When they (don't) call you a terrorist

Feministischer Zwischenruf

Nach Münster tappten Politik und Medien wiederholt in die Falle, den Terrorismusverdacht an Islamismus rückzubinden. In ihrem aktuellen Zwischenruf verschiebt Katrin Köppert den Blick und stellt sich der Frage, wie terroristisch der Staat ist, wenn er rassistisch motivierte Polizeigewalt zulässt.

Schwarze Menschen heben die Hände
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Der Terrorismus-Vorwurf trifft nicht nur auffällig häufig BPOC- und muslimische Menschen, sondern auch queere, trans*idente oder psychisch labile

Sofort nach der Amokfahrt in Münster stand für die AfD-Politikerin Beatrix von Storch fest, dass es sich um islamistischen Terror gehandelt haben müsse. Kurz später ‚korrigierte‘ sie sich und sprach von einem „Nachahmer islamistischen Terrors“. Indem sie dieser Twitter-Aussage den Halbsatz „und die Verharmlosungs- und Islam-ist-Vielfaltsapologeten jubilieren“ hinzufügte, war klar, dass sie nicht gewillt sei, vom Islamismusverdacht abzurücken oder einen Unterschied zwischen Islamismus und der Nachahmung von Islamismus zu machen. Dass von der AfD kein Wille zu anderen Wahrheiten zu erwarten ist, braucht kaum noch Druckerschwärze. Dass die ARD kurz nach der Amokfahrt ihren 'Terrorexperten‘ Michael Stempfle in der tagesschau aufbot, um ihn ausschließlich über verschiedene Spielarten des islamistischen Terrors schwadronieren zu lassen, zeigte einmal mehr, dass die Möglichkeit, es handele sich um rechtsextremen Terror, in hiesigen Leitmedien nicht aussprechbar ist.  

Rechtextremismus ist nicht Teil des Repertoires dieser ohne 9/11 kaum denkbaren Medienfigur des Terrorexperten. Obwohl noch immer der Prozess gegen die rechtsextreme Terrorzelle NSU anhängig ist, obwohl Teile der AfD rechtsextrem sind und die Identitäre Bewegung eine rechtsextreme Jugendbewegung darstellt, kommt es dem sich als Experten bezeichnenden Journalisten nicht in den Sinn, die nicht weniger wahrscheinliche Option in Betracht zu ziehen, mit Verbrechen des Rechtsterrorismus konfrontiert zu sein.

Terroristen sind immer die anderen

Angela Davis schreibt im Vorwort zum Buch „#Black Lives Matter“ von Patrisse Khan-Cullors, dass ihres Wissens „noch nie ein rechtsextremer Gewalttäter von staatlicher Seite als Terrorist bezeichnet wurde“. Stattdessen aber wurden die Aktivist*innen der Black Lives Matter Bewegung von staatlicher Seite des Terrorismus bezichtigt, mit einer Leichtigkeit, die so grausam wie strukturell im Rassismus der USA verankert ist. Es wurden Schwarze Jungen, die mit einer Packung Skittles und Dose Eistee auf dem Heimweg waren (Trayvon Martin), wie terroristische Schwerverbrecher gerichtet, und Schwarze Frauen, die es sich nicht leisten konnten, die Strafe wegen eines Parkvergehens zu zahlen, für mehrere Jahre ins Gefängnis gesperrt. Es ist erschütternd nachzulesen, wie Khan-Cullors beschreibt, dass ihr unter einer schizoaffektiven Erkrankung leidende Bruder unter dem Vorwand des Terrorismus wiederholt für Jahre ins Gefängnis kam, ohne medizinische Versorgung, ohne Zugang zu einer juristisch angemessenen Verteidigung, ohne seine Familie sehen zu dürfen. Als weißer Mensch sich einmal wirklich zu vergegenwärtigen, was es bedeutet, dass, wie Khan-Collors auf ein anderes Beispiel bezugnehmend schreibt, ein Schwarzer Mann, der sich aufgrund seiner psychischen Erkrankung motorisch exaltiert bewegt, auf offener Straße erschossen wird… Einmal wirklich einsickern zu lassen, dass eine Schwarze Frau, die vor dem Weißen Haus falsch abgebogen ist, von einem Exekutivbeamten der Bundesbehörde erschossen wird… Einmal…

Katrin Köppert ist Queer-Medien-Affekt-Theoretikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der UdK Berlin. Zuvor lehrte sie an der Kunstuniversität Linz. Studium der Gender Studies und Neueren deutschen Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Khan-Cullors – eine der Initiator*innen von Black Lives Matter – geht in Folge ihrer vielen Auflistungen rassistisch motivierter polizeilicher Gewaltakte und Hinrichtungen so weit zu sagen, Abu Ghraib sei auf US-amerikanischem Boden, inmitten der Gefängnisse der USA, inmitten der USA als Gefängnis erprobt worden. Sie schreibt: „Die Fähigkeiten, Menschen zu foltern, hat man in diesem Land an Menschen verfeinert, die keine Terroristen waren. Sie waren vielmehr Opfer von Terrorismus.“ (173) Sie waren und sind Opfer eines Staatsterrorismus, der seit Donald Trump endgültig rechtsextremistisch legitimiert ist.

Dass über den Staatsterrorismus, also die repressive und auf Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beruhende Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, vor allem zu Zeiten des virulenten Sicherheitsdiskurses so wenig in aller Deutlichkeit gesprochen wird, mag genau daran liegen, dass er rechtsextremistisch legitimiert ist. Wer konsequent Rechtsextremismus als Terrorismus entnennt, kann auch besser die rechtsextremistischen Züge des US-amerikanischen Staates verschleiern.

Die Situation in den USA eins zu eins auf Deutschland zu übertragen, wäre fahrlässig. Nur muss artikulierbar sein, dass auch hierzulande auffällig ist, dass Rechtsextremismus als Option und als Realität von Seiten vieler politischer Akteur*innen (auch abseits der AfD) und von Seiten mancher Medien-Terrorexperten nicht nur Leerstelle bleibt, sondern aktiv zur Leerstelle gemacht wird.

Stigmatisieren leicht gemacht

Warum mir im Rahmen eines queer-feministischen Zwischenrufs wichtig ist zu betonen, dass terroristische Zuschreibungen so häufig verkehrt werden, hat auch folgende Bewandtnis: Der Terrorismus-Vorwurf trifft nicht nur auffällig häufig BPOC- und muslimische Menschen, sondern auch queere, trans*idente oder psychisch labile. Vielleicht weil es sich in Münster um einen psychisch auffälligen Mann gehandelt hat, blieb das Terrorismus-Label eine ganze Weile haften, bevor sich das Wording änderte (wobei ergänzt werden muss, dass Erwägungen einer psychischen Erkrankung bei weißen Tätern auch schnell von Nachfragen in Richtung Gesinnungstat entlasten). Sicher ist, dass es bei Khan-Cullors Bruder und den vielen anderen erwähnten Fällen, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung und der Kriminalisierung Schwarzer Männlichkeit gibt. Sicher ist auch, dass die Initiator*innen von BlackLivesMatter nicht nur aufgrund von Blackness als Terrorist*innen deklariert wurden, sondern aufgrund ihres Queerseins. Zwar wurde in der öffentlichen Berichterstattung allzu schnell vergessen, dass die Proteste auf diverse Gruppen und Proteststrategien queer-und trans*aktivistischer Personen zurückzuführen waren. Aber um sie zu stigmatisieren, reichte es allemal. Insofern ist Khan-Cullors Buch nicht nur ein wichtiges Dokument gegen den institutionellen Rassismus und rassistischen Staatsterrorismus, sondern für die Notwendigkeit, antirassistische Kämpfe als queer-feministische und anti-psychiatrische zu verstehen und zu etablieren. Allein deswegen hätte der englische Titel „When they call you a terrorist“ nicht in „#BlackLivesMatter. Eine Geschichte vom Überleben“ übertragen werden dürfen. Weder geht es in dem Buch nur um die Geschichte eines Hashtags, noch um die einer nur antirassistischen Bewegung in den USA. Es geht auch darum, zu lernen, wie sich queer-feministischer, antipsychiatrischer, Schwarzer, muslimischer, jüdischer Widerstand gegen repressive und antidemokratische Staatsgewalt bilden kann. UND weil es nicht vergessen werden sollte: gegen einen Kapitalismus, der hilft, diese Gewalt in der Spur zu halten.