„Danke für nix“, unter diesem Motto stand der Berliner CSD an vergangenen Wochenende, denn exakt keine der Forderungen aus dem vergangenen Jahr ist bislang erfüllt worden – auch trans* Menschen schauen nach wie vor in die Röhre, und was schimmert herinnen? Politische Tatenlosigkeit. Kein Wunder, denn im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien CDU und SPD sollen trans* Themen lediglich „in den Fokus“ genommen werden, was in etwa so tatkräftig ist wie ein Schluck Wasser im Sessel. Also: Unverdrossen weiterhin das Transsexuellengesetz zu kritisieren, unverdrossen weiterhin kritisieren, dass trans* Menschen immer noch die Diagnose „psychisch krank” brauchen, um medizinisch angemessen versorgt zu werden, lohnt sich, denn es sind wichtige Themen, und sie sind immer noch nicht gut gelöst. Danke für nix.
In dem Monat nach dem Hassverbrechen im Club „The Pulse“ in Orlando/Florida, bei dem 49 Menschen, v.a. aus queeren Latinx-Communities, getötet wurden, haben zahlreiche Autor_innen die Tat als einen „Angriff auf die freie Welt“ gedeutet.
Aber auch in dieser sogenannten „freien“ Welt, auch in unseren eigenen Communities, werden Identitäten und Lebensrealitäten vieler Menschen vergessen oder unsichtbar gemacht.
Auch Ausgrenzungen und Diskriminierungen, Gewalt- und Hassverbrechen werden vergessen oder unsichtbar gemacht. Zum Beispiel der mörderische Angriff auf die queere Bar „La Madame” im mexikanischen Xalapa am 22. Mai, bei dem es ebenfalls Tote gab, dem aber keine Kundgebungen oder Solikonzerte folgten.
Die Mehrheitsgesellschaft genießt den Luxus, sich aussuchen zu können, wohin das Interesse gelenkt wird. Sexarbeiter_innen, Muslime und Muslima, Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen, Menschen für die Rassismus Alltag ist, Menschen, die nicht in Schubladen passen, trans* oder nicht trans*, haben diesen Luxus nicht.
Und da sind wir wieder bei der sogenannten „freien Welt”, in der Minderheiten und ihre Bedürfnisse von der Mehrheitsgesellschaft häufig nur dann wahrgenommen werden, wenn Glanz & Tanz wie bei CSDs im Spiel sind, oder wenn es gilt, sie gegeneinander auszuspielen, wie es jüngst die AfD versuchte mit ihrem PR-Truck, der weiße Schwule zeigte, die sich enthemmt islamfeindlich äußerten. Oder wenn Kommentator_innen wie gerade noch in Bezug auf Orlando plötzlich vermeintlich eine „Homo-Lanze“ brechen, zwischen den Zeilen jedoch populistisch agieren.
Das Bild, das uns im Anschluss an dieses Hassverbrechen und weitere Anschläge verkauft wurde, teilt die Welt wieder einmal in „gut” und „böse” ein.
Hier die sogenannte „westliche” Welt. Die strukturelle und individuelle Gewalt an Menschen aber auch dann noch ignoriert, wenn sie so überaus deutlich wird, wie in dem Hassverbrechen in Orlando. Ganz so, als habe „der Westen” noch nie gehört, dass Rassismus, Transfeindlichkeit, Interfeindlichkeit und Homofeindlichkeit tötet. Ja, im sogenannten „Westen”. Dass ist immer noch Alltag.
Auf der anderen Seite wird ein vereinfachtes Bild „einer“ muslimischen Welt dargestellt, die reflexhaft als etwas „Böses” und per se als menschenfeindlich inszeniert wird.
Von diesen Zuschreibungen sind auch Menschen und Institutionen unserer Communities nicht frei - wenn wir uns an Aussagen gerade auch in den letzten Wochen erinnern.
Wir von TrIQ möchten alle einladen, dass wir uns antimuslimischem Rassismus, anderen Rassismen und Antisemitismus entgegenstellen. Auch wenn das heißt: anecken, unbequem sein, keine einfachen Antworten bieten.
Dass wir Kerzen nicht nur vor die Botschaft der USA stellen, sondern z.B. auch vor die Botschaft von Honduras, wo allein in den letzten elf Monaten sechs Frauen der trans* Gruppe „Regenbogen” ermordet wurden. Und nicht nur am Transgender Day of Remembrance auf die Straße gehen, sondern auch im Black History Month.
Seien wir miteinander solidarisch: denn auch in „Trans*-Communities” oder „LSBTI-Communities” sind Privilegien sehr ungleich verteilt. Wir wünschen uns, dass wir unsere Communities mehr danach ausrichten, das in ihnen mehr Menschen sichtbar und hörbar sein können. Und nicht nur die, die schon im Fokus stehen.
Damit sich die Sexarbeiterin, die sich noch nicht im Verein willkommen fühlt, eben doch willkommen fühlen kann. Damit die geflüchtete Person, die wichtigere Sorgen hat als ihre geschlechtliche Selbstdefinition, trotzdem andocken an. Damit der Mensch ohne Job, für den die Miete relevanter ist als das Transsexuellengesetz, auch darüber sprechen kann.
Mit den Worten von Audre Lorde: ”Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unser Unvermögen, diese Unterschiede zu verstehen, zu akzeptieren und zu feiern.”