Grußwort

Barbara Unmüßig skizziert, was es für einen Thinktank wie die Heinrich-Böll-Stiftung bedeutet, Mehrfachdiskriminierung systematisch in die Bildungsarbeit einzubeziehen und eben alle Lebensrealitäten mitzudenken.

„Schwarze Frauen [bleiben] sowohl in der feministischen Theorie als auch im antirassistischen politischen Diskurs außen vor, weil beide (…) das Zusammenspiel von ‚Rasse‘ und Geschlecht nicht ausreichend widerspiegeln. Diese Probleme lassen sich nicht einfach dadurch lösen, dass Schwarze Frauen in eine bereits etablierte analytische Struktur einbezogen werden: (…) nur eine Analyse, die diese Intersektionalität in den Blick nimmt, [kann] die spezifische Unterdrückung Schwarzer Frauen in ausreichender Weise thematisieren.“ Die Intersektion, 1989

Die Heinrich-Böll-Stiftung versteht sich als Thinktank zwischen Aktivismus, Academia und Politik. Es hat etwas gedauert, ehe das von Kimberlé Crenshaw vor gut 30 Jahren geprägte Konzept der Intersektionalität in der Heinrich-Böll-Stiftung ernsthaft rezipiert wurde. Von der Analyse bis zur Überwindung von Mehrfachdiskriminierung ist es überall ein langer Weg. Der neue und komplexe theoretische Zugang sucht in der Praxis nach neuen Wegen, zum Beispiel auch in gesellschaftlichen Bündnissen. Deshalb sind wir in der Stiftung auch in einer Suchbewegung. Es wäre vermessen zu behaupten, wir würden Intersektionalität in all ihren Dimensionen bereits vollständig umsetzen. Doch wir nähern uns an und stellen uns den Herausforderungen immer mehr in unserer bildungspolitischen Praxis im In- und Ausland.

Projekte und Veranstaltungen intersektional aufzubauen, bedeutet eine Veränderung ums Ganze. Konkret bedeutet das zum Beispiel: Nicht mehr die Schwarze Frau oder die Rollstuhlfahrer*in sind die Ausnahme und damit die, die mitbedacht und „zusätzlich“ finanziert werden, sondern sie und die Voraussetzungen für ihre selbstverständliche Teilhabe gehören dann einfach dazu. Sie werden zum Teil der Normalität, ohne dass Menschen ihre Lebensrealität verstecken oder gar leugnen müssen.

Ja, Umdenken schafft Unruhe, und es braucht vielfältige Ressourcen einschließlich Geld. Doch angesichts des globalen Angriffs auf Menschenrechte und den stetig schrumpfenden Räumen für eine progressive Zivilgesellschaft, sollten wir diese Gelegenheit beim Schopf packen: Nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was für die demokratische Mitte als gemeinhin „normal“ gilt, macht diese fähig, neue und andere Bündnisse zu schließen. Nur eine vielschichtige Analyse von Machtverhältnissen erlaubt, den bereits bewährten Allianzen neue hinzufügen. Vielfalt macht so viel mehr Freude, macht Mut, ist Reichtum.

Und so freue ich mich sehr, dass dieser Band mit all den verschiedenen Perspektiven auf Intersektionalität nun vorliegt. Von Herzen gratuliere ich Kimberlé Crenshaw zu ihrem vor 30 Jahren formulierten, bahnbrechenden Konzept, mit dem so vieles begonnen hat: Happy Birthday, Intersectionality!