Über die Datenlage zu nicht-invasiven Pränataltests
Im Rahmen des im August des vergangenen Jahres eröffneten Methodenbewertungsverfahrens für nicht-invasive Pränataltests (NIPT) will der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Testgenauigkeit überprüfen. Wenn NIPT im Vergleich zu invasiver Diagnostik ähnlich genau, aber risikoärmer für die Schwangere mögliche Chromosomenabweichungen eines Fötus feststellen können, müssten die Tests der Verfahrenslogik nach als Leistungen der Krankenversicherung aufgenommen werden.
Bei der NIPT-Methode findet eine Analyse der fetalen zellfreien DNA (cff-DNA) statt (siehe Kasten Seite 10). Die cff-DNA stammt jedoch nicht direkt vom Embryo, sondern aus der Plazenta. Diese entwickelt sich zum Teil aus den Trophoblasten, der äußeren Zellschicht des Embryos in einem frühen Entwicklungsstadium. Ein relevanter Unterschied, denn es ist möglich, dass die Chromosomenbeschaffenheit der Plazenta und des Embryos sich unterscheiden. Bei einem „plazentalen Mosaik“ entstehen örtlich begrenzte Zellansammlungen mit abweichender Genetik - eine Studie fand dieses Phänomen bei fast fünf Prozent der postnatal untersuchten Plazenten.[1] Dieses Problem ergibt sich allerdings auch bei der invasiven Chorionzottenbiopsie. Dabei wird nur Plazentagewebe entnommen und analysiert, eine auf sie basierende Diagnose des Fötus kann daher falsch liegen. Bei der Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) hingegen werden auch Zellen des Fötus selbst untersucht.
Diese methodische Schwäche ist nur ein Grund, warum auf cff-DNA basierte NIPT nur prognostisches Screening und keine Diagnose sind. Eine Diagnose ist die Feststellung einer Erkrankung aufgrund eines Befundes. Prognosen dagegen sind Vorhersagen aufgrund von statistischen Berechnungen. Bei NIPT wird die isolierte cff-DNA genetisch untersucht und die Wahrscheinlichkeit bestimmter genetischer Beschaffenheiten des Fötus kann berechnet werden. Diese Analysen werden vor allem benutzt, um Vorhersagen zu Chromosomenabweichungen, insbesondere Trisomien, zu treffen. Auch Vorhersagen über das Geschlecht des Kindes sind möglich, sowie über Geschlechtschromosomenabweichungen wie das Turner-Syndrom. Potentiell können auch andere genetische Beschaffenheiten des Fötus untersucht werden. Gerade die Untersuchungen von Geschlechtschromosomenabweichungen sind umstritten, denn nicht alle haben überhaupt gesundheitliche Auswirkungen - sie sind lediglich eine Normabweichung.[2] Sollte NIPT Teil der Regelversorgung werden, ist zu erwarten, dass die Fahndung nach intersexuellen Veranlagungen durch einen geringen Aufpreis Teil des Standardangebots an werdende Eltern sein wird.
Präsentationsprobleme der Studienergebnisse
Der dem G-BA-Beschluss zugrunde liegende Antrag bezieht sich auf eine Meta-Analyse von Gil et al. (2015).[3] Eine Meta-Analyse ist eine rechnerische Zusammenfassung vieler Studien. Die klinischen Studien mussten ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben, außerdem mussten für 85 Prozent der untersuchten Patientinnen Ergebnisse vorliegen.[4] Für Trisomie 21 wurden 24 einzelne Studien einbezogen, in denen insgesamt 1.051 betroffene und 21.608 nicht-betroffene Schwangerschaften ausgewertet wurden. Die Ergebnisse der NIPT wurden entweder mit Ergebnissen aus invasiver Diagnostik oder Untersuchungen nach der Geburt verglichen. Die Ergebnisse überzeugen auf den ersten Blick: Der Test ist hochsensitiv, das heißt so gut wie alle gesuchten Trisomien werden entdeckt. Und er ist sehr spezifisch, das heißt nur wenige positive Trisomie-Befunde sind falsch. Durchschnittlich wurden 99,2 Prozent der Trisomie 21-Schwangerschaften entdeckt, die Rate an falsch-positiven Befunden (FPR) liegt bei nur 0,09 Prozent. Für Trisomie 18 (21 Studien) liegen diese Werte bei 96,3 Prozent Spezifität und 0,12 Prozent FPR; bei Trisomie 13 (18 Studien) sind es 91,7 Prozent Sensitivität und 0,11 Prozent FPR. Zumindest was die Sensitivität angeht, kommt der Test diesen Studien zufolge nah an die Ergebnisse für invasive Diagnostik heran (99,3 Prozent Sensitivität, 0,002 Prozent FPR für Trisomie 21).
Bei diesen beeindruckenden Zahlen ist jedoch zu beachten, dass fast alle Studien für einen Teil der Schwangeren aus verschiedenen Gründen keine Testergebnisse auswiesen. Neben üblichen Verlusten bei Probentransport und -verarbeitung funktionierte bei 0 bis 12,2 Prozent die Durchführung des Tests schlichtweg nicht. Letzteres ist ein bekanntes Phänomen des NIPT-Verfahrens, der häufigste Grund ist ein zu geringer isolierter Anteil an fetaler zellfreier DNA im Blut der schwangeren Person, eine „niedrige fetale Fraktion“ unter vier Prozent. Die fehlenden Ergebnisse wurden in der Endanalyse der Sensitivität und Spezifität des Tests nicht mit eingerechnet. Damit sind diese höchstwahrscheinlich verzerrt, denn einige Studien zeigen, dass gerade bei diesen Schwangerschaften die Wahrscheinlichkeit für Trisomien deutlich erhöht ist.[5] Eine Miteinberechnung würde die Fehlerrate des Tests vermutlich anheben.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die verbreitete alleinige Darstellung der Werte für Sensitivität und Spezifität bei Tests für sehr seltene Erkrankungen und Behinderungen nicht aussagekräftig ist. Um die tatsächliche Verlässlichkeit eines positiven Testergebnisses zu kennen, müsste der positive Vorhersagewert berechnet werden. Dieser gibt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, bei einem positiven Testergebnis tatsächlich ein Kind mit der gesuchten Behinderung zu bekommen. In einer großen Studie lag dieser Wert für Trisomie 21 bei knapp unter 50 Prozent.[6] Das heißt, dass nur bei jedem zweiten positiven NIPT-Befund tatsächlich eine Trisomie 21 vorlag. Dies ist immer noch deutlich genauer als beim Ersttrimesterscreening, wo dieser Wert bei fünf Prozent liegt, lässt den Test aber gleich in einem anderen Licht erscheinen.
Fehlende Systematik bei Ergebnisdokumentation
Kritische Stimmen fordern zudem große Studien mit einer systematischeren Dokumentation des Schwangerschaftsergebnises, bevor der Test Teil der Routinepraxis wird.[7] Denn viele Studien gleichen die NIPT-Ergebnisse lediglich mit invasiven Testergebnissen ab oder sogar nur mit rein äußerlichen Untersuchungen von Neugeborenen, statt die Chromosomenbeschaffenheit des Fötus beziehungsweise des späteren Kindes tatsächlich nachzuprüfen. Wie beschrieben ist es möglich, dass die Ergebnisse von NIPT und Chorionzottenbiopsie übereinstimmen, aber beide vom tatsächlichen Zustand des Embryos abweichen - ohne dass dies in die Berechnung der NIPT-Fehlerrate einfließt. Wird das Gewebe aus Abtreibungen oder Fehlgeburten analysiert, kann meist nicht exakt nach plazentalem oder fetalem Gewebe getrennt werden - der Befund einer Chromosomenabweichung nach Schwangerschaftsabbruch ist also nicht unbedingt ein Beweis dafür, dass bei dem Fötus tatsächlich eine solche vorlag. Zudem kann auch die Schwangere selber von einem bis dahin unentdeckten Mosaik (also einem Gemisch aus genetisch verschiedenen Körperzellen) mit Chromosomenabweichung betroffen sein, daher sollte für systematische klinische Studien auch die ehemalige Schwangere selber untersucht werden.
Viele der Studien, die in die dem G-BA-Antrag zugrundeliegende Meta-Analyse eingeflossen sind, sind zudem retrospektiv, sie untersuchen also eingelagertes Material. Die Testergebnisse hatten keine Auswirkung mehr auf die Behandlungspraxis. Wie sich NIPT in die klinische Routine einfügt und wie sich dies auf die Verlässlichkeit der Testergebnisse auswirkt, kann so nicht festgestellt werden. Inzwischen gibt es aber weitere Studien, die eine Implementierung der Bluttests in die bestehende Schwangerschaftsversorgung untersuchen. Diese werden vermutlich in das geplante Methodenbewertungsverfahren einfließen, auch wenn sie sich teilweise auf abweichende klinische und ärztliche Vorgehensweisen in anderen nationalen Kontexten beziehen.
Seltenes Testversagen bleibt Problem
Ein solches Beispiel ist die im Juni 2016 publizierte RAPID-Studie (Reliable, Accurate Prenatal, non-Invasive Diagnosis).[8] Hier wurde auf acht britischen Entbindungsstationen risikoschwangeren Frauen testweise NIPT angeboten. So konnte auch die Entscheidung der Frauen mit eingerechnet und ein realistischeres Szenario kreiert werden. Die Frauen hatten nach einem vom deutschen System abweichenden ersten Trisomiescreening (kombinierter oder Quadrupeltest) ein hohes oder intermediäres Risiko. Den Schwangeren mit hohem Risiko wurde, wie im britischen Gesundheitssystem üblich, auch invasive Diagnostik angeboten. Von den 40.527 Frauen in beiden Risikogruppen nahmen dreiviertel der Schwangeren das Angebot eines Trisomie-21-Screenings mit NIPT an.
Der Test sagte bei 2,4 Prozent eine Chromosomenauffälligkeit voraus. 80 Prozent dieser Frauen wählten daraufhin einen invasiven Test. Das Ergebnis der NIPT war hier in allen Fällen korrekt, sogar genauer als der invasive Test, der bei fünf Frauen ein falsches unauffälliges Ergebnis lieferte. Zwei der 59 Frauen mit auffälligem Befund entschieden sich nach der NIPT für eine Abtreibung, ohne die Voraussage mit einer invasiven Untersuchung überprüfen zu lassen.
Doch auch in dieser Studie funktionierte bei einem kleinen Teil (2,5 Prozent) der Fälle die cff-DNA-Analyse nicht, bei weiteren 1,2 Prozent waren die Ergebnisse nicht interpretierbar. In der Endberechnung wurden sie nicht eingerechnet, und es ergibt sich so eine hohe Sensitivität von 100 Prozent und eine Spezifität von 99,6 Prozent. In der Hochrisikogruppe war ein positiver Wert damit zu 94 Prozent verlässlich. Insgesamt stellen die Autor*innen heraus, dass NIPT gut angenommen wurde. Alleine durch das Angebot von NIPT entschieden sich insgesamt fast doppelt so viele Frauen wie üblich für weitere Untersuchungen (NIPT und invasiv) nach dem ersten Screening.
Auch der Hersteller des „PraenaTest“ Lifecodexx vermeldet auf seiner Homepage neue Studienergebnisse. Für die qNIPT2016-Studie, die den „PraenaTest® Option 1“ mit einer neuen Methode der cff-DNA-Analyse überprüfte, werden perfekte Werte angegeben.[9] Von insgesamt 966 auf Trisomie 21 untersuchen Proben wurden 100 Prozent korrekt klassifiziert. Aber auch hier fehlt die Angabe, ob Proben, bei denen der Test nicht funktionierte, aus dieser Aufstellung herausgelassen wurden - um diese Werte richtig einschätzen zu können, wird man also auf die Publikation der Studiendaten in einer Fachzeitschrift warten müssen.
Insgesamt werden die genannten Kritikpunkte der nicht-funktionierenden Tests und inkorrekter Ergebnisse durch genetische Mosaike wahrscheinlich nur einen kleinen Teil der Schwangerschaften betreffen. Sie stehen der Aussage, dass NIPT beim Aufspüren von Chromosomenabweichungen genauer ist als übliche Erstsemesterscreenings nicht entgegen. Sie sollten aber mitgedacht werden, wenn von Testgenauigkeit von „100 Prozent“ geredet wird und auf dieser Grundlage über ihre Einführung in die Standardversorgung entschieden wird. Einige Probleme sind auch nicht durch methodische Verbesserungen auflösbar und zeigen, warum der Test ein Screening bleibt und kein diagnostisches Instrument ist. Dies muss auch den betroffenen Schwangeren vermittelt werden. Ganz abgesehen davon, dass Testgenauigkeit am Ende nicht das einzige Kriterium bei der Entscheidung des G-BA sein darf.
In Kooperation mit dem Gen-ethischen Netzwerk.
[1] Artan S. et al. 1995: Confined placental mosaicism in term placentae: Analysis of 125 cases. Prenatal Diagnosis 15, doi: 10.1002/pd.1970151210
[2] Zum Umgang mit Intersex-Kindern siehe auch den Artikel „Operationen an Intersex-Kindern” auf S. 31 in diesem Heft.
[3] Gil M. M. et al. 2015: Analysis of cell-free DNA in maternal blood in screening for fetal aneuploidies: updated meta-analysis. Ultrasound in Obstetrics & Gynecology 45, doi: 10.1002/uog.14791.
[4] Beim Peer Review-Verfahren müssen wissenschaftliche Studien vor ihrer Veröffentlichung von unabhängigen Wissenschaftler*innen - meist anonym - begutachtet werden.
[5] Norton M. E. et al. 2015: Cell-free DNA analysis for noninvasive examination of trisomy. The New England Journal of Medicine 372, doi: 10.1056/NEJMoa1407349.
[6] Zerres K. 2015: Nicht-invasive genetische Pränataldiagnostik - eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Zeitschrift für Geburtshilfe Neonatologie 219, doi: 10.1055/s-0035-1547294.
[7] Lutgendorf M. A. 2014: Noninvasive prenatal testing: limitations and unanswered questions. Genetics in Medicine 16, doi: 10.1038/gim.2013.126.
[8] Chitty L. S. et al. 2016: Uptake, outcomes, and costs of implementing non-invasive prenatal testing for Down's syndrome into NHS maternity care: prospective cohort study in eight diverse maternity units. BMJ 354, doi: 10.1136/bmj.i3426.
[9] www.lifecodexx.com, 30.12.16.