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Militarisierte Männlichkeit in Deutschland

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Ein Beitrag zum Fachgespräch Militarisierte Männlichkeit in (post-)Konfliktregionen - Strategien und Handlungskonzepte für Gegenentwürfe. 

 

 Deutschland, zwei Weltkriege, militarisierte Männlichkeit und „Heldendämmerung“

Die Deutschen haben zwei Weltkriege mit Millionen von Toten zu verantworten – ganz zu schweigen von den ungezählten Verletzten, Vertriebenen und Traumatisierten. Das war letztlich nur möglich, weil schon in den Jahrzehnten vor diesen Weltkriegen extreme Formen militarisierter Männlichkeit das Sagen hatten. Ich möchte deshalb ein wenig über die deutsche Geschichte reden und einige Passagen aus meinem letzten Buch „Heldendämmerung“ zitieren, das ist vielleicht gerade für unsere ausländische Gäste interessant.

Ich bin die Tochter eines ehemaligen Soldaten und fanatischen Nationalsozialisten, der mit dem Untergang des Dritten Reiches nicht klarkam. Er verachtete seine eigene Frau als „rassisch minderwertig“, war unfähig zu persönlichen Bindungen, lachte nie, wertete alle Menschen ab, redete nie über seine Vergangenheit und schließlich überhaupt nicht mehr. Auf dem Stuttgarter Kirchentag 1969 beging er bei einer Lesung von Günter Grass vor 2000 Menschen öffentlich Selbstmord, indem er eine Flasche Zyankali austrank. Ich war damals 13 Jahre alt. Günter Grass deutete in seinem „Tagebuch einer Schnecke“ das Familiengeheimnis an, dass mein Vater mit dem Gedanken gespielt hatte, seine ganze Familie mit in seinen Tod zu reißen. Ich habe das Buch von Grass als Jugendliche gelesen, aber diese Passage bezeichnenderweise „überlesen“. Erst Jahre später, als ich „Das falsche Leben“ schrieb, die Biografie meines Vaters, nahm ich geschockt zur Kenntnis, dass auch ich eine Überlebende bin.

Als Reaktion auf mein Buch schrieben mir hunderte von Menschen Briefe und Mails über ihre eigenen Familien – und zeigten über 60 Jahre nach Kriegsende, dass die Biografie meines Vaters beileibe kein Einzelschicksal war. Es gab darunter viele drastische Fälle. Zum Beispiel eine Frau, die von ihrem SS-Vater vergewaltigt worden war. Oder ein Mann, der als Kind in den Bombennächten von seinen Nazieltern allein gelassen wurde. Er bekam nur zu hören, er solle sich zusammenreißen: „Ein deutscher Junge hat keine Angst.“

Dieser Satz „Ein deutscher Junge hat keine Angst“ zielt direkt ins Herz der militärischen Zurichtung von Männern: Gefühle hat man nicht mehr wahrzunehmen. Es geht im Militär um die totale Kontrolle des Körpers und der Psyche, um die völlige Unterdrückung von Empathie und Gefühl, weil ein Soldat sonst die „Arbeit“ des Tötens nicht machen könnte. Beim militärischen Drill werden Gefühle systematisch als „weiblich“ denunziert, Weiblichkeit ist Schwachheit und Feigheit und muss deshalb unterdrückt werden. Mit diesem frauenfeindlichen Muster arbeiten alle Armeen der Welt.

In meinem Buch „Heldendämmerung“ führe ich die lange Geschichte der Militarisierung deutscher Männlichkeit aus. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts war Prügelpädagogik, beschönigend als „Manneszucht“ bezeichnet, gang und gäbe – in Schulen, Waisenhäusern, Gefängnissen, Lehranstalten, Kasernen. Der sächsische Lehrer Johann Christoph Friedrich GutsMuths formulierte 1793 mit seiner Schrift Gymnastik für die Jugend eine der ersten Anleitungen, wie der Jüngling per Drill und Abwertung alles Weiblichen zum Manne gemacht werden sollte. Die Männer hätten durch Luxusleben ihre „natürliche“ Kraft verloren, lautete seine Diagnose, die Folge seien „weibische“ Defekte wie Schwäche, Kränklichkeit, Feigheit, Abhängigkeit und Passivität. Sein Rezept dagegen war „männlicher Widerwille gegen weibische Weichlichkeit“. GutsMuths begriff den Männerkörper als mechanische Maschine: Jedes seiner Einzelteile musste geschliffen werden, um die Gesamtleistung zu erhöhen. „Es ist schön“, schwärmte GutsMuths, „wenn Knaben und Jünglinge aufs Kommandowort auf ihren Platz fliegen, sich an ihren Stellen gehörig rangieren, gute Stellung annehmen und anständig wie ein Leib abmarschieren, wohin man sie haben will.“ Die Friedensforscherin Astrid Albrecht-Heide nennt das Militär deshalb eine „Männlichkeitsmaschine“. Man könnte es auch als „Herkulesmaschine“ bezeichnen.

Das Militär begriff sich als „Bildungsschule der Nation für den Krieg“ oder als „Schule der Männlichkeit“. Eine mehrjährige scharfe Körperdressur sollte den Rekruten die allzu menschliche Abneigung gegen Töten und Sterben austreiben und durch rein mechanische Reaktionen ihres Körpers ersetzen. „Die gleichmäßigen Bewegungen des Exerzierens, Marschierens, Greifens, Ladens, Zielens und Schießens mussten mechanisch, ohne nachzudenken oder gar zu zweifeln, ausgeführt werden“, schreibt die Historikerin Ute Frevert in ihrem Buch Die kasernierte Nation. „Die Frequenz und Länge der Marschschritte pro Minute waren ebenso vorgegeben wie die Höhe, in der die Beine zu schwenken waren, oder der Neigungswinkel zwischen Ober- und Unterarm beim Schultern des Gewehrs.“

Diese militarisierte Männlichkeit war ein Massenprogramm, eine Leib-, Seelen- und Gehirnwäsche, der von wenigen Ausnahmen abgesehen alle Männer unterworfen waren. Es produzierte die klassische militärische Haltung, die den Soldaten auch im Zivilleben „auszuzeichnen“ hatte und die die gesamte preußisch-deutsche Nation prägte: Ein Mann hatte hart zu sein, diszipliniert, Schmerzen und Entbehrungen klaglos zu ertragen, ja am besten gar nicht wahrzunehmen. Dieses Muster des Drills gilt, mit kulturellen Variationen, im Prinzip in allen Armeen.

Offiziere und Soldaten hatten sich in der Öffentlichkeit stets bewaffnet zu zeigen, mit Säbel, Büchse und Bajonett. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts musste ein württembergischer Mann gar den Besitz von Gewehr und Harnisch nachweisen, wenn er heiraten wollte. Männlichkeit, Wehrhaftigkeit und sexuelle Potenz verschmolzen zu einem Komplex, in dem Entwaffnung als Entmannung verstanden wurde. Als nach der Kapitulation des deutschen Heeres am Ende des Ersten Weltkriegs sein Regiment Kriegsmaterial in einem Teich versenken musste, schrieb der Freicorps-Soldat Friedrich Schauwecker: „Hier schnitt sich die Nation auf Befehl zielsicher die Geschlechtsteile ab“.

Das Verhältnis der Soldaten zu Gewalt und Sexualität war von Doppelmoral gekennzeichnet. Als brave Christen gelobten sie in der Kirche, nicht zu töten und die Ehe nicht zu brechen, doch war es für Rekruten normal, von Prostituierten sexuell initiiert zu werden. Sex und Gewalt waren Männern eben doch erlaubt, man erwartete es sogar von ihnen. Die Treue, die sie als Soldaten schworen, die gar als „deutsche“ Eigenschaft par excellence gepriesen wurde, galt allein König, Kaiser, Führer; wer jedoch einer Frau treu blieb, blamierte sich vor seinen Kameraden: „Heute Jettchen, morgen Bettchen, immer neu, das ist Soldatentreu.“

Anfang des 20. Jahrhunderts galten Adel und Offiziere in Deutschland als die Ersten im Staate, als die tonangebende und sogar die Mode bestimmende Klasse. Die Männerkaserne war zur Nation geworden und die Männernation zur Kaserne, der Reichskörper unter seinem Staatsoberhaupt Kaiser Wilhelm II. war scheinbar glänzend gerüstet für die nächsten Kriege und kolonialen Eroberungen. Immer mehr wurde die Vorstellung vom „Reichskörper“ zur Wahnidee eines rassisch reinen „Volkskörpers“, der von gemeinsamem Blut durchrauscht wurde.

Bei der Kongo-Konferenz 1884/85 in Berlin teilten die Großmächte Afrika unter sich auf, auch Deutschland erhielt mehrere Kolonien. Die deutschen Kolonisatoren führten Zwangsarbeit und grausame Körperstrafen mit der Nilpferdpeitsche ein und machten sich mit ihrer Prügelkultur verhasst. Dem Aufstand der Herero im heutigen Namibia begegneten die Deutschen von 1904 bis 1908 mit einem Vernichtungsfeldzug, der heute als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts gilt: Etwa drei Viertel der Herero wurden ermordet. Die Schädel einiger Ermordeter wurden in die Berliner Charité gebracht, um an ihnen „die Überlegenheit der deutschen Rasse“ zu beweisen. Dass das Deutsche Reich Konzentrationslager in seine Kolonien exportierte, die Hitler später quasi heim ins Reich holte, ist mit ökonomischen Interessen allein wohl nicht zu erklären: Die deutsche Kolonialwirtschaft hat in keinem Land außer Togo Gewinne eingebracht. Es ging auch um den Beweis, dass der weiße Mann dem schwarzen überlegen sei. Wer seine „Höherwertigkeit“ so zwanghaft beweisen muss, der hat eine schwache Identität zu verbergen.

Der Völkerkundler Heinrich Schurtz propagierte 1902 die These, dass am Anfang jeder Gesellschaftsbildung Männerbünde gestanden seien. Nur im Zusammenschluss der unverheirateten jungen Krieger finde der Heranwachsende Gleiche und Gleichgesinnte in einem Schutzraum vor allen Andersartigen. Die unzähligen deutschen Männerklubs und Studentenvereine, Stammtische, Geheimbünde und schlagenden Verbindungen mit ihren überschäumenden Bierbesäufnissen waren für ihn der Beweis, dass der Männerbund von der Steinzeit bis in die Gegenwart weiterwirke. Schurtz’ „Männerbund“ wurde zu einem Abwehrbegriff, zu einer ideologischen Kampfparole, zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Immer mehr militärische, politische und wissenschaftliche Männerbünde wollten die Frauen an ihre „angestammten Plätze“ verweisen.

Wer sich als Mann mit Pazifistinnen und Frauenrechtlerinnen solidarisierte, wurde Anfang des 20.Jahrhunderts so gnadenlos als „unmännlich“ diffamiert, dass es auch die SPD vorzog, die „Erziehung zur Wehrhaftigkeit“ in ihr Programm aufzunehmen. „Behüte uns Gott vor den Mannweibern und den verdrehten Schrullen“, polterte ein Journalist stellvertretend für viele anlässlich eines Pazifistinnenkongresses 1904 in Berlin. „Mehr als je braucht unser Zeitalter waffen- und denkfähige Männer.“

Die künstliche Geschlechterpolarisierung, die im 18. Jahrhundert begann, kulminierte schließlich im Nationalsozialismus. „Niemals zuvor und niemals danach wurde die Maskulinität in solche Höhen gehoben wie im Faschismus“, schreibt der deutsch-britische Historiker George Mosse. Die Naziführer priesen die mann-männliche Bindung in schwülstigen Reden und Ritualen, am Lagerfeuer, bei der Hitlerjugend, im „heiligen Kreise der Kameraden“, bei Aufmärschen und Fahnenfeiern.

Diese männliche „Kameradschaft“ erscheint als die pervertierte Sehnsucht nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in einem Land, das keine bürgerliche Revolution zustande brachte. Weil der Männerbund „Stärke“ und „Wehrhaftigkeit“ versprach, wurde er zum Ersatz für den lange fehlenden gemeinsamen Staat. Die Folge: In der verspäteten Nation Deutschland, die sich so lange ihrer äußeren Grenzen unsicher gewesen war, wurde die Treue zur Nation tief ins Innerpsychische gewendet. Der deutsche Mann hatte staatstreu zu sein „bis ins deutsche Mark seiner deutschen Knochen“. Kein anderer Staat war so durchmilitarisiert bis in die „Tiefenseele“ seiner Bewohner. Viele Männer trachteten danach, selbst wie ein kleiner Staat zu funktionieren, wie die Hosentaschenausgabe einer großen Idee.

Im Dritten Reich wurden die Juden zunehmend zum Symbol des angstmachend fremden weiblichen Körpers, zum „Fremdkörper“ in der deutschen Nation, zu „Parasiten“ und „Blutsaugern“ am deutschen „Volkskörper“. Die Nationalsozialisten hängten dem „ewigen Juden“ weiblich konnotierte Eigenschaften an: Er galt als impotent, schwach, weich und zersetzend. „Bei keinem Volk findet man so viel Weibmänner und Mannweiber wie bei den Juden. Deshalb drängen sich so viele Jüdinnen zu männlichen Berufen“, schrieb etwa Otto Hauser in seinem Aufsatz Juden und Deutsche. Männliche Juden galten einerseits als weibisch, andererseits als lüsterne und stets vergewaltigungsbereite Sexualtriebtäter, die „deutsche Jungfrauen“ und „deutsches Blut“ schänden wollten. Offenbar dienten die Juden als Entsorgungspark für Ängste, die als Nebenprodukt der extremen Geschlechterpolarisierung entstanden waren.

Die Nazipropaganda zielte auch darauf ab, dass es keinen Unterschied zwischen dem deutschen Mann und Krieger gab – und geben durfte. Wer beweisen wollte, dass er kein „Gevatter Butterweich“ war, wie es damals allenthalben hieß, musste Frontsoldat werden. Denn nur im Kampf, verkündeten die Nazis, könne der Mann zeigen, dass er die „Tugend der Härte“ und „Rücksichtslosigkeit“ besitze. Mitgefühl und Mitleid wurden damit genauso als „unmännlich“ oder „weibisch“ denunziert wie „Feigheit vor dem Feind“. Anhand von Feldpostbriefen hat der Historiker Frank Werner aufgezeigt, wie sehr Soldaten diese fatale Gleichsetzung verinnerlicht hatten. Sie beteiligten sich an Vernichtungsfeldzügen, um explizit ihre Männlichkeit zu beweisen. Der „Härte-Imperativ“, so Werner, „wirkte als innerer Unterdrückungsmechanismus, der davor schützte, von Gefühlen ‚übermannt‘ zu werden.“

Das damals herrschende Mannesideal bewirkte zugleich, dass SS-Männer und Soldaten nicht an den von ihnen begangenen Kriegsverbrechen verrückt wurden, sondern sie trotz Skrupel und Zweifel letztlich erfolgreich in ihr Selbstbild integrieren konnten – als Männlichkeitsbeweis und Heldentat. „Ich weiß auch, dass einige genau mitgezählt haben, wie viele Menschen sie erschossen hatten. Sie renommierten dann untereinander mit den Zahlen“, so ein Angehöriger eines Einsatzkommandos.

Doch der Härte-Imperativ löste auch Angst aus, vor versammelter Mannschaft bloßgestellt zu werden, wenn man nicht mitmachte. Er hätte befürchten müssen, dass er im Falle der Verweigerung „als Schlappschwanz angesehen würde“, begründete ein SS-Scharführer seine Beteiligung an Erschießungen. Und Frank Werner bestätigt: „Die Berichte darüber, wie Befehlsverweigerer von Offizieren und Kameraden vor aller Augen als ‚Feigling‘, ‚Schlappschwanz‘ oder ‚feige Memme‘ verspottet oder schlicht als ‚zu weich‘ abqualifiziert wurden, sind Legion.“ Vor zwei Übel gestellt, entweder den sozialen Tod als Mann zu erleiden oder sich an Bluttaten zu beteiligen, wählten die meisten Soldaten die zweite als die vermeintlich weniger schlimme Alternative. Lieber Mörder als unmännlich: Das zeigt den ganzen Wahnsinn polarisierter Geschlechterrollen.

1945 stürzte der deutsche Kriegsheld krachend von der Säule. Seitdem ist Deutschland ein postheroisches Land, in dem Militarisierung und Aufrüstung stets gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt werden musste. Derzeit wird die Bundeswehr zur Freiwilligenarmee umgebaut, aber nur noch 0,4 Prozent eines Jahrgangs will zum Bund.

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Zur symbolischen Ordnung des Militärs

Die Militärforscherinnen Christine Eifler und Ruth Seifert haben nachgewiesen, dass sich das weibliche Geschlecht in keiner Armee der Welt auf gleicher Ranghöhe wie das männliche befindet, nicht einmal in denen mit dem größten Frauenanteil: die USA hat 17 Prozent Soldatinnen, Israel 30 Prozent. Die Abwertung weiblicher Soldaten erfolgt auf vielen Ebenen, symbolisch und real, mit Grabschereien, Beleidigungen, Vergewaltigungen. In allen Armeen gibt es sexuelle Übergriffe auf Frauen – und auf „abweichende“ Männer, die nicht dem gängigen Männlichkeitsmuster entsprechen. Sexuelle Gewalt scheint dem Militär notwendigerweise innezuwohnen. In Armeen gibt es sie weit häufiger als im Zivilleben, offenbar, weil hier der Druck, sich als „männlich“ und „wehrhaft“ zu beweisen, noch viel größer ist.

Bewaffnete Frauen bedrohen das Selbstbild der „starken Männer“ und bringen die Hierarchie durcheinander, nach der sich alles vermeintlich Schwache und „Weibliche“ unterzuordnen hat. Weibliche Waffenträger verkörpern für Männer mit fragilem Selbstbewusstsein offenbar auch eine Kastrationsdrohung.

Seit Beginn des war on terror wurden von den 200.000 im Kampfgebiet Irak und Afghanistan eingesetzten US-Soldatinnen fast drei Viertel sexuell belästigt und beinahe ein Drittel vergewaltigt.

Und dies, obwohl die US Army seit dem sogenannten Tailhook-Skandal Maßnahmen gegen sexuelle Übergriffe eingeleitet hatte. 1991 waren Pilotinnen, Soldatinnen und weibliche Gäste beim offiziellen Jahrestreffen der Marinefliegervereinigung Tailhook in einem Hilton-Hotel einem wahren Spießrutenlauf ausgesetzt. Betrunkene Piloten trugen T-Shirts mit dem Aufdruck „Women Are Property“, sahen Pornovideos, lauerten an engen Hotel-Durchgängen Frauen auf und rissen ihnen die Kleider vom Leib. Ganz offensichtlich versuchte die männliche Flieger„elite“ damit, ihre Kolleginnen zu degradieren und ihren eigenen hohen militärischen Status zu erhalten, den sie durch die Aufnahme von Frauen bedroht sah.

Auch in der Militärakademie Citadel in Charleston wehrten sich Kadetten mit brutalen Methoden gegen das Eindringen von Kadettinnen und Dozentinnen in eine buchstäblich männliche Bastion. Diese bekamen obszöne Anrufe und pornografische Botschaften, ihre Türen wurden ausgehängt oder mit Sprüchen wie „Fotze“ oder „Frauen werden die Welt zerstören“ beschmiert. Die jungen Männer sangen Lieder, in denen es darum ging, Frauen Körperteile abzuhacken oder ihre Augen auszustechen; sie stellten Plakate mit Todesdrohungen auf, sprühten den Kadettinnen Haushaltsreiniger in den Mund oder zündeten ihre Sweatshirts an.

Womöglich ist das Militär eine Art symbolische Recyclinganlage, in der die Normen der Männerdominanz immer wieder erneuert und weitergegeben werden. Erniedrigung wird bewusst mit Verweiblichung gleichgesetzt: Vorgesetzte beleidigen männliche Rekruten als „Fotze“ oder „Weichei“, zwingen sie zu demütigenden „weiblichen“ Arbeiten wie Putzen und Abwaschen oder lassen sie den Boden mit Zahnbürsten schrubben. Besonders deutlich wird dieses brutale Verhalten in Full Metal Jacket, Stanley Kubricks legendärem Film über Rekrutenschinder während des Vietnamkriegs. Kubrick ließ sich von den Schilderungen echter drill inspectors inspirieren.

Im Lexikon des „Bundessoldatendeutsch“ von 1978, herausgegeben von „Alltagssprachensammler“ Heinz Küpper, ist ungefähr jedes vierte der dort aufgeführten Worte oder Sprichwörter sexuell aufgeladen. Im Soldatenjargon heißt der Penis „Hammer“, „Prügel“, „Rammelbolzen“, Präservative sind „Rohrschoner“ und „Ballermänner“, das Gewehr des Soldaten ist seine „Braut“. Wer „Brautpflege“ betreibt, putzt seine „Elli“, „Lina“ oder „Maria“. Die „Schnelle Anna“ ist ein Maschinengewehr, die „Dicke Berta“ eine schwere Panzerfaust.

Waffen sind ihrer Form nach metallgewordene Phalli – ob nun als Raketen, Panzerrohre, Gewehrläufe, Eierhandgranaten oder Bomben. Was daran technisch bedingter Zufall ist und was Material gewordene Männerfantasie, ist schwer zu entscheiden. Auf jeden Fall werden Waffen als direkte Verlängerung des Körpers eingesetzt, was sich manchmal auch literarisch niederschlug: „Satanische Lust, wie, bin ich nicht eins mit dem Gewehr?“, fragt Ernst von Salomon in Die Geächteten. „Bin ich nicht Maschine – kaltes Metall? Hinein, hinein in den wirren Haufen: hier ist ein Tor errichtet, wer das passiert, dem wurde Gnade.“ Heutige Soldaten formulieren es weniger pathetisch: Ihr Gewehr sei ihre „Lebensabschnittsgefährtin“, vertrauten sie der Konfliktforscherin Cordula Dittmer an.

Die US-Wissenschaftlerin Carol Cohn beschrieb 1984, wie ihre Gesprächspartner in einem nuklearen Forschungsinstitut die neuesten Waffen anpriesen: „Überwältigend. Du kriegst mehr Bums fürs Geld.“ Die neuen MX-Raketen, vom damaligen US-Präsidenten Reagan „peacekeeper“ genannt, sollten nur in der besten Halle untergebracht werden, denn man stecke ja nicht die „hübscheste“ Rakete in ein „miserables Loch“. In anderen Vorträgen ging es um die besten Abschüsse aus vertikaler Position, „vertical erector launchers“. Die Liste von russischen Städten, die im Falle eines US-Angriffs zerstört werden sollten, hieß pentagon-intern „Wargasm“.

Sexualisierte Metaphern tauchen im Militärjargon immer wieder auft. Erst penetriert man, explodiert, und dann entsteht – wiederum metaphorisch – neues Leben. Im Kern dieser destruktiven Fantasie steht die Idee einer Geburt durch Zerstörung, die etwa in der pathetischen Beschwörung einer „neuen Weltordnung“ aufscheint, und einer rein mann-männlichen Wiedergeburt ohne Beteiligung von Frauen. In dem alten Wort vom „Kriegerschlecht“ steckt diese Männerfantasie ebenfalls mit drin – Krieger, die sich unter Ausschluss der Frauen untereinander fortpflanzen.

In vielen kriegerischen Auseinandersetzungen wird der weibliche Körper symbolisch und real zum Schlachtfeld. Die häufigste Form sexualisierter Gewalt in Kriegen ist Gruppenvergewaltigung. Täter führen ihren Kameraden ihre Männlichkeit vor, der Körper des Opfers wird zur Requisite. Wer sich diesem „Schauspiel“ verweigert, wird aus der Gruppe ausgeschlossen. Manchmal werden Soldaten von ihren Kommandanten als Schwuler und Schwächling verspottet, wenn sie sich weigern, bei an einer Massenvergewaltigung mitzumachen.

Sexuelle Gewalt gegen Männer und Jungen gibt es ebenfalls in praktisch allen Kriegen, in Ex-Jugoslawien, in der DR Kongo, in Afghanistan und andernorts, ist aber „das Tabu im Tabu“. Männliche Opfer reden nicht darüber, weil sie qua Geschlecht nicht Opfer sein dürfen, denn Opfer sind „weiblich“, weil schwach. Wenn sie redeten, würden sie zum zweiten Mal eine „Entmannung“ erfahren. Männliche Opfer bedürfen dringend der Hilfe, weil sich sonst der ewige Kreislauf wiederholt: Opfer werden zu Tätern, um die erlittene traumatisierende Gewalt endlich loszuwerden.

Warum ist das Militärsystem, unabhängig von der Einstellung einzelner, so sexualisiert und gleichzeitig so frauenfeindlich? Es könnte sich um den Versuch handeln, durch Abwertung des Weiblichen männliche Regressionswünsche im Zaum zu halten. Krieg ist das Scheußlichste, was Männern zugemutet wird. Kämpfen zu müssen, die eigene Todesangst und Tötungshemmung zu überwinden – das ist die extremste Anforderung, die an die Psyche eines Mannes gestellt werden kann. Die natürliche Reaktion auf solche Zumutungen sind Kapitulation, Verweigerung, Desertion und die Sehnsucht, an Frauen- und Mutterkörpern Schutz zu suchen. Um diesem Verlangen zuvorzukommen, muss im Militär alles Weibliche und Weiche ausgemerzt werden.

Vielleicht ist das die bittere Pointe: Das Militär ist nur deshalb eine so brutale Institution, weil Männer per se weder besonders aggressiv noch besonders kriegerisch sind, sondern ständig aggressiv gemacht werden müssen, um als Krieger zu funktionieren.

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