Die Europäische Union hat sich ein hohes Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2020 sollen 75 Prozent aller 20- bis 64-Jährigen in der EU erwerbstätig sein. Damit wollen die Mitgliedsländer nicht nur die politische und individuelle Destabilisierung durch Arbeitslosigkeit bekämpfen, sondern auch den demografischen Wandel mit seinem Zuwachs an Rentnerinnen und Rentnern finanzieren. Frauen stehen besonders im Augenmerk der nationalen Arbeitsmarktpolitik und der Förderprogramme aus Brüssel. Tatsächlich stieg die Erwerbsquote von Frauen im EU-Durchschnitt von 57,3 Prozent im Jahr 2000 auf 62,4 Prozent im Jahr 2012.
Aber Arbeit ist nicht gleich Arbeit. 2011 war, wiederum im EU-Durchschnitt, fast jede dritte Frau nur in Teilzeit beschäftigt, in Deutschland knapp die Hälfte. Die Teilzeitquote bei Männern lag hingegen 2011 im EU-Durchschnitt bei knapp 8 Prozent, in Deutschland bei 9 Prozent. Vor allem Frauen übernehmen familiäre Verpflichtungen wie die Erziehung der Kinder oder die Betreuung der Angehörigen. Selbst bei gleich hoher Erwerbstätigenquote – die es noch in keinem EU-Land gibt – wäre das dahinter stehende Arbeitsvolumen also nicht gleich.
Eigenes Einkommen ist die Voraussetzung für wirtschaftliche Unabhängigkeit und damit Basis für ein selbstbestimmtes Leben. Die politischen Anreize für die Vollerwerbstätigkeit allerdings stehen in der Kritik, Frauen vorzuschreiben, wie sie leben sollen. Eine passende Kombination von Familienleben und Erwerbstätigkeit ist für viele Frauen eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme am Arbeitsmarkt. Die politischen und kulturellen Rahmenbedingungen dafür sind in den Mitgliedsländern der EU unterschiedlich. Um Familien zu entlasten, subventionieren zum Beispiel Frankreich und Schweden haushaltsnahe Dienstleistungen; außerdem können Kinder von der Krippe bis zur Ganztagsschule betreut werden. In Deutschland setzt die Familienpolitik ganz unterschiedliche Akzente – vom Ehegattensplitting, das das traditionelle Bild des Alleinverdienermanns unterstützt, bis zum garantierten Kindergartenplatz, der beiden Elternteilen eine Erwerbstätigkeit ermöglichen soll. Insgesamt unterscheidet sich die Erwerbsquote von Frauen in den EU-Ländern erheblich und bewegte sich 2012 zwischen 76,8 Prozent in Schweden bis etwa 50 Prozent in Italien oder Kroatien und 46 Prozent in Griechenland und Malta.
Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung können sich rächen: Geringerer Verdienst führt zu geringeren Rentenansprüchen im Alter. Halbe oder Dreiviertelstellen entpuppen sich häufig als berufliche Sackgasse oder führen sogar zu einem Karriereknick. Leitungspositionen in Teilzeit sind selten, und Heimarbeit verstößt gegen die "Präsenzkultur". Spitzenpositionen in der Wirtschaft bekleiden vor allem Männer, Frauen durchbrechen die "gläsernen Decken" nur selten, auch wegen der männlich geprägten Netzwerke, Aufstiegs- und Auswahlverfahren. In Börsenunternehmen der EU sind nur 5 Prozent der Chefs weiblich, in den Reihen der obersten Entscheidungsgremien nicht mehr als 18 Prozent Frauen zu finden. Selbst in Schweden, dem Vorzeigeland der Gleichberechtigung, sind es nur 26 Prozent in den Aufsichtsräten börsennotierter Aktiengesellschaften.
Frauenquoten für Chefetagen sind umstritten. Doch es gibt sie in unterschiedlicher Ausprägung bereits in zwölf europäischen Ländern. Die meisten wurden erst in den vergangenen Jahren eingeführt, sodass die Wirksamkeit noch nicht beurteilt werden kann. In Norwegen ist seit 2003 ein 40-prozentiger Frauenanteil in den Aufsichtsräten von Börsenunternehmen vorgeschrieben und mittlerweile erreicht. In Frankreich soll diese Vorgabe 2017 erfüllt sein.
Auch die politischen Parteien diskutieren solche Regelungen für ihre Gremien. Frauen sind oft bereits an der Parteibasis unterrepräsentiert, und die Hürden für einen Aufstieg ähneln denen in Unternehmen. Frauen sind dort präsenter, wo es Quoten oder Vorschriften wie das schwedische "Reißverschlussverfahren" gibt. Es garantiert, dass auf Wahllisten abwechselnd Frauen und Männer stehen. Seither ist der Frauenanteil auf 45 Prozent gestiegen. Unter den Abgeordneten des Europäischen Parlaments liegt er derzeit bei 36 Prozent – mit krassen Unterschieden. Den Rekord stellt Finnland auf, von dort kommen 62 Prozent Frauen. Am unteren Ende liegen Italien und Tschechien mit nur 23 Prozent, Polen schickt gar nur 20 Prozent. Die niedrigste Quote hat Luxemburg. Unter den sechs EP-Abgeordneten ist nur eine Frau.
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