Frauen auf dem russischen Arbeitsmarkt - Interview mit Soja Chotkina

Türme der Basilius-Kathedrale in Moskau in der Sonne
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Türme der Basilius-Kathedrale in Moskau

Welche Veränderungen hat es in den 100 Jahren bei der Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt in Russland gegeben?

Es hat grundlegende quantitative und, was wichtiger ist,  qualitative Veränderungen gegeben. Wenn Anfang des 20. Jahrhunderts noch Männer auf dem Arbeitsmarkt überwogen und der Frauenanteil der bei den Beschäftigten keine 20 % betrug, so ist das Verhältnis jetzt praktisch 50 zu 50. Die Frauen, die damals außerhalb des Hauses angestellt waren, hatten in ihrer Masse nur eine geringe Bildung genossen. Heute ist das Bildungsniveau der beschäftigten Russinnen höher als das der Männer. Anfang des vergangenen Jahrhunderts arbeitete mehr als die Hälfte der Frauen als Dienstpersonal. Heute sind die Hauptbeschäftigungsbereiche Bildung und das Gesundheitswesen, wo vorwiegend Frauen mit Abitur oder Hochschulabschluss arbeiten. Die Qualität und das menschliche Kapital der hochgebildeten weiblichen Arbeitskräfte sind in Russland überaus hoch. Bezahlte produzierende Arbeit wird praktisch gleichermaßen von Frauen und Männern geleistet (49 % der Beschäftigten sind Frauen), und bei der reproduktiven Hausarbeit wird der Löwenanteil von Frauen gestemmt. Daher hängen das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und die Lebensqualität russischer Familien in stärkerem Maße von Frauen ab als von Männern.

Welche Ziele muss sich die Frauenbewegung beim Kampf für gleiche Rechte auf dem Arbeitsmarkt setzen?

Der Staat kümmert sich derzeit nur um die reproduktiven Rechte der Frauen, während ihre Arbeitsrechte vollkommen dem Gutdünken der Arbeitgeber ausgeliefert sind. Frauen wird für ihre Arbeit weniger gezahlt, nicht nur deshalb, weil unter ihnen viele geringbezahlte Lehrerinnen und Putzfrauen zu finden sind, und unter den Männern hochbezahlte Vorgesetzte und Minenarbeiter. Nach Angaben von Arbeitsvermittlungsfirmen werden an den selben Arbeitsplätzen männlichen Managern 25-30 % mehr Gehalt geboten als deren weiblichen Mitbewerberinnen. Es sieht so aus, als müssten die Frauen wie vor hundert Jahren für gleiche Bezahlung gleicher Arbeit und einen Achtstundentag kämpfen. Anfang des 21. Jahrhunderts ist eine solche Situation ein alarmierendes Symptom.

Übersetzung:
Hartmut Schröder

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