. Erlebt wurde jedoch, dass Regierungspolitiker_innen nur negativ Beispiele von Prostitution verwiesen  und so den Anschein erweckten, als würde der Entwurf des ProstG überwiegend auf diese Menschengruppe Bezug nehmen, während Forderungen der selbstbestimmten Sexarbeiter_innen nur am Rande wahrgenommen werden.

Die Sexworker fordern dagegen, Missstände nicht zu verallgemeinern und eine Verschiebung des Wahrnehmungsschwerpunktes auf Sexarbeit. Denn, wie vielfach berichtet wurde, sei Diskriminierung nicht ein Problem innerhalb der Prostitution sonders außerhalb, da Sexarbeiter_innen dort als solche stigmatisiert und abgewertet würden. Ihre negativen Erfahrungen entstehen also aufgrund gesellschaftlicher Vorstellungen. Auf EU-Ebene folgen viele Staaten einem stark von moralischen und geschlechtlichen Idealvorstellungen geprägten Trend und erlassen prohibitionistische Gesetzte gegen Prostitution. So verfolgt Schweden beispielsweise mit einem Sexkaufverbot eine Erziehungsmaßnahme. Dies ziele auf die Abschaffung einer Nachfrage von sexuellen Dienstleitungen ab. Aber, so die Kritik, ließe sich eine Gesellschaft dann nicht ebenso gut dazu umerziehen respektvoll mit Sexarbeiter_innen umzugehen und ihre Arbeit wertzuschätzen und ihnen mehr gesellschaftliche Macht und Partizipation zu ermöglichen? Durch die Umkehrung der Perspektive wird die moralische Implikation des Gesetzesentwurfes deutlich. Moral – so die Kritiker_innen – ist aber nicht Aufgabe der Gesetzgeber_innen.

Langfristig und nachhaltig

Der zweite Tag gestaltete sich wie ein Kongress, der bei jeder anderen Berufsgruppe vorstellbar wäre. Es wurde über Fortbildungen, Schulungen im Finanzwesen und Möglichkeiten der sozialen Absicherung gesprochen. Der Fokus lag auf einer langfristigen und nachhaltigen Planung persönlicher Arbeitsbiografien in der Sexarbeitsbranche. Die konkrete Ausarbeitung solcher Maßnahmen geschah in intensiven Workshops, bei denen alle mitarbeiten konnten. Gewappnet mit diesem Material wird der Berufsverband und andere Sprecher_innengruppen der Sexworker zukünftig hoffentlich gut vorbereitet sein, in produktive und lösungsorientierte Gespräche mit Politiker_innen zu treten. Denn eigene Vorschläge zur Regelung von Sexarbeit vorzubringen, könnte eines der wirksamsten Mittel sein, um auf eine fragwürdige Politik zu reagieren und in einem rationalen Diskurs angemessene Lösungen zu finden.