Schutz oder Hass: die ambivalente Verhandlung von ‚Mädchen mit Zöpfen‘

Feministischer Zwischenruf

An der Figur des „Mädchens mit Zöpfen“ zeigt sich, wie krass eine frauenfeindliche Schadsoftware die demokratische Hardware befallen hat. Je extremer rechte Milieus sind, desto menschenverachtender ist das Programm. Die Zunahme autoritärer, nationalistischer und antiliberaler Ideen geht mit einer Zunahme sexistischer und antifeministischer Vorstellungen einher. Eine der Hauptrollen darin spielen „Mädchen mit Zöpfen“, die sehr widersprüchlich verhandelt werden: Entweder sie gelten als (be-)schützenswerte Wesen oder sie werden zum Hassobjekt.

Greta Thunberg im EU Parlament

Die zwei Logiken dahinter: Mädchen müssen – ob sie wollen oder nicht – beschützt werden. Vor allem dann, wenn sie sich gemäß ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle hübsch, brav, dankbar und unschuldig verhalten. Wenn sie indessen ‚wider ihre Natur‘ agieren, also eigenständig denken, laut und fordernd sind oder gar im öffentlichen Raum eine politische Meinung vertreten und durchsetzen, dann wird ihnen der Schutz entzogen, sie werden entmenschlicht, sie werden zum Hassobjekt, gehören bestraft und mit allen rhetorischen Mitteln erniedrigt, es hagelt Morddrohungen.

Sexismus schlägt die Brücke zur demokratischen Mitte

Im Herbst letzten Jahres hat die Amadeu Antonio Stiftung eine Kita-Broschüre mit dem Titel „Ene mene muh – und raus bist du! Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“ herausgegeben. Darin wird anhand von Fallbeispielen aus der Praxis die fehlende Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in der Kita thematisiert. U.a. wird in einem Beispiel ein Mädchen mit Zöpfen erwähnt, deren Eltern bekanntermaßen einer rechtsextremen Kameradschaft angehören und zu deren autoritärem Erziehungsstil und rassistischem Denken auch eine rigide Geschlechtervorstellung gehört. Just an diesem Beratungsfall arbeiteten sich rechtsalternative Medien ab: „Amadeu Antonio Stiftung vergreift sich an Kinderseelen“, hieß es, oder „wenn das Mädchen Zöpfe trägt“ und „Kita-Broschüre [...] will gender-kritische Eltern an den Pranger stellen“. Der wirkmächtige Mythos dabei: Ein „Mädchen mit Zöpfen“ sei der Hinweis auf ihre politische Gesinnung und auf ihre Herkunft aus einer rechtsextremen Familie. Schützenswerte Wesen, so die Kritik, würden in die braune Schmuddelecke gestellt, nur weil sie beim „kindeswohlgefährdenden Genderismus“ nicht mitmachen. Bebildert wurden diese Artikel natürlich mit Mädchen mit Zöpfen.

Es ist seit jeher eine beliebte Strategie extrem rechter Gruppierungen, „Deutsche Mädchen und Frauen beschützen“ zu wollen. Die vermeintlichen Angreifer*innen kommen dabei immer von „außen“. In diesem Fall also von der Amadeu Antonio Stiftung. Auch die rechtsradikale AfD nahm sich des Themas an und fühlt sich bemüßigt die Kinder zu schützen: „...politischer Kindermissbrauch und untragbar!“, so Stephan Brandner, und seine Parteikollegin Beatrix von Storch lässt auf Twitter wissen: „Wer ‚genderquatsch‘ sagt, ist fällig. Und wenn Mädchen Zöpfe tragen und artig sind, liegt der Verdacht auf rechtsextreme Eltern nahe.“ Wenig später landete die Handreichung beim größten Deutschen Boulevardblatt auf der Titelseite. Danach gab es kein Halten mehr. Die Stiftung erreichten hunderte empörte Anrufe, darunter zahlreiche Anfeindungen (u.a. von Reichsbürger*innen) bis hin zu Drohanrufen, dazu mehr als 1.500 Kommentare allein auf Facebook, begleitet von einer entsprechenden Charge an eMails: „Meine Töchter tragen Zöpfe. Ich bin also ein Rechter. Ich kann nicht fassen, dass dieser abartige Faschistenführer [gemeint ist unsere Handreichung] auch noch steuerfinanziert wird.“ Massiv wurde gedroht: „dann werdet ihr abhängen mit euren Volksverrätergenossen, an jedem Baum und jedem Fensterstock...“. Wir seien „total gendergestört“, man freue sich auf unseren Tod und darauf, auf unseren Gräbern zu tanzen. Kurzum: der Hass war enorm. Wie aber erklärt er sich? Damit diese Narrative verfangen und gesellschaftlich dermaßen breit zitiert werden können, brauchte es das Framing vom unschuldigen ‚Mädchen mit Zöpfen‘, welches beschützt werden müsse. Diese Figur wirkte gleichermaßen als Katalysator und als Brückennarrativ auch zu diversen anderen gesellschaftlichen Gruppierungen.

Greta Thunberg als Feindbild

‚Mädchen mit Zöpfen‘ können aber im krassen Gegensatz dazu bei denselben gesellschaftlichen Gruppierungen auch ganz andere Reaktionen auslösen. Dies lässt sich derzeit erschütternd an dem öffentlichen Hass auf Greta Thunberg beobachten. Da erhebt sich ein 16-jähriges Mädchen mit Zöpfen, schwänzt die Schule, stemmt sich gegen den drohenden Klimawandel und stellt nachdrücklich politische Forderungen auf. Sie ist dazu weltweit und im Internet aktiv, sie ist laut und ungehalten, nimmt den öffentlichen Raum ein und verweigert ihm gleichzeitig ein Lächeln. Und das Patriarchat dreht durch.

Rechtsalternative Medien unken in gewohnt verschwörerischer Manier, „Greta wäre nur eine austauschbare Strohpuppe, hinter der böse Mächte stehen, die sie nach Belieben lenken“. Hier treffen sich Sexismus und antisemitisches Verschwörungsdenken, denn ein Mädchen könne nicht denken und politisch handeln, dahinter muss also „jemand“ anderes stehen. Auch die Gleichsetzung mit totalitären und faschistischen Regimen ist hier ein beliebtes Stilmittel. So postete Martin Schiller, Europaabgeordneter der AfD eine Fotomontage von Greta Thunberg in der Uniform des Bundes Deutscher Mädel. Die Relativierung und Gleichsetzung einer internationalen Jugendbewegung mit der Teilorganisation der Hitlerjugend ist verstörend. Der Hass in Online-Foren ist völlig ungebremst: So wird unverhohlen zu Gewalt an Kindern aufgerufen: "Die Drecksgöre braucht einfach mal eine ordentliche Tracht Prügel" und ein anderer fragt „Was kostet eigentlich so ein Auftragsmord?“ und die Antwort darauf folgt prompt: „Granate ins Auto kriegste hier schon für 5.000, sie an ihren Zöpfen aufhängen evt. für 10.000“.

Mit dieser Verrohung der Debatte hatten selbst die Betreiber einer als lustig gedachten Facebook-Gruppe #FridaysForHubraum nicht gerechnet. Sie hat innerhalb weniger Tage 400.000 Follower*innen und musste wegen massivem Hass auf Greta Thunberg geschlossen werden. Auch Online-Medien erklären, dass die Masse an Hasskommentaren gegen Thunberg selbst die Hetze in den Schatten stellt, mit der beim Thema Flucht und Asyl umzugehen ist. Im Vogtland fahren Autos mit einem Aufkleber herum, in welchem aus dem Kofferraum zwei Zöpfe ragen. Versehen mit der Überschrift „Problem gelöst“ und „Fuck you Greta“. Der menschenverachtende Tiefpunkt sind die hemmungslos geäußerten sexualisierten Gewaltphantasien gegen ein minderjähriges Mädchen. In den Social Media kursiert ein kinderpornografisches Bild mit dem Titel „Greta macht Pause“. Auf dem ist ein nacktes ‚Mädchen mit Zöpfen‘ zu sehen, kniend von hinten abfotografiert, deren Zöpfe von einem Mann als Zügel genutzt werden, während er sich an ihr vergeht. Von erwachsenen Männern wird mit offenem Visier aus einer Pegida-Demo in Dresden unflätig in die Kamera gebrüllt: „Sie wird zerf… das Vieh“.

Abgründe oder neue Normalität?

Die drastischen Darstellungen sind schwer auszuhalten und scheinen dennoch notwendig, um zu zeigen, in welche gesellschaftlichen Abgründe ein gewaltbereiter Sexismus führen kann. Doch auch der vermeintlich wohlwollende Sexismus, der sich in ritterlichem Gewand (ver)kleidet und als Beschützer*in der Mädchen auftritt, ist nur die andere Seite derselben sexistischen Logik. Die Heftigkeit der zwei Beispiele zeigt, dass diese toxischen Dynamiken weiter an Fahrt aufgenommen haben. Der Zustand einer Demokratie muss sich an dem Umgang mit ihren verletzlichsten Mitgliedern – zu denen zweifelsohne auch Mädchen mit Zöpfen gehören – messen lassen. Es ist absolut unverständlich, warum der Aufschrei der Gesellschaft ausbleibt, wenn minderjährigen Mädchen offen (sexualisierte) Gewalt angedroht wird. Wahrscheinlich ist das Verstummen der Anständigen bereits Teil der sexistischen und menschenverachtenden Dynamik. Die neue Normalität und der Zustand der Demokratie muss uns wirklich Sorgen machen.