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Die Zu-Spät-Gekommenen. Zur Unzeit von Gender Studies

Feministischer Zwischenruf

Das gegenwärtige Bashing der Gender Studies macht deutlich, dass es für kritisches Geschlechterwissen und queeres Denken keinen richtigen Zeitpunkt gibt. Lasst uns daher nicht länger darauf warten, dass er sich einstellt. Kweek. Der queere Zwischenruf zum Tag der Gender Studies.

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#4genderstudies - zum Tag der Gender Studies

„She´s not here yet because she´s running on queer time.“ Dieser Satz passt auch zu mir. Ich neige dazu, immer ein akademisches Viertel zu spät zu sein. Die Zeiger meiner Uhr drehen sich nur. Zeitversetzt. In Zeiten, in denen manchen in den Sinn kommt, die Gender- und Queer Studies zum Feindbild Nummer Eins zu machen, beende ich eine Dissertation, in der Queer Theory das Zentrum des Denkens darstellt. Schon als ich 2012 mit dem Schreiben anfing, hatte Queer Theory ein Legitimationsproblem. Jetzt, wo mein Buch fast abgeschlossen ist, wird wieder am Ast der Denkschule der Geschlechter- und Sexualitätsstudien gesägt, wenngleich von anderen Akteur*innen. Kurzum: Den richtigen Zeitpunkt für Queeres Denken gibt es nicht.

Doch braucht es diesen Zeitpunkt überhaupt? Ist nicht die untimeliness von queer die Ressource, das Werkzeug, der Einsatz? Zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, könnte doch auch für Überraschungen sorgen, für Unvorhergesehenes und vor allem für etwas, das gar nicht erst versucht, auf die Polemiken zu reagieren, sondern vielmehr darauf insistiert, noch immer und wieder queeres Wissen, queere Politiken und Praktiken zu produzieren. Wir sollten die Unzeit von queer beziehungsweise das out-of-step- Sein der Gender Studies kultivieren, genauso wie es Elizabeth Grosz schon vor rund 20 Jahren empfahl: „This is precisely what it means to write for a future that the present cannot recognize; to develop, to cultivate the untimely, the out-of-place and the out-of-step.“  (Grosz 2004: 117)

Queer Theory war immer unzeitgemäß, das ist ihre Stärke

Dabei machte sie deutlich, dass der Zugang zur Unzeit von queer nur aus der Vergangenheit kommen kann. Um heute das Zuspätkommen von queer als Ressource für die Zukunft zu verstehen, brauchen wir einen Blick auf die Vergangenheit anderer Unzeitmäßigkeiten. Queere Theorie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war eine solche Unzeitmäßigkeit.

Katrin Köppert ist Queer-Medien-Affekt-Theoretikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin. Zuvor lehrte sie an der Kunstuniversität Linz. Studium der Gender Studies und Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Nicht nur, dass sich im Zuge von 9/11 die autoritären und kriegerischen Kräfte der Bush-Administration durchsetzten, entstanden im Zusammenhang der intersektionalen Gender Studies Konzepte wie Homonormativität (Duggan 2002) und Homonationalismus (Puar 2007). Diese machten die Einbindung von Queers, aber auch von Queer Theory in Machtkomplexe sichtbar. Angesichts dieser (notwendigen) Intervention, wurde eine unkritische Bejahung von Queer Theory schwierig. Sie fiel gewissermaßen aus der Zeit. Hinzu kam, dass Leo Bersani und Lee Edelman Anfang des 20. Jahrhunderts die antisoziale These formulierten und behaupteten, allein die Verweigerung des heteronormativen Futurismus, bedeute bereits queere Opposition. Diese innerhalb der Queeren Theorie entstandene Befürwortung der Figur des Todes machte es vor allem vor dem Hintergrund kriegerischer und todbringender Einsätze in Folge von 9/11 schwierig, vorbehaltlos Queere Theorie zu betreiben.

Spannend ist nun aber zu beobachten, wie mit dem Eindruck, Queere Theorie wäre nicht mehr angemessen, gearbeitet wurde. Die Unangemessenheit – die Unzeit – wurde zum Anlass genommen, queer mit Zukünftigkeit auszustatten. Der mittlerweile verstorbene Kulturtheoretiker José Esteban Muñoz setzte der Figur des Todes die konkrete Utopie des Cruisings entgegen (2009). Andere wiederum fragten „Queer Again?“ und antworteten mit Queer Futures (Haschemi Yekani/Kilian/Michaelis 2013).

Queer Times – Time is queer

Die Zeit rückte dabei ins Zentrum Queerer Theorie. Sie wurde nicht nur zur Analysekategorie von Heteronormativität, white supremacy und Neoliberalismus, sondern zum tool queer-politischer Praktiken. So war die Entschleunigung Teil der Aktionen des Feel Tank Chicago, einer Gruppe, die zwischen 2003 und 2007 in Pyjamas und Bademänteln unter dem Slogan „Depressed? It might be political“ gegen die Privatisierung von negativen Gefühlen protestierten (vgl. von Bose/Klöppel/Köppert/Michalski/Treusch 2015). Oder es spielte die Rückwärtsgewandtheit eine entscheidende Rolle, sich den Figuren der butch oder der spinster in ihrem Potential zuzuwenden, queere Zukünfte zu ermöglichen (Love 2007).

Was heißt das nun für die Gegenwart von Gender- und Queer Studies? Die Verlockung ist groß, uns aus der Schusslinie zu nehmen, um als Fach und als Forscher*innen zu überleben. Entsprechend zeigen sich manche verführt und nähern sich den antifeministischen und gegen Gender Studies gerichteten Narrativen an, um ihre Forschung oder ihren Aktivismus zu tarnen. Andere wiederum – und die konzertierte Aktion des heutigen Tages verdeutlicht dies – lassen es mal gut sein mit der Diskretion und den vertraulichen Absprachen und gehen in die Offensive.

Es steht mir nicht zu, über die Strategien zu richten. Sie alle deuten mehr oder weniger darauf hin, dass mit dem Bashing der Gender Studies ein Stellvertreterdiskurs geführt wird, der die Ohnmacht gegenüber den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen artikuliert. Das ernst zu nehmen ist wichtig. Es nicht zu dramatisieren, ebenso. Also reiche ich meine Dissertation zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ein. Aber wie gesagt – günstig gibt’s nicht. Von daher: jetzt erst recht.