Mikael Gustafsson, Vorsitzender des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament (FEMM) im Gespräch mit Caroline Ausserer über vergangene Höhepunkte und zukünftige Herausforderungen.
Caroline Ausserer: Was waren Ihrer Meinung nach die Höhepunkte in der Arbeit des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament (FEMM) in den letzten fünf Jahren? Was waren die wichtigsten Erfolge und worin bestanden die größten Schwierigkeiten?
Mikael Gustafsson: In den letzten fünf Jahren hat sich das Thema Gewalt gegen Frauen wie ein roter Faden durch all unsere Aktivitäten gezogen. Wir wollten die Kommission davon überzeugen, einen Gesetzesvorschlag einzubringen. Außerdem haben wir zu diesem Thema 2011 einen Bericht verabschiedet; und auf der Sitzung in Straßburg im Februar 2014 haben wir einen weiteren Bericht verabschiedet, der die Kommission dazu verpflichtet zu sagen, wie sie mit diesem Thema umgehen wird.
Das ist ein wichtiger Höhepunkt in der Arbeit des Ausschusses und des Europäischen Parlaments gewesen. Aber es gibt auch einen negativen „Höhepunkt“: in den letzten ein bis zwei Jahren hat es einen großen Kampf gegen das Recht der Frau auf den eigenen Körper gegeben. Mit der Ablehnung des Estrela-Berichts über sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte (benannt nach der portugiesischen sozialdemokratischen Abgeordneten im Europaparlament, Edite Estrela) lässt sich erkennen, dass es eine sehr starke Bewegung im Europäischen Parlament gibt, die sich gegen das Recht der Frau auf den eigenen Körper ausspricht. Es gibt zwei Strömungen: eine positive Strömung, die für Themen wie Geschlechtergleichstellung und Gewalt gegen Frauen sensibilisiert, und eine zweite Strömung, die eher mit der Krise selbst zu tun hat. Die Krise beeinflusst diese Politik; das kann man in den Ländern sehen, vor allem in denen, die besonders von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen sind. Die Krise zieht die gesamte Gesellschaft in Mitleidenschaft, vornehmlich Frauenrechte und Geschlechtergleichstellung. Sie geht mit Rassismus, Homophobie und Frauenhass einher. Diese drei Dinge sind eng miteinander verwoben.
Könnten Sie das bitte näher erklären?
G.M.: Wir wissen um die rassistischen und nationalistischen Parteien, die in Griechenland und anderen Ländern entstehen und immer mehr Zuspruch bekommen. Aber diese Bewegungen und ihre Ansichten gehen meist Hand in Hand mit Homophobie und Frauenhass. Diese drei Bewegungen richten sich gegen Geschlechtergleichstellung, gegen Homosexuelle und gegen ins Land kommende Ausländer. Sie „nähren sich“ quasi gegenseitig. Es ist, als gehe man zurück zu einer sehr konservativen Sichtweise, auch in Bezug auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Das ist natürlich Schwarzweißmalerei, lediglich für Analysezwecke.
Wie könnte man den Einfluss dieser Bewegungen eindämmen?
M.G.: Im Ausschuss analysieren wir die Situation, es gibt bei uns z.B. einen Bericht über die Auswirkungen der Krise auf die Frauenrechte. Wenn es aber um die Frage geht, wie sich das Problem lösen lässt, haben wir nicht unbedingt die gleiche Sichtweise. In meiner Kapazität als Vorsitzender kann ich sagen, dass es viele Dinge gibt, die man tun kann. In diesem Bericht kommen wir aber einhellig zu dem Ergebnis, dass - wenn man eine Krise durchläuft und irgendwie geartete Sparmaßnahmen ergreift – unbedingt die Geschlechterperspektive bei diesen Spaßmaßnahmen berücksichtigt werden muss. Denn wenn man zum Beispiel unterschiedliche Sozialleistungen extrem kürzt, bedeutet das, dass Frauen gewissermaßen gezwungen werden, in die unbezahlte Arbeit zurückzukehren. Wenn es keine Kinderbetreuungszentren oder Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen gibt, muss sich jemand um die alten Menschen und Kinder kümmern. Und dieser „jemand“ scheint hierbei immer eine Frau zu sein. Wenn es diese Sozialeinrichtungen gibt, heißt das im Umkehrschluss jedoch nicht, dass man automatisch Geschlechtergleichstellung erreicht. Aber sie sind eine Grundlage für die Schaffung von Geschlechtergleichstellung. Denn dadurch können die Frauen auf den Arbeitsmarkt gehen, können wirtschaftlich unabhängig werden und wer wirtschaftlich unabhängig ist, kann frei über sein Leben entscheiden. Wenn man nun aber diese Institutionen wegnimmt, hat das überaus negative Auswirkungen und läuft der Stärkung der Frauen zuwider. Die Beschäftigungsrate ist z.B. bis 2008 stetig angestiegen, danach ist sie konstant geblieben. Sie liegt heute immer noch bei 62%, wie auch 2008 (im Vergleich: 74% bei Männern). Vor 2008 war sie permanent angestiegen, seit der Krise haben sind die Zahlen unverändert geblieben.
Wir haben es also mit einer direkten Auswirkung der Krise zu tun?
M.G.: Ganz genau. Dieser Indikator ist im Zusammenhang mit der Stärkung der Frau sehr wichtig. Er ist also ein Schlüsselthema, aber natürlich nicht der einzige entscheidende Faktor.
Teilt die Europäische Kommission diese Einstellung, berücksichtigt sie also die Geschlechterperspektive bei ihren Sparmaßnahmen?
M.G.: Nein. Die Kommission hat eine sehr technische Sichtweise, wenn es um dieses Thema geht. Sie konzentriert sich eher auf die Zahlen und nicht auf die Wirkung. Das ist genau das, was das Europäische Parlament und der FEMM-Ausschuss in dem von mir genannten Bericht kritisiert haben. Die Europäische Kommission sollte diesen Aspekt sehr viel stärker berücksichtigen und eine geschlechtergerechte Haushaltsführung („Gender Budgeting“) betreiben.
Warum berücksichtigt die Europäische Kommission das nicht? Ihr Beispiel bezieht sich ja auf Zahlen.
M.G.: Das ist ein generelles Problem in der Europäischen Union: Es mangelt uns nicht an guten Worten oder Formulierungen, wenn es um Geschlechtergleichstellung geht. Im Vertrag von Lissabon steht zum Beispiel in Artikel 8: „Bei allen politischen Entscheidungen ist die Geschlechterperspektive mit einzubeziehen.“ Das ist sehr, sehr gut. Das Problem aber ist, wie sich das ohne Mittelzuweisung erreichen lässt. Das heißt, das Problem liegt in der Umsetzung und Mittelzuweisung, nicht in diesen netten Worten. Es ist sehr einfach zu sagen, dass wir Geschlechtergleichstellung brauchen; aber dann muss man diesem Anspruch gerecht werden, man muss ihn berücksichtigen; man hat den Ansatz des Gender Mainstreaming, man muss Mittel zuweisen, um Geschlechtergleichstellung zu erreichen. Die Formulierungen im Vertrag von Lissabon und auch in anderen vom Rat und der Kommission verabschiedeten Dokumenten sind sehr gut, sie alle behaupten, dass Geschlechtergleichstellung sehr wichtig ist. Es liegt also nicht an den Worten; die Taten sind das Problem.
Worin bestehen die Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren? Welche nächsten Schritte sind zu erwarten? Was sind die zukünftigen Ziele?
M.G.: Wir können keinen Plan haben, ohne wiedergewählt zu werden. Aber viele dieser Probleme, die ich bereits angesprochen habe, sind ebenfalls Zukunftsthemen. Wir werden über Sparmaßnahmen sprechen, über das Recht der Frau auf den eigenen Körper (z.B. Abtreibung und Verhütung) und auch über Gewalt gegen Frauen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der neue Ausschuss genauso hart arbeiten wird wie wir, damit die Kommission einen Gesetzesentwurf einbringt, wenn es um den Mindeststandard für alle 28 Mitgliedsstaaten geht. Ich denke, dass die Themen sehr ähnlich gelagert sein werden. Das hängt aber vom Wahlergebnis ab. Es hängt davon ab, welche Partei und welche politischen Gruppierungen sich beteiligen und wie viel Einfluss diese haben werden. In meiner Funktion als Abgeordneter des Europaparlaments sage ich: Ich mache mir große Sorgen wegen der nationalistischen und rassistischen Parteien, die derzeit großen Aufwind bekommen. Ich mache mir große Sorgen darüber, wie sie die Debatte und die Atmosphäre im Parlament beeinflussen werden. Aber man weiß nie, ob z.B. die anderen Parteien eine starke Allianz schmieden werden, wie die Allianz, die wir heute im FEMM-Ausschuss zwischen vier Parteien haben: Die Liberalen, die Sozialdemokraten, die Grünen und die Linken bilden eine Mehrheit im FEMM-Ausschuss. Wenn das so bleibt, werden die rücksichtslosen rechtsextremen Parteien keine Chance haben. Aber man weiß nie. Sie waren ja einer der Hauptgründe dafür, dass der Estrela-Bericht abgelehnt wurde.
Gibt es eine Chance, dass der Bericht wieder aufgegriffen wird?
M.G.: Dieser Bericht ist vom Tisch, aber wir können die Themen in einem neuen Bericht wiederaufnehmen. Die Themen werden wieder aufgegriffen. Sie sind bereits in der Vergangenheit in unterschiedlichen Berichten ergänzend aufgegriffen worden. Jedes Mal wurden in den fünf Jahren sämtliche Ergänzungen angenommen. Erst nachdem wir alles in einem Bericht zusammengefasst hatten, regte sich großer Widerstand. Die letzte Abstimmung war ganz knapp: es fehlten uns letztlich lediglich sieben Stimmen (334 Jastimmen, 327 Neinstimmen und 35 Enthaltungen).
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
M.G.: Ich wünsche mir, dass wir einen beherzten Schritt im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen unternehmen. Wir sind besser geworden in den 28 Mitgliedstaaten, aber das Thema muss Priorität auf den Tagesordnungen erhalten. Zudem muss die Debatte über das Recht der Frau auf den eigenen Körper progressiv geführt werden. Das ist eine Menschenrechtsfrage! Und diese ist äußerst wichtig in wirtschaftlicher Hinsicht. Außerdem brauchen wir einen funktionierenden Sozialstaat. Denn dann bekommen Frauen Zugang zum Arbeitsmarkt, der ihnen die Unabhängigkeit gibt zu entscheiden, was sie mit ihrem Leben machen möchten. All das kann Frauen stärken, was unterm Strich gut für die gesamte Gesellschaft ist.
Vielen Dank für Ihre Zeit!