Männerpolitische Themen haben eine eigenständige Legitimation. Sie sollten nicht erst dann wahrgenommen werden, wenn Frauenpolitik und weiblich geprägte Geschlechterforschung sie für akzeptabel oder zumindest diskussionswürdig halten. Allerdings müssen sich männliche Akteure in diesem Feld ihrer gesellschaftlichen Privilegierung stets bewusst sein.
Die Sozialwissenschaftlerin Mara Kastein vertritt in ihrer gerade erschienenen Dissertation (und auch in einem Beitrag in diesem Forum) die These, gleichstellungsorientierte Männerpolitik befinde sich unter einem ständigem ”Legitimationsdruck”. Die männlichen Aktivisten, ganz überwiegend weiß und heterosexuell, seien “trotz unbedingter Sympathiebekundung mit feministischen oder geschlechterwissenschaftlichen Theorien” schlicht nicht “markiert” als Betroffene von Diskriminierung. Folgerichtig erhielten sie auch keine Unterstützung im Rahmen einer intersektional ausgerichteten Strategie, die Benachteiligung durch Geschlecht, Alter, Herkunft, sexuelle Identität und Lebensweise, Hautfarbe, Religion oder körperliche Beeinträchtigung in den Mittelpunkt stellt. Als Ausweg aus diesem Dilemma schlägt die Autorin eine “Politik der Deprivilegierung” vor. Männliche Akteure seien herausgefordert, auf eine Abgabe von Macht und Vorrangstellung hinzuwirken und “hierfür zu mobilisieren”.
Aus Kasteins doppelt distanzierter Sicht - “von den Interviewten wurde ich erstens als Soziologin und zweitens als Frau adressiert”, schreibt sie in der Studie - wirkt eine auf Gleichstellung orientierte Männerpolitik zunächst als “Paradox”, scheint dieses Ziel doch exklusiv von und für Frauen reserviert zu sein. “Dürfen die das?” fragt nicht zufällig schon die Überschrift ihres Beitrags in diesem Forum. Es folgen diverse andere Formulierungen, mit denen die Autorin das weitgehende Unverständnis für diesen Ansatz in Frauenpolitik und Frauenforschung anschaulich belegt. Hier ein paar Kostproben: “Gibt es so etwas überhaupt?”, “relative Unsichtbarkeit”, “keine große oder gar dominante geschlechterpolitische Strömung”, “vereinzelte Vereine, Organisationen und Gruppen”, kurzum: “ein recht kleines Feld, das kaum öffentliche Beachtung findet”.
Patriarchale Vorteile nicht für alle
Dennoch, betont die Wissenschaftlerin, werde gleichstellungsorientierte Männerpolitik “seit einigen Jahren von verschiedensten Organisationen im deutschsprachigen Raum versucht”. Die daran beteiligten männlichen Aktivisten befürworten den Geschlechterdialog, sie wenden sich dezidiert “gegen anti-feministische Stimmen, die oftmals mediale Diskurse dominieren”. Als zentrales Ergebnis ihrer Untersuchung betrachtet Kastein das Deutungsmuster der “fehlenden Legimität”: Männer, die zu geschlechterpolitischen Fragen Stellung beziehen, hätten “keine autorisierte Sprechposition inne”: Sie müssen sich wegen ihrer Privilegien erstmal rechtfertigen, um mit ihren Positionen in feministischen Debatten überhaupt Gehör zu finden. Die Autorin fragt daher “Wie lässt sich diese Strömung legitimisieren?”
Gegenfrage: Muss sie das? Für die meisten der in diesem Bereich Aktiven hat Männerpolitik ganz selbstverständlich eine eigenständige Legitimation. Dieses Selbstverständnis leitet sich aus der Beobachtung ab, dass die gesellschaftliche “Vergoldung” ihrer Rolle Männer zwar grundsätzlich privilegiert, die damit verbundenen Vorteile aber nicht überall ankommen. Bestimmte männliche Teilgruppen profitieren nur wenig von der “patriarchalen Dividende” - ein viel zitierter Begriff, den einst die australische Geschlechterforscherin Raewyn Connell geprägt hat. Zu diesen Teilgruppen gehören etwa von harter Maloche geschaffte Industriearbeiter in prekärer Beschäftigung, aber auch unfreiwillig randständige Väter oder potenzielle Herzinfarkt-Kandidaten, die sich im beruflichen Hamsterrad der “ernsten Spiele” (Michael Meuser) bis zur Erschöpfung aufreiben - und deshalb dann auch deutlich früher sterben als Frauen.
Emanzipations-Dividende
Solche Beispiele tauchen in der Debatte um “toxische Männlichkeit” in letzter Zeit verstärkt auf, haben es aber bisher nicht in die staatlichen Gleichstellungsberichte geschafft. Bei der Thematisierung der negativen Folgen männlicher Rollenentwürfe sollten genderdialogisch ausgerichtete Aktivisten einen Wettbewerb der Benachteiligung vermeiden, wie ihn die vor allem im Internet präsenten maskulinistischen Gruppen forcieren. Es geht um die Berücksichtigung des wichtigen Aspektes, dass Männer keineswegs nur verzichten müssen, sondern auch etwas zu gewinnen haben. An die Stelle der patriarchalen tritt sozusagen eine Art Emanzipations-Dividende.
Feministinnen haben recht: Männer sollten sich ihrer Privilegien qua Geschlecht, von denen sie meist unsichtbar profitieren und die gerade am Arbeitsplatz gravierende Auswirkungen haben können, immer bewusst sein - und diese für gleichstellungsorientierte Veränderungen aktiv einsetzen. Männerpolitik ist deshalb gut beraten, wenn sie betriebliche Frauenquoten unterstützt und die weiterhin großen Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern im Bündnis mit Frauen skandalisiert. Zugleich sollte sie jedoch auch deutlich machen, dass Männer von Gleichstellungsinstrumenten sogar profitieren können. Zum Beispiel, wenn die eigene Partnerin mehr verdient, weil das Gender Pay Gap endlich geschlossen wird: Dann nämlich können Männer leichter ihren eindimensionalen, ausschließlich am professionellen Fortkommen orientierten Karrierepfad verlassen oder Väter sich mehr um ihre Kinder kümmern, ohne dass das Familieneinkommen sinkt.
Mara Kasteins Forderung nach einer Politik der “Deprivilegierung” steht in der Logik eines in Frauenpolitik und Frauenforschung häufig vertretenen Denkmusters, demzufolge Männer nur etwas abgeben, sich enthalten und verzichten müssen. Die Gewinne, die aus dem Aufschnüren enger Rollenkorsette resultieren können, müssen jedoch stets mitgedacht und vor allem auch innerhalb der männlichen Zielgruppe kommuniziert werden. Das ist schon deshalb wichtig, weil sich die eigenen Geschlechtsgenossen sonst nicht für “gleichstellungsorientierte Männerpolitik” motivieren und erst recht nicht mobilisieren lassen.