Ägypten
Zehn Organisationen aus sieben Ländern verfolgen eine gemeinsame Vision: Ein Leben ohne Gewalt und Diskriminierung ist möglich! Was sich so selbstverständlich anhört, ist es nicht. Denn Gewalt gegen Frauen ist in allen arabischen Gesellschaften ein Tabu. Und wenn sie öffentlich gemacht wird, gehen die Emotionen hoch. Gleichberechtigung steht zwar hier und da im Gesetz, ist aber in keinem der Länder umfassend vorgeschrieben und schon gar nicht gelebte Realität.
Kern der Kooperation sind drei Organisationen in Ägypten, Jordanien und Palästina: Die ägyptische Gruppe El Nadeem for the Management and Rehabilitation of Victims of Violence wurde 1993 gegründet, um gegen die in Ägypten weitverbreitete Folter zu kämpfen. Doch neben den weiblichen Folteropfern kamen auch Frauen ins Zentrum, die daheim sexistischer Gewalt ausgesetzt waren. Deshalb wurde 2004 eine eigene Frauenabteilung gegründet, die geschlagenen und sexuell missbrauchten Frauen Hilfe leistet. El Nadeem bietet auch Fortbildung für Frauen an, die sich auf dem Land freiwillig sozial engagieren, vor allem in der Betreuung von Gewaltopfern.
Weil sich El Nadem für Menschen einsetzt, die in Gefängnissen gefoltert wurden oder deren Menschenrechte durch den ägyptischen Staat auf andere Weise verletzt werden, steht die Organisation im Visier des Geheimdienstes.
Sisterhood is Global Institute/Jordan (SIGI/J) wurde 1998 in Amman gegründet. Die Organisation setzt sich für Frauenrechte ein und kämpft gegen genderspezifische Gewalt. Sie hat 2005/2006 eine landesweite Kampagne gegen Minderjährigenheirat durchgeführt. König Abdullah II hatte das Mindestalter schon 2001 für beide Geschlechter auf 18 Jahre festgelegt, aber das Parlament hatte dieses Gesetz auf Zeit («temporary law») nicht übernommen. SIGI/J betreibt seit 2001 eine Website – das größte Internet-Portal zum Thema « Gewalt gegen Frauen » in der arabischen Welt (www.amanjordan.org). Es wurde mehrfach ausgezeichnet. 86.000 Dokumente sind hier zugänglich, allein zwischen dem 1. Oktober und dem 31. Dezember 2008 gab es 14,7 Millionen Besucher. Die größte Nutzergruppe (27,5 Prozent) lebt in Saudi-Arabien.
Ausgangspunkt des 1991 gegründeten Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC) in Ramallah war die Erkenntnis, dass zwischen einem militarisierten Patriarchat und der zunehmenden Unterdrückung von Frauen im privaten und öffentlichen Leben ein Zusammenhang besteht. Die WCLAC-Feministinnen wollten sich am Kampf gegen die Okkupation beteiligen, aber sie wollten sich nicht marginalisieren lassen, wie das bei anderen Befreiungsorganisationen immer wieder geschehen war. Und so prangern sie in ihren Lobbyaktivitäten bis heute die israelische Besatzungsmacht genauso an wie die geschlechtsspezifische Diskriminierung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft.
Im konservativ islamisch geprägten Gazastreifen ist Gewalt gegen Frauen immer noch ein Tabuthema. Nach Angaben von Mashoor Basissy, Direktor im Frauenministerium (MOWA), wenden sich nur 1,2 Prozent der Opfer familiärer Gewalt an die Polizei. Immerhin wurde in Jericho nach monatelangen Auseinandersetzungen mit dem palästinensischen Sozialministerium das erste Frauenhaus in der Westbank eröffnet.
Initiator des Verbundes dieser drei Partner mit sieben anderen Organisationen ist das Büro in Ramallah, das bis heute alle regionalen Aktivitäten unter dem Namen SALMA steuert. Weil die Vertreterinnen der anderen arabischen Organisationen aus politischen Gründen nicht nach Ramallah kommen können, reisen die palästinensischen Frauen zu Treffen mit den anderen Organisationen ins Ausland.
Die im Rahmen von SALMA zusammenarbeitenden Organisationen sind ziemlich verschieden. Das zeigt sich schon an den drei Kernorganisationen: Sisterhood is Global Institute/Jordan (SIGI/J) ist mit einer ehemaligen Ministerin und Regierungssprecherin als Chefin eher liberal-bürgerlich. Das Women’s Centre for Legal Aid and Counselling (WCLAC) verfolgt für die palästinensischen Gebiete einen umfassenden gesellschaftspolitischen Reformansatz. Die ägyptische Organisation El Nadeem for the Management and Rehabilitation of Victims of Violence ist eine basisdemokratisch-feministische Organisation, die in Opposition zur Regierung in Kairo steht.
In den Debatten treffen deshalb die unterschiedlichsten Standpunkte aufeinander: Soll man mit islamischen Frauenorganisationen punktuell zusammenarbeiten oder nicht? Mit islami(sti)schen Parteien (Hamas, Hisbollah, Muslimbrüder), die man ansonsten politisch bekämpft, die aber beim Thema Gewalt gegen Frauen eher « zugänglich » sind? Ist die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen (vor allem der Polizei) legitim? Für die Teilnehmerinnen aus Palästina und Jordanien ist das kein Problem, für die Ägypterinnen aber ein Tabu: Mit den Folterern von der Polizei kommt eine Kooperation nicht in Frage, das würde nur den repressiven Staat unterstützen. Was aber ist mit Richtern? Soll man Parlamentarier ansprechen, oder ist das in den meist autokratisch regierten Ländern nicht sinnvoll? Soll man überhaupt Gesetzesänderungen anstreben, sich nicht vielmehr auf die Verwaltungs- und Exekutivorgane konzentrieren und eher verwaltungstechnisch für eine Verbesserung der Schutzmechanismen einsetzen?
Einig aber sind die Frauen sich, dass die Gesetze geändert werden müssen. Im Gaza-Streifen gilt das ägyptische Strafrecht, auf der Westbank das jordanische. Wird ein Mann wegen eines Ehrenmordes verurteilt, bekommt er maximal eine Haftstrafe von sechs Monaten. Es gibt kein Gesetz, das innerfamiliäre Gewalt unter Strafe stellt. Um einen Mann wegen eines Angriffs zu belangen, muss eine Frau mindestens 10 Tage im Krankenhaus gewesen sein und zwei Zeugen haben. WCLAC hat einen Entwurf für ein Familienschutzgesetz erarbeitet, das aber angesichts der Hamas-Mehrheit im Palästinensischen Legislativrat (PLC) keine Aussicht auf Verabschiedung hat. Es könnte nur durch Präsident Mahmoud Abbas per Dekret verordnet werden, aber das ist wenig wahrscheinlich. Abbas hat die CEDAW-Konvention unterzeichnet, aber eine Ratifikation ist auch da nicht in Sicht.
Dass Frauen aus verschiedenen Ländern Kampagnen mit einem gemeinsamen Logo, mit dem gleichen Plakat und mit in allen Ländern verteilten Materialien planen und durchführen, – so viel grenzüberschreitende Kooperation ist in der arabischen Welt selten. Gemeinsam gefeiert werden anschließend auch die Erfolge, gemeinsam bedauert und analysiert die Niederlagen.
----
Weitere Informationen:
----
Mehr zum Thema:
- Dossier: "Die Bürgerrevolution im Nahen Osten"
- Algerien: Maissa Bey: "Wir erwarten von Europa nichts mehr"
- Ägypten: Die Verwandlung auf den Tahrir-Platz
- Libanon: LGBT im Libanon: Mit Mut gegen die Mehrheit - Oder: Geduldet, aber nicht geachtet
- Palästina: Gender Budgeting auf kommunaler Ebene
- Israel: Anat Saragusti: Zum 10. Jahrestag der Resolution 1325
- Israel: Jüdische und jüdisch-palästinensische feministischen Organisationen in Israel
- Tunesien: Interview mit den Frauenrechtlerinnen Nadia Hakimi und Bochra Bel Haj Hamida
- Irak: Recht oder religiöse Vorschriften?
- Bahrain: Interview mit Maryam Al-Khawaja: "Die Regierung muss alle Menschen vertreten"
- Iran: 8.März im Iran: Frauenbewegung, grüner Protest und Kampf gegen Repression
- Iran: Mutige Frauen aus dem Iran - Die grüne Opposition und die Gleichberechtigung
zurück zum Dossier 100 Jahre Frauentag: Women´s voices Women´s Choices