Als Kim Crenshaw 1989 ihren heute legendären Artikel über Intersektionalität für den Harvard Civil Rights Civil Liberties Law Review verfasste, hat sie wohl kaum geahnt, welche Wirkung er weltweit entfalten würde. Die Idee der Intersektionalität überwindet seitdem territoriale Grenzen und auch Disziplinen und ist zu einem der erfolgreichsten Theorien geworden, die je aus den USA exportiert wurden. Crenshaw wird für immer mit dieser wirkmächtigen und aufrüttelnden Idee in Verbindung gebracht werden, was sie zu einer der einflussreichsten Wissenschaftlerinnen in der Welt und zweifelsohne in der Geschichte macht. Ideen von Schwarzen Frauen* haben sich selten weit und umfassend verbreitet, obgleich neuere Filme wie Hidden Figures von Margot Lee Shetterly zeigen, dass Ideen, die die Geschichte verändert haben, tatsächlich viel häufiger von Schwarzen Frauen* stammen als angenommen.
Als ich Junior-Professorin wurde, fing ich an, mich mit der Theorie der Intersektionalität auseinanderzusetzen, – die einzige Schwarze, die an einer regionalen Universität in Großbritannien lehrte, in einem Land, das 2018 nicht mal 30 Professorinnen afrikanisch-karibischer Abstammung bei einer Gesamtzahl von 18.000 hatte. In meiner prekären Lage – Schwarz, britisch, weiblich, junior, sichtbar und dennoch unsichtbar – hatte ihr Artikel eine enorme Wirkung auf mich. In der überwiegend weißen und männlichen und britischen Jurawelt war es inspirierend zu wissen, dass diese Theorie, von einer Person verfasst worden war, die aussah wie ich. Und es war beruhigend, dass sie solchen Anklang fand und weltweit von Wissenschaftler*innen in unterschiedlichen Bereichen angewendet wurde.
Ich war also anfänglich hocherfreut darüber, wie Intersektionalität in Europa aufgenommen wurde. Doch je mehr ich las, umso mehr bestürzte mich ihre offensichtliche Transformation: Auf der einen Seite gab es dieses Konzept – von einer Schwarzen Frau* entwickelt, um die rechtliche Situation von Schwarzen Frauen* zu verbessern –, auf der anderen Seite jedoch waren Herkunft und Ziel in den dazu von europäischen Wissenschaftler*innen und Forscher*innen verfassten Arbeiten kaum noch zu erkennen. Viel wurde geschrieben über „Mehrfachdiskriminierung“, nichts jedoch über Rassismuskritik oder rassismuskritischen Feminismus. Wenig konnte ich zur Rolle von Schwarzen Arbeiterinnen im globalen Kapitalismus finden, und jedwede Anerkennung für die Idee der Synergie, welche der Theorie zugrunde liegt, blieb aus.
Die Oberflächlichkeit der europäischen Übertragung führte mir zwei wichtige Dinge vor Augen: Erstens, die Macht der akademischen Welt in ihrer Rolle als Erzeuger von modernem Wissen; und zweitens – angelehnt an den ersten Punkt – die Gefahren der Homogenität in der akademischen Lehre bei der Ausübung dieser wichtigen öffentlichen Aufgabe. Universitäten und Forschungseinrichtungen müssen nicht nur in der Ausbildung eine wichtige Rolle spielen, sondern auch bei der Erzeugung von Wissen und Theorien, die das tägliche Leben prägen. Für die Intersektionalität gilt: Die Theorie wurde von Wissenschaftler*innen in den USA entwickelt, um ein soziales und rechtliches Phänomen aufzuzeigen, und reist seither durch Hochschulen, um ihren Einfluss auf die Welt geltend zu machen. Die Autorin Sirma Bilge behauptet, dass das Stillschweigen über ihre Entstehung der Schlüssel zu ihrem Erfolg gewesen sei. Nur deshalb sei Intersektionalität so breitflächig angenommen worden. Der Preis für diese Transformation war demnach enorm: Die fehlende tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Theorie führte dazu, dass das Konzept zu einer „vielköpfigen Hydra“ wurde, wie im Fall „DeGraffenreid“ erwähnt, wenn auch in gänzlich anderer Absicht. Sie verkümmerte zu einer weiteren Identitätstheorie und wurde verworfen, anstatt zu einer Philosophie globaler Ungerechtigkeit erhoben zu werden. Schwarze Frauen* wurden im Rahmen der Antidiskriminierungsgesetzgebung erneut marginalisiert.
Die Remarginalisierung Schwarzer Frauen* lässt sich auch auf das Fehlen von Schwarzen Wissenschaftler*innen an europäischen Hochschulen zurückführen. Es gibt nur einige wenige Schwarze Professor*innen oder promovierte Forscher*innen in Großbritannien und noch weniger in Europa insgesamt. Das Aushöhlen von Intersektionalität war also nur möglich, weil es keine kritische Masse an Schwarzen Professor*innen gab, die aus der Perspektive und basierend auf den Erfahrungen Schwarzer Europäer*innen an den Orten forschten, an denen sich die Theorie etablierte, nämlich an europäischen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Bedauerlicherweise müssen wir in Großbritannien und Europa die Notwendigkeit, eine kritische Masse auch in der Wissenschaft zu haben, erst noch begreifen.
Damit einher geht die Tatsache, dass das Konzept der Rasse nach wie vor ein Tabu in vielen europäischen Ländern ist. Eine Diskussion über Rasse gilt schnell als Rassismus, obgleich die Objektivierung des Schwarzen weiblichen Körpers – zum Beispiel als barbusiger Kuchen gefüllt mit einem blutroten Schwamm[1]– zulässig ist. Immer dort, wo Rasse als soziopolitische Kategorie zurückgewiesen wird, werden Schwarze Arbeiterinnen weiterhin marginalisiert und bleiben ihre spezifischen Erfahrungen rechtlich und politisch unsichtbar. Rasse aus der Intersektionalität zu entfernen führt daher zu einer Remarginalisierung genau der Stimmen und Erfahrungen, die das Konzept eigentlich in den Vordergrund rücken möchte. Vermeidet man den öffentlichen Diskurs zum Thema Rasse, schafft man damit die Bedingungen zur Verstetigung von Rassismus und verhindert ein effektives Mittel zu Überwindung von Diskriminierung.
Diese Remarginalisierung im europäischen Diskurs um Intersektionalität zu erkennen und zu verstehen, warum sie möglich war, hatte eine tiefgreifende Wirkung auf mich: Hatte ich anfänglich an meiner Position und meinem Wert als Wissenschaftlerin gezweifelt, begriff ich nun, dass ich als eine der wenigen Schwarzen Wissenschaftlerinnen in Großbritannien eine wichtige Rolle innehatte: Ich musste sicherstellen, dass vielfältigen Weltanschauungen eine Stimme und Sichtbarkeit in der akademischen Lehre gegeben würde. Das bedeutete, dass ich die Intersektionalität aus dem Bereich der Identitätspolitik wieder herauszulösen zu hatte. Ich bemühte mich, die Intersektionalität von sämtlichen Missverständnissen zu befreien. Damit sie als Rechtsmittel für all diejenigen fungieren könnte, die sich im toten Winkel des Antidiskriminierungsgesetzes wiederfanden, musste sie wieder in der Geschichte und dem Gedankengut der Schwarzen Frauen seit der Sklaverei verortet werden. Dann, davon war ich überzeugt, würde die Welt den vollen Wert der Intersektionalität sowie den wichtigen intellektuellen Beitrag von Schwarzen Wissenschaftlerinnen erkennen und wertschätzen.
Entschlossen wie ich war, gelang es mir, in der renommierten Jura-Zeitschrift Modern Law Review einen Artikel zu veröffentlichen, der den Titel trug: „Putting Race and Gender Together: A New Approach to Intersectionality“. Daraufhin wurde ich gebeten, einen weiteren Beitrag zu schreiben – dieses Mal für das angesehene Industrial Law Journal über die intersektionale Klausel im britischen Gleichstellungsgesetz von 2010. Im Laufe der Jahre habe ich versucht, meinen Beitrag zur Intersektionalitätstheorie zu leisten und das Bewusstsein für die gesellschaftlichen Gefahren von Homogenität in der Hochschulbildung zu schärfen. Heute spreche ich regelmäßig über die Notwendigkeit, Schwarze Wissenschaftler*innen in Großbritannien zu fördern, und zwar nicht nur diejenigen, die bereits als Wissenschaftler*innen tätig sind, sondern auch die Doktorand* innen.
Obgleich es in der Theorie der Intersektionalität nicht um Identität geht, hat sie mir doch dabei geholfen, meine eigene wissenschaftliche Identität zu finden und zu behaupten. Ohne die Arbeiten von Kimberlé Crenshaw hätte ich vielleicht nie den Wert meiner eigenen Präsenz in der Wissenschaft verstanden. Während andere mir den Einstieg in die Wissenschaft ermöglichten, gab sie mir den Mut, in diesem Beruf zu bleiben und meine Präsenz sowohl in der Forschung als auch in der Lehre zur Geltung zu bringen – ohne Rücksicht darauf, ob dies vom akademischen Umfeld begrüßt wurde oder nicht.
[1] http://www.theguardian.com/world/2012/apr/17/sweden-europe-news; http://www.bbc.co.uk/news/world-europe-17749533 [Zugriff am 24. Nov. 2018]. Siehe auch: Kayla Ruble (2014): Sweden Plans to Thwart Racism By Eliminating the Mention of Race From Its Laws. Online at https://news.vice.com/article/sweden-plans-to-thwart-racism-by-eliminat… [Zugriff am 24. Nov. 2018]