„Wir können keine eurozentristische Perspektive auf afrikanische Probleme einnehmen“

Interview

Der Großteil der Nahrungsmittelproduktion in Afrika ruht auf den Schultern kleinbäuerlicher Betriebe und die Mehrzahl der dort Arbeitenden sind Frauen. Aufgerüttelt von den Auswirkungen des Klimawandels auf die von ihrer Mutter geführte Familienfarm schloss sich Ayakha Melithafa aus Südafrika einem Umweltschulclub. Heute engagiert sie sich in der nationalen und internationalen Jugendbewegung für Klimagerechtigkeit.

Das Interview führte Imeh Ituen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Globale Klimapolitik der Universität Hamburg und Teil von Black Earth, einem BIPoC Umwelt- und Klimagerechtigkeitskollektiv in Berlin.

Sie kämpfen für Klimagerechtigkeit in Südafrika. Warum haben Sie sich dieser Bewegung angeschlossen?

Meine Mutter und meine Community gaben mir den Anstoß. Ich stamme als Schwarze Südafrikanerin aus einer Familie von Bauern. Meine Großmutter war Bäuerin, mein Großvater war Bauer, meine Urgroßeltern waren Bauern und nach 20 Jahren als Lehrerin ist auch meine Mutter wieder auf den Hof zurückgekehrt. Ich hatte also immer schon eine persönliche Verbindung zur Natur und mir wurde schon in jungen Jahren beigebracht, die Natur zu schützen.

Dabei habe ich dann mitbekommen, wie sich der Zustand der Natur verschlechtert. Auf dem Hof konnten wir das vertrocknte Gras sehen und die halbleeren Dämme. Für uns war das sehr schlimm, weil wir Getreide anbauen und Vieh halten. Ich habe damals im Internet vom Klimawandel gelesen und konnte nicht einfach dasitzen und zuschauen, wie sehr meine Mutter sich wegen der Dürren abkämpfen musste. Ich wusste, ich musste etwas tun. 

Wie haben Sie sich in der Bewegung für Klimagerechtigkeit engagiert, nachdem Sie im Internet vom Klimawandel erfahren hatten?

Als ich vom Klimawandel erfuhr, war ich erst einmal sehr verängstigt. Nach all den Informationen, die ich gelesen hatte, fühlte es sich an wie das Ende der Welt. Aber dann habe ich mich umgesehen und konnte nicht erkennen, dass die Menschen etwas dagegen taten. Mir wurde das zu dem Zeitpunkt meines Lebens erst langsam bewusst, ohne eine Vorstellung, was ich tun könnte. Im Rückblick würde ich meinen Zustand mit Angst und Niedergeschlagenheit beschreiben. Aber ich wusste, dass ich etwas tun wollte. Ich wollte nicht einfach nur jammern.

In der Schule konnte ich mich einer Umweltorganisation anschließen, die sich Project 90 by 2030 nennt. Wir haben uns wissenschaftlich mit dem Klima beschäftigt, unsere eigenen Solar-Powerbanks hergestellt und haben in den benachbarten Schulen Gärten angelegt. Durch dieses Projekt habe ich Ruby Sampson getroffen, die mich zu Fridays for Future gebracht hat und mir zeigte, was Greta Thunberg getan hat. Ruby hat die Gruppe African Climate Alliance gegründet, die in Südafrika regelmäßig Protestaktionen gegen die Untätigkeit gegenüber der Klimakrise organisiert. Ich schloss mich der African Climate Alliance an und  übernahm es Mitglieder zu werben. Wenn es darum ging, Menschen für die Proteste zu mobilisieren, habe ich dafür gesorgt, dass auch Jugendliche of Colour dabei waren.

Warum war es wichtig, dass sich auch Jugendliche of Colour an den Protesten beteiligen?

Wir versuchen zu erreichen, dass viele People of Colour bei den Protesten dabei sind, weil wir am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, obwohl wir am wenigsten dazu beitragen. Es gibt auch einen Gender-Gap. Ich weiß das genau, weil die Mehrheit der Kleinbauern in Afrika Frauen sind. Die Tatsache, dass in Südafrika Frauen of Colour am stärksten betroffen sind, hängt mit der Geschichte der Apartheit zusammen. Weiße Männer haben immer noch einen überproportionalen Anteil am Wohlstand und am Landbesitz. Als People of Colour sind wir von so vielen Ungerechtigkeiten gleichzeitig betroffen. Armut, Bandenkriminalität, geschlechtsspezifische Gewalt. Das alles macht uns verletzlich für die Auswirkungen des Klimawandels. Und dennoch fühlt es sich an, als wäre da keine Zeit, gegen den Klimawandel zu kämpfen, weil es immer etwas anderes dringenderes zu geben scheint. Deshalb ist es wichtig, dass wir über den Klimawandel Bescheid wissen und dass unsere Forderungen gehört werden. 

Das Ziel der African Climate Alliance ist, afrozentrische Umweltbildung und –aktionen zu organisieren. Warum haben Sie sich für einen afrozentrischen Ansatz entschieden?

Afrika muss den Kampf gegen die Klimaungerechtigkeiten anzuführen, weil wir zwar diejenigen sind, die am wenigsten dafür verantwortlich, aber am stärksten davon betroffen sind. Es ist furchtbar, dass die Bewegung so eurozentrisch ist. Und auch, dass die mangelnde Repräsentation von People of Colour dazu geführt hat, dass die Bewegung als weiß wahrgenommen wird. Dadurch wird das Narrativ aufrechterhalten, dass die Weißen die einzigen sind, die sich Sorgen um die Umwelt machen. Wir wissen, dass eine eurozentrische Perspektive auf afrikanische Probleme nicht hilfreich ist. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Klimakrise auf eine Weise lösen, die zu uns passt.

Inwiefern beeinflusst die mangelnde Repräsentation Ihren Aktivismus?

Ich würde sagen, es macht es wirklich schwer, Jugendliche of Colour zu mobilisieren. Am Anfang, als ich mit meinen Mitschüler/innen über den Klimawandel gesprochen habe, meinten die, das sei eine Angelegenheit der Weißen, ein Problem der Industriestaaten. Sie sagten mir, dass wir dringendere Probleme hätten, wie Armut und genderspezifische Gewalt. 

Viele Menschen verbinden z.B. eine vegetarische Lebensweise und den Einkauf umweltfreundlicher Produkte mit der Klimabewegung. Aber in Südafrika ist das teuer. Es ist wesentlich erschwinglicher, ein ungesundes Essen mit Hühnchen als eine Schüssel Salat zu bekommen. Hier denken die Leute also, dass man nur Vegetarier sein kann, wenn man wohlhabend ist, und in Südafrika sind das vor allem Weiße. Es scheint fast, dass Weiße keine anderen Probleme hätten, als würden sie nicht in einer gefährlichen Umgebung leben und die Polizei würde sich um sie kümmern. Als wären sie nicht mit anderen Dingen beschäftigt. Sie können ihre Sorge über die Umwelt und den Klimawandel äußern. Schwarze müssen sich dagegen über alles Gedanken machen.

Denken Sie People of Colour könnten sich eher angesprochen fühlen, wenn es andere Symbole gäbe und das Framing ein anderes wäre?

Ja, unbedingt. Es besteht ein großer Mangel an Repräsentation in der Bewegung. Man sieht weiße Menschen, die dies und das tun. Weiße Menschen, die raus gehen und einen Protest anführen. Ich denke nicht, dass nur Weiße dies tun. Ich sehe viele Menschen im Globalen Süden, die ihr ganzes Leben der Aufgabe gewidmet haben, ein Bewusstsein für die Umwelt zu schaffen und sich jeden Tag dafür einsetzen, dass die Umwelt ein besserer Ort wird. Aber die tauchen in den Medien nicht auf. Diese fehlende Repräsentation hat einen Auswirkungen.

Sie arbeiten an einem Dokumentarfilm über Klima-Aktivismus im Globalen Süden. Warum? 

Wir möchten mit diesem Dokumentarfilm mehr People of Colour über die Klimakrise informieren. Dieses Jahr ist der Film „I am Greta“ herausgekommen, der die Geschichte von Greta Thunberg erzählt. Aber wir haben eine andere Perspektive. Mit unserem eigenen Dokumentarfilm möchten wir erreichen, dass die Menschen im Globalen Süden den Klimawandel aus ihrer eigenen Perspektive sehen. Wir nennen die Dokumentation „The House is Burning“ (Das Haus brennt), um zu betonen, dass wir im Globalen Süden die Auswirkungen des Klimawandels bereits jeden Tag erleben.

Sie waren eine von 16 Jugendlichen, die im September 2019 eine Petition beim Komitee für Kinderrechte der Vereinten Nationen eingereicht haben. Erzählen Sie mir davon.

Mit der Petition klagen wir die Welt an, unsere Rechte als Kinder nicht zu achten, weil sie die Klimakrise ignoriert. Es war superwichtig für mich den Globalen Süden zu vertreten, weil wir die Auswirkungen der Klimakrise bereits erleben und auch in Zukunft am stärksten zu spüren bekommen werden. Ich wollte aber auch Südafrika in den Blickpunkt rücken und unsere Regierung zur Rechenschaft ziehen. Wir tragen vielleicht nicht am stärksten zum Klimawandel bei, aber wir sind immer noch stark von der Kohle als Energiequelle abhängig, und das müssen wir ändern. 

Sie gehören verschiedenen Gruppen und Initiativen an. Welche Formen der Mobilisierung bevorzugen Sie?

Für mich ist die Mischung wichtig. Ich finde es toll, die Politik herauszufordern und direkt mit Menschen in Machtpositionen zu sprechen, um uns Gehör zu verschaffen. Aber ich mag auch den Aktivismus an der Basis, vor allem das Gespräch mit Schulkindern über den Klimawandel. Es gefällt mir, wenn ihre Gesichter aufleuchten, wenn ich ihnen von meiner Geschichte erzähle und wie ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Wenn ich auf dem Hof meiner Mutter bin, gehe ich gern herum und rede mit anderen Bauern und Bäuerinnen. Ich merke, wie stolz ich meine Familie und meine Community mache.

Im letzten Monat wurde die südafrikanische Anti-Bergbauaktivistin Fikile Ntshangase ermordet, weil sie sich gegen den Ausbau einer Kohlegrube eingesetzt hat. Erleben Sie selbst auch Einschüchterungsversuche?

Der Mord an Fikile Ntshangase war für uns von der African Climate Alliance ein großer Schock. Es hat nur wieder bestätigt, dass die Bedrohung real ist. Wir haben darüber geredet, welche Maßnahmen wir ergreifen können, um das Risiko zu verringern und unsere Sicherheit zu stärken. Zweifellos gerät man unter großen Druck, wenn man sich der Regierung und mächtigen Unternehmen entgegenstellt. Es macht Angst, sich vorzustellen, dass man damit sein eigenes Leben in Gefahr bringt. Diesmal hat es mich richtig erschüttert. Doch wenn es bedeutet, dass zukünftige Generationen eine lebenswerte Welt haben werden, dann sind das Risiken, die ich eingehe. 

Der Fall von Fikile Ntshangase zeigt auch, wie unterschiedliche ökonomische Interessen gefährliche Gräben durch Gemeinden ziehen können, zum Beispiel wenn es darum geht, von der Kohle in Südafrika wegzukommen.

Ich denke natürlich auch an die Menschen, die in den Minen arbeiten und ihre Arbeit verlieren werden. Sie sind von dem Einkommen abhängig, um ihre Familien zu versorgen. Der Übergang zu erneuerbaren Energien muss auch eine Umschulung der Arbeiter/innen beinhalten, damit sie in anderen Berufen arbeiten können, wie zum Beispiel der Installation von Solarpanelen. Es wäre besser für ihre Gesundheit und es dient eindeutig einem größeren Ganzen, wenn wir zu erneuerbaren Energien übergehen. 

Dennoch müssen vor allem marginalisierte Gemeinden, die bei der Umstellung schlecht wegkommen, gehört und beim Entscheidungsprozess bevorzugt werden. Wenn nur die Menschen an der Spitze alle Entscheidungen treffen, ohne mit uns zu reden, werden keine Probleme gelöst, weil sie nicht wissen, was wir brauchen. 

Was gibt Ihnen Hoffnung und lässt Sie weitermachen?

Unbedingt die Jugend, an deren Seite ich kämpfe. Ich denke, die Macht liegt in der Jugend. Mir gefällt die Tatsache, dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen. Andere Generationen haben sich einfach still verhalten, wir aber fordern die Normen heraus, nicht nur in Bezug auf Umweltangelegenheiten. Da sind auch Menschen, die sich für die LGBTQI+-Community, für People of Colour und andere Minderheiten einsetzen.  

Die Bewegung für Klimagerechtigkeit wird von jungen Menschen angeführt. Wenn wir das Wissen und die Ressourcen bekommen, werden wir definitiv gegen die ganzen Ungerechtigkeiten aufstehen, die wir erleben, und für unsere Zukunft kämpfen. In meiner alten Grundschule zum Beispiel stellen sie jetzt Bio-Ziegelsteine her und bewirtschaften ihren eigenen Garten. Das gibt mir viel Hoffnung. Ich wünschte, die Klimakrise würde Bestandteil des Lehrplans in der Schule. Dies betrachte ich als eine der Hauptforderungen des Memorandums der African Climate Alliance, das wir der südafrikanischen Regierung vorgelegt haben.

Sind Sie jemals entmutigt?

Manchmal ein wenig. Wir haben von der Regierung noch keine Reaktion auf unser Memorandum erhalten, das wir im März 2019 übergeben haben. Nach den Protesten mussten wir feststellen, dass Südafrika an Kohle und Öl festhält. Obwohl die Wissenschaft auf unserer Seite ist, halten sie an ihren Plänen fest. Das ist ein wenig entmutigend, wenn man Menschen in Machtpositionen sieht, die wegen des Profits dumme Entscheidungen treffen. Profit, von dem das Land nicht einmal etwas haben wird, sondern nur die einzelnen Entscheider. Das ärgert mich wirklich. Sie scheinen nicht daran zu denken, dass man Geld nicht essen und Öl nicht trinken kann. Ich würde sie gern fragen: Wenn der letzte Baum gerodet ist und du ganz alleine mit deinen Milliarden dastehst, wofür willst du sie ausgeben, wenn es keine Erde mehr gibt?

Wie können Menschen aus dem Globalen Norden Sie unterstützen?

Sie können sich solidarisieren, indem sie ihre Plattformen nutzen, um Informationen zu teilen und unsere Forderungen zu unterstützen. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir verbunden sind. Wir müssen uns zusammenschließen und die Kräfte bündeln. Wir müssen aber auch verstehen, dass wir nicht immer die gleichen Probleme haben und dass unsere Perspektiven unterschiedlich sein können. Es ist wichtig, sich gegenseitig anzuerkennen, damit alle Perspektiven gehört werden. 

Die Interviewreihe hat den Titel „ReGain Space – Die Zukunft ist Jetzt!“ Was bedeutet es für Sie, Raum zurückzugewinnen?

Es ist wichtig, dass marginalisierte Menschen sich ihren Raum nehmen und sich nichts mehr gefallen lassen. Wenn ich in die Geschichte des Widerstands gegen die Apartheid in Südafrika schaue, glaube ich an meine Souveränität, meine Hautfarbe, meine Sprache, meine Zukunft. Es ist einfacher, die eigene Meinung mit Selbstbewusstsein zu vertreten, wenn man weiß, wo man herkommt.

Wie lautet Ihre Botschaft an Aktivist/innen und junge Menschen in Südafrika, in Afrika und darüber hinaus?

Wir können es uns nicht leisten, passiv zu sein. Wir können es uns nicht leisten, so zu tun, als sähen wir nicht, was um uns herum geschieht. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Erde schön und fruchtbar bleibt, auch für die zukünftigen Generationen. Dies ist nicht die Zeit, einfach nur herumzusitzen und nichts zu tun. Dies ist die Zeit für Veränderungen. Also bleibt nicht sitzen und lasst nicht zu, dass die Welt euch fertig macht. Selbst wenn Erfolg in weiter Ferne scheint, seid gewiss: Wir können es schaffen.


Ayakha Melthafa ist eine 18-jährige südafrikanische Umweltaktivistin. Sie war eine von 16 Kindern und Jugendlichen, die beim UN Kinderrechts-Ausschuss eine Beschwerde einreichten, weil nicht genug gegen den Klimawandel getan wird. Schon früh trat sie der Afrikanischen Klimaallianz bei und setzt sich für mehr erneuerbare Energien statt Kohle und Gas ein, um den CO2-Fußabdrucks ihres eigenen Landes zu verringern. Bei verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen fand mit ihr eine junge Schwarzen Stimme für eine lebenswerte Zukunft Gehör.

Dieses Interview wurde zuerst auf der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht.