Der kurze Vergleich zeigt: Es gibt ernsthafte und denkbare Alternativen zum Ehegattensplitting. Was steht einer umfassenden Reform dann noch entgegen?
Gender Mainstreaming: in Behörden und Politik unter „ferner liefen“
Hier wäre an erster Stelle zu nennen: geschlechterpolitische Trägheit von EntscheidungsträgerInnen und Behörden. Schon heute sind alle Bundesministerien verpflichtet, ihre Arbeit nach den Leitlinien des Gender Mainstreaming auszurichten, was auch eine geschlechtersensible Politikfolgenabschätzung gebietet. Leider erschöpft sich der Gender Mainstreaming-Ansatz häufig schon in der Benennung einer Frauenbeauftragten für Personalfragen. Einen ersten konkreten Schritt wagte das Bundesfinanzministerium mit einer Studie zu Möglichkeiten und Potenzialen zur direkten Umsetzung von Gender Mainstreaming sowohl in organisatorischer als auch in politischer Hinsicht. Die Studie (Mückenberger et al. 2007), geschrieben unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, enthält eine Vielzahl von Empfehlungen – darunter auch klar eine geschlechtergerechte Reform des Steuerrechts.
Vor einer solchen Reform sollte allerdings das bereits vorhandene Potenzial genutzt werden. So fehlt es bis heute an der Erhebung geschlechtersensibler Daten bezüglich der Erwerbs-, Arbeits- und Steuerstruktur von Steuerpflichtigen. Eine solche Erhebung – mit den vorhandenen Mitteln problemlos durchzuführen – wäre eine wichtige Voraussetzung für die Formulierung politischer Ziele, zumal die Debatte um Reformen der Ehegattenbesteuerung größtenteils auf Modellrechnungen basiert. Dies zeigt, dass vorhandene Möglichkeiten einer geschlechtergerechten Steuerpolitik zu wenig genutzt werden und das Thema in den Ministerien noch lange nicht mit der notwendigen Sorgfalt behandelt wird. So betonte auch Klaus Brandenburg, Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums, im Fachgespräch in der Heinrich-Böll-Stiftung, dass die Einführung einer Individualbesteuerung mit ca. 10 Millionen zusätzlichen Steuerfällen durch den Wegfall des Splitting verwaltungstechnisch kein besonderes Problem darstellen würde. Wesentliche Voraussetzung sei allein der politische Wille dazu.
Politische Positionen: nur keine Reform!
Der politische Wille deutet allerdings leider in eine ganz andere Richtung als hin zu einer konsequenten Politikgestaltung nach den Erfordernissen der Geschlechtergerechtigkeit. Das bürgerliche Lager mit CDU und FDP verteidigt klar das Splittingverfahren und wertet erwartungstreu das konservative Modell von Ehe und Familie höher als die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit. Als einzig denkbare Reformalternative wird in der CDU das Familiensplitting diskutiert. Vom Ehegattensplitting abrücken wollen SPD, Grüne und Linkspartei – wenn auch graduell sehr unterschiedlich.
Die Linkspartei positioniert sich derzeit hierzu am deutlichsten, indem klar die „Überwindung“ des Ehegattensplitting sowie eine individuelle Besteuerung von Männern und Frauen unabhängig von ihrer jeweiligen Lebensweise gefordert wird ["Ehegattensplitting"]. Die Abschaffung des Ehegattensplitting soll im Rahmen einer Reform für ein „sozial gerechtes, einfaches und transparentes Steuersystem“ erfolgen, durch das vor allem untere und mittlere Einkommen entlastet werden. Allerdings sollen die frei werdenden Steuermittel für eine Erhöhung des Kindergeldes genutzt werden – was sozialpolitisch eine sehr fragwürdige Maßnahme ist, da bekanntermaßen Investitionen in Infrastruktur nachhaltiger und sinnvoller sind als individuelle Transferzahlungen. Außerdem müsste mit der Kindergelderhöhung eigentlich auch der Kinderfreibetrag heraufgesetzt werden, wenn das Kindergeld nicht wieder als zu versteuerndes Einkommen zählen soll. Schließlich sollen nach den Vorstellungen der Linkspartei nicht ausgeschöpfte Freibeträge eines Steuerpflichtigen auf den anderen Partner übertragbar sein – was de facto eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag ist und Zusammenveranlagung erzwingt. Gerade diese steht aber im Zentrum der feministischen Kritik, weil dadurch wieder Paare statt Individuen als Steuersubjekt behandelt werden.
Das von der SPD bevorzugte Modell ist ein tariftechnisches Eherealsplitting mit konkreten übertragbaren Höchstbeträgen in Höhe von 15.000 bis 20.000€. Dieses Modell ist eine sehr moderate Variante des heutigen Ehegattensplitting, zumal es an dessen Grundsätzen festhält, die Wirkungen jedoch für Paare mit hohem Einkommen einschränkt. Nicht eingeschränkt wird die Wirkung aber bezüglich der Fehlanreize zur Erwerbstätigkeit. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabriele Frechen begründet diese Reform mit der Ablehnung des Ehegattensplittings aus den bekannten Gründen – hält aber dennoch an diesem Modell fest, sofern es leicht variiert wird. Eine völlige Abschaffung des Ehegattensplittings lehnt sie ab, da dieses „den Realitäten nicht gerecht (...), von einem Extrem ins andere führen und keinerlei Fortschritt bedeuten würde“ (Frechen 2007, HFR, S. 115ff.). Indirekt bekennt sich die SPD-Politikerin dazu, das Modell des Alleinverdieners mit „Zuverdienerin“ – sprich: die Frau ist teilzeitbeschäftigt – zu entlasten, also weiter steuerlich fördern zu wollen. Damit jedoch belässt das SPD-Modell Frauen in der Teilzeitfalle und konserviert die Probleme des Ehegattensplittings.
Ein ähnliches Modell verfolgen Bündnis 90/Die Grünen, auch wenn dieses als „Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag“ bezeichnet wird (so z.B. im [Antrag der grünen Fraktion im Deutschen Bundestag, PDF] zu "Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag von 10 000 Euro" vom 05.04.2006, BT-Drucksache 16/1152). Trotz des Namens handelt es sich hier letztlich um ein Modell des Realsplitting – zumindest solange, wie der Höchstbetrag den individuellen Freibetrag, der dem Existenzminimum entspricht, übersteigt. Insofern wäre eher die Bezeichnung „Individualsplitting“ angebracht, weil es den ambivalenten Charakter des Modells eher trifft. Auffällig ist bei den grünen Entwürfen zweierlei: Zum einen ist der – von den Grünen schon lange geführte – Diskurs um die Abschaffung des Ehegattensplitting stark familien- und weniger geschlechterpolitisch dominiert (1). Auch wenn die Stärkung familienpolitischer Maßnahmen an Geschlechtergerechtigkeit orientiert und zweifelsohne richtig und wichtig ist, bleibt fraglich, welchen Stellenwert Geschlechterdemokratie als solche derzeit noch in der grünen Programmatik hat. Es entsteht der Eindruck, dass Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit nicht (mehr) als hinreichende Begründung für politische Reformen gelten, sondern dem Mainstream der Familienpolitik untergeordnet werden. Zum anderen bleiben die konkreten Forderungen bezüglich einer Reform der Ehegattenbesteuerung bei Bündnis 90 / Die Grünen seltsam verhalten: Im [aktuellen Wahlprogramm, PDF] zur Bundestagswahl 2009 heißt es lediglich, das Ehegatten-Splitting „setzt falsche Anreize, ist ökonomisch unsinnig, sozial ungerecht und muss schrittweise aufgehoben werden“. Diese sehr zaghafte Formulierung und die Tatsache, dass weder eine klare Alternative oder gar ein Bekenntnis zur Individualbesteuerung benannt werden, lassen den politischen Anspruch der Grünen auf diesem Feld nicht sehr glaubhaft wirken.
Der vorsichtigen Antragsformulierung steht eine bisweilen sehr deutliche Rhetorik entgegen: So forderte Irmingard Schewe-Gerick in ihrer [Pressemitteilung] vom 26.08.2008: „Auch muss endlich Schluss gemacht werden mit dem Verständnis der Frau als Zuverdienerin in unseren sozialen Sicherungssystemen. Schluss mit dem Ehegattensplitting, Schluss mit der kostenlosen Mitversicherung in der Krankenkasse.“ Britta Haßelmann betonte in ihrer [Rede vor dem Deutschen Bundestag] vom 22.06.07: „Das gesamte System der Lohnsteuerklassen für Ehepaare zementiert diese Ungleichheit. Es muss dringend an die Lebensrealität angepasst werden und darf nicht weiter Arbeitsanreize für Zweitverdiener, in der Regel für Frauen, vermindern. (...) Deshalb wollen wir das Ehegattensplitting in eine gerechte und zeitgemäße Individualbesteuerung umwandeln“ Dennoch wirft die Diskrepanz zwischen den klaren rhetorischen Forderungen und der sehr zurückhaltenden Programmatik die Frage auf, ob mit diesem Lavieren zwischen forscher Oppositionsrhetorik und verhaltenem Programm nicht eine geschlechtergerechte Politik schon vorauseilend der „Regierungsfähigkeit“ geopfert wird. Hier sollten gerade Bündnis 90 / Die Grünen klare – und glaubwürdige – Aussagen treffen. Emanzipatorische Politik muss auch den Mut aufbringen, unbequeme Forderungen zu artikulieren.
(1) siehe z.B. Christine Scheel (2007): ["Emanzipation im Steuerrecht: Kinder besser fördern"]. Aufsatz, in: HumboldtForumRecht, Berlin, 10/2007; [Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen, PDF] vom 05.04.2006